Rechtskraft ZPO

Bürgerliches Recht, Handels- und Gesellschaftsrecht sowie Zivilprozeßrecht

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alsolazy
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Rechtskraft ZPO

Beitrag von alsolazy »

Hallo zusammen,

ich habe ein, zwei Fragen (zeigt sich im Verlauf der Themaerstellung :D) zum Zivilprozessrecht, genauer zur Rechtskraft.

In einem (Crashkurs-)Podcast zur ZPO habe ich gehört, dass nur der Tenor in Rechtskraft erwächst.
Im Tenor wird ja die Urteilsformel dargestellt, die den Anspruch und den Streitgegenstand erfassen soll.

Meine Frage ist nun, nach dem zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff erfasst der Streitgegenstand den Anspruch selbst, also bspw. die Forderung, und den Lebenssachverhalt.

In dem Podcast wurde gesagt, dass der Tenor nicht erfasst, ob die Anspruchsgrundlagen bestehen. Erfasst wird lediglich, dass der Anspruch aus, sagen wir dem Kaufvertrag, besteht. Wie passt dies dazu, dass der Tenor den Lebenssachverhalt miterfassen soll?
Sind die Anspruchsgründe nicht als Teil des Lebenssachverhalts anzusehen?

Meine zweite Frage ist nun, kann ich die Feststellung, dass der den Anspruch begründende Vertrag besteht, dadurch erreichen, dass ich ein Grundurteil beantrage, also ein Zwischenurteil über den Grund?

Drittens noch etwas zur Wirkung des Urteils:

Angenommen A hat eine Forderung gegen B. B hat eine Forderung gegen C.
A tritt die Forderung gegen B an C ab.
B verklagt den C und dieser rechnet mit der Forderung die er von A hat gegen B auf.
Das Gericht stellt fest, dass die Forderung nicht besteht.
Daraufhin, ficht A wirksam die Abtretung der Forderung an C ab.

Kann A jetzt mit der Forderung erneut gegen B klagen?

Nach meinem Verständnis könnte A weiterhin gegen B klagen, die Feststellung, dass die Forderung nicht besteht wirkt ja nur zwischen B und C. Hätte B die Wirkung auch gegen A gewollt, hätte er den Streit nach § 72 ZPO verkünden lassen sollen? Ich finde der § 72 ZPO passt nicht so gut und A wird ja kaum nebeninterventinieren? Wie könnte man das am schlausten lösen?

Danke schon mal im Voraus.
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Strich
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Re: Rechtskraft ZPO

Beitrag von Strich »

1. In Rechtskraft erwächst die Entscheidung über den Lebenssachverhalt im Tenor, nicht nur der Tenor selbst, was bei einem klageabweisenden Urteil offensichtlich ist.
Man muss ein bisschen Gespür für die Unterscheidung Tatsachen und Rechtsansichten entwickeln um das ganz zu verstehen:
Wenn ich vor Gericht geltend mache, gegen B einen Anspruch auf Zahlung von 1.000 € zu haben, dass sage ich, dass es einen Lebenssachverhalt gibt, der, subsummiert unter irgendwelche Normen, mich berechtigt dieses Geld zu fordern. Welche Normen das sind, spielt keine Rolle. Der Richter schaut sich den Sachverhalt an und entscheidet (mit Rechtskraft) darüber, ob dieser Sachverhalt (die Tatsachen) so beschaffen sind, dass mir 1.000 € fehlen, die der andere zu viel hat. (1.000 € haben und nicht haben sind btw. Tatsachen).
Wird die Klage also abgewiesen, weil es keinen Kaufvertrag gibt erwächst in Rechtskraft, dass der von mir vorgetragene Sachverhalt nicht so beschaffen war, dass mir die 1.000 € zustanden. Das kein Kaufvertrag (rechtliche Würdigung) vorlag, erwächst nicht in Rechtskraft (hierzu bedarf es eines Zwischenfeststellungsurteils). Wenn ich also morgen komme und B wieder verklage und geltend mache, mir stehen 1.000 € aus einem anderen Sachverhalt (anderer Vertrag) zu, kann ich das grundsätzlich machen. Hier werden dann die Abgrenzungsfragen selber Sachverhalt/anderer Sachverhalt relevant und auch spannend, aber bis hierher sollte das eigentlich klar sein.

Es ist auch leicht zu sehen, warum die zu entscheidende Rechtsfrage etwas anderes als die rechtskraftfähige Entscheidung ist:
Man muss sich dazu vergegenwärtigen, dass Gerichte länger existieren, als jede Rechtsordnung (im Sinne einer geschriebenen Rechtsordnung).
Gerichte entscheiden konkrete Sachverhalte und müssen das auch, wenn es "gar keine" Rechtsordnung gäbe. Wenn morgen das BGB außer Kraft tritt, wirst du trotzdem eine Entscheidung von einem Gericht erhalten können. Das wird dann wahrscheinlich wieder auf der Grundlage der "besseren Berechtigung" erfolgen (wie zu Beginn im Common Law). Diese Denkweise liegt aber auch dem BGB zugrunde, wenn der Eigentümer gegenüber dem Besitzer bei der Herausgabe das stärkere Recht hat (man denke an das Zusammentreffen von possessorischen und petitorischen Herausgabeklagen) Die Idee der Rechtskraft als Endpunkt eines Interessenkonflikts, als letztes Wort in einem Streit ist also ebenfalls "älter" als die dem zugrundeliegende Rechtsordnung. Aus dieser Perspektive sind die einzelnen Rechte "Details". Es geht um die Entscheidung des Streits und um seine endgültige Beendigung.

Zu deiner zweiten Frage:
Ja sollte so sein.
Stehe zu deinen Überzeugungen soweit und solange Logik oder Erfahrung dich nicht widerlegen. Denk daran: Wenn der Kaiser nackt aussieht ist der Kaiser auch nackt ... .
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Re: Rechtskraft ZPO

Beitrag von alsolazy »

Danke für die Antwort, habe es leider versäumt hier wieder reinzuschauen, Examensvorbereitungen und so … 
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Strich
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Re: Rechtskraft ZPO

Beitrag von Strich »

Und die Frage von dir gehörte offensichtlich nicht zur Examensvorbereitung?
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