Wo kann ich arbeiten ohne durchzudrehen?

[juramausxx]

Hallo Zusammen <33

ich habe 2022 mein erstes Staatsexamen gemacht und nach einer Horror-Examensvorbereitung im ersten Lockdown zu meiner eigenen Überraschung tatsächlich die 9 Punkte erreichen können. Voller Enthusiasmus habe ich dann als WissMit in einer GK angefangen und hab leider den totalen Fehlgriff gemacht.

Ich war erst einmal absolut geschockt, wie viel die Associates in meinem Team arbeiten mussten (jeden Tag 9-22/23 Uhr + jeden Samstag bis 18 Uhr), hatte aber auch super Pech mit dem Main Partner der Abteilung, der gerne mal seine Mitarbeitenden angeschrien hat (mich zum Glück nicht) und einem anderen WissMit, der sich einen Spaß daraus gemacht hat, den ganzen Tag lang Witze auf Kosten anderer zu machen und regelmäßig sexistische und andere politisch unkorrekte Sachen rauszuhauen (wobei ich die einzige Person war, die ihn zurecht gewiesen hat, weshalb ich auch zu seinem Lieblingsopfer wurde).

Long Story Short, für mich war nach kürzester Zeit klar, dieser Ort entspricht absolut nicht meinen Werten - ich hatte das Gefühl, fast alle (gab auch ganz liebe tolle Einzelfälle) machen ihren Job nur für die Kohle, ihr Ego, den Status und ich pass da absolut nicht rein.

Jetzt bin ich nach einer kompletter Sinneskrise, ob ich überhaupt Juristin sein möchte und einer happy Pause in meinem alten Nebenjob im Einzelhandel an dem Punkt, an dem ich für mich gemerkt habe: ja ich will Volljuristin werden, aber anders als ich es bisher kennengelernt habe. Ich bin gut in dem ich mache, bin aber auch eine sensible und werteorientierte Maus und will als Juristin arbeiten, ohne dabei meine Seele verkaufen zu müssen.

Aktuell warte ich noch ein Jahr auf meinen Ref-Platz in Berlin und suche für die Zeit, nach einem neuen Job.
Ich habe bereits Bewerbungen an verschiedene Ministerien geschickt, möchte mich aber breit aufstellen im Bewerbungsprozess und suche nach weiteren Ideen.

Im Idealfall würde ich gerne 4 Tage die Woche arbeiten mit Home-Office-Option und das in einem Laden, wo Diskriminierung jeglicher Art, nicht salonfähig ist und wo nicht erwartet wird, dass die Mitarbeitenden nur für ihren Job leben.

Hat jemand eine ähnliche Erfahrung gemacht und eine Idee für mich? Ich freu mich riesig über jede Antwort! <33

[thh]

Voller Enthusiasmus habe ich dann als WissMit in einer GK angefangen und hab leider den totalen Fehlgriff gemacht.

Ich war erst einmal absolut geschockt, wie viel die Associates in meinem Team arbeiten mussten (jeden Tag 9-22/23 Uhr + jeden Samstag bis 18 Uhr),

Ja, viel Geld, lange Arbeitszeiten. So weit wenig überraschend.

Jetzt bin ich nach einer kompletter Sinneskrise, ob ich überhaupt Juristin sein möchte und einer happy Pause in meinem alten Nebenjob im Einzelhandel an dem Punkt, an dem ich für mich gemerkt habe: ja ich will Volljuristin werden, aber anders als ich es bisher kennengelernt habe. Ich bin gut in dem ich mache, bin aber auch eine sensible und werteorientierte Maus und will als Juristin arbeiten, ohne dabei meine Seele verkaufen zu müssen.

Aktuell warte ich noch ein Jahr auf meinen Ref-Platz in Berlin und suche für die Zeit, nach einem neuen Job.
Ich habe bereits Bewerbungen an verschiedene Ministerien geschickt,

Die Annahme, als "sensible und werteorientierte Maus" ausgerechnet in einer obersten Landes- oder Bundesbehörde glücklich zu werden, erscheint mir eher fernliegend.

[Strich]

Es freut mich, dass du noch Ref machen möchtest! Ich glaube, das gibt dir genug Möglichkeiten in verschiedene Bereiche der Juristerei Einblicke zu erhalten.

"Diskriminierung jeglicher Art", schwierig, da die Juristerei aus Diskriminierungen besteht: Ist die Geschäftsführerin noch zuverlässig oder nicht ...

[JuraPunk]

Falls Arbeits- und Sozialrecht etwas für dich sind: DGB Rechtsschutz GmbH. Werteorientierter geht fast nicht. Stellen sind immer mal wieder ausgeschrieben, auch in Teilzeit.

[Ara]

Ich bin gut in dem ich mache, bin aber auch eine sensible und werteorientierte Maus und will als Juristin arbeiten, ohne dabei meine Seele verkaufen zu müssen.

Das "Problem" ist, dass der klassische Jurist ein Vertreter/Beistand/Verteidiger von jemanden ist und die eigenen Meinungen und Wertevorstellungen (bis zu einem gewissen Grad) hinten an stellt. Ein guter Jurist kann in dem gleichen Verfahren in allen Rollen agieren und würde andere Standpunkte vertreten.

Von daher bleibt dir ja eigentlich nur übrig, dass du irgendwo für jemanden arbeitest, der deine Werte zu nahezu 100% teilt. Da kommts natürlich auf deine Werte an, aber ich sehe dann da auch eigentlich nur sowas wie NGOs oder Gewerkschaften.

Oder Option 2: Du schaffst es deine eigenen Wertvorstellungen von denen deiner Mandaten/Arbeitgebers zu trennen und suchst dir einfach ne Umgebung mit coolen Kollegen und wirst auch so glücklich, ohne immer die Werte deines Auftraggebers zu teilen. Muss ja nicht unbedingt für Airbus Defence and Space sein.

[Julia]

Einer Bekannten ging es ähnlich: Fachlich fantastische Juristin, aber "zu alternativ" für die meisten klassischen Berufe (sagt die Juristin mit grünen Haaren ). Soweit ich weiß, ist sie mittlerweile seit einigen Jahren in einer eher kleinen Kanzlei, die sich ausschließlich in AGG Sachen mit besonderem Fokus auf LGBTQAI* herumtreibt. Durch die kleine Nische und doch einiger Nachfrage ist sie sehr glücklich, so zumindest mein letzter Stand. Vielleicht gibt es ja eine Nische, in der du dich auch entsprechend wohlfühlen könntest?

[Mia]

Üblicherweise wird in "werteorientieren" Bereichen eine hohe Selbstausbeutungsbereitschaft vorausgesetzt.

4 Tage Woche dürfte fast überall eine kleine Hürde sein, aber findet sich sicher auch.

[Sebast1an]

Arschlöcher oder super nette Kollegen kann es überall geben. Das ist m. E. nicht von der Berufswahl an sich abhängig.

Den von dir gewünschten Arbeitsumständen kommt der öffentliche Dienst sehr nahe. Dort gibt es aber auch wieder andere Nachteile.

[Schnitte]

Es sieht so aus, als ob die TE hier mehrere Ziele gleichzeitig verfolgt: Maßvolle Arbeitszeiten, zotenfreies Arbeitsumfeld und Übereinstimmung der Arbeit mit ihren individuellen politischen Überzeugungen. Vermutlich wird auch noch die Vergütung eine Rolle spielen. Jedes einzelne dieser Ziele ist für sich genommen verständlich, aber man muss sich darüber im Klaren sein, dass die Suche um so schwerer wird, je mehr Zielvorgaben man verfolgt. Nach einer Weile mag es daher nötig werden können, bei einem dieser Ziele Abstriche zu machen, und dafür wird man priorisieren müssen. Wie diese Ziele untereinander zu priorisieren sind, kann nur die TE selbst beantworten.

Ich glaube auch, dass der öffentliche Dienst vom Gesamtpaket her den Vorstellungen am nächsten kommt, irgendwo auf der unteren oder mittleren Verwaltungsebene. Man muss sich aber freilich über die dortigen Nachteile im Klaren sein: Oft hierarchische Strukturen, nicht immer sehr motivierte Kollegen. Und je nach Wahlergebnissen kann sich die Übereinstimmung mit eigenen politischen Vorstellungen ganz schnell ändern.