Zurechnung von Willenserklärungen

Bürgerliches Recht, Handels- und Gesellschaftsrecht sowie Zivilprozeßrecht

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Zurechnung von Willenserklärungen

Beitrag von Manosfighter »

Hallo zusammen,

das OLG Karlsruhe hat unter dem AZ: 19 U 83/22 ein spannendes Urteil für jeden Jura-Erstsemester veröffentlicht ;)

Gebrauchtwagenkauf. Verkäufer verkauft dem Käufer ein Fahrzeug für X EUR und schickt ihm im Anschluss eine E-Mail mit den Zahlungsdaten. Kurze Zeit später folgt eine 2. E-Mail vom E-Mail Account des Verkäufers mit geänderten Zahlungsdaten. Käufer überweist auf das Konto in der 2. E-Mail. Die 2. E-Mail wurde von einem unbekannten Dritten (Hacker?!) über das Konto des Verkäufers versandt.

Frage: Leistete der Käufer schuldbefreiend?

Hier soll es um folgenden interessanten Teil Tatbestand gehen:
„Um 11:46 Uhr erhielt der Geschäftsführer der Beklagten eine weitere E-Mail von der E-Mail-Adresse der Klägerin mit einer neuen Rechnung im Anhang. Hierin war - nur in der Fußzeile, der Kopfbereich wies unverändert das vorgenannte Konto der Klägerin bei der Sparkasse T. aus - ein anderes Empfängerkonto - nunmehr bei der S-Bank in Berlin - eines Kontoinhabers P. D. angegeben.“

Das OLG führt im Hinblick auf die Zurechnung der Willenserklärung wir folgt aus:
„b) Die Leistung an einen Dritten hat nur unter den Voraussetzungen des § 362 Abs. 2 BGB befreiende Wirkung, die im Streitfall nicht erfüllt sind.

Unter anderem hat die Leistung an einen Dritten dann befreiende Wirkung, wenn dieser vom Gläubiger rechtsgeschäftlich ermächtigt ist, die Leistung im eigenen Namen in Empfang zu nehmen.“ (sic!) „Statt einen Dritten zum Empfang der Leistung zu ermächtigen (§ 362 Abs. 2, § 185 BGB), kann der Gläubiger auch dem Schuldner nach § 362 Abs. 2, § 185 BGB die Ermächtigung erteilen, die Leistung an einen Dritten zu erbringen. Die Ermächtigung braucht nicht ausdrücklich erteilt zu werden; schlüssiges Verhalten kann selbst dann genügen, wenn der Ermächtigende kein Erklärungsbewusstsein hat, aber der redliche Empfänger hiervon ausgehen darf. Die Leistung an einen nichtberechtigten Dritten erlangt - von gesetzlich besonders geregelten Fällen (vgl. etwa §§ 169, 370, 407, 408 BGB) abgesehen - nur dann befreiende Wirkung, wenn der Gläubiger sie nachträglich genehmigt oder wenn einer der beiden anderen Fälle des § 185 Abs. 2 BGB eintritt. Dass der Schuldner den Nichtberechtigten gutgläubig für empfangsberechtigt hält, führt also - sofern keine gesetzlichen Sonderregelungen bestehen - allein nicht zum Freiwerden des Schuldners. Vielmehr tritt Erfüllungswirkung in einem solchen Fall erst dann ein, wenn der nicht empfangsbefugte Dritte die Leistung entsprechend den Weisungen des Schuldners an den Gläubiger weiterleitet oder der Gläubiger die Leistungserbringung an den Dritten ausdrücklich oder schlüssig genehmigt (BGH, Urteil vom 14. Februar 2023 - XI ZR 537/21, juris Rn. 29).“

Die nun unter Rn. 24 getroffene Schlussfolgerung halte ich aufgrund der zutreffenden Grundsätze (oben Hervorhebungen durch mich), für nicht zwingend und zu kurz geraten:

„Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die um 11:46 Uhr von der Beklagten empfangene zweite E-Mail nebst Anlage tatsächlich nicht von der Klägerin stammt, so dass durch die Angabe des Namens P. D. nebst Bankverbindung bei der S-Bank in der angehängten Rechnung keine Ermächtigung im vorgenannten Sinne erfolgt ist. Eine nachträgliche Genehmigung durch die Klägerin ist ebensowenig erfolgt wie eine Weiterleitung der 13.500 € durch den Dritten an die Klägerin.“

Ich bin zumindest der Meinung, dass die Erklärung dem Verkäufer zugerechnet werden muss. Es handelt sich jedoch um eine vernichtbare (anfechtbare) Willenserklärung. Weil das Gesetz dem Erklärenden dann jedoch eine Wahlmöglichkeit zwischen Gültigkeit und Vernichtung der Willenserklärung einräumt (§119 I 2. Fall), entsteht für den Erklärungsempfänger eine Ungewissheit, ob es bei der Willenserklärung bleibt oder ob sie vernichtet wird. Dieser Schwebezustand muss in Interesse des Erklärungsempfängers möglichst bald beendet werden.
"Die „Seehunde in der Nordsee“ sind im Verwaltungsstreitverfahren nicht beteiligungsfähig."
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Re: Zurechnung von Willenserklärungen

Beitrag von thh »

Manosfighter hat geschrieben: Dienstag 21. November 2023, 10:51Kurze Zeit später folgt eine 2. E-Mail vom E-Mail Account des Verkäufers mit geänderten Zahlungsdaten. Käufer überweist auf das Konto in der 2. E-Mail. Die 2. E-Mail wurde von einem unbekannten Dritten (Hacker?!) über das Konto des Verkäufers versandt.
Ist das tatsächlich so? Oder erfolgte der Versand nur mit dem Absender (!) des Verkäufers von irgendwoher? (Der Absender einer E-Mail kann technisch grundsätzlich beliebig gewählt werden.) Letzteres erscheint weitaus wahrscheinlicher.
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Re: Zurechnung von Willenserklärungen

Beitrag von Manosfighter »

thh hat geschrieben: Dienstag 21. November 2023, 12:59
Manosfighter hat geschrieben: Dienstag 21. November 2023, 10:51Kurze Zeit später folgt eine 2. E-Mail vom E-Mail Account des Verkäufers mit geänderten Zahlungsdaten. Käufer überweist auf das Konto in der 2. E-Mail. Die 2. E-Mail wurde von einem unbekannten Dritten (Hacker?!) über das Konto des Verkäufers versandt.
Ist das tatsächlich so? Oder erfolgte der Versand nur mit dem Absender (!) des Verkäufers von irgendwoher? (Der Absender einer E-Mail kann technisch grundsätzlich beliebig gewählt werden.) Letzteres erscheint weitaus wahrscheinlicher.
Naja deswegen habe ich ja den Tatbestand aus dem Urteil mit reinkopiert. Hier scheint wirklich der Fall vorgelegen zu haben, dass über das E-Mailkonto des Verkäufers versendet wurde: „Um 11:46 Uhr erhielt der Geschäftsführer der Beklagten eine weitere E-Mail von der E-Mail-Adresse der Klägerin mit einer neuen Rechnung im Anhang. Hierin war - nur in der Fußzeile, der Kopfbereich wies unverändert das vorgenannte Konto der Klägerin bei der Sparkasse T. aus - ein anderes Empfängerkonto - nunmehr bei der S-Bank in Berlin - eines Kontoinhabers P. D. angegeben.“

Da steht von der E-Mailadresse der Klägerin... Das kann dann nur die tatsächliche sein, sonst würde im TB stehen von der vermeintlichen E-Mailadresse der Klägerin...
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Re: Zurechnung von Willenserklärungen

Beitrag von thh »

Manosfighter hat geschrieben: Dienstag 21. November 2023, 13:23Hier scheint wirklich der Fall vorgelegen zu haben, dass über das E-Mailkonto des Verkäufers versendet wurde:
Ja?
Manosfighter hat geschrieben: Dienstag 21. November 2023, 13:23Da steht von der E-Mailadresse der Klägerin... Das kann dann nur die tatsächliche sein, sonst würde im TB stehen von der vermeintlichen E-Mailadresse der Klägerin...
"Von der Mailadresse" bedeutet eben nicht "über das E-Mailkonto".
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Re: Zurechnung von Willenserklärungen

Beitrag von Strich »

Also wenn die Mail nicht aus dem Maikonto der Klägerin versendet wurde, halte das Urteil für richtig. Die E-Mail kam damit eben nicht von der Klägerin und ist eine gut gemachte Fälschung.
Stehe zu deinen Überzeugungen soweit und solange Logik oder Erfahrung dich nicht widerlegen. Denk daran: Wenn der Kaiser nackt aussieht ist der Kaiser auch nackt ... .
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Re: Zurechnung von Willenserklärungen

Beitrag von Manosfighter »

Da sieht man mal wieder das der Tatbestand nicht ordentlich geschrieben ist...
Ich verstehe den Tatbestand so, dass die 2. E-Mail aus dem Postfach des Klägers versendet worden ist...
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Re: Zurechnung von Willenserklärungen

Beitrag von Manosfighter »

Es ist aber so, dass die E-Mail über das E-Mail Konto des Klägers versandt wurde:

vgl auch hier: https://www.dr-datenschutz.de/olg-karls ... i-e-mails/
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Re: Zurechnung von Willenserklärungen

Beitrag von Torsten Kaiser »

Manosfighter hat geschrieben: Dienstag 21. November 2023, 10:51 Hallo zusammen,

das OLG Karlsruhe hat unter dem AZ: 19 U 83/22 ein spannendes Urteil für jeden Jura-Erstsemester veröffentlicht ;)

Gebrauchtwagenkauf. Verkäufer verkauft dem Käufer ein Fahrzeug für X EUR und schickt ihm im Anschluss eine E-Mail mit den Zahlungsdaten. Kurze Zeit später folgt eine 2. E-Mail vom E-Mail Account des Verkäufers mit geänderten Zahlungsdaten. Käufer überweist auf das Konto in der 2. E-Mail. Die 2. E-Mail wurde von einem unbekannten Dritten (Hacker?!) über das Konto des Verkäufers versandt.

Frage: Leistete der Käufer schuldbefreiend?

Hier soll es um folgenden interessanten Teil Tatbestand gehen:
„Um 11:46 Uhr erhielt der Geschäftsführer der Beklagten eine weitere E-Mail von der E-Mail-Adresse der Klägerin mit einer neuen Rechnung im Anhang. Hierin war - nur in der Fußzeile, der Kopfbereich wies unverändert das vorgenannte Konto der Klägerin bei der Sparkasse T. aus - ein anderes Empfängerkonto - nunmehr bei der S-Bank in Berlin - eines Kontoinhabers P. D. angegeben.“

Das OLG führt im Hinblick auf die Zurechnung der Willenserklärung wir folgt aus:
„b) Die Leistung an einen Dritten hat nur unter den Voraussetzungen des § 362 Abs. 2 BGB befreiende Wirkung, die im Streitfall nicht erfüllt sind.

Unter anderem hat die Leistung an einen Dritten dann befreiende Wirkung, wenn dieser vom Gläubiger rechtsgeschäftlich ermächtigt ist, die Leistung im eigenen Namen in Empfang zu nehmen.“ (sic!) „Statt einen Dritten zum Empfang der Leistung zu ermächtigen (§ 362 Abs. 2, § 185 BGB), kann der Gläubiger auch dem Schuldner nach § 362 Abs. 2, § 185 BGB die Ermächtigung erteilen, die Leistung an einen Dritten zu erbringen. Die Ermächtigung braucht nicht ausdrücklich erteilt zu werden; schlüssiges Verhalten kann selbst dann genügen, wenn der Ermächtigende kein Erklärungsbewusstsein hat, aber der redliche Empfänger hiervon ausgehen darf. Die Leistung an einen nichtberechtigten Dritten erlangt - von gesetzlich besonders geregelten Fällen (vgl. etwa §§ 169, 370, 407, 408 BGB) abgesehen - nur dann befreiende Wirkung, wenn der Gläubiger sie nachträglich genehmigt oder wenn einer der beiden anderen Fälle des § 185 Abs. 2 BGB eintritt. Dass der Schuldner den Nichtberechtigten gutgläubig für empfangsberechtigt hält, führt also - sofern keine gesetzlichen Sonderregelungen bestehen - allein nicht zum Freiwerden des Schuldners. Vielmehr tritt Erfüllungswirkung in einem solchen Fall erst dann ein, wenn der nicht empfangsbefugte Dritte die Leistung entsprechend den Weisungen des Schuldners an den Gläubiger weiterleitet oder der Gläubiger die Leistungserbringung an den Dritten ausdrücklich oder schlüssig genehmigt (BGH, Urteil vom 14. Februar 2023 - XI ZR 537/21, juris Rn. 29).“

Die nun unter Rn. 24 getroffene Schlussfolgerung halte ich aufgrund der zutreffenden Grundsätze (oben Hervorhebungen durch mich), für nicht zwingend und zu kurz geraten:

„Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die um 11:46 Uhr von der Beklagten empfangene zweite E-Mail nebst Anlage tatsächlich nicht von der Klägerin stammt, so dass durch die Angabe des Namens P. D. nebst Bankverbindung bei der S-Bank in der angehängten Rechnung keine Ermächtigung im vorgenannten Sinne erfolgt ist. Eine nachträgliche Genehmigung durch die Klägerin ist ebensowenig erfolgt wie eine Weiterleitung der 13.500 € durch den Dritten an die Klägerin.“

Ich bin zumindest der Meinung, dass die Erklärung dem Verkäufer zugerechnet werden muss. Es handelt sich jedoch um eine vernichtbare (anfechtbare) Willenserklärung. Weil das Gesetz dem Erklärenden dann jedoch eine Wahlmöglichkeit zwischen Gültigkeit und Vernichtung der Willenserklärung einräumt (§119 I 2. Fall), entsteht für den Erklärungsempfänger eine Ungewissheit, ob es bei der Willenserklärung bleibt oder ob sie vernichtet wird. Dieser Schwebezustand muss in Interesse des Erklärungsempfängers möglichst bald beendet werden.
Das hast du gut erkannt. Das Urteil ist seeeeeeeeeeehr examensrelevant!
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Re: Zurechnung von Willenserklärungen

Beitrag von Strich »

Bist du einer von denen, bei denen ein Skript eine ganze Familie ernährt?
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Re: Zurechnung von Willenserklärungen

Beitrag von famulus »

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Re: Zurechnung von Willenserklärungen

Beitrag von Torsten Kaiser »

Strich hat geschrieben: Freitag 22. Dezember 2023, 13:19 Bist du einer von denen, bei denen ein Skript eine ganze Familie ernährt?
Jo, der, der meinen Namen trägt .-)

Ich möchte jetzt auch mal ein bißchen in solchen Foren "mitmachen", mal gucken, ob es Spaß macht.

Frohes Fest!
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