Aktuelles aus dem Öffentlichen Recht

Staatsrecht, Allgemeines und Besonderes Verwaltungsrecht (Bau-, Kommunal-, Polizei- und Sicherheitsrecht, BImSchG etc.)

Moderator: Verwaltung

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thh
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Re: Aktuelles aus dem Öffentlichen Recht

Beitrag von thh »

Blaumann hat geschrieben: Donnerstag 15. April 2021, 22:30
thh hat geschrieben: Donnerstag 15. April 2021, 19:12 Wie sollte man sich denn auch eine Übergangsregelung vorstellen, wenn dem Gesetzgeber die Gesetzgebungskomnpetenz fehlt? Die verfassungswidrige Vorschrift bleibt in Kraft, bis das Land Berlin die Materie - ebenfalls verfassungswidrig - neu regelt?
Zum Beispiel hätte es die Verfassungswidrigkeit nur ex nunc feststellen können, um die Härten für die betroffenen Mieter abzumildern.
Den Weg dahin verstehe ich nicht so ganz.
Blaumann hat geschrieben: Donnerstag 15. April 2021, 22:30Will das aber gar nicht kritisieren. Ich halte diese Tendenz des BVerfG, verfassungswidrigem Recht aus politischen Gründen zur zeitweiligen Geltung zu verhelfen, ohnehin für ein Unding. Es war mir nur aufgefallen, zumal es das BVerfG sogar ohne Anlass noch extra betont hat.
Es geht doch nicht um politische Gründe. Wäre der (landesrechtliche) Mietendeckel nicht grundsätzlich verfassungswidrig, dann wäre es geboten gewesen, dem Gesetzgeber eine Frist zur verfassungskonformen Neuregelung einzuräumen, weil es niemandem hilft, den Mietendeckel für verfassungswidrig zu erklären mit allen damit verbundenen Folgen, nur damit er nach ein paar Monaten wieder neu eingeführt wird.

Das geht aber nun nicht, wenn es gar keine Möglichkeit gibt, die Frage verfassungskonform neu zu regeln. Wie das BverfG selbst auf seinen Webseiten erläutert: "Dies geschieht insbesondere dann, wenn der Gesetzgeber verschiedene Möglichkeiten zur Beseitigung des Verfassungsverstoßes hat oder wenn die Nachteile des sofortigen Außerkrafttretens der Rechtsnorm größer sind als die Nachteile einer übergangsweisen Weitergeltung." Wenn es keine Möglichkeit zur Beseitigung des Verfassungsverstoßes gibt und auch keinen "Übergang", dann bleibt eben nur die Nichtigerklärung als Regelfall.

Es ist ja nun auch nicht so, als könnte das jemanden ernsthaft überraschen. Dem Land Berlin steht es ja im Übrigen frei, zur Abwendung von Härten für die Mieter einzuspringen und die Mietrückstände zu übernehmen. Es kann schließlich nicht angehen, dass man als Journalist jetzt wieder 20 EUR/qm statt 9 EUR/qm für seine Wohnung bezahlen muss oder als Ministeriumssprecherin die schnuckelige Zweitwohnung in Berlin nicht zu halten ist. Irgendwo muss der Kapitalismus auch Grenzen finden!
stilzchenrumpel
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Re: Aktuelles aus dem Öffentlichen Recht

Beitrag von stilzchenrumpel »

Blaumann hat geschrieben: Donnerstag 15. April 2021, 22:30
thh hat geschrieben: Donnerstag 15. April 2021, 19:12
Blaumann hat geschrieben: Donnerstag 15. April 2021, 10:25Keine Übergangsregelung.
Wie sollte man sich denn auch eine Übergangsregelung vorstellen, wenn dem Gesetzgeber die Gesetzgebungskomnpetenz fehlt? Die verfassungswidrige Vorschrift bleibt in Kraft, bis das Land Berlin die Materie - ebenfalls verfassungswidrig - neu regelt?
Zum Beispiel hätte es die Verfassungswidrigkeit nur ex nunc feststellen können, um die Härten für die betroffenen Mieter abzumildern.

Will das aber gar nicht kritisieren. Ich halte diese Tendenz des BVerfG, verfassungswidrigem Recht aus politischen Gründen zur zeitweiligen Geltung zu verhelfen, ohnehin für ein Unding. Es war mir nur aufgefallen, zumal es das BVerfG sogar ohne Anlass noch extra betont hat.
Das setzt voraus, dass lediglich die Unvereinbarkeit und nicht Nichtigkeit festgestellt worden wäre. Aber eine unvereinbare Regelung kann ggfs. nachgebessert werden. Das ist hier schlicht nicht der Fall. Es ist ja auch nicht ausgeschlossen, dass es im Einzelfall Härten für Vermieter gab.
Hier gibt es nichts zu sehen, ich trolle nur.
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Blaumann
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Re: Aktuelles aus dem Öffentlichen Recht

Beitrag von Blaumann »

thh hat geschrieben: Freitag 16. April 2021, 00:19
Blaumann hat geschrieben: Donnerstag 15. April 2021, 22:30
thh hat geschrieben: Donnerstag 15. April 2021, 19:12 Wie sollte man sich denn auch eine Übergangsregelung vorstellen, wenn dem Gesetzgeber die Gesetzgebungskomnpetenz fehlt? Die verfassungswidrige Vorschrift bleibt in Kraft, bis das Land Berlin die Materie - ebenfalls verfassungswidrig - neu regelt?
Zum Beispiel hätte es die Verfassungswidrigkeit nur ex nunc feststellen können, um die Härten für die betroffenen Mieter abzumildern.
Den Weg dahin verstehe ich nicht so ganz.
Wenn es im Rahmen der Unvereinbarkeitserklärung möglich sein soll, verfassungswidrigen Regelungen für die Vergangenheit und für die Zukunft bis zum Stichtag zur Geltung zu verhelfen, warum sollte es dann nicht erst recht nur für die Vergangenheit möglich sein?
Das geht aber nun nicht, wenn es gar keine Möglichkeit gibt, die Frage verfassungskonform neu zu regeln. Wie das BverfG selbst auf seinen Webseiten erläutert: "Dies geschieht insbesondere dann, wenn der Gesetzgeber verschiedene Möglichkeiten zur Beseitigung des Verfassungsverstoßes hat oder wenn die Nachteile des sofortigen Außerkrafttretens der Rechtsnorm größer sind als die Nachteile einer übergangsweisen Weitergeltung." Wenn es keine Möglichkeit zur Beseitigung des Verfassungsverstoßes gibt und auch keinen "Übergang", dann bleibt eben nur die Nichtigerklärung als Regelfall.
Du zitierst doch die zweite Möglichkeit selbst. Entweder verschiedene Beseitigungsmöglichkeiten des Gesetzgebers oder die Nachteile des sofortigen Außerkrafttretens überwiegen die Nachteile der übergangsweisen Weitergeltung. Das BVerfG selbst hat übrigens im Beschluss ausgeführt, dass für eine Unvereinbarkeitsregelung "kein Anlass" bestünde. Daraus folgt, dass sie durchaus möglich gewesen wäre.
Es ist ja nun auch nicht so, als könnte das jemanden ernsthaft überraschen. Dem Land Berlin steht es ja im Übrigen frei, zur Abwendung von Härten für die Mieter einzuspringen und die Mietrückstände zu übernehmen. Es kann schließlich nicht angehen, dass man als Journalist jetzt wieder 20 EUR/qm statt 9 EUR/qm für seine Wohnung bezahlen muss oder als Ministeriumssprecherin die schnuckelige Zweitwohnung in Berlin nicht zu halten ist. Irgendwo muss der Kapitalismus auch Grenzen finden!
Die Polemik kann ich nicht nachvollziehen. Die Folgen dieses kommunistischen Geniestreichs werden nicht irgendwelche Ministerialbonzen mit voller Härte treffen, sondern primär die armen Schlucker, die nicht das Glück haben, bei einer städtischen Wohnungsgesellschaft zu mieten.
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Re: Aktuelles aus dem Öffentlichen Recht

Beitrag von Herr Schraeg »

Mich nervt an den öffentlichen Reaktionen die bestürzte Überraschung einerseits und die Häme andererseits. Die Gesetzgebungskompetenz war fraglich, wie jeder wusste. Es gab Argumente dafür und (wie ich meine, bessere) dagegen. Jetzt ist die Sache entschieden, also kein Grund zum Nachtreten oder aufgeregten Demonstrieren.
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Blaumann
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Re: Aktuelles aus dem Öffentlichen Recht

Beitrag von Blaumann »

Herr Schraeg hat geschrieben: Freitag 16. April 2021, 12:18 Mich nervt an den öffentlichen Reaktionen die bestürzte Überraschung einerseits und die Häme andererseits. Die Gesetzgebungskompetenz war fraglich, wie jeder wusste. Es gab Argumente dafür und (wie ich meine, bessere) dagegen. Jetzt ist die Sache entschieden, also kein Grund zum Nachtreten oder aufgeregten Demonstrieren.
Das eigens vom Berliner Senat in Auftrag gegebene Rechtsgutachten kam zu dem Ergebnis, dass es für das Gesetz in weiten Teilen an einer Gesetzgebungskompetenz fehlt. Alle (!) Juristen, gleich welcher politischen Couleur, mit denen ich darüber diskutiert habe, waren sich einig, dass dieses Gesetz mit allergrößter Wahrscheinlichkeit scheitern wird. Trotzdem wurde das Gesetz mit den Stimmen der Regierungskoalition erlassen. Zum Schaden der betroffenen Mieter und Vermieter.

Was genau wäre eine angemessene Reaktion?
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Re: Aktuelles aus dem Öffentlichen Recht

Beitrag von Nico »

Es war irgendwie klar , dass das Gesetz gekippt wird ;)
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Re: Aktuelles aus dem Öffentlichen Recht

Beitrag von Ant-Man »

OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 08.04.2021 - OVG 6 S 9/21 zur Frage der Befangenheit einer Prüfungskommission in der mündlichen Prüfung der staatlichen Pflichtfachprüfung
Theopa
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Re: Aktuelles aus dem Öffentlichen Recht

Beitrag von Theopa »

Ant-Man hat geschrieben: Montag 3. Mai 2021, 19:15 OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 08.04.2021 - OVG 6 S 9/21 zur Frage der Befangenheit einer Prüfungskommission in der mündlichen Prüfung der staatlichen Pflichtfachprüfung
Auch wenn das eher auf einen "speziellen" Kandidaten hindeutet finde ich die Ausführungen teilweise doch etwas weltfremd, z.B.:
"Es ist nicht ersichtlich oder geltend gemacht, dass dem Antragsteller die Geltendmachung einer Befangenheit im Anschluss an das Vorgespräch, aber vor dem Prüfungstermin unzumutbar gewesen wäre, zumal bei sofortiger Geltendmachung einer angenommenen Befangenheit eine andere Besetzung der Prüfungskommission noch möglich gewesen."
Eine Befangenheitsrüge nach dem Vorgespräch? Wie soll so etwas denn in der Realität "nicht unzumutbar" sein? Sofern der Vorsitzende einen nicht gerade auf dem Gang vor den Mitprüflingen offen beleidigt oder es beweisbare Kontakte in der Vergangenheit gab die zur Begründung herangezogen werden können wird diese Befangenheitsrüge zu 99,9% nicht durchgehen und den Prüfling in die wunderbare Situation versetzen von völlig genervten Prüfern bewertet zu werden, die dann schon einmal jedes negative Detail in epischer Breite protokollieren um sich selbst abzusichern.

Ich stelle mir bei so etwas die Frage, wie man sich überhaupt vor echter Willkür - das will dich diesen Prüfern nicht unterstellen, es wäre aber möglich - schützen können soll. Der Kanditat bekommt trotz herausragender Vornoten nur ganz ordentliche Noten, durch die er insgesamt "zufällig" (natürlich war das bewusst, als ob die Prüfer bei so einem Kandidaten nicht rechnen) 0,04 Punkte unter dem Gut landet, dazu scheint das Verhalten der Prüfer auch nach der Aussage einer anderen Kandidatin wenigstens in geringem Maße verdächtig.
Seeker
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Re: Aktuelles aus dem Öffentlichen Recht

Beitrag von Seeker »

Die Begründung des Gerichts erschöpft sich im Wesentlichen in der Behauptung, das geschilderte Verhalten genüge nicht, um zu belegen, dass bewusst und sachwidrig zulasten des Prüflings gehandelt wurde. Vgl etwa:

"Hierzu bedürfte es des Hinzutretens weiterer Umstände, die darauf schließen lassen, dass die Bewertungsfehler nur deshalb gemacht wurden, um eine sachlich nicht gerechtfertigte Bewertung zu begründen. Dafür ist nichts ersichtlich."

Wie sollte dieser Beweis überhaupt je zu führen sein? Offensichtlich ist die Rüge der Befangenheit im Prüfungsgespräch ein zahnloser Tiger (übrigens auch lustig, wenn man die Darlegungsanforderungen an die Besorgnis der Befangenheit in anderen Bereichen vergleicht, das aber nur nebenbei).

Die Bewertung mag gerechtfertigt gewesen sein, die Voraussetzungen für die Rüge des Antragstellers mögen tatsächlich nicht erfüllt sein. Dennoch macht die Entscheidung keinen guten Eindruck auf mich. Und es gibt durchaus einige Anzeichen dafür, dass die Prüfer dem Kandidaten nicht sonderlich wohlgesonnen waren. Geradezu absurd klingt auch diese Aussage:

"der Äußerung der Prüfer gegenüber dem Antragsteller, sich bereits eine "nicht angreifbare Rechtfertigung" überlegt zu haben,"

Es gibt keinen Anspruch auf Prüferwohlwollen, wie mich sicherlich gleich jemand hinweisen will. Aus Kandidatensicht ist es dennoch eine unschöne Situation, in der man sich ziemlich ausgeliefert fühlen kann.
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Re: Aktuelles aus dem Öffentlichen Recht

Beitrag von Liz »

Es entspricht allgemeinen "Befangenheitsgrundsätzen", dass allein eine dem Ablehnenden ungünstige oder auch fehlerhafte Rechtsanwendung / Verfahrensweise des Abgelehnten nicht ausreichend ist, um die Besorgnis der Befangenheit zu rechtfertigen, sondern weitere Umstände hinzutreten müssen, die den Schluss zulassen, dies sei bewusst zum Nachteil des Ablehnenden geschehen. Allein das unbestimmte Gefühl des Ablehnenden, er sei vom Abgelehnten unfair behandelt worden, genügt nicht. Und vor dem Hintergrund scheint mir die Entscheidung durchaus stimmig zu sein. Der Antragsteller hat schlichweg nichts in der Hand, außer dass die mündliche Prüfung angesichts seiner Vornoten im Zivilrecht schlecht gelaufen ist (aber: eigentlich auch nur im Zivilrecht; im ÖR und StrafR lag der Klausurschnitt bei 11 Punkten, ebenso der Schnitt der mündlichen Prüfung) und er sich insgesamt verschlechtert hat und sein Auftreten offensichtlich bei der Prüfungskommission nicht sonderlich gut angekommen ist. Letzteres scheint mir wenig verwunderlich, wenn man erst von > 16 Punkten mündlich träumt und dann im Aktenvortrag nicht liefert.

Und in die Passage
"der Äußerung der Prüfer gegenüber dem Antragsteller, sich bereits eine "nicht angreifbare Rechtfertigung" überlegt zu haben,"
scheinst Du mir zu viel hineinlesen zu wollen. Die Äußerung fiel ja wohl mutmaßlich im Zusammenhang mit der Begründung der Note. Wenn eine Kommission "runterprüft", kann man wohl erwarten, dass sie sich eine nicht angreifbare "Rechtfertigung" dafür überlegt hat und nicht einfach so nur 10-12 Punkte gibt.
Seeker
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Re: Aktuelles aus dem Öffentlichen Recht

Beitrag von Seeker »

Idealerweise sollte man seine Entscheidung doch einfach begründen und nicht darauf hinweisen, man könne sie "rechtfertigen" (klingt eher so, als sei sie vorher gefallen und man würde sie im Nachhinein verteidigen). Und was soll der Hinweis darauf, diese "Rechtfertigung" (Definition: die Verteidigung gegen einen Vorwurf) sei "nicht angreifbar"? Die Entscheidung sollte doch gut begründet und in der Sache richtig sein, nicht (primär, sondern nur als Folge der inhaltlichen Richtigkeit) unangreifbar.

Wenn man sich die Gesamtkonstellation, darunter auch das Ergebnis von "zufällig" 11,46 anschaut, ist doch offensichtlich, dass die Prüfungskommission dem Kandidaten alles andere als wohlgesonnen war. Das finde ich aus Kandidatensicht sehr problematisch.

Ob das die "Befangenheit" im Sinne der ö-r Norm begründet, vermag ich mangels vertiefter Kenntnis der Sach- und Rechtslage nicht zu sagen. Aber es fällt doch auf, dass bereits relative Nichtigkeiten in anderen Verfahrensarten die Befangenheit (eines Richters) begründen, aber hier so gut wie alles als "reine Spekulation" abgetan wird, obwohl aus der Sicht des durchschnittlichen Kandidaten m.E. (anhand der aus der Entscheidung ersichtlichen Fakten in ihrer Gesamtschau) durchaus der Eindruck der Voreingenommenheit entstehen kann.
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Re: Aktuelles aus dem Öffentlichen Recht

Beitrag von Liz »

Wenn Du Dich jetzt auf das Wort "Rechtfertigung" fokussiert betreibst Du eine isolierte Sprachkritik völlig außerhalb des Zusammenhangs - möglicherweise war dies in Zusammenschau mit einer vorhergehenden Äußerung des Kandidaten eine durchaus nachvollziehbare Wortwahl? Und wäre der Satz besser gewesen, wenn man das Wort "Rechtfertigung" durch "Begründung" ersetzt? Allein der Umstand, dass der Abgelehnte möglicherweise besser ein anderes Wort gewählt hätte, genügt nicht, um die Besorgnis der Befangenheit zu begründen. Und natürlich ist in dem Moment, in dem der Kandidat die Erläuterung seiner mündlichen Note begehrt, bereits die Entscheidung gefallen und die Note bereits verkündet; es geht nur noch um die Begründung oder eben auch "Rechtfertigung" der getroffenen Entscheidung.

Und: natürlich mag die Gesamtnote von knapp unter 11,50 Punkten irgendwie auffällig zufällig wirken, aber der Kandidat konnte ja offenbar inhaltlich auch nicht aufzeigen, weshalb seine Benotung wirklich unfair war; sie lag - außer im Zivilrecht - vielmehr im Bereich seiner schriftlichen Noten und oberhalb seines SPB. Vielleicht hätte eine andere Kommission ihm irgendwo einen Punkt mehr gegeben, aber dass die Nichtgabe dieses Punktes - unter Berücksichtigung des Beurteilungsspielraums der Prüfungskommission - auf Voreingenommenheit beruhte, kann man m. E. anhand der vorgebrachten Ablehnungsgründe nicht annehmen.

Letztlich kann ich nur aus der Praxis sagen: Ablehnungsgesuche sind in der Regel der letzte Strohhalm, wenn einem eine Entscheidung inhaltlich nicht gefällt und dann wird auf einmal alles und nichts auf die Goldwaage gelegt und mit einer übertriebenen Bedeutung versehen, wo jeder normale Mensch sagen würde: "Mei, was kann man daran bloß missverstehen?" (besonders gut nachvollziehbar, wenn eine Ablehnung allein aufgrund schriftlicher Äußerungen erfolgt). Das Ablehnungsrecht soll aber nicht das Vehikel sein, um einen Richter/Sachverständigen/Prüfer aus dem Verfahren zu kegeln, der eine dem Ablehnenden nicht genehme Auffassung vertritt und / oder dem die undankbare Aufgabe zuteil wird, dem Ablehnenden mitzuteilen, dass seine Sache nicht den erhofften Erfolg hat.
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Re: Aktuelles aus dem Öffentlichen Recht

Beitrag von Seeker »

Liz hat geschrieben: Montag 3. Mai 2021, 23:52 Wenn Du Dich jetzt auf das Wort "Rechtfertigung" fokussiert betreibst Du eine isolierte Sprachkritik völlig außerhalb des Zusammenhangs - möglicherweise war dies in Zusammenschau mit einer vorhergehenden Äußerung des Kandidaten eine durchaus nachvollziehbare Wortwahl? Und wäre der Satz besser gewesen, wenn man das Wort "Rechtfertigung" durch "Begründung" ersetzt? Allein der Umstand, dass der Abgelehnte möglicherweise besser ein anderes Wort gewählt hätte, genügt nicht, um die Besorgnis der Befangenheit zu begründen.
Ob es die Befangenheit begründet, kann ich nicht abschließend beurteilen. Aber es ist zumindest ein starktes Indiz dafür, dass sie ihm keinesfalls wohlwollend gegenüber standen. Es ist auch eine Frage des Kontexts, dazu sogleich.
Und: natürlich mag die Gesamtnote von knapp unter 11,50 Punkten irgendwie auffällig zufällig wirken, aber der Kandidat konnte ja offenbar inhaltlich auch nicht aufzeigen, weshalb seine Benotung wirklich unfair war;
Das wissen wir nicht, das OVG sagt dazu nichts.
sie lag - außer im Zivilrecht - vielmehr im Bereich seiner schriftlichen Noten und oberhalb seines SPB.
Der Vergleich ist freilich Unsinn, weil die mündliche Note statistisch deutlich besser ausfällt als die schriftliche. 11,x schriftlich sind idR die obersten 5 % oder besser, 11 mündlich sind höchstens das oberste Drittel. Freilich mag es sein, dass der konkrete Kandidat eben mündlich sehr schwach war. Aber rein statistisch ist seine mündliche Note im Vergleich auch zu 11,x schriftlich schwach, das lässt sich nicht leugnen.

Wie gesagt: ob es für die Befangenheit reicht, kann ich nicht sagen. Aber es ist doch deutlich erkennbar, dass die Kommission ihm überhaupt nicht wohlgesonnen war. Wer das nicht sehen will, verschließt bewusst die Augen vor der Realität.

Es ist eben entscheidend eine Frage des Kontexts: Wir haben einen Kandidaten, der vermutlich recht arrogant und evtl. auch unsympathisch auftrat (Vorgespräch). Ihm wird später mitgeteilt, man habe sich bereits eine "nicht angreifbare Rechtfertigung" überlegt. Und vergibt die Gesamtnote 11,46, "rein zufällig" 0,04 unter dem Notensprung. Jeder weiß, dass juristische Noten nicht mathematisch genau berechnet werden können. Wenn 11,46 statt 11,50 herauskommt, dann liegt das nicht daran, dass die mündliche Leistung notwendig, auf den Punkt genau, 12-10-12-10 wert war.
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Tibor
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Re: Aktuelles aus dem Öffentlichen Recht

Beitrag von Tibor »

Seeker hat geschrieben:Idealerweise sollte man seine Entscheidung doch einfach begründen und nicht darauf hinweisen, man könne sie "rechtfertigen" ... Und was soll der Hinweis darauf, diese "Rechtfertigung" ... sei "nicht angreifbar"?
Du verwechselst Entscheidung und Begründung? Jede Begründung einer Entscheidung ist im Ergebnis hinreichend, wenn sie die Entscheidung trägt, weil das Ergebnis nicht weiter angreifbar ist. Genau aus diesem Grund bedarf es bei vielen unanfechtbaren Entscheidungen gar keiner Begründung. Warum soll ich etwas begründen, wenn das Ergebnis unangreifbar ist? Natürlich haben Gründe auch eine Befriedigungsfunktion; oftmals hat allein aber die Entscheidung bereits diese Funktion. Wenn also bei einer Notenfindung (Spielraum) hinreichende Gründe vorliegen, um die Findung der Entscheidung unangreifbar zu machen, dann ist i.E. nicht nur die Begründung hinreichend, sondern auch die Entscheidung endgültig als richtig anzusehen.

Anderes Bsp: Bestandskraft schafft Rechtskraft: Die Entscheidung ist „Abweisung“. Ist die Begründung keine Wiedereinsetzung in vorigen Stand zu gewähren unangreifbar, kommt es auf die inhaltliche Richtigkeit der Entscheidung nicht mehr an. Im Gegenteil, inhaltlich wird sogar eine falsche Entscheidung akzeptiert.
"Just blame it on the guy who doesn't speak English. Ahh, Tibor, how many times you've saved my butt."
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Re: Aktuelles aus dem Öffentlichen Recht

Beitrag von Liz »

Seeker hat geschrieben: Dienstag 4. Mai 2021, 00:08
Und: natürlich mag die Gesamtnote von knapp unter 11,50 Punkten irgendwie auffällig zufällig wirken, aber der Kandidat konnte ja offenbar inhaltlich auch nicht aufzeigen, weshalb seine Benotung wirklich unfair war;
Das wissen wir nicht, das OVG sagt dazu nichts.
Es wäre hier zunächst Sache des Antragstellers gewesen, entsprechende Bewertungsfehler aufzuzeigen, wobei einfache Bewertungsfehler grds. nicht ausreichen; an einigen Stellen (z. B. Rn. 18 f, aber auch Rn. 16 f.) lässt sich auch erahnen, dass der Antragsteller Bewertungsfehler geltend gemacht hat, sich aber im Wesentlichen auf Formalia gestützt hat und sich mit weiteren Aspekten der Begründung gar nicht befasst hat, also im Umkehrschluss gerade nicht geltend machen konnte, z. B. sein Vortrag sei eigentlich min. 15 Punkte wert gewesen, aber die Kommission habe ihm aus Voreingenommenheit nur 12 Punkte gegeben.
sie lag - außer im Zivilrecht - vielmehr im Bereich seiner schriftlichen Noten und oberhalb seines SPB.
Der Vergleich ist freilich Unsinn, weil die mündliche Note statistisch deutlich besser ausfällt als die schriftliche. 11,x schriftlich sind idR die obersten 5 % oder besser, 11 mündlich sind höchstens das oberste Drittel. Freilich mag es sein, dass der konkrete Kandidat eben mündlich sehr schwach war. Aber rein statistisch ist seine mündliche Note im Vergleich auch zu 11,x schriftlich schwach, das lässt sich nicht leugnen.
Es steht allerdings nirgends geschrieben, dass man sich in der mündlichen Prüfung verbessern muss. 10-12 Punkte sind sicherlich eine eher schwache Leistung für einen Kandidaten, der schriftlich mit gut benotet ist, aber es kommt durchaus vor, dass Kandidaten auf dem Papier mehr überzeugen als mündlich; gerade auch in diesem hohen Notenbereich. Im konkreten Fall ist zudem zu bedenken, dass es ja wohl einen eigentlich als stärker eingeschätzten Mitprüfling gab - der hat möglicherweise einfach deutlich mehr überzeugt.
Wie gesagt: ob es für die Befangenheit reicht, kann ich nicht sagen. Aber es ist doch deutlich erkennbar, dass die Kommission ihm überhaupt nicht wohlgesonnen war. Wer das nicht sehen will, verschließt bewusst die Augen vor der Realität.
Die Kommission fand ihn wahrscheinlich nicht sonderlich sympathisch. Alles andere ist Deine Interpretation des Beschlusses. Ich vermag da wenig für Deine Sichtweise herauszulesen - erst recht in Kenntnis der Anforderungen an ein erfolgreiches Ablehnungsgesuch.
Es ist eben entscheidend eine Frage des Kontexts: Wir haben einen Kandidaten, der vermutlich recht arrogant und evtl. auch unsympathisch auftrat (Vorgespräch). Ihm wird später mitgeteilt, man habe sich bereits eine "nicht angreifbare Rechtfertigung" überlegt. Und vergibt die Gesamtnote 11,46, "rein zufällig" 0,04 unter dem Notensprung. Jeder weiß, dass juristische Noten nicht mathematisch genau berechnet werden können. Wenn 11,46 statt 11,50 herauskommt, dann liegt das nicht daran, dass die mündliche Leistung notwendig, auf den Punkt genau, 12-10-12-10 wert war.
Tja. Und was ist, wenn die 11,46 Punkte schon das geschönte, wohlwollende Ergebnis waren, um dem Antragsteller immerhin im Staatsteil 12,x Punkte geben zu können und dort nicht auch noch unter die 12,0 Punkte zu rutschen? Allein aus dem Ergebnis, dass ein mutmaßlich unsympathischer Kandidat nicht nur die anvisierte Wunschnote im Staatsteil nicht erzielt hat, sondern in der Gesamtnote auch noch knapp unter die 11,50 Punkte gerutscht ist, kann man - insbesondere wenn man nicht dabei war - nicht schlussfolgern, die Kommission sei in Wahrheit befangen gewesen und habe ihn ganz böse runtergeprüft. Und wer sagt denn überhaupt, dass die Kommission vorher schon ausgerechnet hat, welche Endnote die Kandidaten nicht nur im Staatsteil, sondern auch in der Gesamtnote erreichen, wenn sie die vorgesehenen Teilnoten vergibt?
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