Glaubt ihr an Naturrecht?

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Strich
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Re: Glaubt ihr an Naturrecht?

Beitrag von Strich »

Weil es eine Frage von Wahr und Falsch ist.
Stehe zu deinen Überzeugungen soweit und solange Logik oder Erfahrung dich nicht widerlegen. Denk daran: Wenn der Kaiser nackt aussieht ist der Kaiser auch nackt ... .
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Re: Glaubt ihr an Naturrecht?

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Strich hat geschrieben: Donnerstag 13. August 2020, 15:55 Weil es eine Frage von Wahr und Falsch ist.
Inwiefern? Wie kann man eine Ansicht verifizieren?
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Tibor
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Re: Glaubt ihr an Naturrecht?

Beitrag von Tibor »

Wenn du einen Staat X neu gründen würdest, bspw. nach einem Krieg auf einem bisherigen Staatsgebiet von Staat A und B und du eine Neuordnung das Staatsgebiets und Staatsvolks vornimmst, dann wird es trotz Beginn von Null (es gibt keine geschriebene Verfassung, kein geschriebenes materielles Recht, kein geschriebenes prozessuales Recht, kein anzuerkennendes Richterrecht) an, eine Grundüberzeugung des Staatsvolks zu bestimmten Grundregeln menschlichen Zusammenlebens geben. Diese Überzeugung kann ethischer Natur sein, aber auch rechtlicher Natur, weil sie insbesondere durch Erfahrungen vorgeprägt ist. Aber selbst unter der Annahme einer Ausblendung bisheriger Erkenntnisse über Recht und Gesetz würde die Mehrheit der Menschen im Staat einen Grundkanon an Rechtsempfinden entfalten können.
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Re: Glaubt ihr an Naturrecht?

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Das stimmt, da stellen sich aber für mich zwei Fragen:

1. Ist das schon "Recht" oder sind das nur moralisch-ethische Vorstellungen? Es gibt ja auch heutzutage viele Vorstellungen in der Gesellschaft von "Dingen die man tut/tun soll/nicht tun soll", die nicht deckungsgleich mit dem positiven Recht sind, angefangen von Manieren hin zu falschen Rechtsvorstellungen ("Mord ist, wenn man es geplant hat").

2. Ist das wirklich "das Naturrecht" in dem Sinne, wie es häufig gebraucht wird? Das Naturrecht wird im politisch-rechtlichen Diskurs ja vor allem verwendet, um einen Gegensatz zum positiven Recht in Fällen herzustellen, in denen tatsächlich ein positives Recht besteht (anders als in deinem Beispiel), es aber als "äußerst unmoralisch" angesehen wird (vgl. Sklaverei, NS-Diktatur). Dies gilt gerade, wenn ein Staat ein positives Recht festlegt, welches (manche) andere Staaten (oder nachfolgende Regierungen) für unhaltbar ansehen.

Diese "Zwecke" könnte dein Beispiel-Naturrecht ja nicht wirklich erfüllen. Ihm zufolge wäre ja etwa die Sklaverei im 17. Jahrhundert in Europa gerade nicht mit dem Naturrecht unvereinbar. Selbst wenn das damalige positive Sklaverei-Recht nicht gälte, wäre die Zulässigkeit der Sklaverei zur damaligen Zeit wohl Teil des "Grundkanon[s] an Rechtsempfinden" der Menschen.

Vereinfacht gesagt: wenn Naturrecht nichts anderes ist, als das Rechtsempfinden der Menschen in einer Gesellschaft, dann ist es in den meisten Fällen nicht geeignet, "grobes Unrecht" (vgl. Sklaverei) als solches zu brandmarken. Dies gilt schon aufgrund historischer Entwicklungen und regional-kultureller Unterschiede.
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Tibor
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Re: Glaubt ihr an Naturrecht?

Beitrag von Tibor »

Wenn du natürlich unter Naturrecht nur verstehen willst, was seit Menschenwerdung schon immer galt, dann wirst du kein solches Recht identifizieren können. Auch das Naturrecht unterliegt doch der Entwicklung der Menschheit. Natürlich haben die Bürger in Rom vor 2100 Jahren, die Einwanderer in den USA vor 150 Jahren oder der „gemeine Hesse“ vor 60 Jahren andere Werte gehabt. Das liegt allein daran, dass es schon sehr unterschiedliche Zivilsationsstufen auf dieser Erde gab. Erst seit den letzten 100 Jahren findet hier langsam ein Gleichlauf statt, der dann auch im Grunde gleiche Wertvorstellungen ermöglicht und notwendig macht. Man kann es einem zivilisierten Spanier des 16. Jhds auch nicht verdenken, dass er in einem Einwohner der westafrikanischen Küste, nur ein unzivilisiertes Objekt erkannte. Genauso wie die Römer die Germanen als unzivilisiert ansahen und deshalb ihnen per se keine Rechte zugestanden hätten. Wenn man Naturrecht deshalb an den großen geschichtlichen Fragen diskutieren will (Sklaverei/Holocaust), dann muss man immer die Zeit berücksichtigen. Und ja, die Tötung von Menschen einer Religion aus vorgeschobenen Rassegründen kann man so erfassen. Die Sklaverei in den USA ist da schon schwerer zu erfassen, weil es hier erhebliche Unterschiede zwischen 1860, 1960 und 1990 gibt.

Das Naturrecht (wie man es auch definieren mag) ist zudem natürlich von Werten nicht scharf trennbar. Es ist ja nicht ohnehin so, dass oftmals sich verändernde Wertvorstellungen zu geschriebenen Normen werden bzw. gesetzte Normen deshalb geändert werden.
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Re: Glaubt ihr an Naturrecht?

Beitrag von UltimaSpes »

Naturrecht ist für mich etwas Unverrückbares, das die äußerste Grundlage bildet; eine Grundlage, der alle Menschen ihrer Natur nach bei wohler Überlegung zustimmen müssen.

Und ist nicht die Natur des Menschen, dass er leben will; zumindest aber, den Zeitpunkt seines Ablebens selbst bestimmen möchte? Um das zu erreichen, muss er in einer Gesellschaft bestimmten Gesetzen zustimmen. Er kann nicht wollen, dass das Recht des Stärkeren gilt. Denn der Starke wird schnell zum Schwachen im Schlaf oder bei Krankheit, und dann wäre es das Recht des Wachen oder des Gesunden ihn zu töten.
Weiter kann er in diesem Sinne auch nicht wollen, dass ihm sein Essen streitig gemacht oder sein Haus zerstört wird. Denn all das braucht er zum Leben, und muss somit zustimmen, dass es verboten sei, andere Menschen zu töten, ihr Hab und Gut zu stehlen oder zu beschädigen.
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Tibor
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Re: Glaubt ihr an Naturrecht?

Beitrag von Tibor »

Dann bleibt die Frage, wann ist meins auch wirklich meins? Gilt diese Betrachtung nur für Haus/Essen, dass ich mit eigener Hände Arbeit erschaffen habe? Das wäre dann zu eng. Auf der anderen Seite müsste man dann neben Eigentumsrecht konsequent auch gerechten Arbeitslohn, Erbrecht und Freiheit des Handels oder der Dienstleistungserbringung als Naturrecht ansehen. Im Ergebnis wäre die allgemeine Handlungsfreiheit naturrechtlich vorgegeben und jeder Beschränkung entzogen. Das kann nun auch wieder nicht richtig sein.
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Re: Glaubt ihr an Naturrecht?

Beitrag von UltimaSpes »

Dann lassen wir das Eigentum außen vor.
Jeder Mensch hat ein Recht auf ausreichendes Essen und eine Unterkunft. Beides darf ihm nicht entzogen werden, da ein Mensch, der einem solchen zustimmen würde, zugleich auch sein natürliches Ziel, nämlich zu überleben, gefährden würde; wenn ihn das Jagdglück verlässt oder seine Hütte abbrennt.
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Tibor
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Re: Glaubt ihr an Naturrecht?

Beitrag von Tibor »

Und wer muss dann das ausreichende Essen besorgen, wenn die Jagd unglücklich war? Hat man dann einen Anspruch darauf, dass der Nachbar von seinem letzten Bissen einen Teil abgibt?
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Re: Glaubt ihr an Naturrecht?

Beitrag von UltimaSpes »

Ja, das hat man meiner Meinung nach. Zumindest dann, wenn der Nachbar des letzten Bissens selbst nicht bedarf, um zu überleben.

Deine anderen genannten Punkte, insbesondere gerechter Arbeitslohn und Freiheit des Handelns, lassen sich wohl auch aus dem Naturrecht ableiten, finde ich, aber sind, wie du selbst schreibst, eher Konsequenzen des von mir oben umrissenenen Ausgangspunkts.
Wahrscheinlich wäre es besser, diese aus dem Begriff herauszulassen, um die Grundlage, auf der das Weitere fußt, nicht zu verwässern.
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Strich
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Re: Glaubt ihr an Naturrecht?

Beitrag von Strich »

UltimaSpes hat geschrieben: Donnerstag 13. August 2020, 21:50 Ja, das hat man meiner Meinung nach. Zumindest dann, wenn der Nachbar des letzten Bissens selbst nicht bedarf, um zu überleben.

Deine anderen genannten Punkte, insbesondere gerechter Arbeitslohn und Freiheit des Handelns, lassen sich wohl auch aus dem Naturrecht ableiten, finde ich, aber sind, wie du selbst schreibst, eher Konsequenzen des von mir oben umrissenenen Ausgangspunkts.
Wahrscheinlich wäre es besser, diese aus dem Begriff herauszulassen, um die Grundlage, auf der das Weitere fußt, nicht zu verwässern.
Wann bedarf er des "letzten" Bissens nicht um zu überleben? Entscheidest du das dann? Zeigt nicht allein die hier abweichende Meinung, dass dein Naturrecht nicht so unverrückbar ist, wie du es gern hättest? Oder behauptest du einfach die Unverrückbarkeit als Synonym für Gott?
Suchender_ hat geschrieben: Donnerstag 13. August 2020, 16:14
Strich hat geschrieben: Donnerstag 13. August 2020, 15:55 Weil es eine Frage von Wahr und Falsch ist.
Inwiefern? Wie kann man eine Ansicht verifizieren?
Genau so, wie die Aussage: "Es gibt keine Wahrheit" falsch ist. Nichts von dieser Aussage "existiert in der Natur", gleichwohl kann die Aussage wahr oder falsch sein (in diesem Fall falsch).

Die Ansicht, jeder müsse seinen letzten Bissen teilen, kann auch wahr und falsch sein. Wir sollten aber nicht dem Irrglauben unterliegen, dass die Rechtswissenschaft deshalb keine Wissenschaft sei, weil die Wahrheitsurteile über ihre Thesen sehr komplex sind. Oder mit anderen Worten, nur weil wir zu blöde sind oder zu lange brauchen, wird die Rechtswissenschaft nicht zum bloßen Spiel von vertretbar und unvertretbar, was noch viel schlimmere Kategorien als Wahr und Falsch sind.

Alle tun immer so, als sei bei den Naturwissenschaften alles "in Stein gemeiselt" während bei uns alles Ansichtssache ist. Wie kommt man darauf? Hier wie dort gibt es Thesen die beständig bestätigt oder eben falsifiziert werden. Bei uns kommt lediglich hinzu, dass der Verursacher des zu erkennenden Vernunftrechts dem stetigen Wandel unterworfen ist, während die Natur das (vermutlich) nicht ist. Das heißt aber nicht, dass der Verursacher des Vernunftrechts beliebigen Einfluss auf dasselbe hätte.
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Re: Glaubt ihr an Naturrecht?

Beitrag von Omnimodofacturus »

Suchender_ hat geschrieben: Donnerstag 13. August 2020, 17:57 Das stimmt, da stellen sich aber für mich zwei Fragen:

1. Ist das schon "Recht" oder sind das nur moralisch-ethische Vorstellungen? Es gibt ja auch heutzutage viele Vorstellungen in der Gesellschaft von "Dingen die man tut/tun soll/nicht tun soll", die nicht deckungsgleich mit dem positiven Recht sind, angefangen von Manieren hin zu falschen Rechtsvorstellungen ("Mord ist, wenn man es geplant hat").

2. Ist das wirklich "das Naturrecht" in dem Sinne, wie es häufig gebraucht wird? Das Naturrecht wird im politisch-rechtlichen Diskurs ja vor allem verwendet, um einen Gegensatz zum positiven Recht in Fällen herzustellen, in denen tatsächlich ein positives Recht besteht (anders als in deinem Beispiel), es aber als "äußerst unmoralisch" angesehen wird (vgl. Sklaverei, NS-Diktatur). Dies gilt gerade, wenn ein Staat ein positives Recht festlegt, welches (manche) andere Staaten (oder nachfolgende Regierungen) für unhaltbar ansehen.
Um auch mal meine spätpubertäre Ader auszuleben:

Zu 1.) Irgendwie erinnert mich das an da 1. Semester und das Einleitungskapitel von Brox (inzwischen +Walker) zum Lehrbuch BGB AT, wo von Sitte über Sittlichkeit zum Recht geleitet wird. Wenn du das nicht kennst, eine lohnende Lektüre.

Zu 2.) Du verstehst "Naturrecht" offenbar mehr oder weniger ausschließlich als Gegenbegriff oder Korrektiv zum gesetzten Recht mit Ausschließlichkeitsanspruch. Das geht mir zu sehr in Richtung Radbruch'sche Formel und ist daher zu eng.
Anders gesagt; Der ganz überwiegende Teil des positiven Rechts aus allen Zeiten steht nicht im Gegensatz zum Naturrecht. Und im Gegenteil: In sehr vielen positivierten Normen steckt doch ein naturrechtlicher Ansatz, bis hin zum Sozialrecht, worauf UltimaSpes abstellt.

Dass es positive Normen inspiriert, tötet doch das naturrechtliche Prinzip nicht, sondern stärkt es sogar.
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Re: Glaubt ihr an Naturrecht?

Beitrag von UltimaSpes »

Strich hat geschrieben: Freitag 14. August 2020, 17:05 Wann bedarf er des "letzten" Bissens nicht um zu überleben? Entscheidest du das dann? Zeigt nicht allein die hier abweichende Meinung, dass dein Naturrecht nicht so unverrückbar ist, wie du es gern hättest? Oder behauptest du einfach die Unverrückbarkeit als Synonym für Gott?
Wann mein Nachbar den letzten Bissen nicht mehr zum Überleben braucht, hängt von vielen Umständen ab (vor allem dem Nahrungsangebot), sodass eine pauschale Antwort darauf kaum möglich ist.
Diese Frage bezieht sich meiner Meinung nach aber - ebenso wie die andere ("Wer entscheidet das dann?") - mehr auf eine Kontrollinstanz, die das Naturrecht durchsetzt. Das ist die zweite Ebene, die Details wie die Frage betrifft, wie viel Essen ist ausreichend für den Einzelnen. Am Ausgangspunkt, dass jeder Mensch von Natur aus ein Recht auf ausreichendes Essen in einer Gesellschaft haben sollte, ändert dies aber nichts.

Die "abweichende Meinung" betraf ja eher Nachfragen zu meinem Standpunkt, weil ich mich wohl nicht präzise genug ausgedrückt habe.

Und natürlich ist es kühn, eine "Unverrückbarkeit" des Naturrechts zu fordern. Aber meiner Meinung nach sollte das das Ziel sein. Nur so kann man sicherstellen, dass bestimmte Verhaltensweisen an sich nicht erlaubt sind - gleichgültig, wie das gesetzte Recht sich dazu verhält (Beispiel: Mauerschützen in der DDR).
Gelöschter Nutzer

Re: Glaubt ihr an Naturrecht?

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Omnimodofacturus hat geschrieben: Freitag 14. August 2020, 23:55 Du verstehst "Naturrecht" offenbar mehr oder weniger ausschließlich als Gegenbegriff oder Korrektiv zum gesetzten Recht mit Ausschließlichkeitsanspruch. Das geht mir zu sehr in Richtung Radbruch'sche Formel und ist daher zu eng.
Anders gesagt; Der ganz überwiegende Teil des positiven Rechts aus allen Zeiten steht nicht im Gegensatz zum Naturrecht. Und im Gegenteil: In sehr vielen positivierten Normen steckt doch ein naturrechtlicher Ansatz, bis hin zum Sozialrecht, worauf UltimaSpes abstellt.

Dass es positive Normen inspiriert, tötet doch das naturrechtliche Prinzip nicht, sondern stärkt es sogar.
Das Naturrecht spielt seine primäre Rolle in Philosophie, Politik und Gesellschaft doch im Gegensatz zum positiven Recht, soweit dieses unvereinbar mit (unseren) Moralvorstellungen ist.

Natürlich kann man stattdessen auch darüber diskutieren, inwieweit unser geltendes Recht nur zuvor bestehenden Rechtsvorstellungen widerspiegelt und letztere als "Naturrecht" bezeichnen (vgl. die Diskussion im Strafrecht: besteht das Tötungsverbot unabhängig von den §§ 211 ff. StGB?). Aber diese Diskussion ist eher theoretischer Natur und ist unergiebig für die großen, zentralen gesellschaftlichen Fragen (vgl. Sklaverei).

Deshalb könnte ich die Frage auch präzisieren: Geht ihr davon aus, dass es ein Naturrecht gibt, welches positives Recht bricht, das mit unseren (heutigen) Moralvorstellungen krass unvereinbar ist (Bsp.: Sklaverei)?

Dafür gibt es, wie oben ausführlich diskutiert, m.E. aber keine Grundlage.

Nach meinem Eindruck krankt die Naturrechtsdebatte häufig an folgendem Fehlschluss: In einem ersten Schritt wird ein völlig rudimentäres, kaum anzuzweifelndes "Mini-Naturrecht" begründet, etwa im Sinne von: "alle Gesellschaften enthalten ein Verbot des grundlosen Tötens". In einem zweiten Schritt wird dieses Mini-Naturrecht dann aber - ohne jede Begründung oder Beleg - extrapoliert, um letztlich alles "krasse moralische Fehlverhalten nach heutigem Maßstab" zu erfassen.

Dabei wird etwa gesagt: "Sklaverei verstößt gegen Naturrecht. Begründung: es gibt ein [Mini-]Naturrecht (Schritt 1) und Sklaverei ist evident krass unmoralisch (Schritt 2)"

Schritt 2 kann sich aber nicht auf Schritt 1 stützen. Ein Naturrecht lässt sich allenfalls als grundlegendes, trockenes Gerippe begründen (vgl. Schritt 1), aber gerade nicht als stabiler rechtlicher Corpus, welcher sich Sklaverei und anderem entgegen stellt.
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famulus
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Re: Glaubt ihr an Naturrecht?

Beitrag von famulus »

Das "wird" - soweit ich das sehe - hier aber halt nur von dir "gesagt".
»Ich kenne den Schmerz, den ich hatte, weil ich zweimal die Vorhaut mit dem Reißverschluss mitgenommen habe, so dass dieser - also Reißverschluss - einmal in einer Klinik entfernt werden musste.« - Chefreferendar
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