"Der sprachlose Rechtsstaat"

Für alle Fragen, die sich speziell für Richter, Staatsanwälte oder Verwaltungsbeamte ergeben, z.B. Bewerbung, Arbeitszeit, Laufbahnentwicklung, Wechsel des Bundeslandes oder der Gerichtsbarkeit usw.

Moderator: Verwaltung

Benutzeravatar
thh
Super Mega Power User
Super Mega Power User
Beiträge: 5279
Registriert: Dienstag 18. August 2009, 15:04
Ausbildungslevel: Interessierter Laie

Re: "Der sprachlose Rechtsstaat"

Beitrag von thh »

Urs Blank hat geschrieben: Freitag 14. September 2018, 22:07Allerdings gilt nach meiner Erfahrung, dass fehlerhafte Berichterstattung nicht selten auf schlechte Kommunikation zurückgeht: Zum Beispiel weil wir als professionelle Verfahrensbeteiligte allzuoft in einem unverständlichen Kauderwelsch an den Betroffenen (und an den interessierten Zuhörern) vorbeireden. Und es die Justizpressestellen nicht unbedingt besser machen.
In Kenntnis von Pressemitteilungen und dem, was daraus gemacht wird: ich zweifele.

In nicht wenigen Fällen müsste man - leider - den Artikel komplett selbst verfassen.

Und: man darf von demjenigen, der über Gerichtsverfahren berichtet, zumindest grundsätzliche Kenntnisse der Materie erwarten - oder die notwendige Recherche in allgemein zugänglichen Internetquellen. Es berichtet ja auch niemand über ein Fußballspiel, der nicht zumindest weiß, dass üblicherweise auf beiden Seiten 11 Leute auf dem Platz stehen, einer davon im Tor.
Benutzeravatar
Urs Blank
Mega Power User
Mega Power User
Beiträge: 1741
Registriert: Samstag 31. Januar 2009, 12:38
Ausbildungslevel: Anderes

Re: "Der sprachlose Rechtsstaat"

Beitrag von Urs Blank »

thh hat geschrieben: Freitag 14. September 2018, 22:49Und: man darf von demjenigen, der über Gerichtsverfahren berichtet, zumindest grundsätzliche Kenntnisse der Materie erwarten - oder die notwendige Recherche in allgemein zugänglichen Internetquellen. Es berichtet ja auch niemand über ein Fußballspiel, der nicht zumindest weiß, dass üblicherweise auf beiden Seiten 11 Leute auf dem Platz stehen, einer davon im Tor.
Ich befürchte, das zeigt den unterschiedlichen Rang von Fußball und Justiz: Über die Spiele des BVB berichtet der erfahrene Fußball-Fachmann, über den Dortmunder "BVB-Prozess" der Volontär. Aber was hilft's: Die Medien müssen wir so nehmen, wie sie sind. Und unsere Informationen dem Kenntnisstand der Rezipienten anpassen...
"Cats exit the room in a hurry when oysters are opened."
Benutzeravatar
non-liquet
Super Power User
Super Power User
Beiträge: 1440
Registriert: Dienstag 11. Mai 2004, 16:19
Ausbildungslevel: Ass. iur.

Re: "Der sprachlose Rechtsstaat"

Beitrag von non-liquet »

Urs Blank hat geschrieben: Freitag 14. September 2018, 23:04Aber was hilft's: Die Medien müssen wir so nehmen, wie sie sind.
Gerichtsverfahren, zumal Strafprozesse finden aber nicht statt, damit man Zeitungen damit vollschreiben kann. Das gilt ähnlich für den von Dir angeprangerten Kauderwelsch: Man soll nicht unverständliches Zeug in die Welt blasen. Trotzdem ist es in einem bestimmten Rahmen ja gerade die Aufgabe der Medien, dies in einer für breite Kreise verständlichen Form zu kommunizieren. Ja, das macht Arbeit, es erfordert ein gewisses Maß an Sachkenntnis und es kostet Zeit. Und es ist natürlich mühsamer, als Pressemitteilungen per copy-and-paste zu übertragen. Aber das ist deren Job.

Deshalb kann man den Spieß auch ebensogut umdrehen und die Medien auffordern, die Gerichte so zu nehmen, wie sie sind: Eine selbstbewusste Justiz sollte das genau so tun, denn bei der Medienarbeit hat sich in den letzten Jahren nun wirklich einiges getan, und tut es auch weiterhin. Es gibt keinen Anlass, selbst grundlegende Ansprüche an die Arbeit der Medien über Bord zu werfen.

Abgesehen davon gibt es noch viel mehr Faktoren, auf die man mit noch so professioneller Medienarbeit auf Seiten der Justiz kaum einen Einfluss hat.
  • Der Reporter vor Ort kann noch so kompetent sein: Regelmäßig werden In dem fertig abgelieferten Bericht dann noch Änderungen (durch Blattmacher, Schlussredaktion usw.) angebracht, die jedoch inhaltlich verfälschend sind. Ich habe selbst eine Zeit lang für eine Zeitung gearbeitet und genau so etwas mehr als einmal erlebt. Blödsinn wie der von der Staatsanwaltschaft erlassene Haftbefehl hat meist darin seinen Ursprung.
  • Es gibt auch Typen wie einen in unserem Bezirk, der seit Jahren dafür bekannt ist, den Saal nach fünf bis zehn Minuten zu verlassen und dann irgendein Zeug zusammenzuschreiben, der mitunter auch mal etwas mit dem zu tun hat, was in der Verhandlung gelaufen ist.
  • Bewusste Vermischung von Bericht und Kommentar. Regelmäßig zu finden etwa bei der aus irgendwelchen Gründen gefeierten Frau Friedrichsen (Ex-Spiegel, jetzt Welt), die ein Kollege von ihr (Wolfgang Janisch, SZ) in einem Vortrag von einigen Jahren als ein Paradebeispiel für advokativen Journalismus bezeichnet hat.
  • Nicht nur gewisse Justizvertreter sind überheblich und unbelehrbar; auch die journalistische Zunft umfasst solche Exemplare: Genauso wie die eine Seite hinter jeder Urteilsschelte einen Generalangriff auf die richterliche Unabhängigkeit vermutet, wird auf der anderen Seite zuverlässig "Zensur" gebrüllt, wenn man Pfusch als solchen bezeichnet.
Da sind die gängigen Vorwürfe wie Sensationsgier und Boshaftigkeit noch gar nicht dabei; die sind aber in der Praxis meist nicht das Problem.
Idee1290
Häufiger hier
Häufiger hier
Beiträge: 58
Registriert: Dienstag 12. Juni 2018, 21:31
Ausbildungslevel: Au-was?

Re: "Der sprachlose Rechtsstaat"

Beitrag von Idee1290 »

Nur ein kurzer Einwurf: es gibt ja jetzt das Format "Einspruch" der FAZ. Ich habe mir deren Podcast (kostenfrei) in und um die Examensvorbereitung im Ref regelmäßig wöchentlich reingezogen. Die Journalisten stellen sich dort selbst sehr selbstbewusst als "Juristen" vor (was auch immer das heißen mag. 1. StEx? 2. StEx? Mal einen Kurs in Vertragsrecht an der Uni? ...Wobei die schon eine gewisse Mindestkompetenz hatten...). An sich waren es auch immer ganz aktuelle Beiträge. Allerdings: 1) Starker Fokus auf den "Fakten" ("Was ist in dem Kriminalfall eigentlich "passiert"?) und 2) die rechtlichen Fragestellungen nur gestreift ("Jaah, man könnte sich ja mal überlegen, ob das mit der U-Haft hier alles so richtig lief."). Dann waren 3) die Begrifflichkeiten aber oft nicht richtig oder sehr unpräzise und ab und an auch mal wirklich falsch. In dem U-Haft-Beispiel erinnere ich mich zB daran, dass sie die Voraussetzung des dringenden Tatverdachts haarsträubend falsch definiert haben (immerhin, es gab mal eine Definition) und die Voraussetzung der Verhältnismäßigkeit (ja jetzt nicht sooo unwichtig, um das Konzept der U-Haft auch mal Nicht-Juristen zu erläutern...) komplett unter den Tisch haben fallen lassen.
4) Starker Fokus auf dem, was juristisch/politisch in Amerika gerade passiert. War interessant, aber eigentlich ja immer nur "nice to know" aus deutscher Perspektive. Für das deutsche Rechtssystem kann man sich da eher selten was ableiten (ggf. sogar Fehlschlüsse).

Also, wenn selbst ein eigens ins Leben gerufenes Jura-Format es nicht richtig hinkriegt, was will man dann von den "normalen" Medien erwarten? (Wertung ist natürlich vorbehaltlich der geschriebenen Texte, da ich das nicht abonniert hatte...)
Benutzeravatar
Ara
Urgestein
Urgestein
Beiträge: 8344
Registriert: Donnerstag 11. Juni 2009, 17:48
Ausbildungslevel: Schüler

Re: "Der sprachlose Rechtsstaat"

Beitrag von Ara »

Idee1290 hat geschrieben: Montag 17. September 2018, 13:26 In dem U-Haft-Beispiel erinnere ich mich zB daran, dass sie die Voraussetzung des dringenden Tatverdachts haarsträubend falsch definiert haben (immerhin, es gab mal eine Definition) und die Voraussetzung der Verhältnismäßigkeit (ja jetzt nicht sooo unwichtig, um das Konzept der U-Haft auch mal Nicht-Juristen zu erläutern...) komplett unter den Tisch haben fallen lassen.
Also ne falsche Erklärung/Definition vom dringenden Tatverdacht hast du auch sogar in den meisten Lehrbüchern. Ich glaube die meisten Studenten (vermutlich sogar fertige Juristen) glauben tatsächlich, dass der dringende Tatverdacht irgendwie "strenger" oder "enger" sei als der hinreichende Tatverdacht. Solch ein angebliches Rangverhältnis behaupten nämlich viele Lehrbücher.

Dabei bezieht sich die Wahrscheinlichkeit bei den beiden Verdachtsgraden auf zwei völlig verschiedene Annahmen. Die meisten staunen dann auch Bauklötzer, wenn sie erfahren, dass es Situationen geben kann wo ein dringender Tatverdacht gegeben ist aber kein hinreichender Tatverdacht.
Die von der Klägerin vertretene Auffassung, die Beeinträchtigung des Wohngebrauchs sei durch das Zumauern der Fenster nur unwesentlich beeinträchtigt, ist so unverständlich, dass es nicht weiter kommentiert werden soll. - AG Tiergarten 606 C 598/11
Idee1290
Häufiger hier
Häufiger hier
Beiträge: 58
Registriert: Dienstag 12. Juni 2018, 21:31
Ausbildungslevel: Au-was?

Re: "Der sprachlose Rechtsstaat"

Beitrag von Idee1290 »

Ara hat geschrieben: Montag 17. September 2018, 15:05
Idee1290 hat geschrieben: Montag 17. September 2018, 13:26 In dem U-Haft-Beispiel erinnere ich mich zB daran, dass sie die Voraussetzung des dringenden Tatverdachts haarsträubend falsch definiert haben (immerhin, es gab mal eine Definition) und die Voraussetzung der Verhältnismäßigkeit (ja jetzt nicht sooo unwichtig, um das Konzept der U-Haft auch mal Nicht-Juristen zu erläutern...) komplett unter den Tisch haben fallen lassen.
Also ne falsche Erklärung/Definition vom dringenden Tatverdacht hast du auch sogar in den meisten Lehrbüchern. Ich glaube die meisten Studenten (vermutlich sogar fertige Juristen) glauben tatsächlich, dass der dringende Tatverdacht irgendwie "strenger" oder "enger" sei als der hinreichende Tatverdacht. Solch ein angebliches Rangverhältnis behaupten nämlich viele Lehrbücher.

Dabei bezieht sich die Wahrscheinlichkeit bei den beiden Verdachtsgraden auf zwei völlig verschiedene Annahmen. Die meisten staunen dann auch Bauklötzer, wenn sie erfahren, dass es Situationen geben kann wo ein dringender Tatverdacht gegeben ist aber kein hinreichender Tatverdacht.
Ja, das haben die verwechselt. Gut getroffen. ( Dazu kam aber noch der Versuch, die Def in Alltagssprache zu erklären und mE hat das noch insgesamt zur Unpräzisierung beigetragen, weil es nicht so wirklich gelungen ist.)

Aber also: zumindest in meinen Lernunterlagen (Kaiser, Russack und Zeug aus der AG) wurde auf die Möglichkeit des Missverständnisses hingewiesen, dann sauber die Abgrenzung beschrieben und dann hatte man das auch drin. Also soooo „geheim“ fand ich das Wissen jetzt nicht. Gerade Journalisten halten sich doch auch öfter mal für die großen Recherche-Könner. Da hätte man das auch mal finden können. Oder aus der Ausbildungszeit erinnern... oder so.
sai
Super Power User
Super Power User
Beiträge: 1579
Registriert: Montag 27. Mai 2013, 10:30
Ausbildungslevel: Ass. iur.

Re: "Der sprachlose Rechtsstaat"

Beitrag von sai »

Idee1290 hat geschrieben: Montag 17. September 2018, 13:26 Nur ein kurzer Einwurf: es gibt ja jetzt das Format "Einspruch" der FAZ. Ich habe mir deren Podcast (kostenfrei) in und um die Examensvorbereitung im Ref regelmäßig wöchentlich reingezogen. Die Journalisten stellen sich dort selbst sehr selbstbewusst als "Juristen" vor (was auch immer das heißen mag. 1. StEx? 2. StEx? Mal einen Kurs in Vertragsrecht an der Uni? ...Wobei die schon eine gewisse Mindestkompetenz hatten...). An sich waren es auch immer ganz aktuelle Beiträge. Allerdings: 1) Starker Fokus auf den "Fakten" ("Was ist in dem Kriminalfall eigentlich "passiert"?) und 2) die rechtlichen Fragestellungen nur gestreift ("Jaah, man könnte sich ja mal überlegen, ob das mit der U-Haft hier alles so richtig lief."). Dann waren 3) die Begrifflichkeiten aber oft nicht richtig oder sehr unpräzise und ab und an auch mal wirklich falsch. In dem U-Haft-Beispiel erinnere ich mich zB daran, dass sie die Voraussetzung des dringenden Tatverdachts haarsträubend falsch definiert haben (immerhin, es gab mal eine Definition) und die Voraussetzung der Verhältnismäßigkeit (ja jetzt nicht sooo unwichtig, um das Konzept der U-Haft auch mal Nicht-Juristen zu erläutern...) komplett unter den Tisch haben fallen lassen.
4) Starker Fokus auf dem, was juristisch/politisch in Amerika gerade passiert. War interessant, aber eigentlich ja immer nur "nice to know" aus deutscher Perspektive. Für das deutsche Rechtssystem kann man sich da eher selten was ableiten (ggf. sogar Fehlschlüsse).

Also, wenn selbst ein eigens ins Leben gerufenes Jura-Format es nicht richtig hinkriegt, was will man dann von den "normalen" Medien erwarten? (Wertung ist natürlich vorbehaltlich der geschriebenen Texte, da ich das nicht abonniert hatte...)
Ob das Niveau des Magazins besser ist, vermag ich nicht zu sagen. Die (rechtliche) Qualität des Podcasts ist dafür, dass die Fachmedium sein wollen, leider unterirdisch.
Antworten