Aufsatzthema: Selbsthilfe/Beförderungsentgelt/Notwehrrecht

Straf-, Strafprozeß- und Ordnungswidrigkeitenrecht sowie Kriminologie

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Schnitte
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Re: Aufsatzthema: Selbsthilfe/Beförderungsentgelt/Notwehrrecht

Beitrag von Schnitte »

FKN993 hat geschrieben: Sonntag 27. Oktober 2024, 18:59 Und Schnitte? (Stichwort Vendetta^^)
So, oder so ähnlich, könnte es sich zugetragen haben:

Mal angenommen du wärest Oberarzt. Du bist natürlich sehr umweltbewusst und hast deswegen entschieden lieber mit der Straßenbahn zu fahren. Du hast eine dringende OP-Vorbereitung vor dir (noch stirbt keiner). Das Dauerticket hast du natürlich dabei, auch deinen Mitarbeiterausweis vom Krankenhaus mit Foto. Der amtliche Lichtbildausweis fehlt natürlich. Dann passiert, was passieren muss und kurz vor dem Halt erwischt dich der rechtstreue Kontrolleur K. K, der sich freut endlich mal was zu tun haben, schenkt deiner Story natürlich keinen Glauben. Aus Unverständnis heraus, dass er das nicht anerkennt, willst du ihn stehen lassen. K, der dich Gauner natürlich nicht entkommen lassen will, hechtet dir hinterher und versucht dich zu ergreifen. Erst schubst du ihn weg, doch aus das war erfolglos, sodass du ihm einen ordentlichen Kinnhaken verpassen wolltest. K kommt dir aber zuvor, ein geübter Judoka, wendet eine Würge-Hebel-Technik an und streckt dich nieder. Währenddessen würgt er im Eifer des Gefechts etwas zu sehr und bricht dir in der Folge zusätzlich noch das Zungenbein (Halsverletzung). Im Polizeigriff unschädlich gemacht am Boden und einem Knie im Rücken, dauerte es noch ca. weitere 15 Minuten bis die Polizei eintraf, um deine Personalien festzustellen. Dann bekommst du von K endlich das Knöllchen. Am nächsten Tag weist du deine Berechtigung nach und zahlst 7€. In der Folge musstest du drei Tage ins Krankenhaus. Abstrakte Lebensgefahr bestand, konkret aber nicht. Es folgen entsprechende Anzeigen.

Angenommen, es wäre dir so oder so ähnlich passiert, was würdest du sagen?
Ich würde sagen, dass man zu jedem Gesetz irgendeinen extremen Einzelfall konstruieren kann, in dem es ungerecht erscheinen mag, auf wortlautgetreue Einhaltung des Gesetzes zu pochen. Aber für solche Extremfälle sind die Gesetze nicht geschrieben. Sie sind geschrieben für die überwältigende Mehrheit der Fälle, die sich tagein, tagaus ereignen, und müssen an diesen Standardfällen gemessen werden. Und da erscheint mir die Regel, dass der Kontrolleur bei Weigerung des Fahrgastes, eine Fahrkarte vorzulegen, die Rechte zur Selbsthilfe und zur Festnahme hat, völlig in Ordnung.

Übrigens ist der Fall unrealistisch konstruiert. Ich bin in meinem Leben schon oft in Fahrkartenkontrollen geraten, aber noch nie wurde zusätzlich zur Fahrkarte der Lichtbildausweis verlangt. Ich weiß, dass die Dauerkarte streng genommen nur in Verbindung mit einem Lichtbildausweis gültig ist, aber meiner Erfahrung nach ist das den Kontrolleuren völlig egal, solange die Fahrkarte selbst stimmt.
"Das Vertragsrecht der Bundesrepublik Deutschland und die gesetzlich vorgesehenen Möglichkeiten, die Erfüllung von Verträgen zu erzwingen [...], verstoßen nicht gegen göttliches Recht."

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Schnitte
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Re: Aufsatzthema: Selbsthilfe/Beförderungsentgelt/Notwehrrecht

Beitrag von Schnitte »

FKN993 hat geschrieben: Sonntag 27. Oktober 2024, 18:24 Eine gute Frage. Warum kann man hier nicht auch mal pragmatisch denken?

Naja, man könnte mal erwägen, ob man die EVO/BefBedV unter dem Stichwort Digitalisierung überdenkt. Die BefBedV ist z.B. von 1970. Mittlerweile sind alle personengebundenen Tickets als Handytickets abrufbar. Die Beförderungsbedingungen des Anbieters, auch die entsprechenden Beförderungsbedingungen, sehen i.d.R. vor, dass diese nur mit i.V. mit einem „amtlichen Lichtbildausweis“ gültige Fahrtickets darstellen. Das Erfordernis des amtlichen Lichtbildausweises geht auch beispielsweise über das Schutzniveau des § 8 II BefBedV hinaus, wenn dort lediglich von einem fehlenden Personenausweis gesprochen wird. Das ist aber kein amtlicher Lichtbildausweis. Was ist der Vorteil in Sachen Beweiswert zwischen einem Schülerticket/Uniausweis (mit Foto) und einem amtlichen? Erkenne ich keinen wirklich.

Man könnte ja technische Möglichkeiten schaffen, um eine Datenabfrage mit Einwilligung zu ermöglichen. Wenn es um einen vergessenen Lichtbildausweis geht, dann könnte auch i.V. mit dem Ticketanbieter ein Foto des Inhabers online hinterlegt werden. Ein einfaches Foto würde doch sicher reichen (§ 8 II BefBedV). Für den Fall, dass beides fehlt, könnte man unter Nennung seiner Daten ebenfalls einem Abgleich einwilligen. Also rechtliche und praktische Bedenken gegen solche Lösungen erkenne ich nicht. Vor allem dann nicht, wenn man praktisch sogar dazu gezwungen wird seine Kreditkarteninformationen beim Anbieter zu hinterlegen (so ist das nämlich bei uns), um so ein Ticket überhaupt zu erwerben. Und wer ohne dasteht, macht sich strafbar, und dem steht die Möglichkeit ohnehin nicht offen. Der kann dann meinetwegen auch festgehalten werden dürfen. Ein Missbrauchsrisiko bestünde damit nicht. Entscheidend dafür spricht auch, dass die Polizeitätigkeit damit entlastet wird und die sich dann wieder ihren eigentlichen Aufgaben widmen kann. Es ist üblich, dass in solchen Fällen immer die Polizei zum Datenabgleich kommen muss. Was können die tun? Die können auch nur eine Meldeabfrage machen. Ein Foto bekommen die ja auch nicht.

Also mir kommt das vor, als lebten wir noch immer im Mittelalter.
So, und jetzt bist du Kontrolleur, triffst im Zug einen älteren Fahrgast an, der dir schwört, dass er kein Smartphone hat, weil er das neumodische Zeug nicht versteht, dass er aber natürlich eine Jahreskarte hat, die er aber leider zuhause vergessen hat. Du willst seine Personalien aufnehmen und ihn darauf hinweisen, dass er eine Woche Zeit hat, die Jahreskarte im Büro des Verkehrsverbundes vorzulegen; wenn er das tut, zahlt er 7 Euro, ansonsten mindestens 60, ggf. droht ihm auch Strafverfolgung nach § 265a StGB. Daraufhin wird der Fahrgast sehr wirsch, tönt, dass das ja wohl absolut unverschämt sei, und will gehen. Ob seine Geschichte stimmt oder nicht, kannst du als Kontrolleur natürlich nicht wissen. Hinderst du ihm am Gehen oder nicht, wohl wissend, dass zwar einerseits die Geschichte mit der vergessenen Jahreskarte erfunden sein kann, andererseits aber dir nach deiner Auslegung ein Strafverfahren wegen Nötigung droht, falls es sich herausstellen sollte, dass sie doch stimmt?
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Re: Aufsatzthema: Selbsthilfe/Beförderungsentgelt/Notwehrrecht

Beitrag von FKN993 »

So konstruiert finde ich den gar nicht (AG Leverkusen Urt. v. 15.5.2020 – 25 C 51/20, BeckRS 2020, 9019): Da hatte jemand nur seine Krankenkassenkarte mit Foto dabei, er weigerte sich, und wurde dann auf Zahlung des EBE verklagt. Das fand ich auch bescheuert.

Ja, du hast recht. Aber es ist auch ein Dilemma. Und in Wahrheit sind es doch nur 7€ und nachträglich stellt sich raus, dass fast alles in Ordnung war. Natürlich, wenn ich der K bin, dann wird mir doch ständig eine Story erzählt. Ich persönlich würde es auch nicht glauben. Naja, meine Auslegung würde ihm zumindest einen unvermeidbaren Verbotsirrtum bescheren und oder ETBI. Ja, es passt nicht, weil er (zivilrechtlich) rechtlich alles richtig gemacht hat; er musste das nicht glauben. Ich sehe das ja irgendwie ein, aber: Es kann sich doch beides überlappen: Was das nicht Recht nicht wirklich abbilden kann, wenn er zwar Festhalten darf, aber völlig übersteuert dabei (AG Hamburg Urt. v. 30.10.2006 – 644 C 402/05, BeckRS 2006, 16971). Soll man sich dann nicht wehren dürfen oder unter Gefahr der Strafbarkeit? Da finde ich, dass man das Notwehrrecht "irgendwie" retten muss.

Aber die Ursache ist eigentlich (praktisch), dass man meint, dass es keine andere Möglichkeit gäbe. Ich bin mir sicher, dass das technisch geht (so eine Abfragegeschichte).

Mich ärgert einfach, dass ich schon so viel geschrieben habe. Und ich bin damit auch insgesamt nicht zufrieden. Das frustriert mich irgendwie. Aufgeben ist eigentlich nicht mein Ding. Ich war immer ein Feind von uferlosen teleologischen Auslegungen, zumindest am Ende. Was der BGH manchmal macht: So, das ist unser gefundenes Ergebnis. ABER: Das ändern wir mal doch ab. Ist es überhaupt Aufgabe des Gerichts sowas zu machen? Ah, was der Gesetzgeber da gemacht hat, passt uns nicht im Ergebnis? Eigentlich nicht, oder?
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Re: Aufsatzthema: Selbsthilfe/Beförderungsentgelt/Notwehrrecht

Beitrag von KMR »

Natürlich macht der BGH das gerne mal; er bemüht ja auch vielfach - auch die Zivilsenate - rechtspolitischer Argumente, ohne dass dies der juristischen Methodenlehre entspräche; die Rechtsfolgenlösung beim Mord ist ja auch so eine eigens entwickelte Sache; verzichtet auf Vorlagebeschlüsse an den EuGH, weil man das eigene Ergebnis für richtig hält und sich da nicht zwischengrätschen lassen will o.ä. Grundsätzlich wäre das natürlich Aufgabe des Gesetzgebers und solche starken Abweichungen vom Gesetz werden, auch wenn sie vielleicht wertungsmäßig für richtig befunden werden, vielfach im Schrifttum kritisiert, wenn sie nicht mehr den Erfordernissen einer Rechtsfortbildung entsprechen, sondern dabei über zulässige Rechtsfortbildung hinaus in die Aufgabe des Gesetzgebers eingegriffen wird. Teilweise widersprechen sich auch Zivilsenate gegenseitig, ohne dass man vor Entscheidungsfindung bei dem jeweils anderen die st.Rspr. begründenden Senat mal anfragt. Nicht grundlos gibt es bei manchen Themen so stark abweichende Literaturauffassungen im Vergleich; die BGH gilt m.E. in manchen Aspekten als eines der "kontroverseren" der obersten Gerichtshöfe des Bundes; aber das ist womöglich auch dem System des unserer Rechtsordnung zugrunde liegenden civil law geschuldet bzw. der fehlenden '(vertical) stare decisis'

Letztlich kann man sich natürlich fragen, ob das von dir angesprochene Thema tatsächlich ein derartiges Unrecht in der Praxis beinhaltet, dass es notwendig wäre das zu thematisieren. Bekanntlich ist Praxisrelevanz ist jedoch kein notwendiges Kriterium für (juristische) Veröffentlichungen.

Deine "Abfragegeschichte" könnte - ohne mich weiter mit der genau geplanten Ausgestaltung auseinandergesetzt zu haben - womöglich mit der geplanten Einführung des digitalen/mobilen Personalausweises funktionieren. Je nach dem wie das gemacht ist, hätte man dann immer einen amtl. Lichtbildausweis dabei, wenn man auch ein Handyticket dabei hat.
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Re: Aufsatzthema: Selbsthilfe/Beförderungsentgelt/Notwehrrecht

Beitrag von FKN993 »

Du stichst genau das an, worauf ich hinaus wollte. Ich frage einfach danach, wie ihr persönlich das findet. Naja, aber diejenigen, die zwecks Restriktion einen verwerflichen Vertrauensbruch fordern, bekleckern sich dogmatisch auch nicht besonders mit Ruhm. Allerdings muss man auch erkennen, dass § 211 StGB insgesamt ein systematischer Ausreißer ist. Das Unrecht wird ja teilweise durch eine Gesinnung des Täters begründet. Die Ideologie, auf dem der Tatbestand beruht, beruht ja auf der Tätertypenlehre; das ist ja NS-Ideolgie. Also nochmal aufgegriffen: Hier entscheidet die Vorstellung des Täters oft über die Rechtswidrigkeit, wenn man so möchte. Naja, im Strafrecht hast du das ja oft, dass generell sehr rechtspolitisch sich Fragestellungen zugewandt wird: Ich hatte mal eine heftige Diskussion mit meinem Repetitor zur Rücktrittsdogmatik. Das betraf die Frage, welche Anforderungen an die Vollendungsverhinderung beim beendeten Versuch zu stellen sind. Dazu: Ich halt die Bestleistungstheorie nicht für eine Analogie. Und das Argument des angeblichen Opferschutzes, was da eingewendet wird, ist eigentlich rechtspolitischer Natur. Ließe man nur eine Rettungskausalkette genügen, hättest du das Problem, dass der Täter dann im Zweifel sogar erneut im Zeitpunkt der Beendigung der Rücktrittshandlung billigend in Kauf nehmen würde, dass sein Opfer gefährdet wird. Stell dir vor, dass der Täter das schwer blutende Opfer kurz vorm Krankenhaus aussetzt. Er hofft, dass es gefunden wird. Es hängt dann vom Zufall ab, wenn es klappt. Aber auch hier: Wenn man sich das dogmatische Fundament des § 24 StGB und des Versuchs anschaut, dann ist auch das auch wieder fraglich, was da begründet wird. Deshalb habe ich hier mit dem Thema und meiner Lösung auch solche Bedenken. Ich finde das schwierig, wenn man politische Ansichten und Rechtsdogmatik nicht voneinander trennt; beziehungsweise sollte die politische Auffassung nicht zum Leitmotiv werden, um eine Rechtsauffassung zu vertreten oder irgendwelche Einzelfallgerechtigkeit zu schaffen. Irgendwie kommt es mir aber so vor als versuchte ich das. Das Recht sollte sich aus dem Recht entwickeln und nicht aus irgendwelchen anderen Anknüpfungen. Ich würde ja auch maßgeblich über teleologische Erwägungen meine Auffassung begründen.

Wie gesagt: Ich nenne den Verlag jetzt nicht, aber jeder hier kennt ihn und der Schriftleiter findet das gut. Das entscheide ja nicht ich, sondern er. Naja, es kann Fallkonstellationen geben, die das Problem schon aufzeigen. Im Regelfall juckts keinen, würde ich meinen, aber es geht ja auch manchmal eher um den Spaß und die Freude an sich. Ich war noch nie so, dass Praxisrelevanz mich vom Denken abgehalten hat. Schlussendlich ist jedes juristische Problem irgendwie es wert mal gedacht zu werden. Gerade bei dem Thema hier habe ich erst gemerkt wie viel man hier eigentlich finden kann. Du kannst dich sogar mit der Frage befassen, inwieweit weite Auslegungen eines zivilrechtlicher Tatbestandes mit dem Analogieprinzip vereinbar sind, wenn solche weiten Auslegungen dann über das Bestehen eines Rechtfertigungsgrundes entscheiden. Angenommen du würdest § 229 BGB extensiv auslegen und das würde sich dann möglicherweise strafbegründend auswirken zu Lasten des Täters, der sich nicht auf den Rechtfertigungstatbestand beruft, sondern z.B. auf die Notwehr. Die Frage finde ich cool.

Oder welche Anforderungen muss man eigentlich stellen, wenn es hier ja um Selbsthilfe geht (eigene Rechte), diese dann aber von jemandem Dritten (z.B. Beauftragter) verteidigt werden, manche behaupten sogar, dass § 229 BGB die Mutter des Notwehrrechts sei. Wäre das so, dann wäre das eine Nothilfe oder eine damit zugelassene Fremdhilfe.

Natürlich würde das über eine Datenabfrage funktionieren. Das ist es ja. Den Gedanken habe ich auch nicht erfunden.

Ich bin wie gesagt nicht sicher, ob ich das Projekt hier beenden soll. Ich kann es begründen, aber dazu braucht es einen immensen Schreibaufwand für wenig Relevanz muss man sagen und wie gesagt: Ich mag´s selbst nicht am Ergebnis herumzudoktern. Da wird man dann echt zum Rechtsverdreher.
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Re: Aufsatzthema: Selbsthilfe/Beförderungsentgelt/Notwehrrecht

Beitrag von Schnitte »

Das ist ja das Schöne an der akademischen Freiheit. Du kannst alles schreiben und vertreten, was dir Spaß macht, egal, wie groß oder klein die Praxisrelevanz ist und ob das mit gefestigter Rechtsprechung übereinstimmt oder nicht, solange du plausible Argumente hast.

Ich persönlich halte es gerade in solchen Fragen, die jeder aus der eigenen Lebenserfahrung kennt, mit dem Oma-Test: Würde die Oma das Gesetz für vernünftig und gerecht halten? Und da würden die meisten Zeitgenossen eine Regel, wonach dem Fahrkartenkontrolleur bei Verlangen die Fahrkarte vorzuzeigen ist, vermutlich OK finden, wenn sie nicht gerade auf der schon angesprochenen persönlichen Vendetta gegen Verkehrsverbünde unterwegs sind. Für mich ist das ein Zeichen, dass das Gesetz auch juristisch in Orndung sein muss ("The first requirement of a sound body of law is, that it should correspond with the actual feelings and demands of the community" - Oliver Wendell Holmes). Aber das kann man natürlich auch anders sehen und dagegenargumentieren, wenn einem das Thema wichtig ist.
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Re: Aufsatzthema: Selbsthilfe/Beförderungsentgelt/Notwehrrecht

Beitrag von Schnitte »

FKN993 hat geschrieben: Sonntag 27. Oktober 2024, 21:03 So konstruiert finde ich den gar nicht (AG Leverkusen Urt. v. 15.5.2020 – 25 C 51/20, BeckRS 2020, 9019): Da hatte jemand nur seine Krankenkassenkarte mit Foto dabei, er weigerte sich, und wurde dann auf Zahlung des EBE verklagt. Das fand ich auch bescheuert.
Und die Klage wurde abgewiesen, weil laut Gericht die Krankenkassenkarte ausreichte:
AG Leverkusen hat geschrieben:Lichtbildausweis ist nach Lesart des Gerichts nicht nur der Personalausweis, sondern auch der Führerschein und jedes andere Ausweisdokument, welches ein Personalfoto mit den Personaldaten zum Zwecke der Personenidentifizierung verknüpft.
Ich halte das für vernünftig*, und es zeigt m.E., dass die Rechtslage auf diesem Gebiet so, wie sie ist, völlig in Ordnung ist.

*): Schon allein aus Eigeninteresse, weil ich selbst keinen Personalausweis besitze, sondern nur einen Pass, den ich aber - anders als den Führerschein - oft nicht dabeihabe. In den USA und UK, wo es keine Personalausweise gibt, wird ja von Führerschein über Sozialversicherungsausweis bis hin zur Bibliothekskarte weithin so ziemlich alles als ID akzeptiert, was irgendwie offiziell aussieht und ein Foto drauf hat.
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Re: Aufsatzthema: Selbsthilfe/Beförderungsentgelt/Notwehrrecht

Beitrag von FKN993 »

Schnitte, ich danke dir für den Beitrag. Jetzt denke ich echt nochmal drüber nach. Eigentlich kam ich her, um mir das bestätigen lassen zu wollen, was ich eigentlich fast schon entschieden hatte. Wenn ich es aber eh rechtspolitisch halte, unter dem Reiter, würde ich auch erscheinen, dann muss ich es vielleicht auch gar nicht so juristisch aufbohren wie man es könnte. Ich bin schon jemand, der das perspektivische Denken im Recht liebt. Mich hat folgende Erfahrung sehr geprägt: Als ich damals anfing, glaubte ich, dass die "herrschende Meinung" argumentativ dogmatisch immer die ideale Lösung wäre; beziehungsweise glaubte ich an das idealisierte Mantra, dass der BGH/BVerfG/BVwerG immer recht hätten. Dabei habe ich auch oft gemerkt, dass ich sie kurzzeitig immer besser fand. Erst als ich kapiert habe, dass andere Auffassungen von einem ganz anderen dogmatischen Fundament kommen, klickte es total. Im Praktikum wurde ich dann ziemlich auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt: "Sie machen das gut, aber tun sie sich einen Gefallen: Gewöhnen Sie sich ihren Rechtsprechungsidealismus ab. Das sind POLITISCHE Entscheidungen. Und wenn Sie sich fragen, warum sie so gequält werden, dann hat das folgenden Hintergrund: Sie sollen lernen das zu begründen, was für Ihren Dienstherrn dienlich ist!" Das wirkte echt nach. Im Laufe der Zeit, ich hab´s auch echt geliebt mich mit Philosophie und Geschichte nebenbei zu befassen, habe ich auch gemerkt, dass es das ideale Recht nicht gibt. Häufig ist es, oh Wunder, durch ideologische Einflüsse gefärbt. Ich war irgendwie sehr enttäuscht, obwohl es ja eigentlich nicht überrascht.

Und Stichwort: Vendetta. Du bist schon auf dem richtigen Dampfer auch.^^ Aber ja, das denke ich auch: Ich denke, wenn eine Auslegung über den Einzelfall hinausgehend stehen gelassen werden kann, dann ist es eine gute und vernünftige Lösung und je mehr sich das am Gesetz anknüpfen lässt, umso besser.

Naja, ich habe mit dem Thema jetzt folgende Erfahrung gemacht: Mein Onkel ist Strafrichter am AG und dem habe ich erst davon erzählt. Eigentlich hat er mich ausgelacht. Dann hat mich das angespornt und ich hab´s selbst mal komplett durchgeprüft und dann staunte ich nicht schlecht. Ich muss auch gesehen, dass wenn ich den Fall so zu entscheiden hätte, dann würde ich es zu Gunsten des Beförderers entscheiden tatsächlich.

Und zu der Entscheidung: Ja, aber da steht auch, dass sich nach Auffassung des Gerichts sich nicht erkennen ließe, dass es unbedingt ein amtlicher Lichtbildausweis sein müsse. Im letzten Absatz: Wenn der Antragssteller das unbedingt wollte, sollte er es gefälligst reinschreiben. Ich fand bescheuert, dass es überhaupt zu dem Prozess kam. Also, dass man sich wegen so einem Unsinn nicht einigen konnte.

Wenn ihr zusammenfassen müsstet, was eure Vorstellungen/Erfahrung und Entwicklung angeht: Was hat euch zu besseren Juristen werden lassen? Also für mich ist es dieses über den Tellerrand gerne mal hinausschauen und auch diesen doch beengten Habitus mal fallen lassen. So nach dem Motto: "Er war Jurist und auch sonst nur von mäßigem Verstand!" Wenn es rechtlich nicht geht, dann gehts echt nicht! Hegel vertritt dieses Rechtsverständnis: Staat und Recht als Medium: Nach ihm ist Recht auch das, was gewollt ist (von Gott). Deswegen ist das Recht auch unverletzbar. Vergleichbar mit Naturgesetzen, die kann man ja auch nicht brechen. Den "Ver"brecher" gibt es also eigentlich gar nicht. "Das Strafrecht ist die Negation der Negation des Rechts." Der Täter negiert die Unverletzbarkeit des Rechts, und weil es aus sich selbst heraus unverletzbar ist, muss der Staat diese Negierung durch Strafe wieder negieren, um den status quo ante wieder herzustellen.
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