Ukraine

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famulus
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Re: Ukraine

Beitrag von famulus »

Zum Glück gibt es ja noch die besonnenen, nicht völlig hypermoralisierten und -emotionalisierten Mahner, die das große Ganze rational bewerten und sich nicht aus unterkomplexen Motiven so vor sich her treiben lassen wie ... naja so ziemlich jeder andere auf der Welt aktuell, einschließlich des Großteils der Experten und ("westlichen") Staatenlenker.
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Re: Ukraine

Beitrag von Backstubentaler »

1. " Es kann doch nicht angehen, dass der Aggressor mit so etwas..."
Seit Monaten wird darauf hingewiesen, dass das kein rein moralisches Argument ist. Wenn Putin Erfolg hat, ist das eine Einladung für ihn weiterzumachen und eine Blaupause für andere Aggressoren. Nicht ohne Grund engagieren sich vor Allem Länder wie Polen, Tschechien, die Slowakei und das Baltikum in der Unterstützung der Ukraine. Nicht nur Putin wird sich fragen, wie viel art. 5 des NATO-Vertrags tatsächlich wert ist.

2. "Die Ukrainer allein entscheiden, wann verhandelt wird / wie lange gekämpft wird"
Für Verhandlungen benötigt man ein potentiellen Verhandlungspartner und Verhandlungsmasse. Mit Putin kann die Ukraine nicht verhandeln, weil 1. Putin die Kapitulation der Ukraine fordert und 2. Putin ein notorischer Lügner ist und Zusagen von Putin nichts wert sind.
Die Interessen der Ukraine sind nicht per se deckungsgleich mit etwa denen von Deutschland. Derzeit überschneiden sich die Interessen aber sehr sehr stark. Davon abgesehen haben "wir" Deutschen ein Interesse daran, dass andere darauf Vertrauen, dass wir deren Interesse wahren, insbesondere die Interessen unserer Bündnispartner. Wenn Deutschland die Ukraine allein wegen ausbleibender Gaslieferungen fallen ließe, wäre der Vertrauensverlust nicht nur bei unseren osteuropäischen Partnern nicht mehr gut zu machen.

3. "Wer sich gegen schwere Waffen ausspricht, lässt die Ukraine im Stich"
Die Möglichkeit einer atomaren Eskalation ist immer zu berücksichtigen. Wenn Putin aber merkt, dass er angesichts des atomaren Drohungspotentials keine Konsequenzen zu befürchten hat, wird er das nutzen. Seit Jahren testet Putin die Verteidigungsbereitschaft des Westens, führt einen hybriden Krieg ohne dass es einer großen Provokation durch den Westen bedurft hätte.

4. "Was für eine verweichlichte Gesellschaft ohne Resilienz wir sind! Einen Winter frieren ist doch nichts - in der Ukraine sterben Menschen! Daher: Gasimportstopp jetzt"
Die Kosten auch in Form von Wohlstandsverlusten dürften erheblich ansteigen, wenn der Westen nicht rechtzeitig gegenüber Putin die Bereitschaft zu Widerstand zeigt.

5. "Wir müssen Waffen liefern; nur mit Gebietsgewinnen hat die Ukraine eine gute Verhandlungsposition an einem künftigen Verhandlungstisch"
Bei Verhandlungen kommt es natürlich am Ende immer vor Allem auf die Verhandlungsmacht an. Dass Putin in einer Position der Stärke aus Einsicht irgendwann auf seine klar geäußerten Kriegsziele (u.a. Unterwerfung der Ukraine) verzichtet, kann getrost bezweifelt werden.

6. "Stopp! Sprechen Sie nicht weiter zur Vorgeschichte dieses Krieges! Es gibt keine Rechtfertigung für diesen völkerrechtswidrigen Angriff"
Dieses "Erklären der Vorgeschichte" läuft nunmal bisweilen auf ein Nachbeten von Putins Märchen unter Ausblendung der Aggressionen Putins in der Vergangenheit gegenüber der Ukraine wie Europa hinaus. Ich glaube nicht, dass man jedes Narrativ von Putin ernsthaft diskutieren muss.
Joshua
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Re: Ukraine

Beitrag von Joshua »

Backstubentaler hat geschrieben: Samstag 2. Juli 2022, 16:20 1. " Es kann doch nicht angehen, dass der Aggressor mit so etwas..."
Seit Monaten wird darauf hingewiesen, dass das kein rein moralisches Argument ist. Wenn Putin Erfolg hat, ist das eine Einladung für ihn weiterzumachen und eine Blaupause für andere Aggressoren. Nicht ohne Grund engagieren sich vor Allem Länder wie Polen, Tschechien, die Slowakei und das Baltikum in der Unterstützung der Ukraine. Nicht nur Putin wird sich fragen, wie viel art. 5 des NATO-Vertrags tatsächlich wert ist.

2. "Die Ukrainer allein entscheiden, wann verhandelt wird / wie lange gekämpft wird"
Für Verhandlungen benötigt man ein potentiellen Verhandlungspartner und Verhandlungsmasse. Mit Putin kann die Ukraine nicht verhandeln, weil 1. Putin die Kapitulation der Ukraine fordert und 2. Putin ein notorischer Lügner ist und Zusagen von Putin nichts wert sind.
Die Interessen der Ukraine sind nicht per se deckungsgleich mit etwa denen von Deutschland. Derzeit überschneiden sich die Interessen aber sehr sehr stark. Davon abgesehen haben "wir" Deutschen ein Interesse daran, dass andere darauf Vertrauen, dass wir deren Interesse wahren, insbesondere die Interessen unserer Bündnispartner. Wenn Deutschland die Ukraine allein wegen ausbleibender Gaslieferungen fallen ließe, wäre der Vertrauensverlust nicht nur bei unseren osteuropäischen Partnern nicht mehr gut zu machen.

3. "Wer sich gegen schwere Waffen ausspricht, lässt die Ukraine im Stich"
Die Möglichkeit einer atomaren Eskalation ist immer zu berücksichtigen. Wenn Putin aber merkt, dass er angesichts des atomaren Drohungspotentials keine Konsequenzen zu befürchten hat, wird er das nutzen. Seit Jahren testet Putin die Verteidigungsbereitschaft des Westens, führt einen hybriden Krieg ohne dass es einer großen Provokation durch den Westen bedurft hätte.

4. "Was für eine verweichlichte Gesellschaft ohne Resilienz wir sind! Einen Winter frieren ist doch nichts - in der Ukraine sterben Menschen! Daher: Gasimportstopp jetzt"
Die Kosten auch in Form von Wohlstandsverlusten dürften erheblich ansteigen, wenn der Westen nicht rechtzeitig gegenüber Putin die Bereitschaft zu Widerstand zeigt.
Gute Gegenargumente; kann man alles mit gewichtigen Gründen so sehen. So entsteht dann Diskurs, vielleicht Synthese.
5. "Wir müssen Waffen liefern; nur mit Gebietsgewinnen hat die Ukraine eine gute Verhandlungsposition an einem künftigen Verhandlungstisch"
Bei Verhandlungen kommt es natürlich am Ende immer vor Allem auf die Verhandlungsmacht an. Dass Putin in einer Position der Stärke aus Einsicht irgendwann auf seine klar geäußerten Kriegsziele (u.a. Unterwerfung der Ukraine) verzichtet, kann getrost bezweifelt werden.
Das ist weitaus zweifelhafter als deine Meinung zu 1-4. Putin wird (mE erst recht) aus einer Position der Schwäche alles aufs Spiel setzen; er kann sich einen Totalverlust in der Ukraine einfach nicht leisten. Schwäche macht ihn noch gefährlicher als Stärke. Genau darin, in Kombination mit den Atomwaffen Russlands, liegt das Problem.
6. "Stopp! Sprechen Sie nicht weiter zur Vorgeschichte dieses Krieges! Es gibt keine Rechtfertigung für diesen völkerrechtswidrigen Angriff"
Dieses "Erklären der Vorgeschichte" läuft nunmal bisweilen auf ein Nachbeten von Putins Märchen unter Ausblendung der Aggressionen Putins in der Vergangenheit gegenüber der Ukraine wie Europa hinaus. Ich glaube nicht, dass man jedes Narrativ von Putin ernsthaft diskutieren muss.
Das sehe ich entschieden anders. Ein kausales Nachvollziehen darf für sich genommen nie in eine Aplologie übergehen. Wir sind auch so intelligente Wesen, dass wir uns diese Trennlinie im Diskurs zutrauen sollten. Wer das Nachvollziehen vermeidet, weil er die Apologie fürchtet, schüttet doch gleichsam das Kinde mit dem Bade aus...

„In der internationalen Politik geht es nie um Demokratie oder Menschenrechte. Es geht um die Interessen von Staaten. Merken Sie sich das, egal, was man Ihnen im Geschichtsunterricht erzählt.“
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Re: Ukraine

Beitrag von Joshua »

Das ganze Sanktionen-Gebäude wird einkrachen. Nicht wir strafen Putin - Putin hat UNS in der Hand. Unsere Wirtschaft hängt fast komplett an der Nadel des russischen Gases. Die Folgen dieser Hybris werden immens sein. Unsere Wirtschaft wird massiv einbrechen. Übrigens reden unsere Sanktionsapostel aus der Bundesregierung derzeit über Turnhallen, die man in Wärmestuben wandeln müsse, damit sich Mieter im Winter für ein paar Stunden aufwärmen können. Deutschland ist ein neoliberales Witzland geworden, ohne jede nachhaltige Substanz.

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famulus
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Re: Ukraine

Beitrag von famulus »

Dann ist es vielleicht mal ganz heilsam, wenn ein auf so komische Abhängigkeiten gegründetes Wirtschaftsgebilde einstürzt?

Aber interessehalber: Was wäre denn aus deiner Sicht der richtige Umgang mit der Problematik gewesen? So richtig "stabil" scheinen mir deine Ansichten jedenfalls auch nicht gerade zu sein.
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Re: Ukraine

Beitrag von Backstubentaler »

Joshua hat geschrieben: Samstag 2. Juli 2022, 18:30 Das ist weitaus zweifelhafter als deine Meinung zu 1-4. Putin wird (mE erst recht) aus einer Position der Schwäche alles aufs Spiel setzen; er kann sich einen Totalverlust in der Ukraine einfach nicht leisten. Schwäche macht ihn noch gefährlicher als Stärke. Genau darin, in Kombination mit den Atomwaffen Russlands, liegt das Problem.
Wenn man die Ansicht vertritt, dass Putin wegen seiner nuklearen Option nicht verlieren darf, ist man generell in einer Verhandlungsposition, in der man seine Interessen (etwa Frieden) nicht wahren kann. Auch Putin kann nicht allein bis zum äußersten eskalieren, irgendwann wächst auch der interne Druck. Andere militärische Optionen als die nukleare hat Putin gegen die NATO auch nicht.
Das sehe ich entschieden anders. Ein kausales Nachvollziehen darf für sich genommen nie in eine Aplologie übergehen. Wir sind auch so intelligente Wesen, dass wir uns diese Trennlinie im Diskurs zutrauen sollten. Wer das Nachvollziehen vermeidet, weil er die Apologie fürchtet, schüttet doch gleichsam das Kinde mit dem Bade aus...
Ich will auch niemandem verbieten die Entwicklung nachzuvollziehen, aber man muss sich schon überlegen, welche Art von Erklärung man überhaupt akzeptiert, weil man damit diese Ansichten ggf. legitimiert. Man mag über Probleme der russischen Minderheit in der Ukraine diskutieren (und wie weit diese Putin als Vorwand dienen, bzw. wie er sie angeheizt hat), aber die Tatsache, dass der Donbass nicht immer zur Ukraine gehörte, begründet sicher nicht den Krieg dort.

@famulus
Rückblickend muss man doch konstatieren, dass die Sanktionen vor Allem zu spät kommen. Wenn die EU 2014 mit Zöllen auf russisches Öl und Gas reagiert hätte (wie weit das rechtlich möglich ist, weiß ich nicht), hätte Russland heute weniger Reserven und Deutschland wäre nicht derart von russischem Gas abhängig. Und dass eine Energiepolitik, die in erster Linie auf Stimmungen und Green Washing setzt, recht teuer ist, war vorher bekannt, wird jetzt nur über deutlich.
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Re: Ukraine

Beitrag von famulus »

Backstubentaler hat geschrieben: Dienstag 12. Juli 2022, 19:29@famulus
Rückblickend muss man doch konstatieren, dass die Sanktionen vor Allem zu spät kommen. Wenn die EU 2014 mit Zöllen auf russisches Öl und Gas reagiert hätte (wie weit das rechtlich möglich ist, weiß ich nicht), hätte Russland heute weniger Reserven und Deutschland wäre nicht derart von russischem Gas abhängig. Und dass eine Energiepolitik, die in erster Linie auf Stimmungen und Green Washing setzt, recht teuer ist, war vorher bekannt, wird jetzt nur über deutlich.
Unbedingte Zustimmung. :(
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Joshua
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Re: Ukraine

Beitrag von Joshua »

famulus hat geschrieben: Dienstag 12. Juli 2022, 14:10 Dann ist es vielleicht mal ganz heilsam, wenn ein auf so komische Abhängigkeiten gegründetes Wirtschaftsgebilde einstürzt?

Aber interessehalber: Was wäre denn aus deiner Sicht der richtige Umgang mit der Problematik gewesen? So richtig "stabil" scheinen mir deine Ansichten jedenfalls auch nicht gerade zu sein.
Der immer wieder genannte Grundsatz überzeugt mich:

Sanktionen müssen dem Zielland - weitaus - mehr schaden als dem, der sie verhängt.

Ich habe Zweifel, ob dies auch dann noch zutrifft, wenn Putin dergestalt eskaliert, dass er uns den Gashahn abdreht.

Ich weiß auch keine gute Lösung. Wir sehen, dass wir das Thema Energiesicherheit in sträflicher Weise vernachlässigt haben. Vorsorgende Politik ist zu einem Fremdwort geworden. Wir können da beim Militär anfangen, beim Katastrophenschutz weitermachen, gerne auch bei in Teilbereichen nicht mehr fungiblen Gesundheitseinrichtungen, bei Schulen, bei vielen öffentlichen Einrichtungen bis hin zu der weithin vernachlässigten Infrastruktur (wie Straßen, Brücken). Von der Abkopplung weiter Teile unserer Wirtschaft von Produkten des digitalen Fortschritts mal ganz zu schweigen (auch hier sehe ich politische Versäumnisse, da Standortpolitik, v.a. aber auch öffentliche Investitionen in Innovation politische Aufgaben sind; der Markt regelt es eben NICHT!). Der Neoliberlismus hat unseren Staat weithin ausgehölt; er kann selbst Kernfunktionen nicht mehr verlässlich wahrnehmen.

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Re: Ukraine

Beitrag von famulus »

Was ist denn "der Neoliberalismus" bzw. worin genau äußert er sich? Wenn ich mir die Realität in unserem wohlhabenden Land so ansehe, frage ich mich schon, wie du zu so dystopischen Schlussfolgerungen gelangen kannst.
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Re: Ukraine

Beitrag von Theopa »

Joshua hat geschrieben: Dienstag 12. Juli 2022, 22:03 Vorsorgende Politik ist zu einem Fremdwort geworden. Wir können da beim Militär anfangen, beim Katastrophenschutz weitermachen, gerne auch bei in Teilbereichen nicht mehr fungiblen Gesundheitseinrichtungen, bei Schulen, bei vielen öffentlichen Einrichtungen bis hin zu der weithin vernachlässigten Infrastruktur (wie Straßen, Brücken). Von der Abkopplung weiter Teile unserer Wirtschaft von Produkten des digitalen Fortschritts mal ganz zu schweigen (auch hier sehe ich politische Versäumnisse, da Standortpolitik, v.a. aber auch öffentliche Investitionen in Innovation politische Aufgaben sind; der Markt regelt es eben NICHT!). Der Neoliberlismus hat unseren Staat weithin ausgehölt; er kann selbst Kernfunktionen nicht mehr verlässlich wahrnehmen.
Ich sehe nicht wirklich, wie Neoliberalismus dafür gesorgt haben soll, dass man eben nur eine bestimmte Geldmenge ausgeben kann. Alles was du nennst kostet viel Geld. Ich wüsste kein Land, das so viel Geld übrig hätte, dass es dort eine moderne und gut erhaltene Infrastruktur, ein gutes und weitgehend öffentlich finanziertes Gesundheitswesen, gute öffentliche Schulen UND ein starkes Militär gäbe. Selbst wenn man absolute Ausnahme-Streber wie die Schweiz nehmen würde, fehlt wenigstens einer der Punkte. Dort ist man z.B. bei nur 0,7% des BIP für das Militär, welches auch nur eine effektive Strategie können muss: Zurück ins Gebirge und aussitzen.
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Re: Ukraine

Beitrag von Iriss »

..in Anbetracht der jetzigen kriegerischen Katastrophe hätte man den diplomatischen Weg unbedingt weitergehen müssen.
Gasnotstand,Hunger-Klimakrise und welche Probleme sich noch weiter zeigen werden waren ja nicht vorhersehbar,
Die Ergebnisse wären allemal besser gewesen als wovor man jetzt steht.
Zum Stichwort.— kann man dem Aggressor nichtdurchgehen lassen, würde Dammbruch bedeuten—erinnere ich an den Mord an Khashoggi.
Jetzt reist Biden dorthin, weil eine Normalisierung im Verhältnis zu Saudi—Arabien der einzige plausible WEG sei, um Putins Aggression etwas entgegenzusetzen.
Das nenne ich Realpolitik.
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Re: Ukraine

Beitrag von Iriss »

…und die wäre auch im Ukraine-Russland Konflikt angebracht.
Leider,aber das ist die Realität.
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Re: Ukraine

Beitrag von famulus »

Dieses "leider, aber..." ist immer total glaubwürdig. :)
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Re: Ukraine

Beitrag von Joshua »

famulus hat geschrieben: Mittwoch 13. Juli 2022, 08:24 Was ist denn "der Neoliberalismus" bzw. worin genau äußert er sich? Wenn ich mir die Realität in unserem wohlhabenden Land so ansehe, frage ich mich schon, wie du zu so dystopischen Schlussfolgerungen gelangen kannst.
Famulus, die Deutschen sind nicht wohlhabend.
Die Wohlstands-Illusion
[...]
Noch deutlicher wird es, wenn man statt des Durchschnitts den Median betrachtet. Der bildet exakt die Mitte der Pro-Kopf-Vermögen ab, jeweils die Hälfte der Bevölkerung hat also mehr beziehungsweise weniger Geld. Dadurch ist er in der Regel niedriger als der Durchschnitt, der durch einen Super-Vermögenden sehr hoch ausfallen kann, ohne dass die anderen Menschen mehr Geld hätten.

Und eben dieser Median liegt für Deutschland nur bei 35.000 US-Dollar pro Kopf. Zum Vergleich: In der Schweiz sind es 228.000 Dollar, in Großbritannien 97.000 Dollar und selbst in den USA 66.000 Dollar. Japan, das ein ähnliches Durchschnittsvermögen vorweist wie Deutschland, kommt auf einen Median von 110.000 Dollar.

Übersetzt heißt das, dass es in Deutschland zwar viel Vermögen gibt, ein Großteil der Bevölkerung jedoch nicht daran partizipiert. Die Credit-Suisse-Analysten schätzen, dass 30 Prozent des deutschen Vermögens in den Händen des reichsten einen Prozents der Deutschen liegen. Auf der anderen Seite haben 41 Prozent der Deutschen mit weniger als 10.000 Dollar kein nennenswertes Vermögen.
Quelle: https://www.wiwo.de/finanzen/vorsorge/g ... 41460.html

(Ich kenne den Einwand, man müsse u.a. die ach-so-tollen "Rentenanwartschaften" der Deutschen gewichten usw. Auch dieser Einwand wurde nachhaltig widerlegt).

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Re: Ukraine

Beitrag von Tibor »

Frag mal einen Arbeitslosen, wahlweise aus dem Balkan, Nordafrika, Indien oder Südostasien, ob es aus ihrer Sicht ein zu bewertendes Asset sei, dass man Bürger Deutschlands ist und durch die Steuer- und Solidargemeinschaft sozial abgesichert wird und dennoch viele freie Entscheidungen für ein selbstbestimmtes Leben treffen kann.
"Just blame it on the guy who doesn't speak English. Ahh, Tibor, how many times you've saved my butt."
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