Nun, das BVerfG ist zumindest teilweise demokratisch legitimiert. Es existiert auch nur so, weil wir gerade eine funktionierende demokratische Legislative haben. Ein totalitäres System wäre gerade darauf angewiesen, weder Legislative noch Verfassungsgericht über der Exekutive zu dulden.Strich hat geschrieben: ↑Dienstag 31. März 2020, 13:31 Tibor Gretchenfrage zu exakt(!) diesem Problem: Wie hälst dus mit der Homoehe? Wenn das stimmt, was du sagst, dann sperrt m.E. Art 79 Abs. 1 S. 1 GG und Abs. 2 GG eine Auslegung der Verfassung an geänderten gesellschaftlichen Verhältnissen. Karlsruhe schwingt sich dann mit einer an "gesellschaftlichen Änderungen" orientierten Auslegung zum Oligarchen auf. Der mag hier konstitutionell eingekleidet sein (weil man ein bestimmtes Verfahren einhalten muss). Sie verweigern die Mitwirkung der Bevölkerung an der Verfassungsänderung, wenn sie meinen zu erkennen, was alle sowieso wollen. Um in deiner Argumentation zu bleiben: Wie können die 49 % Gegner (jetzt bezogen auf mein Beispiel) der Homoehe wissen, dass sie tatsächlich in der Minderheit waren. Letztlich entscheidet dann aber nicht mehr die Verfassung den Konflikt, sondern die "Erkenntnis" des Herrschers, in diesem Fall das BVerfG bzw. konkreter, die jeweiligen Richter, die entscheiden. M.E. lässt sich das mit de Herrschaft des Rechts auch nicht in Einklang bringen und ich verstehe einfach nicht, wie wir den Geist von Larenz/Canaris nicht loswerden. "Objektive Auslegung" ist das Tor zur Willkür desjenigen, der meint, schlauer als der Gesetzgeber/Verfassungsgeber zu sein.
Im konkreten Fall ist die Lösung auch nicht entweder subjektiv-historisch (originalism) oder objektive Auslegung nach einem gedachten Bürgerwillen, sondern sie liegt dazwischen. Natürlich legt das BVerfG nicht nach original meaning aus. Es übte sich aber bisher in sog. judidical self-restraint, um den Verdacht zu vermeiden selbst Politik zu treiben (vgl. BVerfGE 36, 1 und zuletzt die abweichenden Meinungen in BVerfGE 115, 320 oder 125, 260). Ob man sich selbst beschränkt in Karlsruhe ist selbst wieder eine Mehrheitsentscheidung und hängt natürlich von der Überzeugung der einzelnen Richter im Spruchkörper ab. Im konkreten Fall wäre ich gegen eine entsprechende Auslegung von Art. 6 (Ehe = Homoehe). Nach subjektiv historischer Auslegung ist das klar. Nach objektiver Auslegung dürfte es unklar sein, also müsste das Gericht sich in seiner Entscheidung beschränken, wenn die Frage insb. die Bürger in ganz persönlichen Belangen betrifft. Aber auch diese wäre nicht zwingend, denn die Bürger in einer nichtgleichgeschlechtlichen Ehe dürften allenfalls mittelbar von der Öffnung der Ehe zur Homoehe betroffen sein.
EDIT (jetzt erst die Anmerkung von Famulus gesehen): Und eine ganz andere Frage wäre es, ob ein Verstoß eines "einfachen Homoehegesetzes" dann wegen abweichender Auslegung des Art 6 GG "nichtig" sein müsste. Dies würde nämlich zugleich erfordern, dass man zu dem Auslegungsergebnis kommt, dass der "besondere Schutz der staatlichen Ordnung" auch eine Bevorzugung verlangt. Dazu wurde schon viel geschrieben.
Erstens: Nein, bei mir schafft die Demokratie nicht Freiheit. Demokratie ist ein Teil der "Gesamtfreiheit". Ohne Demokratie ist ein Teil der bürgerlichen Freiheiten nicht vorhanden.Strich hat geschrieben: ↑Dienstag 31. März 2020, 13:31 Erstens ist das Argument zirkulär, weil wir gerade darüber streiten, ob es einen formalen Freiheitsbegriff gibt: Bei dir "schafft" die Demokratie materielle Freiheit, bei mir nicht, sie begünstigt sie allenfalls. Zweitens: Was ist mit dem Gesetz, das Parlement abzuschaffen? Sagen wir, es wurde einstimmig in deinem Fall beschlossen. Entspricht das dann auch deiner Meinung nach der Freiheit der Bürger?
Zweitens: Die Frage ist längst beantwortet; da sie so einschneidend ist, kann diese Frage nicht durch Abgeordnete in mittelbarer Demokratie entschieden werden (siehe Ungarn gestern), vielmehr verlangt auch unser GG deshalb die Einhaltung (Art. 79 Abs. 3 GG) bis zu dem Fall des Art 146 GG, der wohl nur gegeben ist, wenn das Volk mittels direktdemokratischer Entscheidung sich eine neue Verfassung gibt.