Alternativlos?

Für alle Fragen, die sich speziell für Richter, Staatsanwälte oder Verwaltungsbeamte ergeben, z.B. Bewerbung, Arbeitszeit, Laufbahnentwicklung, Wechsel des Bundeslandes oder der Gerichtsbarkeit usw.

Moderator: Verwaltung

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Fragerei
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Alternativlos?

Beitrag von Fragerei »

Hallo!

Ich bin jetzt etwas über ein Jahr Richter und denke schon relativ lange darüber nach, etwas anderes zu machen. Ich stehe allerdings vor dem Problem, dass ich nicht weiß, WAS ich machen soll. Momentan ist es so, dass weder Geld noch work-life-Balance stimmen. Ich habe das Gefühl, dass die Arbeitszeit nicht weit genug von der in einer Großkanzlei entfernt ist, um die Gehaltsunterschiede zu rechtfertigen. Effektivität beim Arbeiten war eigentlich immer meine Stärke - Jetzt bringt sie mir angesichts der hohen Belastung nicht mehr viel. Die Belastung ist für mich persönlich in Ordnung aber eben nicht für die vergleichsweise geringe Bezahlung. Gleichzeitig gibt mir die Arbeit auch angesichts der vielen VW-Klagen und ähnlich spannender Verfahren kaum einmal ideelle Befriedigung. Mir fehlt es generell an Bestätigung - aber woher soll die in diesem Beruf auch kommen? Die Parteien bedanken sich schließlich selten für ein besonders schönes Urteil :drinking: Irgebdwie habe ich mir das Gabze einfach erfüllender vorgestellt.

Ich wäge ab und wäge ab und komme doch zu keinem Schluss - Gleich in die GK („dann hab ich wenigstens Geld - und da ich ohnehin am Wochenende und mit Grippe arbeite verändert sich bestimmt nicht allzu viel“) oder lieber in die Finanzverwaltung (Weniger Geld aber dafür wenigstens mehr Zeit)? Außerdem habe ich die Angst, mir etwas vorzumachen - dann doch wieder zurück zu wollen und es nicht zu können...Nimmt einen die Justiz nach so einem „Ausstieg“ überhaupt noch?

Ich weiß, dass es dabei hauptsächlich um persönliche Präferenzen geht (Mehr Geld oder mehr Leben), aber mich interessiert, was andere zu berichten haben. Vielleicht gibt es sogar Abtrünnige, die sich hier tummeln und berichten wollen, wie es ihnen ergangen ist.
Oder Überzeugungstäter, die sich durchgebissen haben und dann doch noch superglücklich geworden sind in der Justiz?

Ich bin für jede Anregung und jede Idee dankbar - Mir fällt nämlich nichts mehr ein und ich habe Angst davor, Mich in einem Hamsterrad festzulaufen, aus dem ich nicht mehr rauskomme.
Liz
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Re: Alternativlos?

Beitrag von Liz »

Drei Fragen:

1) Wie schlimm ist die Arbeitsbelastung wirklich?

2) Liegt es an Dir (zu langsam, gründlich o. ä.) oder am objektiven Dezernatsbestand?

3) Wann steht der nächste Wechsel an?



Zwei Anmerkungen:

a) Ein Jahr scheint mir etwas kurz zu sein, um die langfristige Arbeitsbelastung beurteilen zu können, zumal ja am Anfang ein Zusatzaufwand durch die Einarbeitung hinzukommt.

b) Die VW-Klagewelle wird irgendwann auch vorbei sein (aber es wird sicherlich irgendwann wieder was Vergleichbares geben).
sai
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Re: Alternativlos?

Beitrag von sai »

Eine weitere Anmerkung: Raus ist regelmäßig raus. Es muss schon sehr viel zusammenkommen, dass du noch einmal in den Justizdienst zurückkommen könntest.
Gelöschter Nutzer

Re: Alternativlos?

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Bei einem Wechsel in die Finanzverwaltung dürftest Du noch weniger Bestätigung oder ideelle Befriedigung haben. Auf die Arbeitszeiten, die dich in der Finanzverwaltung erwarten, wirst Du auch als Richter jedenfalls mittelfristig kommen können.

Hast Du schon andere Berufserfahrungen gesammelt? Oder hat dir im Ref etwas besonders getaugt? Du bist seit mehr als einem Jahr dabei, und denkst zugleich schon "relativ lange" darüber nach, das Handtuch zu werfen. Ehrliche Einschätzung: Ich glaube, dabei wird es bleiben, bei dir liest sich null Leidenschaft für eine Tätigkeit in der Justiz raus - was auch absolut okay ist.
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Tibor
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Re: Alternativlos?

Beitrag von Tibor »

Quantensprung hat geschrieben: Mittwoch 19. Dezember 2018, 09:29 Bei einem Wechsel in die Finanzverwaltung dürftest Du noch weniger Bestätigung oder ideelle Befriedigung haben. Auf die Arbeitszeiten, die dich in der Finanzverwaltung erwarten, wirst Du auch als Richter jedenfalls mittelfristig kommen können.
Und Richter und Sachgebietsleiter sind diametral unterschiedliche Arbeitsweisen. Als SGL im FA hast du zu > 75% nicht materiell-rechtliche Aufgaben.
"Just blame it on the guy who doesn't speak English. Ahh, Tibor, how many times you've saved my butt."
Spencer
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Re: Alternativlos?

Beitrag von Spencer »

Als jemand, der den umgekehrten Weg gegangen ist (SGL —> Richter) kann ich dir eigentlich nur von dem von dir erwogenen Wechsel abraten.
Auch eine 41h-Woche kann sehr lang werden. Juristisch wird es definitiv nicht „aufregender“, selbst wenn man ein Faible fürs Steuerrecht haben sollte. Den Großteil deiner Zeit wirst du mit „Personalverantwortung“ ausgelastet sein. Das muss man mögen, zumal deine Einflussmöglichkeiten dort ziemlich begrenzt sind.
Auch finanziell würdest du dich kaum verbessern. Zumindest hieß es damals (2011) noch, dass die Chance auf die A15 (dem Äquivalent zu R1) bei 1:5 stünden. Und auch die hatte man nur, wenn man häufiger das FA wechselte, was mitunter mit Umzügen bzw. längeren Pendelstrecken verbunden sein kann.

Immerhin gäbe es in deinem Fall die Möglichkeit der „tätigen Reue“, indem du den nicht unüblichen Weg aus der Finanzverwaltung zum FG gehen könntest. Da wartet dann die R2. Aber wirklich planbar ist solch ein Weg auch nicht...
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Solar
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Re: Alternativlos?

Beitrag von Solar »

Ich kann dir hingegen nur vom umgekehrten Weg aus GK und Unternehmen ans Gericht berichten. Ich habe den Wechsel nicht bereut. Liegt ganz klar an verschiedenen Berufsaspekten, die für mich von ganz zentraler Bedeutung sind und die in Unternehmen und Anwaltschaft zum Teil gar nicht und zum Teil nur eingeschränkt und mit viel Glück zu realisieren sind:
  1. Selbständigkeit
    Die Kehrseite zu der fehlenden Bestätigung (wobei du ja immerhin noch Beurteilungen erhältst, dadurch und durch Kammervorsitzende / Direktoren gibt es ja auch Bestätigung - und auch in der GK hast du oft kein vernünftiges Feedback). Wenn man Wert darauf legt, niemandem Rechenschaft ablegen zu müssen außer Gewissen und Gesetz, wird man in keinem Beruf so frei sein wie im Richterberuf. Wenn man viel viel Glück hat, hat man in der Privatwirtschaft einen Vorgesetzten, der einem relativ freie Hand lässt. Meistens hat man es aber mit Micromanagern oder Leuten zu tun, die einem aus eigener Überlebensangst keine freie Hand lassen (man könnte ja den Mandanten zu sehr an sich binden oder vergraulen oder die Vorgesetztenstelle überflüssig machen usw.).
  2. Gestaltungs des Arbeitsalltags
    Ein zum obigen verwandter Punkt: Ich kann kommen und gehen wann ich will, arbeiten wann und wo ich will und mir mein eigenes Tempo vorgeben. Sensationell, nirgendwo anders so leicht zu handhaben. Dadurch tut mir auch die hohe Arbeitszeit nicht so weh wie früher in der GK, denn jetzt ist sie selbstbestimmt. Zudem nimmt sie mit zunehmender Erfahrung immer weiter ab. Ich bin überzeugt, dass man als Amtsrichter oder Vorsitzender am LG nach ein paar Jahren eine relativ ruhige Kugel schieben kann. GK wird hingegen immer schlimmer, je länger man dabei ist.
  3. Sinnhaftigkeit der Aufgabe und Verantwortung
    Anders als du, gibt mir die Aufgabe eine große Befriedigung. Ich nehme mich dabei nicht zu wichtig aber ich trage dennoch jeden Tag ein bisschen zur Herstellung von Rechtsfrieden bei. Das war in der Privatwirtschaft für mich nicht so. Ich war immer nur ein kleines Zahnrad in riesigen Prozessen. Mir war auch völlig egal, ob die Mandantschaft ihr Ziel erreicht. Ich konnte keine Leidenschaft dafür entwickeln, ob Konzern XY für seinen Kartellverstoß nun mehr oder weniger als 1 Mrd. € Bußgeld bezahlt, damit die Gewinnwarnungen nicht angepasst werden müssen... Natürlich gehen mir auch jetzt einige Fälle am A**** vorbei (Stichwort VW, sooo viele sind das jetzt aber auch nicht). Die allermeisten bergen aber Herausforderungen und ich sehe die Menschen dahinter und nicht nur einen gesichtslosen Konzern. Juristisch halte ich die Tätigkeit in einer Zivilkammer ohnehin für viel anspruchsvoller als die Privatwirtschaft/Anwaltschaft, da man sich pausenlos mit neuer Materie befassen und parallel 120 Fälle aufwärts aus verschiedensten Rechtsgebieten jonglieren muss. In der Privatwirtschaft spezialisiert man sich hingegen, wird in diesem Bereich immer besser aber bleibt eben auch bei seinen Rappen.
All das wiegt für mich den schlechten Verdienst und die miesen Karriereaussichten auf. Wenn dir diese Punkte aber nicht dieselbe Befriedigung geben, dann solltest du lieber früher als später gehen. Ich habe mehrere Bekannte, die diesen Weg gegangen sind, weil sie in der Justiz frustriert waren. Keiner hat es bereut. Andersrum gilt dasselbe (da kenne ich noch deutlich mehr Fälle). Am Ende des Tages ist es eine Typfrage.
T0bi
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Re: Alternativlos?

Beitrag von T0bi »

Was hast du denn bisher in der Justiz gesehen? AG? LG? Großstadt? Kleinstadt? Bereiche? Alt-Bestände? Bevor ich die Entscheidung treffen würde auf Basis deiner Kriterien (v.a. Work-Life-Balance und Erfüllung) solltest du unbedingt mehrere Bereiche/Gerichte gesehen haben.
"die Bezeichnung Penner hat nicht...stets beleidigenden...Charakter. So werden etwa im Einzelhandel umgangssprachlich schlecht verkäufliche Artikel...im Gegensatz zum Renner auch als Penner bezeichnet (wikipedia.de)" (BayVGH NZA-RR 2012, 302)
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