KI-Urteile

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Theopa
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Re: KI-Urteile

Beitrag von Theopa »

Liz hat geschrieben: Donnerstag 12. Januar 2023, 10:06 Wahrscheinlich müsste man KI dann schlichtweg anders denken, indem man nämlich den Parteien schlichtweg vorgibt, dass sie in bestimmten Eingabefeldern zu bestimmten Punkten Angaben zu machen haben und dann noch zwei Freitextfeld (mit Zeichenbegrenzung) für „Besonderheiten des hiesigen Sachverhalts“ und „rechtliche Begründung“ und dann könnte KI dem Richter vorschlagen: „es handelt sich um Fallkonstellation 2; relevante Besonderheiten gibt es mE nicht; soll Musterurteil 2 generiert und angepasst werden?“
Das wäre wohl nur der Versuch der Arbeitsverlagerung hin zu den Parteien, der durch Schaffung unzähliger Formulare wohl auf allen Seiten eher mehr Arbeit schafft als sie zu vermeiden. Eine begrenzte Zeichenzahl dürfte auch spannende neue Probleme schaffen. In komplexen Fällen beschneidet man dann ggf. das rechtliche Gehör oder kann sich darauf freuen, dass die Parteien das dann eben alles in der mündlichen Verhandlung vortragen (müssen).

Das Ziel für derartige Software müsste sein, auch mit ungeordneten Texten umzugehen, was natürlich nur schrittweise funktionieren wird. Ich könnte mir z.B. bei Dieselfällen durchaus einen Filter vorstellen, der die Copy/Paste-Anteile aus tausenden Schriftsätzen lernt und dann den tatsächlich individuellen Vortrag herausnimmt.
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KI-Urteile

Beitrag von Liz »

@Theopa: Das ist natürlich ein mögliches Problem. Aber die Realität ist ja derzeit, dass einige Kanzleien damit ihr Geld verdienen, dem Gericht Schriftsätze mit 120 Seiten (oder auch mehr) zu schicken, die (auch bei Anlegung eines sehr großzügigen Maßstabs) zu min 95 % aus völlig überflüssigen Rechtsausführungen bestehen oder gerne auch mal ganz andere Fallkonstellationen behandeln. Da wird ein wesentlicher Teil der anwaltlichen Arbeit (Aufbereitung des Sachverhalts im konkreten Einzelfall) auf das Gericht verlagert und durch Zitate aus Entscheidungen des LG Dingenskirchen aus dem Jahr 2018 eine inhaltliche Tiefe vorgetäuscht, die gar nicht da ist. Andere Parteien schaffen es hingegen, auch in komplexe Verfahren mit Beweisaufnahme zusammen (!) nicht mehr als 120 Seiten zur Sache zu schreiben. Da kann man schon Zweifel daran hegen, dass es rechtsstaatlich wirklich geboten ist, dass sich das Gericht in Dieselverfahren (oder sonstigen Massenverfahren) durch hunderte Seiten an Text kämpft, um ja nicht den einen entscheidenen Satz zu überlesen. M. E. wäre es durchaus denkbar, dem Gericht die Option einzuräumen, die Parteien in ein „Formular-Verfahren“ zu zwingen, wenn nicht die Umstände des Einzelfalls ein herkömmliches Verfahren erfordern.
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Re: KI-Urteile

Beitrag von Strich »

Theopa hat geschrieben: Dienstag 10. Januar 2023, 17:16 ...
Das war offensichtlich ein Beispiel, in welchem ich den Fall nicht ins kleinste Detail beschrieben habe. Natürlich wären noch vielfache andere Aspekte heranzuziehen. Je mehr Kriterien übereinstimmen desto näher müssten die Strafen sich annähern: Es dürfte dabei einige Standardfälle geben, die sich so sehr ähneln, dass die Strafunterschiede hypothetisch gegen Null gehen müssten, z.B. bei klassischer Diebstahl-Beschaffungskriminalität, die es wohl bundesweit in jeder größeren Stadt geben wird.
...
Ich halte es für sehr unwahrscheinlich, dass sich die "Tarife" nur daraus ergeben, dass man im Bundesland X eben mehr arme gescheiterte Existenzen und im Bundesland Y mehr "Maltes" hat. ...
Zum ersten Absatz: Das ist das was ich die ganze Zeit sage. Nur ist die Menge der zu beachtenden Kriterien entweder so groß, dass fast jeder in seine eigene Kategorie fällt oder derjenige, der die Vergleichskriterien aufstellt, beschneidet (rechtfertigungsbedürftig) irgendwelche möglicherweise relevanten Kriterien (die ihm "zu detailiert" sind oder so).

Zum zweiten Absatz: von "nur" habe ich überhaupt nicht gesprochen. Das arm/reich-Gefälle habe ich als eine unter faktisch zahllosen Dimensionen herausgegriffen, die Auswirkungen auf Lokaltarife haben kann. Dabei ist mir völlig gleichgültig, ob es umgekehrt zu meiner Darstellung ist (weshalb ich den Rest des Zitats einfach ausgelassen habe). Mein Argument verfängt ja auch umgekehrt, wenn Malte besonders milde und Alexandra Soraya besonders streng bestraft wird.
Stehe zu deinen Überzeugungen soweit und solange Logik oder Erfahrung dich nicht widerlegen. Denk daran: Wenn der Kaiser nackt aussieht ist der Kaiser auch nackt ... .
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Re: KI-Urteile

Beitrag von Strich »

Tibor hat geschrieben: Mittwoch 11. Januar 2023, 20:28 „Die rechtsprechende Gewalt ist den Richtern anvertraut; …“
Du glaubst doch nicht im Ersnt, dass ChatGPT nicht schon lange Urteile faktisch schreiben würde, wenn es das schon könnte? Good and close enough reicht aus. Da würde selbst ich zu ChatGPT greifen (die Datenschutzbedenken einmal beiseitegewischt). Ob ich jetzt bei Juris und beckonline selbst die Entscheidung finde oder das ChatGPT macht und sie mir auch gleich anpasst ist doch schnuppe. Das entbindet mich natürlich nicht von dem Problem, dass Liz mit den Dieselklagen geschildert hat. Ich kann da beide Seiten verstehen: Ein Fan von strukturiertem Parteivortrag bin ich eher nicht. Die Dieselanwälte treiben es mit ihren Schriftsätzen umgekehrt aber auch auf die Spitze. Dafür wiederum können die Dieselanwälte "wenig". Der Gesetzgeber und die Rechtsprechung haben die faktische Auslagerung des Prozessrisikos zugelassen, weshalb man dem Mandanten diese """Leistung""" (hier sind die Anführungszeichen noch mal in Anführungszeichen gesetzt, weil es natürlich trotzdem eine Leistung der Anwälte ist, diese Ansprüche zu sammeln, zu bündeln und am Ende auch durchzusetzen; der Mandant hätte sie sonst wahrscheinlich nicht geltend gemacht etc., juristisch ist der einzelne Massenfall aber eher ein Ausfall) der Dieselklage eben anbieten und dieser sie einfach annehmen kann. Das trifft ja auch auf die Fluggastrechte zu.
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Re: KI-Urteile

Beitrag von Theopa »

Liz hat geschrieben: Donnerstag 12. Januar 2023, 14:58 @Theopa: Das ist natürlich ein mögliches Problem. Aber die Realität ist ja derzeit, dass einige Kanzleien damit ihr Geld verdienen, dem Gericht Schriftsätze mit 120 Seiten (oder auch mehr) zu schicken, die (auch bei Anlegung eines sehr großzügigen Maßstabs) zu min 95 % aus völlig überflüssigen Rechtsausführungen bestehen oder gerne auch mal ganz andere Fallkonstellationen behandeln.

[...]

M. E. wäre es durchaus denkbar, dem Gericht die Option einzuräumen, die Parteien in ein „Formular-Verfahren“ zu zwingen, wenn nicht die Umstände des Einzelfalls ein herkömmliches Verfahren erfordern.
Ersteres ist in der Tat ein Problem, mich nerven Kollegen die sich einfach nicht präzise ausdrücken können auch. Ich fände es angemessen, die Gerichtskosten und die Kosten der Gegenseite (nicht die eigenen!) an der Seitenzahl (Standardseiten, bestimmt durch die Zeichenzahl abzüglich Leerzeichen) ab der Seitenzahl X alle z.B. 5 Seiten jeweils schrittweise um 0,1 zu steigern ;)

Das Formular-Verfahren halte ich aber abseits von wirklichem Kleinzeugs (z.B. bis 1000 € Streitwert) für eine massive Einschränkung der Rechte der Parteien. Entweder sind die Formulare zu unflexibel, kompliziert und unübersichtlich gestaltet - was der Erfahrung nach auf > 90% aller von staatlicher Seite zur Verfügung gestellten Formulare zutrifft - und/oder man braucht gefühlt 500 verschiedenen Formulare für jede erdenkliche Konstellation.

Zudem lässt es die Besonderheiten bestimmter Rechtsgebiete außer Acht. In Arzthaftungsverfahren trage ich z.B. auf Beklagtenseite in der Klageerwiderung nahezu immer noch einmal den gesamten relevanten Behandlungsverlauf aus Perspektive des Arztes vor. Warum? Weil die Angelegenheit von einem ärztlichen Sachverständigen begutachtet wird, der keine Ahnung von der Relationstechnik hat und daher zwei vollständige Geschichten lesen muss. Solche Besonderheiten dürfte es in den meisten Gebieten und in vielfacher Ausprägung geben.
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Re: KI-Urteile

Beitrag von Theopa »

Strich hat geschrieben: Donnerstag 12. Januar 2023, 17:32 Zum ersten Absatz: Das ist das was ich die ganze Zeit sage. Nur ist die Menge der zu beachtenden Kriterien entweder so groß, dass fast jeder in seine eigene Kategorie fällt oder derjenige, der die Vergleichskriterien aufstellt, beschneidet (rechtfertigungsbedürftig) irgendwelche möglicherweise relevanten Kriterien (die ihm "zu detailiert" sind oder so).

Zum zweiten Absatz: von "nur" habe ich überhaupt nicht gesprochen. Das arm/reich-Gefälle habe ich als eine unter faktisch zahllosen Dimensionen herausgegriffen, die Auswirkungen auf Lokaltarife haben kann. Dabei ist mir völlig gleichgültig, ob es umgekehrt zu meiner Darstellung ist (weshalb ich den Rest des Zitats einfach ausgelassen habe). Mein Argument verfängt ja auch umgekehrt, wenn Malte besonders milde und Alexandra Soraya besonders streng bestraft wird.
Zum Ersten:

Es ist wohl sogar sicher der Fall, dass nicht jedes Urteil zu 100% erfasst werden wird. Daher wird damit auch keine Eingrenzung auf den einzelnen Tagessatz möglich sein, sondern maximal ein Erkennen grober Tendenzen.

Wenn nun das System erkennt, dass ein einfacher Diebstahl im Bereich von 100-150 € beim mittellosen, drogenabhängigen, geständigen 10-fach-Täter in Hof im über hundert Fälle ermittelten Schnitt um zwei Monate höher bestraft wird als in Freiburg dürfte das ein starker Hinweis darauf sein, dass sich z.B. wenigstens mal die Behördenleiter der Staatsanwaltschaften zusammensetzen sollten, um über ihre (natürlich gaaaaanz unverbindlichen) Strafvorschläge zu sprechen.

Zum Zweiten:

Ich sehe, was du meinst. Dennoch denke ich nicht, dass die Bevölkerung derart inhomogen ist, dass man in Bayern scheinbar nahezu flächendeckend immer einen Grund hat den Täter deutlich überdurchschnittlich hart zu bestrafen und es in Schleswig-Holstein offenbar nur Täter gibt, die sämtliche Milderungsgründe erfüllen.

Die naheliegende Erklärung ist schlicht, dass es in Bayern seit dem zweiten Weltkrieg eine konservative Regierung, meist mit absoluter Mehrheit, gab und der "law and order" Ansatz einfach schon immer dazugehört hat.
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Re: KI-Urteile

Beitrag von Strich »

Theopa hat geschrieben: Freitag 13. Januar 2023, 09:55 ...
Wenn nun das System erkennt, dass ein einfacher Diebstahl im Bereich von 100-150 € beim mittellosen, drogenabhängigen, geständigen 10-fach-Täter in Hof im über hundert Fälle ermittelten Schnitt um zwei Monate höher bestraft wird als in Freiburg dürfte das ein starker Hinweis darauf sein, dass sich z.B. wenigstens mal die Behördenleiter der Staatsanwaltschaften zusammensetzen sollten, um über ihre (natürlich gaaaaanz unverbindlichen) Strafvorschläge zu sprechen.
Nein. Das einzige wozu das veranlasst, ist nachzuschauen, woher diese Unterschiede konkret kommen. Du brichst an dieser Stelle die Diskussion genau so verkürzt ab, wie die Diskussion um den Genderpaygap frühzeitig abgebrochen wird.
Oder noch anders: Ich habe eine Untersuchung angestellt, die zeigt, dass 95% der Inhaftierten Männer sind.
Ich kann jetzt nicht einfach zu irgendeinem Ergebnis springen und sagen: Ha die Gesellschaft ist mit Täterinnen viel zu nachsichtig.

Mal unterstellt jedes Urteil enthielte die vollständige Darstellung der Strafzumessung. Dann könntest du gerne diese Vorfilterung durchführen und anschließen die Urteile aus Itzehoe und Traunstein ziehen, die als "gleich" ausgespuckt wurden. Dann kannst du ja schauen, ob die alle die selben Strafzumessungserwägungen enthalten. Und wenn du dann eine Übereinstimmung bei abweichender Strafe feststellst, hast du m.E. wissenschaftlich genug Futter für die These, dass es ungerechtfertigte Lokaltarife gibt. Das Problem dabei ist aber, dass Urteile auch zu unterschiedlichen Zeiten ergehen. So werden heute Canabisverstöße anders geahndet als in den 90ern. Gibt es deswegen jetzt am Amtsgericht Eilenburg ungerechtfertigte Temporaltarife?
Theopa hat geschrieben: Freitag 13. Januar 2023, 09:55 Zum Zweiten:

Ich sehe, was du meinst. Dennoch denke ich nicht, dass die Bevölkerung derart inhomogen ist, dass man in Bayern scheinbar nahezu flächendeckend immer einen Grund hat den Täter deutlich überdurchschnittlich hart zu bestrafen und es in Schleswig-Holstein offenbar nur Täter gibt, die sämtliche Milderungsgründe erfüllen.

Die naheliegende Erklärung ist schlicht, dass es in Bayern seit dem zweiten Weltkrieg eine konservative Regierung, meist mit absoluter Mehrheit, gab und der "law and order" Ansatz einfach schon immer dazugehört hat.
Ich halte die Gesellschaft für noch viel inhomogener als du denkst.
Das ist gerade der Grund, warum wir diese Gesellschaft auf dem Boden des deutschen Idealismus und der damit verbundenen Verfassungsbewegung des 19.Jahrhunderts aufgebaut haben: Ein Vorrang des Individualismus vor dem Staat, weil sich die zahllosen Einzelinteressen nur dezentral sinnvoll für alle organisieren lassen. Würde man das anders machen wollen (was wir gerade beobachten), müsste man die Gesellschaft in zahllose immer weiter zersplitternde Gruppen zerlegen: arm/reich, Mann/Frau, hetero/homo, mit Kind/ohne Kind, alleinerziehend/Familie ... etc etc.*
Früher war ich mal ein reicher Mann. Jetzt bin ich schon ein reicher, weißer, alter Cis-Mann. Was werde ich erst in 100 Jahren sein? Am besten ich bin dann wieder ich selbst und werde nicht nur an den definierten Dimensionen gemessen.
*einige dieser Gruppen sind bereits überholt, und die Gruppenbildung ist natürlich auch nötig

Die Bevölkerung in Bayern mag einfach eine Kultur geschaffen haben, die strazumessungsrelevante Faktoren begünstigt, die dafür sorgen, dass bestimmte Lokaltarife entstehen.
Ich stimme dir natürlich zu, dass der "law and order" Ansatz die wahrscheinlichste Erklärung ist :D Naiv bin ich ja nun nicht ^^

Aber mal angenommen du hast recht, das Forschungsprojekt ist total sinnvoll und das Ergebnis ist: Bayern bestraft viel härter als Berlin (wofür ich kein Forschungsprojekt brauche). Was soll daraus jetzt folgen? Strafen wir morgen dann alle wie in Berlin? Oder Bayern? Oder in der Mitte? Wo soll denn da das richtige Maß liegen? Welche ganz groben Erwägungen/Ideen gäbe es denn, die Strafen dann anzugleichen?

Noch ein kleines Edit zur Klarstellung:
Strafzumessungsunsicherheiten sind natürlich ein Problem. Ich wehre mich aber gegen den pauschalen Anwurf, Lokaltarife seien einfach so falsch. Was m.E. helfen würde, wäre Transparenz und (ein bisschen) Zeit wie im Zivilrecht mit den Schmerzensgeldtabellen. Ich habe beim Scherzensgeld halt einfach nachgeschaut, was die Kollegen fabriziert haben (also ich habe die jeweiligen Urteile gelesen, die ja in der Tabelle angegeben sind).
So etwas würde auch im Strafrecht helfen. Erforderlich wäre dazu aber auch, dass ich das Urteil nicht gleich im Anschluss an den HVT verkünde, damit ich einigermaßen in Ruhe diese Tabelle mit den Entscheidungen durchgehen kann.
In diesem Fall habe ich dann ja den konkreten Einzelfall vor mir, zu dem ich den konkreten Vergleich zu den entschiedenen Fällen ziehen kann. Dann kann ich auch konkret begründen, warum es auf welche Maßstäbe mehr oder weniger ankam, als in den Vergleichsfällen etc.
Solange aber die Strafzumessungsgesichtspunkte nicht vollständig im Urteil enthalten sind, wird es eine solche Tabelle für das Gros der Amtsgerichtsverfahren kaum geben.
Zuletzt geändert von Strich am Freitag 13. Januar 2023, 14:45, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: KI-Urteile

Beitrag von Strich »

Theopa hat geschrieben: Freitag 13. Januar 2023, 09:35 ...
Ersteres ist in der Tat ein Problem, mich nerven Kollegen die sich einfach nicht präzise ausdrücken können auch. Ich fände es angemessen, die Gerichtskosten und die Kosten der Gegenseite (nicht die eigenen!) an der Seitenzahl (Standardseiten, bestimmt durch die Zeichenzahl abzüglich Leerzeichen) ab der Seitenzahl X alle z.B. 5 Seiten jeweils schrittweise um 0,1 zu steigern ;)

Das Formular-Verfahren halte ich aber abseits von wirklichem Kleinzeugs (z.B. bis 1000 € Streitwert) für eine massive Einschränkung der Rechte der Parteien. Entweder sind die Formulare zu unflexibel, kompliziert und unübersichtlich gestaltet - was der Erfahrung nach auf > 90% aller von staatlicher Seite zur Verfügung gestellten Formulare zutrifft - und/oder man braucht gefühlt 500 verschiedenen Formulare für jede erdenkliche Konstellation.

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Das kann ich eigentlich alles unterschreiben. Die Vorstellung von noch mehr Formularen ...

Die Gerichtskostenkeule fand ich im ersten Moment tatsächlich überlegenswert ^^ Aber bei näherem hinsehen ist es doch schon heute so, dass längere Schriftsätze prinzipiell auch teurer für den Anwalt sind, weil das von seinem RVG Satz abgeht oder den Mandanten mit sinnlosen billables belastet. Ich sehe derzeit, außer die durchsuchbaren Dokumente, kein besseres System im ZR.
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Beitrag von Liz »

Theopa hat geschrieben:
Liz hat geschrieben: Donnerstag 12. Januar 2023, 14:58 @Theopa: Das ist natürlich ein mögliches Problem. Aber die Realität ist ja derzeit, dass einige Kanzleien damit ihr Geld verdienen, dem Gericht Schriftsätze mit 120 Seiten (oder auch mehr) zu schicken, die (auch bei Anlegung eines sehr großzügigen Maßstabs) zu min 95 % aus völlig überflüssigen Rechtsausführungen bestehen oder gerne auch mal ganz andere Fallkonstellationen behandeln.

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Das Formular-Verfahren halte ich aber abseits von wirklichem Kleinzeugs (z.B. bis 1000 € Streitwert) für eine massive Einschränkung der Rechte der Parteien. Entweder sind die Formulare zu unflexibel, kompliziert und unübersichtlich gestaltet - was der Erfahrung nach auf > 90% aller von staatlicher Seite zur Verfügung gestellten Formulare zutrifft - und/oder man braucht gefühlt 500 verschiedenen Formulare für jede erdenkliche Konstellation.

Zudem lässt es die Besonderheiten bestimmter Rechtsgebiete außer Acht. In Arzthaftungsverfahren trage ich z.B. auf Beklagtenseite in der Klageerwiderung nahezu immer noch einmal den gesamten relevanten Behandlungsverlauf aus Perspektive des Arztes vor. Warum? Weil die Angelegenheit von einem ärztlichen Sachverständigen begutachtet wird, der keine Ahnung von der Relationstechnik hat und daher zwei vollständige Geschichten lesen muss. Solche Besonderheiten dürfte es in den meisten Gebieten und in vielfacher Ausprägung geben.
Das Problem besteht doch nicht darin, dass beide Parteien auf 2-50 Seiten geordnet den Sachverhalt aus ihrer Sicht schildern, sondern dass in Verfahren, in denen es praktisch nicht auf individuelle Besonderheiten ankommt (= Massenverfahren) auf hundert Seiten einfach irgendwas geschrieben wird, was möglicherweise mit dem Fall zu tun haben könnte, aber eigentlich niemand ernsthaft lesen kann (selbst die Parteien nicht) und worauf es auch nicht ankommt. Ich bekam letztens zB als Anlage zu einem sehr langen Schriftsatz einen nochmals etwas längeren Schriftsatz desselben PB aus einem anderen Verfahren, der tlw identisch ist und jetzt einen Leitzordner einnimmt. Was ich damit soll, außer ihn hin- und herzutragen und mich jedes Mal darüber zu ärgern, hat sich mir noch nicht erschlossen. Entweder kommt man überein, dass das Gericht in solchen Verfahren die Akte einfach nur so grob überfliegt und dann irgendwie entscheidet, oder man überlegt sich, wie man dem Ganzen auf Anwaltsseite Einhalt gebietet.
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Re: KI-Urteile

Beitrag von gola20 »

Oder ihr ändert euer Pepsi System. Statt Erledigungen geht es nur noch um die Anzahl an Seiten pro Akte.
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Re: KI-Urteile

Beitrag von Liz »

Und was soll das bringen? Damit ist doch dem Bürger, der darauf wartet, dass sich die Justiz seinem Verfahren widmet, nicht geholfen.
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Re: KI-Urteile

Beitrag von gola20 »

Du hast dein Leid geklagt, dass du so viel lesen musst. Dem Bürger ist es vollkommen egal. Die allgemeine Überlastung/Langsamkeit der Justiz ist ein viel tiefer tiefergehendes Problem. Ich bezweifel, dass du das löst, indem du noch mehr Formulare einführst.
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KI-Urteile

Beitrag von Liz »

Dem Bürger sollte es aber nicht egal sein, wenn bestimmte Kanzleien mit ihrer Arbeitsweise (viel hilft viel) erhebliche Kapazitäten der Ziviljustiz binden. Man kann natürlich mehr Richter einstellen, damit die einfach hunderte Seiten an Schriftsätzen in Dieselverfahren oä lesen, aber das ist schlichtweg sinnfrei.
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Re: KI-Urteile

Beitrag von gola20 »

Dem Bürger ist das aber egal. Vor Diesel waren die Gerichte auch nicht schneller. Diesel ist irgendwann auch vorbei. Die Rechte der Bürger würde ich deswegen nicht einschränken.
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Re: KI-Urteile

Beitrag von Tikka »

https://techxplore.com/news/2023-01-chatgpt-bot-law-school-exam.html (Verwaister Link automatisch entfernt)

Die erwartbaren Experimente mit den erwartbaren Ergebnissen: AI schafft es durch ein "Jura Examen". Habe dem Artikel nicht genau entnehmen können welches "Examen" das war, gehe aber vom Kontext davon aus, dass es eine "normale" Klausur war.
Trotzdem natürlich leicht interessant, vor allem, da die Modelle natürlich immer besser werden.
Keine Experimente! Wählt Adenauer.
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