Berufsanfang Strafrecht am AG

Für alle Fragen, die sich speziell für Richter, Staatsanwälte oder Verwaltungsbeamte ergeben, z.B. Bewerbung, Arbeitszeit, Laufbahnentwicklung, Wechsel des Bundeslandes oder der Gerichtsbarkeit usw.

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Urs Blank
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Re: Berufsanfang Strafrecht am AG

Beitrag von Urs Blank »

Gerade Personen, die nur ein kleines Einkommen erzielen oder die von staatlichen Transferleistungen abhängig sind, stellt eine Geldstrafe oft vor erhebliche Schwierigkeiten, weil sie z. B. laufende Zahlungsverpflichtungen nicht mehr bedienen können. Dies kann bisweilen durch Zahlungserleichterungen nach § 42 StGB kompensiert werden. In Rspr. und Literatur wird es aber auch als zulässig angesehen, die errechnete Tagessatzhöhe zu senken, um "entsozialisierende Wirkungen" zu vermeiden.
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Ara
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Re: Berufsanfang Strafrecht am AG

Beitrag von Ara »

Liz hat geschrieben: Montag 8. April 2019, 21:55 @Ara: Wenn das Einkommen bekannt ist, halte ich es allerdings für verwunderlich, extraniedrige Angebote zu machen, die nicht mehr ernsthaft tat- und angemessen sind. Ich kenne es eher als praktisches Problem, das Einkommen des Beschuldigten halbwegs richtig zu schätzen, was dann dazu führt, dass lieber einmal zuviel angenommen wird, der Beschuldigte lebe von ALG II.
Ist auch bei bekanntem Einkommen häufig überraschend niedrig. Jetzt nicht extrem aber so 50-75% von der Tagessatzhöhe die man in ner HV errechnen würde. Selbst wenn Einkommen durch Kontoverdichtung bekannt ist. Übrigens je südlicher das Bundesland desto niedriger die Strafbefehle und Auflagen nach meinem Eindruck.

Wenn das Einkommen völlig unbekannt ist, gibts bei der StA HH zB fast immer 50 Euro. Wenn man Einspruch auf Tagessatzhöhe beschränkt und beantragt im Beschlusswege diesen zu senken, kriegt man dann auch häufig gute Kurse. ALG II 10-12 Euro. In ner HV gibts hier dagegeb 15 Euro für ALG II. Die haben verständlicherweise schlicht keine Lust wegen 50 Euro mehr ne HV durchzuführen.
Die von der Klägerin vertretene Auffassung, die Beeinträchtigung des Wohngebrauchs sei durch das Zumauern der Fenster nur unwesentlich beeinträchtigt, ist so unverständlich, dass es nicht weiter kommentiert werden soll. - AG Tiergarten 606 C 598/11
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Re: Berufsanfang Strafrecht am AG

Beitrag von Liz »

Also derartigen Schmarrn kenne ich nicht. Bei ALG II gibt es grds. 15 €, bei über 90 TS meist dann 10 € aus den von Urs Blank genannten Erwägungen. Einen "Sonderrabatt" im schriftlichen Verfahren habe ich noch nicht gesehen; ich denke, ich könnte mich daran erinnern.
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Ara
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Re: Berufsanfang Strafrecht am AG

Beitrag von Ara »

Mir wurden noch nie 12 Euro im Beschlusswege für ALG II verwehrt. Das Beschwerdegericht würde sich auch freuen um 3 Euro Tagessatz zu streiten.
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thh
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Re: Berufsanfang Strafrecht am AG

Beitrag von thh »


Sonnenschein111 hat geschrieben:Liebe Forumsgemeinde,

ich habe schon wieder eine Frage ::oops:

Es geht um die Höhe des Tagessatzes. Wenn Strafbefehle, entworfen von der StA, vor mir liegen wundere ich mich oft über die "geringen" Tagessatzhöhen. Auch ist mir aufgefallen, dass die StA (bei mir) häufig geringere Tagessatzhöhen beantrag, als rechnerisch (Netto-Einkommen/30) herauskämen. Bei einem Einkommen von z.b. 1600 Euro netto wir eher ein TS von 30 Euro als 53 Euro (wie es rechnerisch wären) beantragt. Mich verunsichert das etwas.

daher die Frage: Warum ist das so (oder habt ihr das anders erlebt?) und wie geht ihr damit um?
"Krumme" Tagessatzhöhen werden idR nicht beantragt. Das wäre auch nur scheingenau, denn das Einkommen ist ja idR auch nur gerundet bekannt.

Vom Nettoeinkommen sind noch Unterhalt für Ehepartner/Kinder abzuziehen und - je nach lokaler Üblichkeit - die Miete.
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Re: Berufsanfang Strafrecht am AG

Beitrag von thh »


Liz hat geschrieben:Also derartigen Schmarrn kenne ich nicht. Bei ALG II gibt es grds. 15 €,
Da sieht man mal ... Hier gibt es dafür nur 10 €, und bei größeren Tagessatzhöhen wird eher über weniger diskutiert. (Ist der ALG-Satz mittlerweile wirklich bei 450 € oder höher?)
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Ara
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Re: Berufsanfang Strafrecht am AG

Beitrag von Ara »

424 + Mieten. Berlin hat schon lange 15 als Standard gehabt (Brauchten wohl schon immer Geld). HH hatte lange 10/12 (was konsequent war, weil hier die Miete abgezogen wird) und ist vor 2-3 Jahren nun auch auf 15 Euro. Meckpom sieht man auch fast nur noch 15 Euro.

Aber wie gesagt: Je südlicher, desto humaner wird es nach meinem Gefühl bei § 153a/477. Das ist quasi entgegengesetzt zu den Urteilen.
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Re: Berufsanfang Strafrecht am AG

Beitrag von Liz »


thh hat geschrieben:
Liz hat geschrieben:Also derartigen Schmarrn kenne ich nicht. Bei ALG II gibt es grds. 15 €,
Da sieht man mal ... Hier gibt es dafür nur 10 €, und bei größeren Tagessatzhöhen wird eher über weniger diskutiert. (Ist der ALG-Satz mittlerweile wirklich bei 450 € oder höher?)
Die Miete oder sonstige allgemeine Lebenshaltungskosten (Ausnahme natürlich Unterhaltsleistungen) werden hier grds. nicht abgezogen, dh ausgehend von min. ca. 700 € (Regelsatz + Miete) sind 15 € Tagessatzhöhe bereits vergleichsweise sehr niedrig, dh die übernommenen Mietkosten bleiben bereits weitgehend unberücksichtigt.

Im Übrigen bezog sich "Schmarrn" vornehmlich auf das Verhandeln der Tagessatzhöhe in Standardfällen.
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Re: Berufsanfang Strafrecht am AG

Beitrag von Jura2Punkt0 »

Ist hier nicht immer die Rede von den ominösen 70 % müssen als absolute Grenze des Existenzminimums verbleiben?

Es gibt ja verschiedene Bedarfssätze für Alleinstehende Verheiratete und Kinder, sowie Mehrbedarfe.
Die Ausführungen in den Schriftsätzen erschöpfen sich zudem über weite Teile in persönlichen Angriffen auf Angehörige der Justiz; sie sind weit überwiegend obszöner, vulgärer und beleidigender Natur.
BVerfG, v. 23.10.18 -2 BvR 2153/18-Rn.(6)
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Ara
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Re: Berufsanfang Strafrecht am AG

Beitrag von Ara »

Aber was ist denn die Folge bei euch? Der Verteidiger beantragt 12 Euro im Beschlussweg und dann? Wird dem Beschlusswege nicht zugestimmt und man setzt sich in eine HV in der man dann streitet ob 12 oder 15 Euro bei Hartz IV angemessen ist?

Das ist wieder so eine Sache wo ich mich am anderen Ende dann wundern würde... Wenn wir 20ts a 50 Euro haben... Der Verteidiger anregt, wegen ALG 2 dann 20x12 per Beschluss zu machen und die StA dann für !60! Euro Differenz eine Hauptverhandlung verlangt.

Auf Seiten des Gericht dann das gleiche... Da hasst einen doch das Beschwerdegericht, wenn man für 60 Euro die Rechtsmittel hochgeht... Vor allem ist die sofortige Beschwerde ja relativ günstig, da lohnt sich das für den Beschuldigten.
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Re: Berufsanfang Strafrecht am AG

Beitrag von Liz »

@Ara: Derartige Diskussionen lohnen sich aber ja auch aus Beschuldigtensicht nur, wenn die Aussicht besteht, tatsächlich die 12 € zu bekommen. Wenn allen klar ist, dass die Tagessatzhöhe in bestimmten Standardfällen grds. nicht zur Diskussion steht, dann ist auch der Umgang mit derartigen Ansinnen klar: es gibt die freundliche Antwort, dass man sich auf 15 € einigen könnte, weil es immer 15 € sind. Ich nehme an, wenn man das einmal erfolglos bis zum LG durchgezogen hat, sagt man seinen Mandanten lieber gleich „billiger als 15 € wird‘s nicht“.
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Re: Berufsanfang Strafrecht am AG

Beitrag von Swann »

Ara hat geschrieben: Dienstag 9. April 2019, 08:42 Aber was ist denn die Folge bei euch? Der Verteidiger beantragt 12 Euro im Beschlussweg und dann? Wird dem Beschlusswege nicht zugestimmt und man setzt sich in eine HV in der man dann streitet ob 12 oder 15 Euro bei Hartz IV angemessen ist?

Das ist wieder so eine Sache wo ich mich am anderen Ende dann wundern würde... Wenn wir 20ts a 50 Euro haben... Der Verteidiger anregt, wegen ALG 2 dann 20x12 per Beschluss zu machen und die StA dann für !60! Euro Differenz eine Hauptverhandlung verlangt.

Auf Seiten des Gericht dann das gleiche... Da hasst einen doch das Beschwerdegericht, wenn man für 60 Euro die Rechtsmittel hochgeht... Vor allem ist die sofortige Beschwerde ja relativ günstig, da lohnt sich das für den Beschuldigten.
Als Staatsanwaltschaft oder Spruchkörper bei Gericht hat man ja vielleicht den Anspruch, Gleiches gleich zu behandeln. Wenn man also der Auffassung ist, bei einer bestimmten, häufig wiederkehrenden, Einkommenssituation seien 15 € angemessen, dann wäre es ja kaum sachgerecht, auf Zuruf des Verteidigers daraus 12 € zu machen, wenn es keinen sachlichen Grund dafür gibt, außer dass man sich Arbeit ersparen möchte. Sind's dann nämlich beim nächsten Mal 12 €, dann schlägt der Verteidiger vor, 11 € rauszumachen etc.
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Ara
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Re: Berufsanfang Strafrecht am AG

Beitrag von Ara »

Liz hat geschrieben: Dienstag 9. April 2019, 08:57 @Ara: Derartige Diskussionen lohnen sich aber ja auch aus Beschuldigtensicht nur, wenn die Aussicht besteht, tatsächlich die 12 € zu bekommen. Wenn allen klar ist, dass die Tagessatzhöhe in bestimmten Standardfällen grds. nicht zur Diskussion steht, dann ist auch der Umgang mit derartigen Ansinnen klar: es gibt die freundliche Antwort, dass man sich auf 15 € einigen könnte, weil es immer 15 € sind. Ich nehme an, wenn man das einmal erfolglos bis zum LG durchgezogen hat, sagt man seinen Mandanten lieber gleich „billiger als 15 € wird‘s nicht“.
Ersteres stimmt natürlich. In Berlin zB weiß man, da gibts 15 Euro, da will man auch keine 12 Euro. Aber die meisten Bundesländer haben eine Spanne je nach Richter. Da klappt der "Erziehungsauftrag" gerade nicht, weil ich beim nächsten mal ja nicht weiß, wie der Richter so tickt.

Wie gesagt, ich habe noch nicht erlebt, dass jemand um die 12 Euro feilschen möchte. Auch solch eine Anfrage würde für Verwunderung bei mir sorgen, weil das vermutlich sowohl bei Gericht als auch bei mir mehr Kosten verursacht, als die 3 Euro extra pro Tagessatz. Ich denke mir dann immer, wenn bei mir ein Mandant mit 15 Euro Tagessatzhöhe kommt, sage ich ihm ja auch nicht "besteht die Chance auf 12 Euro, wir legen Einspruch ein", weil es schlicht unwirtschaftlich ist.

Vermutlich bekomme ich morgen die erste Anfrage, ob man nicht 15 Euro machen möchte... Vielleicht biete ich dann 14 Euro an :P
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Re: Berufsanfang Strafrecht am AG

Beitrag von PerryManson »

thh hat geschrieben: Montag 25. Februar 2019, 15:35 60 Sachen war (ist?) der übliche Eingang eines allgemeinen Zivildezernats. Wie das in Strafsachen aussieht: keine eigene Erfahrung.
In Zivilsachen ist der Eingang nur die halbe Wahrheit. Ebenso wichtig speziell beim AG ist die Quote der unstreitigen Erledigungen, die sich von Bezirk zu Bezirk sehr unterscheiden kann. Beim LG macht es natürlich einen Riesenunterschied, ob es um eine 5500 € Inkassosache oder Gewerberaumräumung handelt oder um eine fette Bausache etc.
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Re: Berufsanfang Strafrecht am AG

Beitrag von Liz »

@Ara: Man kann sich die Arbeit eben auch selbst machen. Natürlich macht es keinen Sinn sich um 3 € Tagessatzhöhe zu streiten, aber die Frage ist ja, wer nachgibt. Wenn man die Tagessatzhöhe wie auf dem Basar verhandelt, dann muss man sich auch nicht wundern, dass alle handeln wollen.
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