KI-Urteile

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Theopa
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Re: KI-Urteile

Beitrag von Theopa »

Strich hat geschrieben: Dienstag 10. Januar 2023, 15:11 Warum ist das relevant? Was soll das zeigen? Wieso sind hier als relevante Kriterien nur genannt: Ladendiebstahl/50 €/drei einschlägige Vorstrafen
Warum ist da nicht genannt: kein BtM Bezug(das schreibt das Gesetz jedenfalls als "relevantes" Kriterium vor: § 17 Abs. 2 BZRG), keine Familie, keine Kinder, keine Arbeit, keine Schulden, keine Lebensmittel, kein Parfüm etc etc.

[...]

Das Problem ist aber, dass 1. unklar ist, wann Fälle vergleichbar, geschweige denn "derselbe Sachverhalt" sind, 2. was objektive Sachgründe sind, 3. wann wird "prinzipiell" anders bestraft.
Das war offensichtlich ein Beispiel, in welchem ich den Fall nicht ins kleinste Detail beschrieben habe. Natürlich wären noch vielfache andere Aspekte heranzuziehen. Je mehr Kriterien übereinstimmen desto näher müssten die Strafen sich annähern: Es dürfte dabei einige Standardfälle geben, die sich so sehr ähneln, dass die Strafunterschiede hypothetisch gegen Null gehen müssten, z.B. bei klassischer Diebstahl-Beschaffungskriminalität, die es wohl bundesweit in jeder größeren Stadt geben wird.
Strich hat geschrieben: Dienstag 10. Januar 2023, 15:11 Die Vergleichbarkeit hört halt auf Ebene der konkreten Schuld auf und daraus folgen auch die allermeisten Unterschiede in der Strafhöhe und deswegen bilden sich möglicherweise Lokaltarife heraus (wie ich das zuvor schon beschrieben habe).

[...]

Würde man das anders sehen (würde man also Lokaltarife für rechtfertigungsbedürftig halten und unterstellt, meine These, woher diese kommen, trifft zu) müsste man doch Folgendes erklären: Warum ist der Umstand irrelevant, das Malte-Konstantin aus purer Mir-Egal-Papa-ist-Anwalt-Stimmung Koks vertickt während das vom Leben eher weniger verwöhnte Berliner Straßenmädel aus Suchtdruck Drogen vertickt. Die Definition der "objektiven" Parameter entscheided doch in dem KI-Modell alles!
Ich halte es für sehr unwahrscheinlich, dass sich die "Tarife" nur daraus ergeben, dass man im Bundesland X eben mehr arme gescheiterte Existenzen und im Bundesland Y mehr "Maltes" hat. Falls das so wäre, gäbe es ja zweifellos ermittelbare Sachgründe, wobei eine bereits betonte Schwäche des Systems darin läge, diese nur bei Verschriftlichung ermitteln zu können. Die Anzahl der Urteile mit ausformulierten Gründen dürfte ja regionsübergreifend relativ vergleichbar sein.

Die aktuell zu findenden - zugegeben sicher auch nur sehr groben Annäherungen (vgl.https://www.spiegel.de/panorama/justiz/ ... 30399.html mit Verweis auf eine MPI-Studie) - sprechen mE aber dagegen, da diese keine Häufung harter Strafen nur in von Wohlstand verwöhnten Gegenden bzw. keine besonders milden Strafen nur in den ärmsten Gegenden aufzeigen. Im Gegenteil scheint es sogar ausnehmend reiche Gegenden zu geben, in welchen im Verhältnis sehr milde gestraft wird.

Im verlinkten Bericht sieht man z.B., dass der Bezirk Hof zu den "harten Hunden" zu gehören scheint, obwohl das sicher keine wohlhabende Region ist, während Freiburg im Breisgau ausgesprochen milde zu sein scheint, obwohl die Region wohl nicht so wirklich als Ghetto durchgehen sollte.

Es spricht sehr viel dafür, dass die "Tarife" zu großen Teilen auf "das haben wir schon immer so gemacht..." beruhen, womit jedenfalls in Teilen keine greifbaren und im Rahmen der Schuldzumessung damit zweifellos relevanten Unterschiede, sondern eher historisch gewachsene und sicher auch politisch geprägte regionale Tendenzen berücksichtigt werden.
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Re: KI-Urteile

Beitrag von Iriss »

..es ist schon ein bisschen auffällig,das !Strich geradezu Offensichtlichtliches wegtheoretisieren muss.
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scndbesthand
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Re: KI-Urteile

Beitrag von scndbesthand »

Interessanter dürfte der Einsatz von KI dort sein, wo die Entscheidung des Falles nicht so wesentlich von der richterlichen Positionierung innerhalb eines Bewertungsspielraums abhängt. Und dort, wo die Entwicklungskosten lohnend investiert wären. Also klassischen Masseverfahren wie Fluggastrechtefällen. Und da wird der Schwerpunkt sinnvollerweise auf der Entwicklung von KI liegen, die erkennt, dass S. 128 Absatz 3 des Klägerschriftsatzes etwas mit dem Tatbestandsmerkmal „A“, „B“ oder „C“ zu tun hat und hier ein relevanter Beweisantrag zu beachten ist. Aber weniger, ob ein Schmerzensgeld von 2.000 EUR richtig ist, weil das beim letzten Verkehrsunfall mit HWS Distorsion und 4 Wochen AU auch rauskam.
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Re: KI-Urteile

Beitrag von Liz »

Die Frage ist nur, ob KI wirklich in der Lage ist, aus 300-500 Seiten Schriftsatzwüste herausfiltern, dass es in Wahrheit um Fallkonstellation 3c geht und nicht um Fallkonstellation 3a, wozu sich die Parteien ausgiebig austauschen.
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Re: KI-Urteile

Beitrag von scndbesthand »

So wie der Richter Fallkonstellationen in seinem Kopf definiert und hieran bestimmte Schlussfolgerungen knüpft, kann einer KI die Bildung von bereits bekannten Fallgruppen „beigebracht“ werden.
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Re: KI-Urteile

Beitrag von thh »

scndbesthand hat geschrieben: Mittwoch 11. Januar 2023, 11:01So wie der Richter Fallkonstellationen in seinem Kopf definiert und hieran bestimmte Schlussfolgerungen knüpft, kann einer KI die Bildung von bereits bekannten Fallgruppen „beigebracht“ werden.
Theoretisch glaube ich das gerne. Jetzt müsste man das nur noch praktisch umsetzen - und natürlich da, wo es Sinn macht, also gerade bei Umfangsverfahren oder in nicht trivialen Fällen. Ich bin gespannt.
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Re: KI-Urteile

Beitrag von gola20 »

Liz hat geschrieben: Dienstag 10. Januar 2023, 23:28 Die Frage ist nur, ob KI wirklich in der Lage ist, aus 300-500 Seiten Schriftsatzwüste herausfiltern, dass es in Wahrheit um Fallkonstellation 3c geht und nicht um Fallkonstellation 3a, wozu sich die Parteien ausgiebig austauschen.
Die Frage ist nur, ob der Richter wirklich in der Lage ist, aus 300-500 Seiten Schriftsatzwüste herausfiltern, dass es in Wahrheit um Fallkonstellation 3c geht und nicht um Fallkonstellation 3a, wozu sich die Parteien ausgiebig austauschen. :drinking:

Die KI müsste ja nur gleich gut oder nicht signifikant schlechter sein als der Richter. Zur Not hat man menschliche Richter/Urteile nur noch ab der zweiten Instanz.
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Re: KI-Urteile

Beitrag von scndbesthand »

thh hat geschrieben: Mittwoch 11. Januar 2023, 12:42
scndbesthand hat geschrieben: Mittwoch 11. Januar 2023, 11:01So wie der Richter Fallkonstellationen in seinem Kopf definiert und hieran bestimmte Schlussfolgerungen knüpft, kann einer KI die Bildung von bereits bekannten Fallgruppen „beigebracht“ werden.
Theoretisch glaube ich das gerne. Jetzt müsste man das nur noch praktisch umsetzen - und natürlich da, wo es Sinn macht, also gerade bei Umfangsverfahren oder in nicht trivialen Fällen. Ich bin gespannt.
Gerade in trivialen Fällen ohne große Wertungsspielräume ergibt eine KI-vorbereitete Entscheidung Sinn, weil es den Richter der Notwendigkeit enthebt, Textbausteine per Strg-C / Strg-V zusammenzustückeln. Je komplizierter und neuartiger der Fall desto schwieriger. Irgendwann war Diesel mal schwierig und neu. Jetzt ja wohl hoffentlich (?) weniger.

Gespannt darf man sein. Die Spannung hält wahrscheinlich lange an. Wann würden die Länder für so etwas je Geld ausgeben?
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Tibor
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Re: KI-Urteile

Beitrag von Tibor »

„Die rechtsprechende Gewalt ist den Richtern anvertraut; …“
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KI-Urteile

Beitrag von Liz »

gola20 hat geschrieben:
Liz hat geschrieben: Dienstag 10. Januar 2023, 23:28 Die Frage ist nur, ob KI wirklich in der Lage ist, aus 300-500 Seiten Schriftsatzwüste herausfiltern, dass es in Wahrheit um Fallkonstellation 3c geht und nicht um Fallkonstellation 3a, wozu sich die Parteien ausgiebig austauschen.
Die Frage ist nur, ob der Richter wirklich in der Lage ist, aus 300-500 Seiten Schriftsatzwüste herausfiltern, dass es in Wahrheit um Fallkonstellation 3c geht und nicht um Fallkonstellation 3a, wozu sich die Parteien ausgiebig austauschen. :drinking:

Die KI müsste ja nur gleich gut oder nicht signifikant schlechter sein als der Richter. Zur Not hat man menschliche Richter/Urteile nur noch ab der zweiten Instanz.
Hast Du schon mal so eine Akte in einem Dieselverfahren in der Hand gehabt? Es wird nicht so ganz trivial sein, KI beizubringen, was in diesen Verfahren wirklich echter, relevanter Sachvortrag ist und was zB einfach nur ein Zitat oder ein Beispiel ist. Manchmal klärt sich zB erst in der mündlichen Verhandlung, ob das Fahrzeug jetzt AdBlue nutzt oder nicht - praktisch, wenn beide Parteien zu beiden Sachverhaltsvarianten vorgetragen haben. Ich glaube, so ganz schnell werden wir nicht zu reinen KI-Babysittern degradiert.

@scndbesthand: Viele grundlegenden Fragen sind bei Diesel geklärt, aber es gibt doch relativ viele Fälle, die in Varianten dann jeweils leicht anders und nicht allein mit Textbausteinen zu lösen sind. Da wäre es natürlich hilfreich, wenn man auf einem einfachen Wege passgenau Entscheidungen zur konkreten Fallkonstellation finden könnte.
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Re: KI-Urteile

Beitrag von gola20 »

Nein, habe ich nicht. Bin nicht in der Justiz. Gerade in Dieselvefahren sehe ich gute Anwendungsfelder für KI. Dein AdBlue Beispiel würde die KI erkennen und könnte einen entsprechenden Hinweis geben.

Wer hat hier schon ChatGPT ausprobiert? Es ist ziemlich beeindruckend, was da möglich ist. Wenn man es nicht ausprobiert hat, kann man es sich nicht wirklich vorstellen.
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Re: KI-Urteile

Beitrag von Liz »

gola20 hat geschrieben:Nein, habe ich nicht. Bin nicht in der Justiz. Gerade in Dieselvefahren sehe ich gute Anwendungsfelder für KI. Dein AdBlue Beispiel würde die KI erkennen und könnte einen entsprechenden Hinweis geben.

Wer hat hier schon ChatGPT ausprobiert? Es ist ziemlich beeindruckend, was da möglich ist. Wenn man es nicht ausprobiert hat, kann man es sich nicht wirklich vorstellen.
ChatGPT habe ich schon ausprobiert - beeindruckend ja, aber zT auch noch relativ beschränkt. Ich habe ein paar Beispiele à la „Schreibe ein Artikel zu einem Treffen von zwei bekannten Personen (namentlich benannt) im Jahr …“ ausprobiert und da war offensichtlich Wikipedia-Wissen zu den Personen und deren grundlegenden Positionen bekannt (die Textbausteine wurden dann nur immer wieder neu kombiniert), aber es wurde dann schnell fiktiv, so waren zB Todesdaten nicht bekannt und Treffen 20 Jahren nach dem Tod eines Beteiligten geschildert oder behauptet Alice Schwarzer könne Simone de Beauvoir Anfang der 1970er Jahre nicht getroffen haben, weil de Beauvoir sei ja schon 1986 verstorben - dh es fehlt schon grundlegendes Wissen (Schwarzer hat de Beauvoir damals mehrfach interviewt) und die Logik ist doch eher eingeschränkt.

Dementsprechend habe ich doch meine Zweifel daran, dass es zeitnah entbehrlich werden könnte, Dieselakten zu lesen.
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Re: KI-Urteile

Beitrag von Liz »

Wahrscheinlich müsste man KI dann schlichtweg anders denken, indem man nämlich den Parteien schlichtweg vorgibt, dass sie in bestimmten Eingabefeldern zu bestimmten Punkten Angaben zu machen haben und dann noch zwei Freitextfeld (mit Zeichenbegrenzung) für „Besonderheiten des hiesigen Sachverhalts“ und „rechtliche Begründung“ und dann könnte KI dem Richter vorschlagen: „es handelt sich um Fallkonstellation 2; relevante Besonderheiten gibt es mE nicht; soll Musterurteil 2 generiert und angepasst werden?“
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Re: KI-Urteile

Beitrag von scndbesthand »

Zu ChatGPT fand ich diese Kolumne interessant:

https://www.spiegel.de/netzwelt/web/ch ... 5cad549d5f
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Re: KI-Urteile

Beitrag von gola20 »

Liz hat geschrieben: Donnerstag 12. Januar 2023, 09:58 ChatGPT habe ich schon ausprobiert - beeindruckend ja, aber zT auch noch relativ beschränkt. Ich habe ein paar Beispiele à la „Schreibe ein Artikel zu einem Treffen von zwei bekannten Personen (namentlich benannt) im Jahr …“ ausprobiert und da war offensichtlich Wikipedia-Wissen zu den Personen und deren grundlegenden Positionen bekannt
Hätte ein Mensch am Schreibtisch doch genau so gemacht.
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