Wie werden Ersatzvornahme und unmittelbarer Zwang im Detail abgegrenzt?

Staatsrecht, Allgemeines und Besonderes Verwaltungsrecht (Bau-, Kommunal-, Polizei- und Sicherheitsrecht, BImSchG etc.)

Moderator: Verwaltung

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LephanStorenz1000
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Wie werden Ersatzvornahme und unmittelbarer Zwang im Detail abgegrenzt?

Beitrag von LephanStorenz1000 »

Guten Morgen,

ich habe eine Frage zum Verwaltungsvollstreckungsrecht. Wie bestimmt sich im Detail die Abgrenzung zwischen Ersatzvornahme und unmittelbarem Zwang, insbesondere bei Gewalt gegen Sachen (Auto wird abgeschleppt, Baum wird gefällt, Tür wird durch die Polizei aufgebrochen)?

Mir ist insoweit klar, dass bei unvertretbaren Handlungen kein Problem besteht, da die Ersatzvornahme von vornherein ausscheidet.

Bei vertretbaren Handlungen liest man hingegen sehr häufig die Fasutformel, wonach Gewalt gegen Personen regelmäßig ein Fall des unmittelbaren Zwangs ist, während Gewalt gegen Sachen eine Ersatzvornahme darstellt. Legt man das zu Grunde, so kommt man auch im Ergebnis meistens richtig raus.

Aber: Auch unmittelbarer Zwang kann - davon geht das dem Gesetz zugrundeliegende Verständnis ersichtlich aus (zB Art. 78 I BayPAG: „Unmittelbarer Zwang ist die Einwirkung auf Personen oder Sachen durch körperliche Gewalt“) und dieses Begriffsverständnis liegt auch dem VwVG zugrunde (also kein bayerischer Sonderweg, vgl. BeckOKVwVfG/Deusch/Burr, § 12 VwVG Rn. 5 ff.) - gegen Sachen gerichtet werden.

Ich frage mich daher:

> Was ist der argumentative Hintergrund der Faustformel zur Abgrenzung von Ersatzvornahme und unmittelbarem Zwang?
> Wie mache ich es bei Gewalt gegen Sachen, d.h. wann ist - ggf. ausnahmsweise - unmittelbarer Zwang anzunehmen?
jona7317
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Re: Wie werden Ersatzvornahme und unmittelbarer Zwang im Detail abgegrenzt?

Beitrag von jona7317 »

Ersatzvornahme liegt dann vor, wenn die Behörde die Tätigkeit vornimmt, die der Ordnungspflichtige hätte vornehmen müssen. Das Kriterium nennt sich Handlungsidentität.
Wenn zwischen behördlichem Handeln und der Handlungspflicht des Ordnungspflichtigen keine Identität besteht, ist es demnach keine Ersatzvornahme sondern unmittelbarer Zwang. Die vertretbare Handlung ist natürlich denklogische Voraussetzung, damit überhaupt Handlungsidentität bestehen kann. Eine unvertretbare Handlung kann eben nur der Pflichtige vornehmen, dort stellt sich die Abgrenzungsfrage also erst gar nicht.

Woher die Faustformel kommt kann ich dir nicht sagen, wäre aber damit sehr vorsichtig. Denn gerade in den Fällen, in denen eine detaillierte Abgrenzung erforderlich ist, hilft sie nur begrenzt weiter. Beispiele wären etwa der Platzverweis oder das Halteverbot.
Da kann man sich jeweils fragen ob die Handlungspflicht "Lauf Weg"/"Fahr Weg" ist oder "Beweg dich/dein Auto hier weg, egal wie". Je nachdem für welche Auslegung man sich entscheidet, ist ein Wegtragen oder Abschleppen des Störers dann nämlich entweder unmittelbarer Zwang (denn zwischen weglaufen/-fahren und wegtragen/abschleppen besteht keine Handlungidentität) oder eine Ersatzvornahme (denn er musste sich ja nur wegbewegen. Zwischen Wegtragen/Abschleppen und Wegbewegen besteht aber Handlungsidentität).
Brainiac
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Re: Wie werden Ersatzvornahme und unmittelbarer Zwang im Detail abgegrenzt?

Beitrag von Brainiac »

LephanStorenz1000 hat geschrieben: Mittwoch 26. April 2023, 07:57Bei vertretbaren Handlungen liest man hingegen sehr häufig die Fasutformel, wonach Gewalt gegen Personen regelmäßig ein Fall des unmittelbaren Zwangs ist, während Gewalt gegen Sachen eine Ersatzvornahme darstellt. Legt man das zu Grunde, so kommt man auch im Ergebnis meistens richtig raus.
Ich kenne diese Abgrenzungsmethode nach Gewalt gegen Personen/Sachen nur so, dass bei Personen unmittelbarer Zwang vorliegt und bei Sachen nach der von Jona dargestellten Identitätstheorie zu unterscheiden ist, je nachdem, wie der Betroffene die gebotene Handlung umgesetzt hätte. Anders kommt man doch noch nicht einmal in vielen klaren Fällen zu passenden Ergebnissen (Bsp.: Eintreten der Haustür durch Polizei).
"In a real sense, we are what we quote." - Geoffrey O'Brien
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