Strafrichter - privates Leben

Für alle Fragen, die sich speziell für Richter, Staatsanwälte oder Verwaltungsbeamte ergeben, z.B. Bewerbung, Arbeitszeit, Laufbahnentwicklung, Wechsel des Bundeslandes oder der Gerichtsbarkeit usw.

Moderator: Verwaltung

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Arva
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Strafrichter - privates Leben

Beitrag von Arva »

Hallo,
ich bin jetzt seit einigen Monaten als Proberichter als Strafrichter am Landgericht. Örtlich zuständig sind meine Kammern auch jeweils für die Kleinstadt, in der ich und meine Familie wohnen; ich habe auch keine größeren Schwierigkeiten, einzelne Taten oder Täter nahegelegenen Wohngebieten zuzuordnen.

Mein Nachname ist recht prägnant - jedenfalls nicht Müller oder Fischer - und diesen trägt auch meine Frau, die in einem Bereich mit viel Kundenkontakt arbeitet, in dem auch ihr Name wichtig ist, wie auch unser Sohn. Ich habe eine Facebookseite, auf der mein Vorname genannt und mein Nachname stark abgekürzt ist. Meine Dissertation, in dessen Vorwort meine Frau und mein Sohn namentlich erwähnt sind, ist über das Internet auffindbar, weitere Informationen über mich eher nicht. Im Telefonbuch stehen wir nicht, auch unsere Anschrift kann über das Internet nicht gefunden werden.

Dennoch habe ich - gerade mit Blick auf einige Verfahren, bei denen wir recht gewaltbereite und organisierte Täter, die auch massiv auf Zeugen eingewirkt hatten, verurteilt haben und die räumliche Nähe - mittlerweile ein gewisses Unsicherheitsgefühl. Ergibt sich das einfach durch den neuen Job und man muss sich eben daran gewöhnen, bin ich überempfindlich oder gibt es bestimmte Schutz-/Abgrenzungsformen, die empfehlenswert sind?

Danke für Eure Hinweise.
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11 Freunde
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Re: Strafrichter - privates Leben

Beitrag von 11 Freunde »

Als überempfindlich sehe ich deine Bedenken nicht an.

Aus meiner Erfahrung als Strafrichter kann ich schon bestätigen, dass - sofern man am Gerichtsort lebt - es schon hin und wieder zur Aufeinandertreffen mit (ehemaligen) Angeklagten oder Zeugen kommt. Ging mir gerade erst gestern wieder in der örtlichen Fußgängerzone so und das, obwohl ich seit eineinhalb Jahren in die Justizverwaltung abgeordnet bin und aus dem operativen Geschäft "raus bin".

Meines Erachtens erfolgt in den seltensten Fällen jedoch tatsächlich eine konkrete Zuordnung der eigenen Person zur Tätigkeit. Heißt: Hat man keine Robe an, sondern kauft in T-Shirt und kurzen Hosen feuchtes Klopapier bei DM, kommt man ehemaligen Angeklagten und Zeugen zwar bekannt vor, die wenigsten werden sich jedoch daran erinnern, dass man Richter ist. So ging mir das im Übrigen auch schon mit Verteidigern, mit denen ich zwar oft zusammen verhandelte, die mich jedoch ohne Robe im T-Shirt einfach nicht erkannt haben. Letztes Jahr stand ich auch beim Bäcker hinter einem Mittzwanziger, den ich ein paar Wochen davor verurteilt hatte. Dieser drehte sich auch tatsächlich um und fragte mich, ob ich Lehrer in der Berufsschule sei, ich käme ihm so bekannt vor.

Besondere Vorkehrungen treffe ich nicht. Wenn du bei Facebook bist, empfehle ich dir jedoch, die Ortungsfunktion auszustellen. Nach einer mehrstündigen Hauptverhandlung hatte eine Kollegin als Freundschaftsvorschlag nämlich einen der Verteidiger, der sein Smartphone wohl ebenfalls mit in Sitzung hatte und auch bei Facebook samt aktivierter Ortungsfunktion angemeldet war. Blöd, wenn so etwas mit einem Angeklagten passiert.

Mir ist schließlich kein Fall bekannt, dass ein Richter privat in Bedrängnis gebracht worden sein könnte. Die meisten Angeklagten sehen den "böen Buben" in der Staatsanwaltschaft, nicht im Gericht.
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Urs Blank
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Re: Strafrichter - privates Leben

Beitrag von Urs Blank »

11 Freunde hat geschrieben: Dienstag 14. August 2018, 10:35Letztes Jahr stand ich auch beim Bäcker hinter einem Mittzwanziger, den ich ein paar Wochen davor verurteilt hatte. Dieser drehte sich auch tatsächlich um und fragte mich, ob ich Lehrer in der Berufsschule sei, ich käme ihm so bekannt vor.
Gut, dass du nicht "ja" gesagt hast. Sonst hätte es womöglich noch Keile gegeben.

Auf § 51 Bundesmeldegesetz wird hingewiesen.
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Arva
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Re: Strafrichter - privates Leben

Beitrag von Arva »

@ Urs Blank: Danke, ist bekannt. Allerdings: BVerwG, Beschluss vom 07.03.2016 -
BVerwG 6 B 11.16, Rn. 6 f. und 14.02.2017 – BVerwG 6 B 49.16: Es muss für eine Meldesperre mehr vorliegen als die reine Zugehörigkeit zu einer potentiell gefährdeten Personengruppe. An einer darüber hinausgehenden individuellen Gefährdung dürfte es aber (glücklicherweise!) aktuell fehlen, es gibt keine Drohungen gegenüber mir oder meinen Kollegen etc.
Liz
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Re: Strafrichter - privates Leben

Beitrag von Liz »

Naja, man wird auch ehrlich sagen müssen: Wer einem unbedingt auflauern möchte, macht das ggf auch vor dem Gerichtsgebäude oder eben bei der spontanen Begegnung auf offener Straße; hier sollte man sich dringend eine gewisse Gelassenheit aneignen, wenn man nicht immer leicht paranoid durchs Leben gehen möchte. Und der Wiedererkennungseffekt dürfte tatsächlich eher gering sein. Die meisten Menschen sind dann doch von der Situation und der Robe so stark beeindruckt, dass sie einen in Zivil oder gar in Freizeitkleidung nicht wiedererkennen oder jedenfalls nicht hinreichend sicher zuordnen können.
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Ara
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Re: Strafrichter - privates Leben

Beitrag von Ara »

Außerdem sind die Unschuldigen die man verurteilt hat meist nicht kriminell genug und die Schuldigen haben wenig Motivation ernsthaften Groll gegen den Richter zu haben.

Als Familienrichter sieht das anders aus. Die sind glaub ich auch statistisch am gefährdesten.
Die von der Klägerin vertretene Auffassung, die Beeinträchtigung des Wohngebrauchs sei durch das Zumauern der Fenster nur unwesentlich beeinträchtigt, ist so unverständlich, dass es nicht weiter kommentiert werden soll. - AG Tiergarten 606 C 598/11
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Re: Strafrichter - privates Leben

Beitrag von thh »


Arva hat geschrieben:@ Urs Blank: Danke, ist bekannt. Allerdings: BVerwG, Beschluss vom 07.03.2016 -
BVerwG 6 B 11.16, Rn. 6 f. und 14.02.2017 – BVerwG 6 B 49.16: Es muss für eine Meldesperre mehr vorliegen als die reine Zugehörigkeit zu einer potentiell gefährdeten Personengruppe. An einer darüber hinausgehenden individuellen Gefährdung dürfte es aber (glücklicherweise!) aktuell fehlen, es gibt keine Drohungen gegenüber mir oder meinen Kollegen etc.
Jedenfalls dann, wenn die Sperre über die Dienststelle veranlasst wird, ist das nach meiner Erfahrung kein Problem, jedenfalls wenn bestimmte Tätigkeitsbereiche bei der StA (Staatsschutz, OK, Kapitaldelikte) betroffen sind oder eine Kammer mit Verfahren befasst ist, bei denen besondere Sicherheitsmaßnahmen erforderlich sind, auch wenn es keine konkrete Bedrohungslage gibt.

Kraftfahrer sollten bedenken, dass man faktisch auch über das Kfz-Kennzeichen ohne Schwierigkeiten die Wohnanschrift erfahren kann. Eine - dann auch Behörden betreffende - Auskunftssperre für das Kraftfahrzeugzentralregister ist schwieriger durchzusetzen (und macht auch einigen Aufwand, wenn man dann mal falsch parkt oder zu flott unterwegs ist ...).

Anlass zur Sorge wegen körperlicher Übergriffe sehe ich aber ebenfalls nicht; zu befürchten scheinen mir eher Belästigungen. Und tatsächlich dürften Familienrichter deutlich gefährlicher leben.
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Herr Anwalt
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Re: Strafrichter - privates Leben

Beitrag von Herr Anwalt »

Ich kann den Gedanken schon nachvollziehen.
Ich habe als Familienrechtler auch ständig Bekloppte auf der Gegenseite sitzen, die mich über jahrelanges Prozessieren natürlich irgendwann als Feindbild ausmachen.
Passiert ist bisher noch nie was.
Ich selbst habe aber - falls soetwas mal vorkommen sollte - diverse Vorkehrungen getroffen.
Sich mal grundsätzlich Gedanken darüber zu machen, wie man sich in einer Situation verhält, ist nicht verkehrt. Ein paar Jahre Kampfsport auch nicht. Und dann gibt es ja noch diverse legale Gegenstände..
EinHeinz
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Re: Strafrichter - privates Leben

Beitrag von EinHeinz »

Ein Glück sind die Bekloppten immer auf der Gegenseite.

Es gibt letztlich auch keine effektive Vorkehrung abseits der Psyche. Siehe der Fall des innogy Finanzvorstandes. Wenn man sich durch Kampfsport sicherer fühlt hat es seinen Zweck erfüllt.
Arva
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Re: Strafrichter - privates Leben

Beitrag von Arva »

Verspätet - Danke für die Einschätzungen und Erfahrungen!
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