Ist nicht fast jeder strafrechtliche Irrtum "irgendwie" ein Subsumtionsirrtum?

Straf-, Strafprozeß- und Ordnungswidrigkeitenrecht sowie Kriminologie

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ErfolgreicherJurist
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Ist nicht fast jeder strafrechtliche Irrtum "irgendwie" ein Subsumtionsirrtum?

Beitrag von ErfolgreicherJurist »

Hallo zusammen,

ich hoffe, ihr könnt mir beim Verständnis von Subsumtionsirrtümern helfen. Ich verstehe nicht ganz, wann einer vorliegt und wann nicht...

Ich weiß also, dass es Subsumtionsirrtümer gibt. Dabei handelt es sich um Auslegungsirrtümer, d.h. der Täter macht einen Irrtum bei der Auslegung eines Tatbestandsmerkmals. An diese ist aber grundsätzlich keine festgesetzte Rechtsfolge geknüpft und eigentlich handelt es sich nur um eine "Beschreibung", oder? Ich lese auch ständig, Subsumtionsirrtümer seien immer unbeachtlich, aber eigentlich können sie doch auch beachtlich sein, wenn ich richtig verstanden habe?

Denn ich stelle es mir wie folgt vor:
  • Beispiel 1 im Bereich des Vorsatzes (kein Subsumtionsirrtum): Wenn der Täter denkt, er schießt auf eine Vogelscheuche, in Wirklichkeit aber auf einen Menschen, dann hat er bloß Unkenntnis von dem Merkmal "Mensch" = er legt nichts fälschlich aus, es gibt keinen Subsumtionsirrtum und er unterliegt einem § 16 I StGB.
  • Beispiel 2 im Bereich des Vorsatzes ("beachtlicher" Subsumtionsirrtum): Wenn der Täter denkt, ein Buch gehört ihm, in Wirklichkeit gehört es aber jemand anderem, dann hat er das Merkmal "fremd" falsch ausgelegt = diese falsche Auslegung verhindert, dass er den sozialen Bedeutungsgehalt des Merkmals "fremd" erfasst, er unterliegt also einem Subsumtionsirrtum, der zu§ 16 I StGB führt.
  • Beispiel 3 im Bereich des Vorsatzes ("unbeachtlicher" Subsumtionsirrtum): Wenn der Täter denkt, Luft aus Autoreifen auszulassen sei keine Beschädigung, aber er trotzdem den sozialen Bedeutungsgehalt des Begriffs "Beschädigung" erkennt, also die Brauchbarkeitsminderung, dann hat er auch hier das Merkmal "Beschädigung" falsch ausgelegt = er hat den sozialen Bedeutungsgehalt der "Beschädigung" erfasst, und er unterliegt einem unbeachtlichen Subsumtionsirrtum, der nicht zu § 16 I StGB führt.

Theoretisch kann ein Subsumtionsirrtum auch nur bei normativen und deskriptiv-normativen Tatbestandsmerkmalen auftauchen, oder? Ich nehme auch gerne Lehrbuchempfehlungen an, die das ganze vielleicht schlüssiger erklären als Rengier und Roxin...

Vielen Dank im Voraus und viele Grüße! :-({|=
LMA
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Re: Ist nicht fast jeder strafrechtliche Irrtum "irgendwie" ein Subsumtionsirrtum?

Beitrag von LMA »

Was meinst du jeweils mit "im Bereich des Vorsatzes?

Beispiel 1 ist richtig.

Beispiel 2 ist falsch: Wenn er denkt es gehöre ihm, dann hat er ja genau verstanden, was mit "fremd" gemeint ist. Es hat allenfalls irgendeine BGB-Norm falsch ausgelegt, während er überlegt hat, ob es ihm gehört (das kann man deinem Beispiel aber nicht entnehmen).

Beispiel 3: Richtig, dann ggf (hier aber wohl nicht) 17 StGB.


Subsumtionsirrtümer sind auch bei deskriptiven Merkmalen möglich, wenn auch normative Merkmale anfälliger sind.


Frage dich immer: Geht es um einen Irrtum über Realität außerhalb des StGB (dazu gehört auch die Eigentumslage) oder des Strafgesetzes.

Nur falls du darauf stößt: Ganz knifflig wird das bei Blankettgesetzen.
ErfolgreicherJurist
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Re: Ist nicht fast jeder strafrechtliche Irrtum "irgendwie" ein Subsumtionsirrtum?

Beitrag von ErfolgreicherJurist »

Hey LMA,

erstmal danke für Deine Antwort! Vielleicht versuche ich meine Frage etwas umzuformulieren:

In Roxin steht, dass "[ein Subsumtionsirrtum] entweder ein Tatbestandsirrtum oder ein Verbots-
irrtum oder auch nur ein unbeachtlicher Strafbarkeitsirrtum sein [kann], je nachdem, ob er dem
Täter den sozialen Bedeutungsgehalt eines Merkmals oder nur das tatbestandsspezifische
Verbot oder nur die Strafbarkeit seines Handelns verschleiert" (Roxin, 5. Aufl. 2020, StrafR AT, Bd. 1, § 21 Rn. 23.).

Ich kenne den Subsumtionsirrtum nur als unbeachtlichen Irrtum, der eben nicht zum Vorsatzausschluss führt, wie bspw. § 16 I StGB. Im Anschluss prüft man dann meistens das Vorliegen eines (vermeidbaren) Verbotsirrtums nach § 17 StGB.

Im Prinzip verstehe ich die Tatbestands-, Verbots- und Subsumtionsirrtümer sowie unbeachtlichen Strafbarkeitsirrtümer jeweils als eigenständige Irrtumsarten. Ich kann nicht nachvollziehen, wieso Roxin schreibt, ein Subsumtionsirrtum könne bspw. ein Tatbestandsirrtum sein - das wäre für mich ein Widerspruch, weil ein Tatbestandsirrtum bspw. zum Vorsatzausschluss führt, und ein Subsumtionsirrtum eben nicht.

Hoffe das macht es klarer?

Liebe Grüße!
LMA
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Re: Ist nicht fast jeder strafrechtliche Irrtum "irgendwie" ein Subsumtionsirrtum?

Beitrag von LMA »

Vorneweg: Der Begriff "Tatbestandsirrtum" ist gefährlich. Es ist eigentlich ein Tatumstandsirrtum. Das scheint Roxin aber auch nicht so genau zu nehmen.

Ein Subsumtionsirrtum steht mE nicht neben anderen Irrtumsarten, sondern ist eine faktische Beschreibung eines Irrtums, der auf fehlerhafter Subsumtion beruht. Damit ist er in der Regel ein Unterfall des Verbotsirrtums. Es ist allenfalls dann noch ein Unterfall des Tatumstandsirrtums (§ 16), wenn man die Subsumtion auf BGB-Normen bezieht. Wenn ich die §§ zur Ersitzung falsch auslege, dann subsumiere ich ggf. falsch ... und trotzdem wäre es bei § 242 StGB ein Tatumstandsirrtum.

Die Unterscheidung Verbotsirrtum und Strafbarkeitsirrtum ist dir klar, oder?

Was Roxin da sagen will mit dem Tatbestandsirrtum, verstehe ich aber auch nicht. Er definiert es als Irrtum, der dem Täter den sozialen Bedeutungsgehalt eines Merkmals verschleiert. Klingt mir sehr nach Verbotsirrtum.

Das alles zeigt die Notwendigkeit, nicht mit Begriffen um sich zu schmeißen, sondern sauber an § 16 und § 17 anzuknüpfen.
jona7317
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Re: Ist nicht fast jeder strafrechtliche Irrtum "irgendwie" ein Subsumtionsirrtum?

Beitrag von jona7317 »

Stimme zu, die Aufstellung anderer Kategorien neben Tatbestandsirrtum und Verbotsirrtum, an die das Gesetz eine feste Rechtsfolge anknüpft, hilft nicht wirklich weiter und verleitet zu falschen Vereinfachungen.
Die Frage die sich immer stellt, ist ob ein konkret im Einzelfall aufgetretener Irrtum einen Verbots- oder Tatbestandsirrtum iSd §§ 16, 17 StGB darstellt. Ob man diesen konkreten Irrtum nun als Subsumtions- oder Strafbarkeitsirrtum bezeichnen möchte ist völlig egal. Für meine Begriffe beschreibt der Subsumstionsirrtum eine Situation, in der der Täter sowohl die Rechtsnorm richtig versteht als auch die Sachlage richtig erkennt, wohl aber bei der Anwendung der Rechtsnorm auf die Sachlage einen gedanklichen Fehler macht und nicht bemerkt, dass die korrekt erkannte Sachlage den Tatbestand der Rechtsnorm erfüllt. Damit kommt er im Ergebnis zum fehlerhaften Schluss, dass sein Verhalten erlaubt (oder umgekehrt: verboten) ist, was ggf. einen Verbotsirrtum nach § 17 StGB (oder umgekehrt: ein Wahndelikt) darstellt. Ein Tatbestandsirrtum kann der Subsumtionsirrtum meines Wissens nach nicht sein, aber wie gesagt ist es begrenzt sinnvoll, real auftretende Irrtumsarten kategorisieren und pauschal entweder in § 16 oder § 17 einordnen zu wollen. Wenn man den konkreten Irrtum im Einzelfall mit den Begriffen der §§ 16, 17 StGB bearbeitet, kommt man mEn immer zum richtigen Ergebnis. Wenn man stattdessen versucht zu erkennen, ob das nun ein Subsumtionsirrtum ist, der laut Lehrbuch immer nur ein 17er ist, gewinnt man nichts außer dem Risiko vermeidbare Fehler zu machen.
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Re: Ist nicht fast jeder strafrechtliche Irrtum "irgendwie" ein Subsumtionsirrtum?

Beitrag von ErfolgreicherJurist »

Die Unterscheidung Verbotsirrtum und Strafbarkeitsirrtum ist dir klar, oder?
Nach meinem Verständnis besteht ein Verbotsirrtum i.S.d. § 17 StGB, wenn der Täter bspw. den einschlägigen Straftatbestand nicht kennt, diesen für ungültig hält oder einfach denkt, sein Verhalten falle nicht unter diesen Straftatbestand. D.h. er kennt das Unrecht seines Verhaltens nicht.

Ein Strafbarkeitsirrtum hingegen ist für mich einfach ein besonderer Unterfall des Verbotsirrtums, d.h. wenn der Täter zwar denkt, etwas ist bspw. zivilrechtlich, aber nicht strafrechtlich verboten.
Wenn man den konkreten Irrtum im Einzelfall mit den Begriffen der §§ 16, 17 StGB bearbeitet, kommt man mEn immer zum richtigen Ergebnis.
Ich glaube so werde ich das auch handhaben. Ich habe jetzt auf jeden Fall verstanden, dass der Subsumtionsirrtum einfach nur eine Bezeichnung dafür ist, wie der Täter irrt, und nicht dafür, was für eine Art Irrtum vorliegt.

Leider reden entweder alle Lehrbücher, die ich kenne, um den heißen Brei herum, oder geben sehr pauschale Antworten, die einem beim späteren Falllösen früher oder später auf die Füße fallen...

Deswegen vielen Dank Euch beiden für die ausführlichen Erklärungen! :-({|=
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