Ich meine damit: wenn Naturrecht höhere Werte darstellen soll, die über UNSERE heutigen Moralvorstellungen hinausgehen (die eben nicht kongruent sind mit dem, was Menschen weltweit oder seit Anbeginn der Zeit gedacht haben), dann genügt es nicht zu sagen: "es muss ein Naturrecht geben, weil sonst könnte ich "böses Recht" nicht kritisieren". Das Naturrecht erhebt ja gerade den Anspruch ein "Recht" zu sein, als solches bedarf es aber einer Geltungsgrundlage.
Ich kritisiere das Naturrecht in dieser Form, weil es sich nicht begründen lässt. Bleib doch mal konkret beim Beispiel Sklaverei: widerspricht sie den „Moralvorstellungen der meisten Menschen zeit- und ortsübergreifend“? Nein. Sie war über Jahrtausende in den meisten Gesellschaften anerkannt.Die Kritik des Naturrechts in Bezug auf seine Eigenschaft als überpositives Recht ist nach meinem Verständnis sinnlos, weil es natürlich nur als Maßstab für das positive Recht bzw. als Leitfaden bei Fehlen positiven Rechts überhaupt relevant sein kann. Freilich "brauche" ich kein Naturrecht bei Bestehen eines ihm entsprechenden positiven Rechts.
Ich habe es doch erklärt: mir geht es ganz entscheidend um den INHALT des sog. Naturrechts:Woher du nimmst, dass Naturrecht „evident nicht den Moralvorstellungen der meisten Menschen zeit- und ortsübergreifend entspricht“, weiß ich nicht. Eher muss man doch wohl umgekehrt vorgehen und das Naturrecht als Ausfluss der „Moralvorstellungen der meisten Menschen zeit- und ortsübergreifend“ begreifen.
1. Entweder es ist ein absoluter Minimalkonsens: "du sollst nicht "grundlos" töten". Als solches wäre es nutzlos gegenüber dem positiven Recht, weil dieser Minimalkonsens ohnehin in so gut wie jeden Recht enthalten ist.
2. Oder es geht weit darüber hinaus: du sollst nicht versklaven, Blutrache üben usw. Dieser Inhalt ist aber gerade nicht mit den „Moralvorstellungen der meisten Menschen zeit- und ortsübergreifend“ kongruent und deshalb nicht begründbar als Teil des Naturrechts.
Es geht mir konkret um die Begründung des Naturrechts. "Ich will aber das, was ich aus heutiger Sicht als krasses Unrecht begreife, rechtlich verurteilen können", ist keine hinreichende Begründung.Ich verstehe auch deinen Schluss zur Bedeutungslosigkeit des Naturrechts in Bezug auf die Beurteilung von Normen als gesetzliches Unrecht nicht. Wie erklärst du dir denn und wie bewertest du die strafrechtliche Aburteilung von einem Staatsdiener, der nach jeweiligem positivem Recht rechtmäßig tausende Deutsche in Verbrennungsöfen gestopft oder einen Staatsbürger bei/nach dessen Grenzübertritt in den Rücken geschossen hat? Wie würdest du den nach positivem Recht legitimiert vollzogenen Holocaust bzw. dessen Vollstrecker denn nach Zusammenbruch des alten Systems rechtsstaatlich behandeln wollen? „War halt so“?