Keine Verurteilung wegen versuchter gef. KV? Warum?

Straf-, Strafprozeß- und Ordnungswidrigkeitenrecht sowie Kriminologie

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UltimaSpes
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Keine Verurteilung wegen versuchter gef. KV? Warum?

Beitrag von UltimaSpes »

Hallo zusammen,

folgender kurzer Auszug aus einem Fall:

T schießt mit einer Pistole durch eine Tür und nimmt dabei billigend in Kauf, sowohl A als auch B zu verletzen, die beide hinter der Tür stehen. Die Kugel trifft und verletzt A.

Meiner Meinung nach hat sich T hier wegen gefährlicher Körperverletzung (an A) in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung (an B) strafbar gemacht. Eine irgendwie geartete Verdrängung des Versuchs durch die Vollendung dürfte wegen des höchstpersönlichen Rechtsguts der körperlichen Unversehrtheit von A und B nicht infrage kommen.

Wieso wurde der Angeklagte (in meiner Schilderung als "T" bezeichnet) in diesem BGH-Fall aber nur wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt, und nicht auch wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung?
--> https://openjur.de/u/2121453.html (siehe zum Schuldspruch Randnummern 6 und 21 des Urteils)


-------------------------------

--> Zum Vergleich:

Die im Urteil für meine Frage entscheidende Sachverhaltspassage lautet (siehe Randnummer 9):

"[T] schoss aus einer Entfernung von höchstens einem Meter (...) durch die Wohnungstüre. Die (...) Kugel durchschlug das (...) Türblatt, verfehlte B, dessen Verletzung [T] billigend in Kauf genommen hatte. Die Kugel schlug (...) auf dem Boden des Hausflurs auf, prallte von dort wieder ab und traf als Querschläger (...) A am linken Oberkörper. Bei dem Schuss hatte [T] eine Verletzung [auch] des A billigend in Kauf genommen."

Eigentlich geht es im Fall schwerpunktmäßig um die Frage, ob ein versuchter Totschlag vorliegt. Da aber ist die Lösung des BGH für mich verständlich.
Zuletzt geändert von UltimaSpes am Samstag 18. Februar 2023, 17:35, insgesamt 1-mal geändert.
Brainiac
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Re: Keine Verurteilung wegen versuchter gef. KV? Warum?

Beitrag von Brainiac »

Ergibt sich das evtl. aus der ersten Revisionsentscheidung in dieser Sache?
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UltimaSpes
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Re: Keine Verurteilung wegen versuchter gef. KV? Warum?

Beitrag von UltimaSpes »

Brainiac hat geschrieben: Samstag 18. Februar 2023, 16:43 Ergibt sich das evtl. aus der ersten Revisionsentscheidung in dieser Sache?
Danke für deine Idee.

Dies ist die erste Revisionsentscheidung in dieser Sache (kurzer Beschluss): https://openjur.de/u/2116480.html

Leider ergibt es sich daraus nicht, jedenfalls nicht für mich.

Also wundert es euch auch, warum nicht auch eine Verurteilung wegen versuchter gef. KV erfolgt ist?
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Ara
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Re: Keine Verurteilung wegen versuchter gef. KV? Warum?

Beitrag von Ara »

Das Landgericht hat 2x Murks gemacht.

Im ersten Urteil lauten die Feststellungen zur subjektiven Seite wie folgt:
Der Angeklagte stellte fest, dass die Tür von außen zugehalten wurde, er wusste auch, dass dies durch H. erfolgte. Er beschloss, sich den Weg frei zu schießen und schoss - ohne die Schussbahn zu berechnen - schräg von oben nach unten durch die Wohnungstüre. Die in die Kartusche eingesetzte Stahlrundkugel durchschlug das hölzerne Türblatt, verfehlte H. , dessen Verletzung der Angeklagte billigend in Kauf genommen hatte.
Im zweiten Urteil lauten die Feststellungen dann wie folgt (Von mir hervorgehoben):
Der Angeklagte stellte fest, dass die Tür von außen zugehalten wurde, er wusste auch, dass dies durch H. erfolgte. Er sah sich daher zunächst an seinem Vorhaben, auf U. zu schießen, gehindert. Er beschloss, die Blockade an der Tür zu überwinden. Deswegen schoss er aus einer Entfernung von höchstens einem Meter schräg von oben nach unten durch die Wohnungstüre. Die in die Kartusche eingesetzte Stahlrundkugel durchschlug das hölzerne Türblatt unterhalb des Türgriffes, verfehlte H. , dessen Verletzung der Angeklagte billigend in Kauf genommen hatte.
Das Landgericht wollte unbedingt zu nem Tötungsvorsatz kommen. Das war aber bei den Feststellungen völlig abwegig, weil der Angeklagte ja dachte, dass NUR der H hinter der Tür steht. Daher kann er keinen Tötungsvorsatz hinsichtlich U gehabt haben. Die Feststellungen der Kammer tragen jedenfalls nur den Vorsatz EINE Person zu verletzen und zwar eigentlich den H.

Der Vorsatz des Angeklagten EINE Person zu verletzen ist daher dadurch verbraucht, dass er den U getroffen hat und damit eine vollendete gef KV hat. Für die versuchte gef KV zu Lasten des H verbleibt kein Vorsatz mehr.
Die von der Klägerin vertretene Auffassung, die Beeinträchtigung des Wohngebrauchs sei durch das Zumauern der Fenster nur unwesentlich beeinträchtigt, ist so unverständlich, dass es nicht weiter kommentiert werden soll. - AG Tiergarten 606 C 598/11
UltimaSpes
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Re: Keine Verurteilung wegen versuchter gef. KV? Warum?

Beitrag von UltimaSpes »

Ara hat geschrieben: Sonntag 19. Februar 2023, 09:07 Das Landgericht hat 2x Murks gemacht.

Im ersten Urteil lauten die Feststellungen zur subjektiven Seite wie folgt:
Der Angeklagte stellte fest, dass die Tür von außen zugehalten wurde, er wusste auch, dass dies durch H. erfolgte. Er beschloss, sich den Weg frei zu schießen und schoss - ohne die Schussbahn zu berechnen - schräg von oben nach unten durch die Wohnungstüre. Die in die Kartusche eingesetzte Stahlrundkugel durchschlug das hölzerne Türblatt, verfehlte H. , dessen Verletzung der Angeklagte billigend in Kauf genommen hatte.
Im zweiten Urteil lauten die Feststellungen dann wie folgt (Von mir hervorgehoben):
Der Angeklagte stellte fest, dass die Tür von außen zugehalten wurde, er wusste auch, dass dies durch H. erfolgte. Er sah sich daher zunächst an seinem Vorhaben, auf U. zu schießen, gehindert. Er beschloss, die Blockade an der Tür zu überwinden. Deswegen schoss er aus einer Entfernung von höchstens einem Meter schräg von oben nach unten durch die Wohnungstüre. Die in die Kartusche eingesetzte Stahlrundkugel durchschlug das hölzerne Türblatt unterhalb des Türgriffes, verfehlte H. , dessen Verletzung der Angeklagte billigend in Kauf genommen hatte.
Das Landgericht wollte unbedingt zu nem Tötungsvorsatz kommen. Das war aber bei den Feststellungen völlig abwegig, weil der Angeklagte ja dachte, dass NUR der H hinter der Tür steht. Daher kann er keinen Tötungsvorsatz hinsichtlich U gehabt haben. Die Feststellungen der Kammer tragen jedenfalls nur den Vorsatz EINE Person zu verletzen und zwar eigentlich den H.

Der Vorsatz des Angeklagten EINE Person zu verletzen ist daher dadurch verbraucht, dass er den U getroffen hat und damit eine vollendete gef KV hat. Für die versuchte gef KV zu Lasten des H verbleibt kein Vorsatz mehr.

Sehr gute Erklärung, so ist es verständlich. Vielen Dank, Ara!
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