Rüge im Unterschwellenbereich

Staatsrecht, Allgemeines und Besonderes Verwaltungsrecht (Bau-, Kommunal-, Polizei- und Sicherheitsrecht, BImSchG etc.)

Moderator: Verwaltung

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Marie-aus-Berlin
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Rüge im Unterschwellenbereich

Beitrag von Marie-aus-Berlin »

Meine Fragestellung:

Angenommen ein Sektorenauftraggeber führt ein Vergabeverfahren im Unterschwellenbereich durch (Nichtförmliche Angebotseinholung mit Veröffentlichung). Welche Möglichkeit gibt es für Bieter während des Verfahrens zu rügen? Oder ist das völlig ausgeschlossen? Ich finde hier immer nur Informationen zum Oberschwellenbereich.

Liebe Grüße

Marie
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Marie-aus-Berlin
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Re: Rüge im Unterschwellenbereich

Beitrag von Marie-aus-Berlin »

Ergänzung, gibt es dabei noch Unterschiede bei einer Vergabe nach (Berliner) Betriebsgesetz oder UVgO zu beachten?
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Christian aus Mainz
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Re: Rüge im Unterschwellenbereich

Beitrag von Christian aus Mainz »

Hallo Marie,

ich kenne mich in der Sektorenvergabe jetzt explizt nicht aus. Im normalen Vergaberecht ist eine Unterschwellenrüge prinzipiell als fachaufsichtliche Beschwerde zu werten, wobei sicherlich die Ausgangsbehörde erstmal das Recht zur Abhilfe hat. Dieser Allgemeine Grundsatz wird überlagert von landesrechtlichen Regeln speziellen Gesetzen oder Verwaltungsvorschriften, die auch für Unterschwellenvergaben Verfahren vorsehen. Hier ist erstmal das anwendbare Recht zu identifizieren. In meinem Fall gibt es ab 75.000 € netto Auftragswert nach der Landesverordnung über die Nachprüfung von Vergabeverfahren durch Vergabeprüfstellen Regelungen.Es gibt dann eine Vorabbenachrichtigung, ein Nachprüfungsverfahren und auch einen Suspensiveffekt, allerdings mit Unterschieden zum Oberschwellenbereich. Im Falle der Sektorenvergabe muss man dann nochmal schauen, ob die von den Regeln ausgenommen sind oder ob Sonderregeln gelten.

Grüße
Christian
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Marie-aus-Berlin
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Re: Rüge im Unterschwellenbereich

Beitrag von Marie-aus-Berlin »

Hallo Christian,

lieben Dank für deine Antwort. Ja das Vergaberecht ist schon sehr speziell. Im Sektorenbereich kommen hier (Berlin) meines Wissens im Unterschwellenbereich nur das BerlBG und die UVgO infrage bei der Vergabe von Lieferungen und Leistungen. Leider ist in beiden Verordnungen nichts zum Thema Rüge zu finden. §46 UVgO legt zwar fest, dass eine Unterrichtung der Bewerber und Bieter zu erfolgen hat und auf Verlangen des Bewerbers oder Bieters weitere Informationen erteilt werden müssen, jedoch ist zur Rügemöglichkeit (evtl. auch schon während des Verfahrens) nichts festgelegt. BerlBG legt noch weniger fest, nämlich nur die Pflicht zur Veröffentlichung. Daher ist mir das Prozedere komplett unklar.

Gruß, Marie
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Christian aus Mainz
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Re: Rüge im Unterschwellenbereich

Beitrag von Christian aus Mainz »

Hallo Marie,

§ 46 UVgO liegt nur die Rechtsfolgen einer Rüge nach Zuschlag fest. Dann ist sowieso nichts mehr drin, da der zivilrechtliche Vertrag geschlossen ist. Nach kurzer Recherche denke ich, dass es im Unterschwellenbereich in Berlin keine spezielle Rechtschutzmöglichkeit gibt, egal ob Sektorenauftraggeber oder Auftraggeber eines öffentlichen Auftrags. Es gibt dann höchstens formlose Rechtsbehelfe oder man hört auch von Möglichkeiten nach der ZPO.

Gruß Christian
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Re: Rüge im Unterschwellenbereich

Beitrag von Marie-aus-Berlin »

Hallo Christian,

danke für Deine Mühe. Das ist bisher auch mein Ergebnis, dass es keine konkrete Möglichkeit für Bieter im Unterschwellenbereich gibt. Was ich eigentlich erstaunlich finde. Es ist dazu jedenfalls nichts zu finden. ZPO würde ich nach meinen Kenntnissen da eigentlich auch ausschließen wollen. Ich wüsste nicht, wo man dort in Bezug auf eine Vergabe ansetzen sollte. 🤔

Gruß,

Marie
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Christian aus Mainz
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Re: Rüge im Unterschwellenbereich

Beitrag von Christian aus Mainz »

Schau mal hier in Bezug auf die ZPO. Das habe ich in der Praxis allerdings noch nie mitbekommen.

Insgesamt halte ich den Unterschwellenrechtschutz für einen der größten Beiträge zur Bürokratie. Das hat vielleicht mit meinem Job zu tun, aber bei einer 4stelligen Zahl von Vergaben im Jahr und Fachkräftemangel legt man die Verwaltung mit Vorinformationspflichten und weitern Erschwernisse, wie dem Zwang zu elektronischen Vergabeplattformen für alle Vergaben lahm. Verwaltungsintern muss pragmatisch beschafft werden, aber die Politik möchte das Vergabe Kinderarbeit verhindert, Mittelstand fördert, nachhaltig ist, Lieferketten überprüft, Sanktionen mit Russlandbezug durchsetzt, Tarifverträge durchsetzt, Ausbildung belohnt, Behinderte fördert, etc.. Das interessiert keinen Bedarfsträger und verlängert Beschaffungen unzumutbar. Das Verhältnis zwischen Kosten und Nutzen stimmt schon lange nicht mehr. Ich weiß, öffentliche Gelder verlangen eine Einschränkung der Vertragsfreiheit, aber nicht auf Kosten der Funktionsfähigkeit der Verwaltung. Aber das ist eher rechtspolitisch meine private Ansicht.
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Re: Rüge im Unterschwellenbereich

Beitrag von Marie-aus-Berlin »

Hallo Christian,

sehr interessanter Artikel, danke. Musste ein bissel schmunzeln über "Nachprüfungsverfahren light" im Hinblick auf deine Signatur.

Thema ex ante Bekanntmachung wurde auch gleich noch behandelt, sehr gut.

Fazit, hier in Berlin gäbe es wohl tatsächlich nur den Weg übers Zivilrecht. So wie ich es verstanden habe, kann also nicht gerügt werden durch den Bieter und demzufolge der Rüge auch nicht abgeholfen werden. Bleibt zu hoffen, dass sich daran nichts ändert. Ich sehe es so wie du, das würde vermutlich unglaublich viel Bürokratie nach sich ziehen, von den Verzögerungen bis zum Zuschlag ganz zu schweigen. Pflicht zur ex ante Bkm ebenso. Aber eine Direktvergabe unterliegt ja ohnehin strengen Kriterien, so kenne ich es zumindest aus der Praxis. Letztendlich würde ein Wirtschaftsprüfer wohl nur ermahnen können. Anders bei sonderfinanzierten Geschichten, wo ggf. Gelder entfallen und somit das Risiko wohl höher ist.

Ich stimme Dir zu, es ist ein wahnsinnig großer Aufwand, der da zu betreiben ist. Habe das schon mitbekommen. Lieferkettensorgfaltsgesetz, VwVBU/ Nachhaltigkeit... Wobei ich nicht glaube, dass dies Verfahren verlängert, da das ja mehr oder minder standardisierte Formulare sein sollten, aber es reduziert vermutlich den Kreis der interessierten Bieter sehr. Es ist einfach ein großer Aufwand an Formularen, die zu befüllen sind und insgesamt die Verfahren. Ich glaube, das scheuen auch viele potentielle Bieter.

Generell finde ich es gut und in Bezug auf öffentliche Gelder wichtig, die Verfahren und insbesondere die Bewertung so zu gestalten, dass alle Bieter gleich behandelt bzw. bewertet werden, aber hierin liegt auch der enorme Zeitaufwand, da sich jedes Verfahren individuell gestaltet. Von der Vorbereitung bis zur Zuschlagserteilung.

Ich hoffe es war verständlich, ist schon spät ;)

Gruß,

Marie
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famulus
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Re: Rüge im Unterschwellenbereich

Beitrag von famulus »

Marie-aus-Berlin hat geschrieben: Mittwoch 29. November 2023, 23:25 Wobei ich nicht glaube, dass dies Verfahren verlängert, da das ja mehr oder minder standardisierte Formulare sein sollten, aber es reduziert vermutlich den Kreis der interessierten Bieter sehr.
Im Ergebnis wahrscheinlich nicht. Es unterschreibt bzw. kreuzt halt jeder blind alles zur Angebotsabgabe Nötige
ungelesen bzw. notfalls wahrheitswidrig an. Konsequenzen hat das aus den von Christian genannten Gründen (insb. Personalkapazitäten, aber auch ganz praktisch: wie sollte der Vergabesachbearbeiter prüfen, ob nicht irgendwo in der Kette doch Kinderarbeit stattfindet?) so gut wie nie. Eine weltfremde, sinnlos-bürokratische Farce also.
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Re: Rüge im Unterschwellenbereich

Beitrag von Marie-aus-Berlin »

Hallo Famulus,

OK wahrscheinlich muss man hier inhaltlich unterscheiden zwischen der neutralen Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebotes, was ja durchaus sinnvoll ist, um gerade Steuergelder sinnvoll auszugeben.

Weitere Anforderungen hinsichtlich Mindestlohn, VwVBU machen m.E. auch Sinn und werden teilweise überprüft, aber auch einfach zur Eignungsprüfung/Bewertung mit herangezogen. In einem mir bekannten Vorgang wurden Nachhaltigkeitskriterien eingebaut, zum einen als Ausschlusskriterium, zum anderen erfolgte durch die Berücksichtigung der Lebenszykluskosten auch eine preisliche Bewertung. Nach meinen Informationen ist die Einbindung der VwVBU noch nicht gänzlich verpflichtend, aber schon gelebte Praxis.

Letztendlich stimme ich Dir hier zu: Wie soll die Lieferkette jeder Firma bis zum letzten Detail überprüfbar sein? De facto werden Firmen und deren Lieferketten aber auch überprüft. Dabei kann es sich sicherlich nur um Stichproben handeln, jedoch ist das doch auch eine Signalwirkung. Von allein werden Firmen da nichts verändern. Wenn das Risiko besteht, geprüft zu werden, naja zumindest ein großer Imageschaden ist dann (bei großen Unternehmen) wohl gegeben. Auch auf Wettbewerbsverletzungen wird ja geprüft und ich habe es bei einem großen Unternehmen erlebt, dass in dem Fall dann auch Aufträge aufgrund dessen nicht an die Firma gingen, bis Heilung erfolgt war.

Das führt mich zu der Frage, welche Institutionen prüfen eigentlich die verschieden Gesetze und Verordnungen (LKSG etc.). Aufgabe der Vergabestelle ist es aus oben von Christian ausgeführten Gründen doch nicht? Und wie bzw. wodurch kann dann Heilung erfolgen?

Viele Grüße,

Marie
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famulus
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Re: Rüge im Unterschwellenbereich

Beitrag von famulus »

Ich habe mich wahrscheinlich etwas zu drastisch ausgedrückt. Die z.T. "vergabefrenden" Belange an sich, die mit den Vorgaben gefördert werden sollen (Klimaschutz, Lohngerechtigkeit, Menschenrechte usw.) und insofern notwendigerweise die wirtschaftliche Beschaffung konterkarieren, sind natürlich zu verfolgen. Wenn das im Rahmen der Auftragsvergabe geschehen soll, sind damit freilich die Vergabestellen in der Pflicht zu "prüfen", wer sonst? Wegen der überbordenden Vielzahl an Belangen (davon können wir hier mit unserem ThürVergG, das sogar einen vergabespezifischen Mindestlohn vorschreibt, ein Lied singen) und der Ausstattung der Vergabestellen, von der auch die Bieter wissen, verkommt das aber regelmäßig zu Augenwischerei iSv "alle Kreuzchen da, ok - Angebot bleibt im Rennen". Eine Idee, wie man dem beikommen könnte, habe ich aber auch nicht.
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Re: Rüge im Unterschwellenbereich

Beitrag von Marie-aus-Berlin »

Ich bin mir gar nicht so sicher, ob die Vergabestellen da in der Pflicht sind zu prüfen. Also ich meine jenseits von ausgefüllten Formularen und gemachten Kreuzen. Sollten Verstöße von gewissen Unternehmen bzw. Lieferketten festgestellt werden (hier noch mal die Frage, wer prüft das eigentlich bis ins Detail vor Ort, weil solche Feststellungen gibt es ja), wird diese Information doch an die Vergabestellen weitergeben. Vielleicht gibt es für die Themen Menschenrechte, Nachhaltigkeit etc. auch mal so ein Register a la Wettbewerbsregister.

Wie wäre es eigentlich rechtlich einzuordnen, wenn Verstöße bekannt werden sollten? Also die gemachten Kreuzchen doch nur Augenwischerei waren und das irgendwie heraus kommt? Wenn der Zuschlag schon erteilt ist, was hätte das für mögliche Folgen? Undenkbar, wenn z.B. ein großes IT-Rollout läuft. Das wird dann wohl keiner einstampfen, weil beispielsweise der Mindestlohn beim Zulieferer der IT-Bude nicht gezahlt wird oder schwarz beschäftigt wird . Spannend in dem Zusammenhang auch Vergaben nach §13 SektVO. Der Gedanke an eine Direktvergabe, die bei Nichtbeauftragung aufgrund nicht passrechter Unterschriften und Kreuze zur Betriebsgefährdung führt bringt mich gerade zum Lachen. Aber für diesen Fall gibt es ja Härtefallregelungen. Einmal dokumentieren bitte, warum und weshalb, und dann den Zuschlag erteilen ;)

Viele Grüße,

Marie
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Re: Rüge im Unterschwellenbereich

Beitrag von Marie-aus-Berlin »

Habe die Details vergessen, meinte Vergaben nach §13 (2) 3. Aber das dachtest du dir sicher schon :D
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