Hallo,
ich bin seit 2 Monaten Proberichter an einem LG in NRW und habe große Probleme damit, mit der mir zur Verfügung stehenden Zeit ansatzweise die Dinge zu bewältigen, die zwingend zu schaffen sind. Ich arbeite etwa 55 Stunden die Woche, auch am Wochenende, und habe dennoch stets das Gefühl, nichts zu schaffen. Ich weiß, dass das gerade am Anfang zu einem gewissen Grad normal ist, aber ich hoffe, dass ihr vielleicht ein paar Tipps habt.
Mein größtes Problem ist die Dicke der Akten. Schriftsätze, die fast immer mindestens jeweils 50 Seiten plus Anlagen dick sind. Das geht so bis zur Duplik. Mit oftmals mehreren Parteien. Wenn ich also zB votieren muss, erstelle ich mir immer einen Aktenauszug, da ich sonst vollkommen die Übersicht verliere. Und das dauert leider ewig. Da dauert ein solcher Aktenauszug teilweise 1,5 Tage. Und die Zeut habe ich nicht. Andererseits traue ich es mir ohne Aktenauszug einfach nicht zu. Wie handhabt ihr das?
Und welche Tipps gibt es im Allgemeinen, mit denen man in seinen Deternat - auf welche Weise und wo auch immer - Zeit einsparen kann?
Habt vielen Dank!
Proberichter - Tipps, um schneller zu werden
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Proberichter - Tipps, um schneller zu werden
Wie lange man für eine Akte brauchen „darf“, hängt vor allem auch von dem Dezernatszuschnitt ab. Es gibt dicke Akten, für die man einfach 1-2 Tage (oder auch länger) braucht, um sie so weit durchgearbeitet zu haben, dass man den Fall verstanden hat und eine erste Lösungsskizze stehen hat. Wenn Du allerdings 1,5 Tage für jedes Dieselverfahren (oder ähnliche Massenverfahren) benötigst, wäre das unangemessen. Ebenso solltest Du bei einer durchschnittlichen allgemeinen Zivilsache nicht erstmal 1,5 Tage lang die Akte abschreiben.
Bei den Dieselverfahren habe ich mich zB mit der jeweils ersten Akte zu einem neuen Hersteller / Motortyp gründlich beschäftigt und ein „Musterurteil“ geschrieben. Bei den Folgeverfahren blättere ich dann nur noch die Akte durch und notiere mir auf einem Schmierzettel mit Blattangabe etwaige Punkte, die „neu“ sind oder zu denen ich was schreiben (bzw. einen zusätzlichen Textbaustein einfügen) sollte.
Bei umfangreichen Verfahren (keine Massenverfahren) mache ich es üblicherweise auch so, dass ich schon in der Terminsvorbereitung relativ viel aus der Akte rausschreibe (ich kann relativ schnell tippen), wobei ich mich auf die Punkte konzentriere, die später auch in den Tatbestand müssen; wenn es ersichtlich nur „Rahmengeschichte“ ist, notiere ich mir nur als Unterpunkt „ausführlich zur Vorgeschichte Bl. xx-xy“, damit ich weiß, wo das steht. Auch hilft es natürlich, wenn man den Fall schon grob kennt und eine Idee hat, wo die Schwerpunkte liegen könnten, so dass ich bei unbekannten Akten erstmal die Klageschrift und die Klageerwiderung durchblättern würde, um einen Eindruck davon zu haben, ob der Sachverhalt oder eher Rechtsfragen streitig sind und welche Aspekte wichtig sind, bevor ich 50 Seiten Klageschrift „blind“ zusammenfasse. Auch wenn die Schriftsätze zu 80 % aus Rechtsansichten bestehen, würde ich die jetzt nicht im Detail abtippen, sondern mir nur einen Merkposten notieren, um später nochmals zielgerichtet die Meinung der Parteien nachlesen zu können.
Ansonsten gilt bei vielen Dingen leider: Wenn man etwas zum ersten Mal macht, braucht man immer länger, als wenn man sich schon mal mit einem Thema beschäftigt hat. Man sollte sich aber grds entscheiden können und nicht ewig über alles nachdenken (die 2. Instanz muss auch noch was zu tun haben). Auch gibt es Fragen, über die man als Richter ewig nachdenkt, die einem die Geschäftsstelle, die Berechnungsstelle oder der Rechtspfleger innerhalb weniger Minuten beantworten kann - da sollte man keine Scheu haben, einfach mal hinzugehen und zu fragen. Auch auf entsprechende Angebote von Kollegen sollte man zurückgreifen, wobei man natürlich die Zeit der Kollegen auch nicht verschwenden sollte, sondern eine konkrete Frage formulieren können sollte bzw sich schon mal Gedanken gemacht haben sollte.
Bei den Dieselverfahren habe ich mich zB mit der jeweils ersten Akte zu einem neuen Hersteller / Motortyp gründlich beschäftigt und ein „Musterurteil“ geschrieben. Bei den Folgeverfahren blättere ich dann nur noch die Akte durch und notiere mir auf einem Schmierzettel mit Blattangabe etwaige Punkte, die „neu“ sind oder zu denen ich was schreiben (bzw. einen zusätzlichen Textbaustein einfügen) sollte.
Bei umfangreichen Verfahren (keine Massenverfahren) mache ich es üblicherweise auch so, dass ich schon in der Terminsvorbereitung relativ viel aus der Akte rausschreibe (ich kann relativ schnell tippen), wobei ich mich auf die Punkte konzentriere, die später auch in den Tatbestand müssen; wenn es ersichtlich nur „Rahmengeschichte“ ist, notiere ich mir nur als Unterpunkt „ausführlich zur Vorgeschichte Bl. xx-xy“, damit ich weiß, wo das steht. Auch hilft es natürlich, wenn man den Fall schon grob kennt und eine Idee hat, wo die Schwerpunkte liegen könnten, so dass ich bei unbekannten Akten erstmal die Klageschrift und die Klageerwiderung durchblättern würde, um einen Eindruck davon zu haben, ob der Sachverhalt oder eher Rechtsfragen streitig sind und welche Aspekte wichtig sind, bevor ich 50 Seiten Klageschrift „blind“ zusammenfasse. Auch wenn die Schriftsätze zu 80 % aus Rechtsansichten bestehen, würde ich die jetzt nicht im Detail abtippen, sondern mir nur einen Merkposten notieren, um später nochmals zielgerichtet die Meinung der Parteien nachlesen zu können.
Ansonsten gilt bei vielen Dingen leider: Wenn man etwas zum ersten Mal macht, braucht man immer länger, als wenn man sich schon mal mit einem Thema beschäftigt hat. Man sollte sich aber grds entscheiden können und nicht ewig über alles nachdenken (die 2. Instanz muss auch noch was zu tun haben). Auch gibt es Fragen, über die man als Richter ewig nachdenkt, die einem die Geschäftsstelle, die Berechnungsstelle oder der Rechtspfleger innerhalb weniger Minuten beantworten kann - da sollte man keine Scheu haben, einfach mal hinzugehen und zu fragen. Auch auf entsprechende Angebote von Kollegen sollte man zurückgreifen, wobei man natürlich die Zeit der Kollegen auch nicht verschwenden sollte, sondern eine konkrete Frage formulieren können sollte bzw sich schon mal Gedanken gemacht haben sollte.
- Strich
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Re: Proberichter - Tipps, um schneller zu werden
Ich kann das alles nur unterschreiben was Liz gesagt hat greife einen Punkt raus und ergänze sonst nur:
1. Man sollte wirklich wirklich fragen. Ich habe an einem abgesoffenen Amtsgericht angefangen und habe gefragt gefragt gefragt. Hätte ich das alles selbst machen müssen, wäre ich gnadenlos untergangen. Ich frage auch heute noch meine Kollegen zu allen möglichen Dingen und zu mir kann auch jeder mit noch so banalen Fragen kommen.
2. Es hilft (leider) ein gutes Gedächtnis zu haben. Ich freue mich zwar auf die E-Akte, sehe aber mit gewisser Sorge, dass ich dann nicht mehr wissen werde: "Ah das stand doch auf Bl 13 oben links ..."
Zum Aktenauszug: Ich habe da NUR die Tatsachen eingetragen. Hatte noch keine Akte, bei der ich mehr als ein Blatt A4 benötigt hätte,auch in Bausachen nicht. Da steht dann eben: gerügte Mängel Bl. 23.
Mich würde ja ein Aktenauszug von dir interessieren. Wenn du magst, kannst du mir ja einen zuschicken. Dann kann ich dir sagen, was ich anders machen würde.
Und schließlich: Keine Scheu vor dem kopieren: Juris/Beckonline sind deine besten Freunde. Falls ich irgendetwas Unbekanntes habe geht mein erster Blick zu Juris. Falls das Rad schon mal jemand erfunden hat, erfinde ich es nicht neu:
Das Landgericht Pusemuckel hat in seiner Entscheidung vom 11.11.2011 ausgeführt:
" ..."
dem schließt sich das Gericht vorbehaltlos an.
1. Man sollte wirklich wirklich fragen. Ich habe an einem abgesoffenen Amtsgericht angefangen und habe gefragt gefragt gefragt. Hätte ich das alles selbst machen müssen, wäre ich gnadenlos untergangen. Ich frage auch heute noch meine Kollegen zu allen möglichen Dingen und zu mir kann auch jeder mit noch so banalen Fragen kommen.
2. Es hilft (leider) ein gutes Gedächtnis zu haben. Ich freue mich zwar auf die E-Akte, sehe aber mit gewisser Sorge, dass ich dann nicht mehr wissen werde: "Ah das stand doch auf Bl 13 oben links ..."
Zum Aktenauszug: Ich habe da NUR die Tatsachen eingetragen. Hatte noch keine Akte, bei der ich mehr als ein Blatt A4 benötigt hätte,auch in Bausachen nicht. Da steht dann eben: gerügte Mängel Bl. 23.
Mich würde ja ein Aktenauszug von dir interessieren. Wenn du magst, kannst du mir ja einen zuschicken. Dann kann ich dir sagen, was ich anders machen würde.
Und schließlich: Keine Scheu vor dem kopieren: Juris/Beckonline sind deine besten Freunde. Falls ich irgendetwas Unbekanntes habe geht mein erster Blick zu Juris. Falls das Rad schon mal jemand erfunden hat, erfinde ich es nicht neu:
Das Landgericht Pusemuckel hat in seiner Entscheidung vom 11.11.2011 ausgeführt:
" ..."
dem schließt sich das Gericht vorbehaltlos an.
Stehe zu deinen Überzeugungen soweit und solange Logik oder Erfahrung dich nicht widerlegen. Denk daran: Wenn der Kaiser nackt aussieht ist der Kaiser auch nackt ... .
- Daria -
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Re: Proberichter - Tipps, um schneller zu werden
Das steht dann auch in der Eakte auf Bl. 13 oben links. Daneben gibt es post its und die Suchfunktion.
Allein den Tenor, Anträge und Teile des Tatbestandes nicht mehr tippen/diktieren zu müssen ist eine tolle Zeitersparnis. Daneben hat es auch viele andere Vorteile, gerade in abgesoffenen Dezernaten mit abgesoffenen Geschäftsstellen.
- batman
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Re: Proberichter - Tipps, um schneller zu werden
Du meinst, die abgesoffene Geschäftsstelle führt die in der E-Akte befindlichen Verfügungen schneller und zuverlässiger aus?
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Re: Proberichter - Tipps, um schneller zu werden
Der einzige Vorteil scheint mir zu sein, dass man die eAkten nicht in dem großen Haufen auf der Geschäftsstelle suchen muss, wenn man sie bearbeiten möchte.
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Re: Proberichter - Tipps, um schneller zu werden
Nicht generell, aber du siehst die ignorierten Sachstandsanfragen, dann lässt sich so eine Akte auch mal priorisieren. Das Problem ist ja meist nicht, dass gar nicht gearbeitet wird, sondern vieles wahllos extrem lange dauert. Außerdem sind die Akten auch nicht unauffindbar. Gerade so zum Termin eine recht komfortable Sache.