Richterbesoldung

Für alle Fragen, die sich speziell für Richter, Staatsanwälte oder Verwaltungsbeamte ergeben, z.B. Bewerbung, Arbeitszeit, Laufbahnentwicklung, Wechsel des Bundeslandes oder der Gerichtsbarkeit usw.

Moderator: Verwaltung

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surcam
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Re: Richterbesoldung

Beitrag von surcam »

Ich habe das ganze nur überflogen, aber ich denke, ihr redet an einander vorbei. Der eine redet über eine mögliche neue Besoldungssystematik und der andere über die Rechtmäßigkeit der bisherigen.

Das BVerfG sagt zur bisherigen, dass dort die Grundbesoldung anhand eines vierköpfigen Haushalts zu berechnen ist, weil die Gesetzgeber dieses Modell zugrundelegen. Es überlässt es ihnen, ob sie daran festhalten.
Ein Teil der für Ehegatte und Kinder 1 und 2 zu zahlenden Beträge ist schon in die Grundbesoldung einbezogen worden. Dies ergibt sich aus der Rspr. zur Besoldung von Beamten/Richtern mit min. 3 Kindern.
Da nach der Rspr. die Berechnung der Mindestalimentation relativ fest vorgegeben ist, ergibt sich zwangsläufig daraus, dass zzt. alle Besoldungen verfassungswidrig sind.

Hiergegen könnten die Gesetzgeber etwas unternehmen, zum einen natürlich durch Anhebung aller Besoldungsgruppen, also auch der für Müllmänner und Krankenpfleger etc. oder durch Etablierung einer neuen Systematik. Letzteres dürfte einen großen Kraftakt und Aufwand darstellen, der nicht in kurzer Zeit möglich sein dürfte, sodass den Gesetzgebern zunächst nichts anderes übrig bleiben wird, als die Besoldung anzuheben, sollten sie gewillt sein, ihre Beamzen und Richter nicht verfassungswidrig zu niedrig zu alimentieren. Eine Anhebung von Zuschlägen dürfte dafür kaum genügen. Das BVerfG hat irgendwann mal deutlich gemacht, wenn ich mich recht erinnere, dass der Anteil der Grundbesoldung bei der vom Gesetzgeber zugrundegelegten Systematik (dem "Normalfall") den weit überwiegenden Anteil ausmachen muss.
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Tibor
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Richterbesoldung

Beitrag von Tibor »

Ja, zugegeben, ich hab die Diskussion am Anfang falsch eingeordnet. Aber seit dem Einstieg von Liz in die Diskussion wurde mir das klar. Spätestens ab meinem Beitrag von Donnerstag um 18:35 habe ich aber nur über grundlegende Neugestaltung gesprochen:
Do, 18:35 Und wie gesagt, dass ist die Segelanweisung für den Gesetzgeber. ...

Do, 19:23 Natürlich, wünschenswert wäre es. Das BVerfG hat ja auch für den Ortszuschlag freundliche Worte gefunden.
Und Joshua ist auch darauf eingegangen:
Do, 20:48 Der Gesetzgeber sollte danach differenzieren, ob der Richter in der Großstadt oder auf dem Land lebt.

Nein, sollte er nicht und wird er nicht.

Denn das widerstrebte fast allem, was das BVerfG will.
Wegen mir, ich hab ihn eben ab diesem Zeitpunkt aufs andere Gleis gesetzt.

Das muss ihm auch spätestens danach klar geworden sein, als ich schrieb:
Fr, 18:05 Aha. Und woraus ergibt sich das für die Zukunft?

Fr, 18:31 Deshalb frag ich ja. Du hast natürlich zutreffend erkannt, dass rückwirkend bzw für bestehende Beamtenverhältnisse das nicht einfach neu gemacht werden kann. Aber die anderen Erwägungen sind nicht in verfassungsfesten Stein gemeißelt. ...
Und alle meine Einwendungen betreffen Ansatzpunkte für eine Neuausgestaltung. Und der Verweis auf ausländische Besoldung von Richtern kann ja nun auch nicht anders verstanden werden.
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Re: Richterbesoldung

Beitrag von Theopa »

Mit großer Selbstverständlichkeit geht die Öffentlichkeit davon aus, dass RichterInnen nicht nur die fachliche Spitze der juristischen Profession bilden, sondern auch entsprechend besoldet werden, so dass das Amt als RichterIn ein Leben in relativem Wohlstand ermöglicht.
[...]
Tatsächlich jedoch bildet Deutschland mit seinen Richtergehältern im Vergleich aller Mitgliedstaaten des Europarates – jeweils gemessen am nationalen Durchschnittseinkommen – das Schlusslicht, und zwar nicht nur in Bezug auf die BerufsanfängerInnen, sondern auch in Bezug auf hohe Endämter.
Ersteres ist eben - kein persönlicher Angriff auf Richter sondern wieder reine Statistik - schon eine unzutreffende Prämisse, da Richter aktuell ein ganz normaler juristischer Beruf ist, der notenmäßig einem guten Drittel (vielleicht inzwischen auch mehr) der erfolgreichen Absolventen offen steht.

Beim zweiten Punkt sind die Einstiegsgehälter keine Vergleichsgrundlage, da es wohl kaum ein anderes Land mit 26-30-jährigen Richtern gibt.

Würden wir das System umstellen und für das Richteramt z.B. 10 Jahre Berufserfahrung als Anwalt o.Ä. voraussetzen (fände ich prinzipiell gut) und zugleich die Anzahl der Richter durch eine deutliche Reduktion der Größe von Kammern/Senaten und mehr Laienrichter verändern müssten die Zahlen natürlich anders aussehen, das Einstiegs- sowie in der Konsequenz auch das Endgehalt könnte und müsste dann deutlich höher sein.
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Re: Richterbesoldung

Beitrag von stilzchenrumpel »

Theopa hat geschrieben: Sonntag 6. Dezember 2020, 08:25 Ersteres ist eben - kein persönlicher Angriff auf Richter sondern wieder reine Statistik - schon eine unzutreffende Prämisse, da Richter aktuell ein ganz normaler juristischer Beruf ist, der notenmäßig einem guten Drittel (vielleicht inzwischen auch mehr) der erfolgreichen Absolventen offen steht.
Unter 16 p wird es weiterhin schwierig, in manchen BL auch weiterhin eher unmöglich, dass das auf "ein Drittel" zutrifft wäre mir unbekannt.

Theopa hat geschrieben: Sonntag 6. Dezember 2020, 08:25 Beim zweiten Punkt sind die Einstiegsgehälter keine Vergleichsgrundlage, da es wohl kaum ein anderes Land mit 26-30-jährigen Richtern gibt.
Falsch, im Grunde jedes civil law Land rekrutiert Richter im Grunde unmittelbar aus den Absolventen.
Theopa hat geschrieben: Sonntag 6. Dezember 2020, 08:25 Würden wir das System umstellen und für das Richteramt z.B. 10 Jahre Berufserfahrung als Anwalt o.Ä. voraussetzen (fände ich prinzipiell gut)
Berufserfahrung als Richter ist einschlägig. Das Lernen von Kollegen, gerade an Kollegialgerichten in einer Kammer, halte ich für wertvoller.
Hier gibt es nichts zu sehen, ich trolle nur.
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Re: Richterbesoldung

Beitrag von gola20 »

thh hat geschrieben: Samstag 5. Dezember 2020, 23:34
gola20 hat geschrieben: Samstag 5. Dezember 2020, 20:30Ich glaube es wird sich nie was ändern.
vgl. https://www.zeit.de/1965/52/das-karge-b ... rs/seite-1
Es hat sich doch etwas geändert: Richter am Amtsgericht werden eben nicht mehr nach A13/A14 besoldet, sondern nach R1/R1Z. Das ist ein ganz erheblicher Unterschied.
ging mir eher um die schon immer zu geringe Besoldung
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Tibor
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Re: Richterbesoldung

Beitrag von Tibor »

stilzchenrumpel hat geschrieben: Falsch, im Grunde jedes civil law Land rekrutiert Richter im Grunde unmittelbar aus den Absolventen.
Dazu gehört aber auch, dass der Volljuristen-Ansatz dann eher untypisch ist und idR nach dem Studium schon sortiert wird. Es gibt in vielen Ländern gar keine Möglichkeit eines Wechsels nach Berufsbeginn.

Zur Wahrheit gehört auch, dass Richter (StA mal außen vor gelassen) in vielen Aufgaben nur als Edelbeamte genutzt werden. Was es nicht überall für Richtervorbehalte (iwS) gibt, sei es im Familien- oder Erbrecht, generell im Bereich FamFG, aber auch Strafrecht vor Prozess oder generell Registersachen, Prozesskostenhilfeentscheidungen etc pp. Natürlich machen das hier aus guten Gründen die Richter, aber man muss dann eben auch sehen, dass durch „niedere Arbeiten“ eine Amtsangemessenheit eben niedriger anzusetzen ist.
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Re: Richterbesoldung

Beitrag von Liz »

Theopa hat geschrieben: Sonntag 6. Dezember 2020, 08:25 Würden wir das System umstellen und für das Richteramt z.B. 10 Jahre Berufserfahrung als Anwalt o.Ä. voraussetzen (fände ich prinzipiell gut) und zugleich die Anzahl der Richter durch eine deutliche Reduktion der Größe von Kammern/Senaten und mehr Laienrichter verändern müssten die Zahlen natürlich anders aussehen, das Einstiegs- sowie in der Konsequenz auch das Endgehalt könnte und müsste dann deutlich höher sein.
Zur vorherigen Berufserfahrung als Anwalt: siehe Stilzchenrumpel. Man darf hier nicht den Fehler machen und Berufsanfänger frisch aus dem Ref mit Berufsanfängern mit 10-jähriger Berufserfahrung als Anwalt vergleichen und dabei glauben, die ggf hochspezialisierte Berufserfahrung als Anwalt verschaffe einem in allen Bereichen der Justiz einen entscheidenden Vorteil (außer, dass man allgemein etwas älter und vielleicht auch etwas weiser ist). Ein 35-jähriger Richter mit 5 Jahren Berufserfahrung als Richter ist sicherlich besser als ein 40-jähriger Proberichter mit 10 Jahren Berufserfahrung als Anwalt und null Erfahrung als Richter.

Zur Reduzierung der Anzahl der Richter: Der Trend geht ja gerade im Zivilprozess zu eher mehr Kammerzuständigkeiten, wobei in der Praxis regelmäßig von der Übertragungsmöglichkeit auf den Einzelrichter Gebrauch gemacht wird. Ich weiß jetzt auch nicht, wo hier das große Einsparungspotential sein soll und inwieweit Laienrichter Berufsrichter ersetzen können sollten (mal ganz davon abgesehen, dass auch Laienrichter irgendwoher kommen müssen). Am ehesten wird man noch mehr Richteraufgaben im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit auf Rechtspfleger übertragen können, aber Rechtspfleger sind auch eher Mangelware und das Einsparungspotential dürfte insgesamt doch eher überschaubar sein. Wenn man meint, im Strafprozess Berufsrichter einsparen zu können, dann wahrscheinlich eher durch eine Beschleunigung und Straffung von Strafverfahren als durch eine weitere Reduzierung der Anzahl der Berufsrichter in der Verhandlung. Ab einer gewissen Komplexität der Verfahren und Schwere der zugrundeliegenden Taten ist es einfach angemessen, dass sich damit zwei oder ggf auch drei Berufsrichter befassen.
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Re: Richterbesoldung

Beitrag von Tibor »

Ja, ich denke auch, dass Einsparungen nur auf Ebene der FamFG oder Registersachen möglich sind; ansonsten nur durch Straffung von Instanzenzügen oder Beschränkungen der Amtsermittlung im Verwaltungsrecht oder gar Beschränkung durch höhere Gerichtskosten, insb im Arbeits- und SozialR, bei Kleinbetragsverfahren. Oder man macht dann Kleinkriminalität wie bei Frank Caprio im Accord.
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Re: Richterbesoldung

Beitrag von Liz »

Im Zivilprozess könnte man sicherlich die Berufungsgrenze von 600 € auf zeitgemäßere 1.000 € oder 1.500 € anheben, aber der ganz große Befreiungsschlag ist das dann auch noch nicht, sondern würde nur den Berufungsgerichten einige Berufungen in Bagatellfällen ersparen.
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Re: Richterbesoldung

Beitrag von Tibor »

Man müsste wohl insbesondere im Straf- und Sozialrecht umsteuern. Klage wegen 100€ Hartz4 Leistungen ohne Kostenrisiko und am besten noch mit staatlich finanziertem Anwalt? Das hab ich noch nie verstanden. Wenn man Staatsanwaltschaften wirklich weisungsunabhängig gestalten würde, dann könnte man sicherlich auch hier und dort einen Richtervorbehalt für Ermittlungsmaßnahmen streichen. Und Kleinkriminalität müsste wohl noch konsequenter aufs Bußgeldverfahren geschoben werden und dann nur mit Einspruchsmöglichkeit ab bestimmten Größen. Ich hab noch nie verstanden, warum es Bußgelder > 10.000€ von einem Verwaltungsbeamten des gehobenen Dienstes geben kann und gleichzeitig beschäftigen sich StA und Richter um die Bestrafung eines Schwarzfahrers mit 120 Tagessätzen á 5€.
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Joshua
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Re: Richterbesoldung

Beitrag von Joshua »

Leider wird weiter mit unhaltbaren Behauptungen gearbeitet.

Diese erfordern Richtigstellung und ganz viel "myth busting":

1. Tibor: Der Gehaltsvergleich mit Großkanzleien sei verfehlt. Beziehe man andere, weniger lukrativere berufliche Laufbahnen oder (frühe) Wechsel aus den Großkanzleien heraus von (Spitzen-) Absolventen mit ein, löse sich das Gehaltsdelta "privat - Staatsdienst" auf oder relativiere sich jedenfalls (so dem Sinn nach).

a) Erst einmal darf die Bedeutung dieses Vergleichs nicht verkannt werden. Das BVerfG betont deutlich, dass "der Vergleich mit den Entlohnungssystemen in der Privatwirtschaft" auf der "zweiten Prüfungsstufe in die notwendige Gesamtabwägung einbezogen wird (vgl. BVerfGE 139, 64 <124 Rn. 124>; 140, 240 <293 Rn. 107>)". Damit ist dieser Punkt zwingend zu prüfen.

Und:
Ob die Alimentation in einem Amt, das für überdurchschnittlich qualifizierte Kräfte attraktiv sein soll, angemessen ist, zeigt auch ein Vergleich der Besoldungshöhe mit den durchschnittlichen Bruttoverdiensten sozialversicherungspflichtig Beschäftigter mit vergleichbarer Qualifikation und Verantwortung in der Privatwirtschaft, wobei die Besonderheiten des Status und des beamtenrechtlichen Besoldungs- und Versorgungssystems nicht außer Acht gelassen werden dürfen (vgl. BVerfGE 130, 263 <294>; 139, 64 <124 Rn. 124>; 140, 240 <293 Rn. 107>).


Quelle: BVerfG, Beschluss vom 04. Mai 2020 - 2 BvL 4/18.

b) Nun zur Anwendung des Kriteriums: Das BVerfG wird hier sehr konkret, indem es ausführt:
Gegenüberstellungen mit Vergleichsgruppen außerhalb des öffentlichen Dienstes führen im Rahmen der Gesamtabwägung zu keiner anderen Bewertung. Das Statistische Bundesamt hat im Ausgangsverfahren eine Auskunft zum Vergleich der Besoldung von Richtern und Staatsanwälten in Berlin mit den Gehältern erteilt, die mit vergleichbarem Qualifikationsniveau in der Privatwirtschaft erzielt worden sind. Danach hatten im Jahr 2006 86 % der vergleichbaren Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft einen höheren Verdienst als ein Berufsanfänger der Besoldungsgruppe R 1; im Jahr 2010 waren es 92 %. Selbst wenn man die Besoldung der Endstufe zugrunde legt, die nach mehr als 20 Berufsjahren erreicht wird, verfügten im Jahr 2006 40 % der vergleichbaren Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft über ein höheres Einkommen; im Jahr 2010 war der Anteil auf 51 % gestiegen. In der Vergleichsgruppe der Angestellten mit juristischen Berufen verdienten 85 % (2006) beziehungsweise 93 % (2010) mehr als ein Berufsanfänger im Bereich der Justiz. In 55 % (2006) beziehungsweise 65 % (2010) der Fälle lag das Einkommen auch über den Bezügen in der Endstufe der Besoldungsgruppe R 1.
Es relativierte sich hier also nichts.

2. Tibor: Der Vergleich mit den Gehältern im europäischen Ausland sei argumantativ nicht valide, da es an einem gemeinsamen europäischen Arbeitsmarkt für Juristen fehle.

Auch eine Nebelkerze erster Güte. Ja, es fehlt an einem solchen Arbeitsmarkt. Und nein, der Vergleich ist trotzdem valide, weil er andere Funktionen haben kann, namentlich diejenige, in einem (in anderen Kotexten von anderen Usern so hochgeschätzten) "Blick über den Tellerrand" aufzuzeigen, welche Bedeutung wir der Justiz - gemessen an den Gehältern - in Relation zu anderen europäischen Staaten beimessen.

In der mündlichen Verhandlung vor dem BVerfG soll das EU-Vergleichsargument eine tragende Rolle gespielt haben. Und auch ein Klammerzusatz im Urteil selbst verifiziert dies:
Die Art und Weise der Regelung von Besoldung und Versorgung des Richters sind von ganz erheblicher Bedeutung für das innere Verhältnis zu seinem Amt und für die Unbefangenheit, mit der er sich seine richterliche Unabhängigkeit bewahrt (vgl. BVerfGE 26, 141 <155 f.>). Durch die Festlegung der Besoldung in angemessener Höhe wird gewährleistet, dass der Richter unabhängig nach Gesetz und Gewissen entscheiden kann (vgl. BVerfGE 107, 257 <274 f.>; 139, 64 <122 Rn. 121>; vgl. zur internationalen Perspektive zuletzt die Studie der European Commission for the Efficiency of Justice „European judicial systems – Efficiency and quality of justice“ des Europarates Nr. 26 <2018; Daten von 2016>, wonach sich die Richterbesoldung in Deutschland wie schon in den Vorjahren verglichen mit dem durchschnittlichen Bruttojahresgehalt am unteren Ende aller Mitgliedstaaten des Europarates bewegt).
Quelle: BVerfG, Beschluss vom 04. Mai 2020 - 2 BvL 4/18.

3. Anderer Nutzer: Der europäische Vergleich sei hinfällig, da es nur in Deutschland 26-30-Jährige Richter gebe.

Durch ständige Wiederholung dieses Arguments wird es weder besser noch wahrer.

Es ist SCHLICHT FALSCH.

Beispiel Schweden:
bullet Schweden

Für die Berufslaufbahnen als Richter, Staatsanwalt, Gerichtsvollzieher, Notar oder Chef der Polizei muss eine Referendarausbildung absolviert werden. In der Praxis sind auch bei anderen Arbeitgebern Juristen mit Referendariat gefragt. Diese wird an einem Gericht erster Instanz absolviert (Tingsrätt - etwa Amtsgericht-Landgericht - oder Länsrätt - etwa Verwaltungsgericht -).

Nur 40 % der Studienabgänger gelingt es, einen Referendariatsplatz zu erhalten. Die Plätze werden hauptsächlich nach den Studiennoten verteilt. Zusatzqualifikationen spielen nur eine geringe Rolle. Bei der Bewerbung legt der junge Jurist die etwa 20 Einzelnoten vor, die er im Laufe seines Studiums erhalten hat; eine Gesamtnote lässt sich wohl errechnen, wird von der Universität aber formal nicht erteilt.

Das Ziel der Referendarausbildung ist nur teilweise, den Referendar auszubilden. Das Referendariat wird nicht als postakademische Ausbildung verstanden, zu der alle juristischen Hochschulabsolventen Zugang haben. Stattdessen wird darunter eher eine Art "training on the job" verstanden. Folglich richtet sich die Zahl der Referendariatsplätze nach dem Bedürfnis der Gerichte nach solcher Arbeitskraft.

Der Dienst umfasst 2,5 Jahre. Die genauen Arbeitsaufgaben werden vom jeweiligen Gericht in einem Ausbildungsplan vorgeschrieben. Diese sind je nach Größe des Gerichts (Tingsrätter haben zwischen 1 und 100 Richtern). Allgemein lässt sich aber sagen, dass Prozesserfahrung gesammelt und Übung in der Methodik der Falllösung vermittelt wird. Einen großen Teil seiner Arbeit widmet der Referendar am Tingsrätt der Protokollführung, der Vorberetung von einfachen Prozessen, dem Anfertigen von Gutachten, der Teilnahme an der Urteilsberatung des Gerichts und der Errichtung von eigenen Urteilsvorschlägen.

Ein Referendar darf normalerweise nach einer Dienstzeit von 6 Monaten einfachere Aufgaben auf eigene Verantwortung ausführen. Nach 1,5 Jahren erfolgt ein nochmalige Ausweitung der Kompetenzen. Unter anderem dürfen Referendare Strafsachen, bei denen nur eine Geldstrafe in Betracht kommt und Ehescheidungen, die beide Ehegatten beantragt haben, durchführen. 3- 6 Monate der Zeit sollen am Grundbuchamt verbracht werden. Am Lansrätt dürfen Referendare nach 6 Monaten einfachere Steuer- und Führerscheinsachen auf eigene Verantwortung bearbeiten.

Verantwortlich für die Ausbildung ist grundsätzlich der Gerichtspräsident. Arbeitet der Referendar im Geschäftsbereich eines Richters, so hat dieser ihm Führung und Anweisungen zu erteilen als auch seine Arbeit zu beurteilen. Es gibt keine Prüfungen im eigentlichen Sinne, sondern nur diese fortlaufende Bewertung durch einen Richter. Der Referendar bekommt am Ende seines Dienstes ein Zeugnis ausgestellt, in dem seine Qualifikationen beschrieben werden.
Beispiel Belgien:
Es gibt zwei verschiedene Wege, um in Belgien Richter zu werden. Der erste richtet sich an junge Universitätsabsolventen. Sie müssen eine dreijährige Ausbildung durchlaufen, davon 18 Monate bei der Staatsanwaltschaft, 3 Monate bei entweder einem Anwalt, einem Notar oder im Strafvollzug und 15 Monate bei Gericht. Parallel dazu findet eine theoretische Ausbildung statt in Form von Unterricht und einem einwöchigen Seminar, bei dem sich alle Kandidaten des Landes treffen.

Der zweite Weg richtet sich an erfahrene Juristen aus anderen Berufszweigen, die mittels eines Eingangstest und einer "Umschulung" direkt Richter werden können.

Am 31.03.2004 hat die Justizministerin Laurette Onkelinx die Einrichtung eines dritten Weges vorgeschlagen. Juristen mit einer sehr langen Berufserfahrung (mindestens 20 Jahre) sollen allein mittels einer mündlichen Prüfung den Zugang zur Richterschaft erhalten, da die Erfahrung zeige, dass diese Gruppe mit großer Berufserfahrung kaum die Mühen traditioneller Examina auf sich nimmt.
Quelle je: http://www.europaeische-juristenausbild ... fttext.htm

4. Anderer Nutzer: Nur in Deutschland gebe es so viele Richter, dass praktisch alles vor die Gerichte komme. In anderen Länder seien Richter (und Verfahren vor Gerichten) exklusive Raritäten. Daher dürfe dort auch die Besoldung "besonders" sein.

Auch falsch.

Vgl. einerseits: Number of incoming civil, commercial, administrative and other cases, 2012 – 2018 (*) (1st instance/per 100 inhabitants):

Wir sind da weiter unten.

Und zu der Anzahl der Richter:

Number of judges, 2012-2018 (*) (per 100,000 inhabitants)

Wir sind da im Mittelfeld.

Quelle: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/HTML/?uri=CELEX:52020DC0306&from=EN (Verwaister Link automatisch entfernt)

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Re: Richterbesoldung

Beitrag von Liz »

@Tibor:

Beim Richtervorbehalt für Ermittlungsmaßnahmen ist es allerdings bereits heute so, dass die StA die unterschriftsreifen Entwürfe liefert und der Ermittlungsrichter nach mehr oder weniger gründlicher Prüfung nur noch unterschreiben muss. Hier mag man sicherlich einiges auf die StA übertragen können, aber zahlenmäßig dürfte sich der Effekt wahrscheinlich auch in Grenzen halten: Beim AG Tiergarten entfallen 5,75 AKA auf die Ermittlungsrichter und nochmals 6 AKA auf die Bereitschaftsrichter am T-Damm, die tlw. auch Ermittlungsrichtersachen machen. Ich glaube, selbst wenn man sehr kräftig streicht, wird man beim AG Tiergarten nicht mehr als 3 AKA einsparen können. Beim durchschnittlichen deutschen Kleinstadtamtsgericht dann vielleicht 0,2 AKA.

Bzgl. Kleinkriminalität: Auch wenn man die Verfahren als Ordnungswidrigkeitsverfahren führte, müsste sich damit am Ende ein Richter befassen. Nach meinem Eindruck werden die Verfahren meist auch relativ effizient geführt: für den Strafbefehl / die Anklage gibts Muster, in nur noch die Daten eingesetzt werden müssen, dh das ist eine Sache von 5-15 Minuten. Für die Unterschrift des Strafbefehls braucht ein routinierter Strafrichter wahrscheinlich keine 5 Minuten. Wenn es zur Hauptverhandlung kommt, geht das bei einem erfahrenen Strafrichter auch ratzfatz.

Wenn man wirklich Richter einsparen möchte, dann wohl am ehesten durch eine Beschneidung von Rechtsmittelmöglichkeiten, durch höhere Gebühren (Problem jedoch: Rechtsschutzversicherungen und PKH ermöglichen viele [z. T. auch wenig aussichtsreiche] Prozesse) und durch die Erhöhung der Anforderungen an den Vortrag der Parteien und striktere Ausschlussfristen bei verspätetem Vortrag. Das muss man dann aber auch politisch wollen.
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Re: Richterbesoldung

Beitrag von Tibor »

Joshua hat geschrieben: Diese erfordern Richtigstellung und ganz viel "myth busting":

1. Tibor: Der Gehaltsvergleich mit Großkanzleien sei verfehlt. Beziehe man andere, weniger lukrativere berufliche Laufbahnen oder (frühe) Wechsel aus den Großkanzleien heraus von (Spitzen-) Absolventen mit ein, löse sich das Gehaltsdelta "privat - Staatsdienst" auf oder relativiere sich jedenfalls (so dem Sinn nach). ...

Es relativierte sich hier also nichts.
Und was ist mit den Pensionsansprüchen? Ich halte es für verfehlt, wenn man nur eine Punktbetrachtung vornimmt, am besten noch zum Berufseinstieg!
2. Tibor: Der Vergleich mit den Gehältern im europäischen Ausland sei argumantativ nicht valide, da es an einem gemeinsamen europäischen Arbeitsmarkt für Juristen fehle.

Auch eine Nebelkerze erster Güte. Ja, es fehlt an einem solchen Arbeitsmarkt. Und nein, der Vergleich ist trotzdem valide, weil er andere Funktionen haben kann, ...

„Durch die Festlegung der Besoldung in angemessener Höhe wird gewährleistet, dass der Richter unabhängig nach Gesetz und Gewissen entscheiden kann ...“

...
Es ist keine Nebelkerze, weil das Lohn- und Gehaltsgefüge und die Bedeutung der Justiz in allen Staaten anders ist.

Und was du anführst hat 0,0 mit Auslandsvergleich zu tun, den du selbst angeführt hast, also das Zitat der NRV

„Deutschland ist danach das einzige Land, in dem ein Richteranfangsgehalt mit dem Faktor 0,9 im Ergebnis sogar unter dem nationalen Durchschnittseinkommen liegt.“

Das dürfte an einer fehlerhaften Bruttogehaltsbetrachtung liegen. Natürlich haben Richter/Beamte ein geringeres Brutto, weil es keine SV Abzüge für Altersvorsorge gibt. Zudem ist die Altersversorgung mehr als üppig. Wenn man das bereinigt, dürfte R1 zum Start ganz sicher über dem Durchschnittseinkommen liegen. Wie gesagt, um die 3.100€ Netto (R1, Stufe1, StKl 1, NRW nach Abzug 280€ PKV) zu erhalten, gibt es dort ein Brutto von knapp 4.500€. Wenn du als Angestellter RA 3.100€ haben willst, brauchst du ein SV-pflichtiges Brutto von ca 5.300€. Wenn man annimmt, dass die Höherversorgung durch den RA mit 200€ Nettosparrate ausgeglichen werde kann, bräuchte er also 3.300 € netto bzw ca 5.700€ Bruttogehalt!

Und ich glaube nicht, dass 5.700€ 0,9 vom Durchschnittseinkommen beträgt; also Durchschnittseinkommen 6.300€!

Das meine Annahme (Äpfel-Birnen-Vergleich) richtig ist, ergibt sich aus kolportierten Durchschnittseinkommen: 4.000€ mtl:

https://www.handelsblatt.com/unternehme ... 28226.html
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Re: Richterbesoldung

Beitrag von thh »


Tibor hat geschrieben: Ich hab noch nie verstanden, warum es Bußgelder > 10.000€ von einem Verwaltungsbeamten des gehobenen Dienstes geben kann und gleichzeitig beschäftigen sich StA und Richter um die Bestrafung eines Schwarzfahrers mit 120 Tagessätzen á 5€.
Das tut der Richter ja nur bei einem Einspruch gegen den Strafbefehl; und das ist bei einem Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid auch nicht anders. Und da geht es in Masse eben nicht um 10.000 €, sondern praktisch ausschließlich um Strassenverkehrs-Ordnungswidrigkeiten, die bekanntlich mit vergleichsweise niedrigen, in der Regel allenfalls dreistelligen Beträgen geahndet werden. Jedenfalls bei der Verhängung eines Fahrverbots, aber auch bei "Punkten", geht das trotzdem oft durch zwei Instanzen, auch wenn es nicht um 120 TS, sondern um nur 120 € geht. Und die Anforderungen an die Sachaufklärung und die Abfassung der Urteilsgründe sind so niedrig nicht - man vergleiche die Rechtsprechung zur Akteneinsicht in und Beiziehung von Eich- und Fortbildungsnachweisen, Bedienungsanleitungen, Fotos und ggf. Rohdaten der gesamten Messreihe usw. Gegen den dort betriebenen Aufwand ist eine Hauptverhandlung wegen "Schwarzfahrens", aber auch Ladendiebstahls, ja oft genug auch räuberischen Ladendiebstahls nicht selten ein Witz.
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Gesetze mit Rechtsprechungsnachweisen und Querverweisen? https://dejure.org/ - pers. Merkliste u. Suchverlauf
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Re: Richterbesoldung

Beitrag von Joshua »

Tibor hat geschrieben: Sonntag 6. Dezember 2020, 15:50
Das dürfte an einer fehlerhaften Bruttogehaltsbetrachtung liegen. Natürlich haben Richter/Beamte ein geringeres Brutto, weil es keine SV Abzüge für Altersvorsorge gibt. Zudem ist die Altersversorgung mehr als üppig. Wenn man das bereinigt, dürfte R1 zum Start ganz sicher über dem Durchschnittseinkommen liegen. Wie gesagt, um die 3.100€ Netto (R1, Stufe1, StKl 1, NRW nach Abzug 280€ PKV) zu erhalten, gibt es dort ein Brutto von knapp 4.500€. Wenn du als Angestellter RA 3.100€ haben willst, brauchst du ein SV-pflichtiges Brutto von ca 5.300€. Wenn man annimmt, dass die Höherversorgung durch den RA mit 200€ Nettosparrate ausgeglichen werde kann, bräuchte er also 3.300 € netto bzw ca 5.700€ Bruttogehalt!
Mit dem Punkt hast du - für sich betrachtet - recht. Ich folge da sowohl deinen Grundannahmen als auch den Berechnungsergebnissen.
Aber das ändert i.E. nichts in der rechtlichen Argumentation, schon deswegen, weil es die Berechtigung des Ansatzes nicht mindert, in europäische Nachbarländer zu blicken, um die dortige Relation Richtergehalt - Durchschnittsgehalt festzustellen. Denn auch in anderen Ländern Europas gibt es Pensionssysteme für diese Berufsgruppe.

Interessant ist auch, wie selektiv du vorgehst. Zu allen anderen widerlegten Punkten deiner Argumentationskette und der deiner Argumentationunterstützer (und da waren echte FAKE NEWS dabei, die man als Mod. schon von sich aus richtig stellen sollte, s. meinen Beitrag zuvor) sagst du NICHTS.

Es bleibt hier bei meinem letzten großen Beitrag, ich klinke mich jetzt aus.

„In der internationalen Politik geht es nie um Demokratie oder Menschenrechte. Es geht um die Interessen von Staaten. Merken Sie sich das, egal, was man Ihnen im Geschichtsunterricht erzählt.“
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