Höflichkeitsregeln, Best Practice, Gepflogenheiten vor Gericht - Gibt es eine Quelle?

Für alle Fragen, die sich speziell für Richter, Staatsanwälte oder Verwaltungsbeamte ergeben, z.B. Bewerbung, Arbeitszeit, Laufbahnentwicklung, Wechsel des Bundeslandes oder der Gerichtsbarkeit usw.

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Ruben
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Höflichkeitsregeln, Best Practice, Gepflogenheiten vor Gericht - Gibt es eine Quelle?

Beitrag von Ruben »

Hallo,

ich möchte als Anwalt / Syndikus für Mandanten und/oder Zeugen eine Zusammenstellung machen, damit sie z.B. nicht auf die Idee kommen, vor Gericht den Richter mit "euer Ehren" anzureden, oder sonstige Faux-pas begehen. Es fällt auf, dass es zum Themenkomplex "Wie setzt man sich formal am elegantesten vor Gericht durch und hält sich Richter gewogen, statt sie gegen sich aufzubringen?" wenig Quellen gibt. Auch für mich als Anwalt fällt mir nicht sofort eine Quelle dazu ein, wie Schriftsätze idealerweise sein sollten (Tipps zu Effizienz, Klarheit, Etikette). Es scheint noch nicht einmal klar zu sein, ob man Einzelrichter im Gerichtssaal mit "Frau Vorsitzende" anreden soll; hier im Forum wurde darüber diskutiert. Die Unsicherheit scheint ziemlich hoch zu sein.

Mir fallen nun z.B. so Fragen ein wie:
- Redet man bei einem dreiköpfigen Richterkollegium die Beisitzer mit "Frau Beisitzerin" an?
- Was gilt wiederum bei Laienrichtern an der Kammer für Handelssachen oder beim Arbeitsgericht für die Anrede?
- Soll auf der 1. Seite eines Schriftsatzes "per beA" stehen, obwohl sowieso alles per beA eingereicht wird?
- Wie viel Rand und Zeilenabstand werden gewünscht?
- Wie tut man eine direkte Zustellung gem. § 195 ZPO so kund, dass dem Gericht Arbeit erspart wird? Reicht hierfür der Vermerk "Wir stellen direkt zu, § 195 ZPO" unter der Adresse, oder muss in einer beA-Nachricht kundgetan werden, dass dem gegnerischen Anwalt bereits vorher zugestellt wurde? Eigentlich dürfte ja erst das Gericht und dann erst der Gegner eine beA-Nachricht erhalten.
- Inwieweit es okay, Tatsachenvortrag und rechtliche Würdigung nicht 100% in Abschnitte zu trennen, oder auf späteren Seiten eines Schriftsatzes noch Anträge unterzubringen? Wie stellen sich Gerichte einen effizient zu lesenden "strukturierten Parteivortrag" vor?
- Wie soll um richterlichen Hinweis gebeten werden, wenn man Substantiierung nachliefern könnte, aber hierzu aktuell (ggf. irrig) keinen Anlass sieht? Muss dies an jeder einzelnen Stelle fett hervorgehoben werden, damit es nicht überlesen wird? Gibt es überhaupt Richter, die dies beachten und irgendwann jemals einen richterlichen Hinweis geben?

Ich bin hier von Laien-Themen zu Anwalts-Themen übergegangen, aber m.E. ist es dasselbe. Wer oder welche Quelle kann hier weiterhelfen? Gibt es geeignete Sphären, wo Richter und Anwälte sich über so etwas austauschen können? Diskutiert man derartige Fragen nur in Foren wie diesem?
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Ara
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Re: Höflichkeitsregeln, Best Practice, Gepflogenheiten vor Gericht - Gibt es eine Quelle?

Beitrag von Ara »

Ich glaube das liegt primär daran, dass es kaum eine "Best Practice" gibt, sondern sehr individuell ist und Geschmackssache.

Wenn du zum Beispiel 10 Leute fragst, ob man den Vorsitzender einer großen Strafkammer mit "Herr Vorsitzender" oder lieber mit "Herr Schmidt" anspricht, wirst du zum Beispiel 11 Meinungen hören.

Wenn man in nem Großverfahren 30 Verhandlungstage miteinander verbracht hat, dann wirkt "Herr Vorsitzender" zum Beispiel respektloser als bei nem Strafrichter wo man 1 HVT hat. Meist bedeutet es nämlich, dass man schlicht den Namen des Gerichtes sich auch nach so langer Zeit nicht gemerkt hat.
Die von der Klägerin vertretene Auffassung, die Beeinträchtigung des Wohngebrauchs sei durch das Zumauern der Fenster nur unwesentlich beeinträchtigt, ist so unverständlich, dass es nicht weiter kommentiert werden soll. - AG Tiergarten 606 C 598/11
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thh
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Re: Höflichkeitsregeln, Best Practice, Gepflogenheiten vor Gericht - Gibt es eine Quelle?

Beitrag von thh »

Ara hat geschrieben: Sonntag 19. Januar 2025, 13:08Ich glaube das liegt primär daran, dass es kaum eine "Best Practice" gibt, sondern sehr individuell ist und Geschmackssache.

Wenn du zum Beispiel 10 Leute fragst, ob man den Vorsitzender einer großen Strafkammer mit "Herr Vorsitzender" oder lieber mit "Herr Schmidt" anspricht, wirst du zum Beispiel 11 Meinungen hören.
In der Verhandlung gibt es da nur eine Meinung.
Ara hat geschrieben: Sonntag 19. Januar 2025, 13:08Wenn man in nem Großverfahren 30 Verhandlungstage miteinander verbracht hat, dann wirkt "Herr Vorsitzender" zum Beispiel respektloser als bei nem Strafrichter wo man 1 HVT hat. Meist bedeutet es nämlich, dass man schlicht den Namen des Gerichtes sich auch nach so langer Zeit nicht gemerkt hat.
Dessen ungeachtet lautet die Anrede "Herr Vorsitzender". Das hat doch nichts damit zu tun, ob man den Namen kennt oder nicht (oder sich ansonsten duzt oder nicht).
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Re: Höflichkeitsregeln, Best Practice, Gepflogenheiten vor Gericht - Gibt es eine Quelle?

Beitrag von Legally Confused »

Hey, ich finde es sehr gut, dass du deiner Mandantschaft wegen dem Decorum in deutschen Gerichten helfen willst.
Ich war da auch schon des öfteren ratlos und füge noch Fragen hinzu:

- Wenn sich eine Person durch einen Klägervertreter/Beklagtenvertreter gem. 6 Abs. 1 RDG vertreten lässt, spricht man den gegnerischen Anwalt dann als "Herr/Frau XY", "Herr/Frau Beklagtenvertreter/Klägervertreter" an oder sagt man dann "Herr/Frau RA/RAin"?

- Wie spricht man Richter an, wenn es mehrere gibt?
- Wann sagt man "Hohes Gericht"?
- Sagt der Richter wenn man sich hinstellen soll oder steht man auf Verdacht auf, wenn er/sie den Saal betritt?


Mein größter Fauxpas?

Ich hatte mal, lange bevor ich Jura studiert hatte, eine Richterin als "Frau XY" und ein anderes Mal als "Frau Richterin XY" angesprochen - zum Glück gab's keine Rüge.
Liz
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Re: Höflichkeitsregeln, Best Practice, Gepflogenheiten vor Gericht - Gibt es eine Quelle?

Beitrag von Liz »

Ruben hat geschrieben: Sonntag 19. Januar 2025, 12:18 Hallo,

ich möchte als Anwalt / Syndikus für Mandanten und/oder Zeugen eine Zusammenstellung machen, damit sie z.B. nicht auf die Idee kommen, vor Gericht den Richter mit "euer Ehren" anzureden, oder sonstige Faux-pas begehen. Es fällt auf, dass es zum Themenkomplex "Wie setzt man sich formal am elegantesten vor Gericht durch und hält sich Richter gewogen, statt sie gegen sich aufzubringen?" wenig Quellen gibt. Auch für mich als Anwalt fällt mir nicht sofort eine Quelle dazu ein, wie Schriftsätze idealerweise sein sollten (Tipps zu Effizienz, Klarheit, Etikette). Es scheint noch nicht einmal klar zu sein, ob man Einzelrichter im Gerichtssaal mit "Frau Vorsitzende" anreden soll; hier im Forum wurde darüber diskutiert. Die Unsicherheit scheint ziemlich hoch zu sein.

Mir fallen nun z.B. so Fragen ein wie:
- Redet man bei einem dreiköpfigen Richterkollegium die Beisitzer mit "Frau Beisitzerin" an?
- Was gilt wiederum bei Laienrichtern an der Kammer für Handelssachen oder beim Arbeitsgericht für die Anrede?
Wenn man den Nachnamen nicht präsent hat, scheint mir eine Anrede mit „Frau Richterin“ für Beisitzerinnen am einfachsten zu sein. Letztlich scheinen mir die Grundanforderungen an gutes Benehmen aber überschaubar zu sein: halbwegs ordentlich angezogen erscheinen, vernünftig sitzen, sowohl dem Gericht als auch dem Gegner ordentlich zuhören und nicht wild dazwischen quatschen, sondern warten, bis einem das Wort erteilt wird.

- Soll auf der 1. Seite eines Schriftsatzes "per beA" stehen, obwohl sowieso alles per beA eingereicht wird?
Das scheint mir heute unnötig zu sein, da es ja nur noch eine Einreichungsform gibt.
- Wie viel Rand und Zeilenabstand werden gewünscht?
Es sollte gut lesbar sein, was einzeiligen Zeilenabstand und minimalen Seitenrand ausschließen dürfte. Ansonsten scheint mir das in Zeiten der eAkte zunehmend egal zu sein.
- Wie tut man eine direkte Zustellung gem. § 195 ZPO so kund, dass dem Gericht Arbeit erspart wird? Reicht hierfür der Vermerk "Wir stellen direkt zu, § 195 ZPO" unter der Adresse, oder muss in einer beA-Nachricht kundgetan werden, dass dem gegnerischen Anwalt bereits vorher zugestellt wurde? Eigentlich dürfte ja erst das Gericht und dann erst der Gegner eine beA-Nachricht erhalten.
Der Vermerk, es werde nach § 195 ZPO direkt zugestellt, reicht, gerne gut sichtbar auf der ersten oder letzten Seite und nicht irgendwo im Fließtext. Dann sieht es auch die Geschäftsstelle.
- Inwieweit es okay, Tatsachenvortrag und rechtliche Würdigung nicht 100% in Abschnitte zu trennen, oder auf späteren Seiten eines Schriftsatzes noch Anträge unterzubringen? Wie stellen sich Gerichte einen effizient zu lesenden "strukturierten Parteivortrag" vor?
Anträge, die auf den hinteren Seiten eines Schriftsatzes oder irgendwo im Fließtext zu finden sind, laufen Gefahr übersehen zu werden, wenn der Richter (ggf. auch in der Vertretung) unmittelbar nach Eingang des Schriftsatz nur dessen Übersendung an den Gegner verfügt, ohne den Schriftsatz im Detail zu lesen. Daher Anträge möglichst gut hervorgehoben, gerne auch gleich zu Beginn des Schriftsatzes. Kurzum: nicht erwarten, dass der Richter sofort jedes Easter Egg auf 35 Seiten Schriftsatz findet.

Als Zivilrichterin bin ich dankbar, wenn mir die Parteien zunächst mal chronologisch den Sachverhalt aus ihrer Sicht schildern und dann erst ihre rechtliche Würdigung anbringen. Ich muss am Ende einen Tatbestand schreiben, was wesentlich einfacher geht, wenn mir die Klägerseite mal kompakt auf einigen wenigen Seiten geschrieben hat, wer die Parteien sind, was die Parteien machen und wie ihr Streit angefangen hat. Jetzt mag es immer Punkte geben, wo es einfacher und ggf. sogar verständlicher ist, Tatsachenvortrag erst passend zu vorhergehenden Rechtsausführungen zu bringen, dann aber gerne klar gegliedert mit eindeutigen Überschriften („Verjährung“ -> „Aha, jetzt kommt alles dazu, warum es verjährt sein soll.“). Kurzum: eine möglichst klare Gedankenführung mit möglichst wenig erratischen Wendungen.
- Wie soll um richterlichen Hinweis gebeten werden, wenn man Substantiierung nachliefern könnte, aber hierzu aktuell (ggf. irrig) keinen Anlass sieht? Muss dies an jeder einzelnen Stelle fett hervorgehoben werden, damit es nicht überlesen wird? Gibt es überhaupt Richter, die dies beachten und irgendwann jemals einen richterlichen Hinweis geben?
Fettdruck ebenso wie die Bitte um richterlichen Hinweis nicht inflationär benutzen. Falls man wirklich keinen Anlass sieht, vorsorglich zu Punkt X vorzutragen, darlegen, warum man meint, dass es darauf nicht ankommt und man dazu derzeit nicht vorträgt.
Ich bin hier von Laien-Themen zu Anwalts-Themen übergegangen, aber m.E. ist es dasselbe. Wer oder welche Quelle kann hier weiterhelfen? Gibt es geeignete Sphären, wo Richter und Anwälte sich über so etwas austauschen können? Diskutiert man derartige Fragen nur in Foren wie diesem?
Im Idealfall hat man Richter bzw. Anwälte im Freundes- oder Bekanntenkreis. Ansonsten gibt es ggf. auf lokaler Ebene Formate, in den von Seiten der Gerichte bzw. der Anwaltskammern ein Dialog zwischen Richtern und Anwälten angeboten wird. Ansonsten ist es ggf auch mal ein Smalltalk-Thema für VU-Situationen o. ä.
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Ara
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Re: Höflichkeitsregeln, Best Practice, Gepflogenheiten vor Gericht - Gibt es eine Quelle?

Beitrag von Ara »

thh hat geschrieben: Sonntag 19. Januar 2025, 15:44
Ara hat geschrieben: Sonntag 19. Januar 2025, 13:08Ich glaube das liegt primär daran, dass es kaum eine "Best Practice" gibt, sondern sehr individuell ist und Geschmackssache.

Wenn du zum Beispiel 10 Leute fragst, ob man den Vorsitzender einer großen Strafkammer mit "Herr Vorsitzender" oder lieber mit "Herr Schmidt" anspricht, wirst du zum Beispiel 11 Meinungen hören.
In der Verhandlung gibt es da nur eine Meinung.
Ara hat geschrieben: Sonntag 19. Januar 2025, 13:08Wenn man in nem Großverfahren 30 Verhandlungstage miteinander verbracht hat, dann wirkt "Herr Vorsitzender" zum Beispiel respektloser als bei nem Strafrichter wo man 1 HVT hat. Meist bedeutet es nämlich, dass man schlicht den Namen des Gerichtes sich auch nach so langer Zeit nicht gemerkt hat.
Dessen ungeachtet lautet die Anrede "Herr Vorsitzender". Das hat doch nichts damit zu tun, ob man den Namen kennt oder nicht (oder sich ansonsten duzt oder nicht).
Da ist aber jemand sehr von seiner Meinung überzeugt. Es ist völlig unproblematisch nen Vorsitzenden mit seinem Namen anzusprechen und wie schon gesagt, in Großverfahren gebietet es meines Erachtens der Respekt, dass sich mit Namen angesprochen wird. Das gilt ja auch in beide Richtungen. Während mich ein Strafrichter noch mit "Herr Verteidiger" ansprechen darf, erwarte ich in nem Großverfahren aber schon, dass man mich zumindest nach einigen Tagen mit Namen anspricht.
Die von der Klägerin vertretene Auffassung, die Beeinträchtigung des Wohngebrauchs sei durch das Zumauern der Fenster nur unwesentlich beeinträchtigt, ist so unverständlich, dass es nicht weiter kommentiert werden soll. - AG Tiergarten 606 C 598/11
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Re: Höflichkeitsregeln, Best Practice, Gepflogenheiten vor Gericht - Gibt es eine Quelle?

Beitrag von KMR »

Ara hat geschrieben: Donnerstag 23. Januar 2025, 22:02
thh hat geschrieben: Sonntag 19. Januar 2025, 15:44
Ara hat geschrieben: Sonntag 19. Januar 2025, 13:08Ich glaube das liegt primär daran, dass es kaum eine "Best Practice" gibt, sondern sehr individuell ist und Geschmackssache.

Wenn du zum Beispiel 10 Leute fragst, ob man den Vorsitzender einer großen Strafkammer mit "Herr Vorsitzender" oder lieber mit "Herr Schmidt" anspricht, wirst du zum Beispiel 11 Meinungen hören.
In der Verhandlung gibt es da nur eine Meinung.
Ara hat geschrieben: Sonntag 19. Januar 2025, 13:08Wenn man in nem Großverfahren 30 Verhandlungstage miteinander verbracht hat, dann wirkt "Herr Vorsitzender" zum Beispiel respektloser als bei nem Strafrichter wo man 1 HVT hat. Meist bedeutet es nämlich, dass man schlicht den Namen des Gerichtes sich auch nach so langer Zeit nicht gemerkt hat.
Dessen ungeachtet lautet die Anrede "Herr Vorsitzender". Das hat doch nichts damit zu tun, ob man den Namen kennt oder nicht (oder sich ansonsten duzt oder nicht).
Da ist aber jemand sehr von seiner Meinung überzeugt. Es ist völlig unproblematisch nen Vorsitzenden mit seinem Namen anzusprechen und wie schon gesagt, in Großverfahren gebietet es meines Erachtens der Respekt, dass sich mit Namen angesprochen wird. Das gilt ja auch in beide Richtungen. Während mich ein Strafrichter noch mit "Herr Verteidiger" ansprechen darf, erwarte ich in nem Großverfahren aber schon, dass man mich zumindest nach einigen Tagen mit Namen anspricht.
Ist das so? Das würde ich insofern für str. halten, dass letztlich nicht maßgeblich ist, dass es sich um Herrn Müller/Meier/Schultze handelt, sondern es ein Amtsträger ist, der der Verhandlung vorsitzt/leitet, und dadurch zur Entscheidung des Gerichtes führt, das eben auf natürliche Personen als Amtsträger für seine Handlungen angewiesen ist. Daher ist m.E. auch die übliche Adressierung des Gerichtes als "Gericht" (bei Kollegialspruchkörpern auch "die Kammer/der Senat/...") völlig zutreffend. Denn auch wenn dort eine oder ggf. mehrere Personen sitzen (je nach Spruchkörper) geht es letztlich nicht um die Entscheidung von Ihnen, sondern die Entscheidung des Gerichtes, die lediglich durch diese Amtsträger getroffen wird. Ähnlich wie in Verwaltungsentscheidungen es nicht um den Bescheid von Herrn Baum geht, sondern den Bescheid (VA) des Landkreises/Land/... - Herr Baum ist lediglich der für die selbst nicht handlungsfähige Behörde agierende Amtsträger. Analog spricht man später auch lediglich vom Urteil des Gerichts xy, ggf. unter Angabe des Spruchkörpers, aber nicht der Amtsträger.

Mir scheint das auch soweit beobachtet von allen Seiten stets so für richtig befunden zu werden unabhängig von Straf- und Zivilsachen. Dementsprechend halte ich thhs Auffassung durchaus für vorzugswürdig.

EDIT: Im Fall des Verteidiger handelt dieser wiederum gerade nicht vertretend für eine selbst nicht handlungsfähige Stelle, sodass es dort eine persönliche Ansprache nicht für abwegig zu erachten ist. Hier jedenfalls ist es nicht unüblich, dass Prozess- oder Verfahrensbevollmächtigte ggf. mit Namen benannt werden oder sich auch mit Namen gegenseitig bezeichnen.
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Re: Höflichkeitsregeln, Best Practice, Gepflogenheiten vor Gericht - Gibt es eine Quelle?

Beitrag von Strich »

Ich seh das eigentlich auch umgekehrt. "Meine" Anwälte hier vor Ort sprechen mich mit Nachnamen an, so wie ich sie mit Nachnamen in der Verhandlung anspreche. Bei der Feststellung der Anwesenheit werden die Leute aber mit ihrer Rolle angesprochen und gerade bei Großverfahren scheint mir das Einhalten einer gewissen Förmlichkeit der Sache dienlich zu sein. Wenn ich eine Vergewaltigung verhandle, gibts keine Scherze links und rechts, bei ner Körperverletzung, bei dem die Einstellung absehbar ist, sieht das anders aus. Das ist alles eine Frage des Verfahrens. Im Zivilrecht scheint mir es auch üblicher zu sein, lockerer zu verhandeln, anstatt "Frau Klägervertreterin" zu sagen.
Stehe zu deinen Überzeugungen soweit und solange Logik oder Erfahrung dich nicht widerlegen. Denk daran: Wenn der Kaiser nackt aussieht ist der Kaiser auch nackt ... .
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Re: Höflichkeitsregeln, Best Practice, Gepflogenheiten vor Gericht - Gibt es eine Quelle?

Beitrag von Ara »

KMR hat geschrieben: Donnerstag 23. Januar 2025, 22:15
Ara hat geschrieben: Donnerstag 23. Januar 2025, 22:02
thh hat geschrieben: Sonntag 19. Januar 2025, 15:44
Ara hat geschrieben: Sonntag 19. Januar 2025, 13:08Ich glaube das liegt primär daran, dass es kaum eine "Best Practice" gibt, sondern sehr individuell ist und Geschmackssache.

Wenn du zum Beispiel 10 Leute fragst, ob man den Vorsitzender einer großen Strafkammer mit "Herr Vorsitzender" oder lieber mit "Herr Schmidt" anspricht, wirst du zum Beispiel 11 Meinungen hören.
In der Verhandlung gibt es da nur eine Meinung.
Ara hat geschrieben: Sonntag 19. Januar 2025, 13:08Wenn man in nem Großverfahren 30 Verhandlungstage miteinander verbracht hat, dann wirkt "Herr Vorsitzender" zum Beispiel respektloser als bei nem Strafrichter wo man 1 HVT hat. Meist bedeutet es nämlich, dass man schlicht den Namen des Gerichtes sich auch nach so langer Zeit nicht gemerkt hat.
Dessen ungeachtet lautet die Anrede "Herr Vorsitzender". Das hat doch nichts damit zu tun, ob man den Namen kennt oder nicht (oder sich ansonsten duzt oder nicht).
Da ist aber jemand sehr von seiner Meinung überzeugt. Es ist völlig unproblematisch nen Vorsitzenden mit seinem Namen anzusprechen und wie schon gesagt, in Großverfahren gebietet es meines Erachtens der Respekt, dass sich mit Namen angesprochen wird. Das gilt ja auch in beide Richtungen. Während mich ein Strafrichter noch mit "Herr Verteidiger" ansprechen darf, erwarte ich in nem Großverfahren aber schon, dass man mich zumindest nach einigen Tagen mit Namen anspricht.
Ist das so? Das würde ich insofern für str. halten, dass letztlich nicht maßgeblich ist, dass es sich um Herrn Müller/Meier/Schultze handelt, sondern es ein Amtsträger ist, der der Verhandlung vorsitzt/leitet, und dadurch zur Entscheidung des Gerichtes führt, das eben auf natürliche Personen als Amtsträger für seine Handlungen angewiesen ist. Daher ist m.E. auch die übliche Adressierung des Gerichtes als "Gericht" (bei Kollegialspruchkörpern auch "die Kammer/der Senat/...") völlig zutreffend. Denn auch wenn dort eine oder ggf. mehrere Personen sitzen (je nach Spruchkörper) geht es letztlich nicht um die Entscheidung von Ihnen, sondern die Entscheidung des Gerichtes, die lediglich durch diese Amtsträger getroffen wird. Ähnlich wie in Verwaltungsentscheidungen es nicht um den Bescheid von Herrn Baum geht, sondern den Bescheid (VA) des Landkreises/Land/... - Herr Baum ist lediglich der für die selbst nicht handlungsfähige Behörde agierende Amtsträger. Analog spricht man später auch lediglich vom Urteil des Gerichts xy, ggf. unter Angabe des Spruchkörpers, aber nicht der Amtsträger.

Mir scheint das auch soweit beobachtet von allen Seiten stets so für richtig befunden zu werden unabhängig von Straf- und Zivilsachen. Dementsprechend halte ich thhs Auffassung durchaus für vorzugswürdig.

EDIT: Im Fall des Verteidiger handelt dieser wiederum gerade nicht vertretend für eine selbst nicht handlungsfähige Stelle, sodass es dort eine persönliche Ansprache nicht für abwegig zu erachten ist. Hier jedenfalls ist es nicht unüblich, dass Prozess- oder Verfahrensbevollmächtigte ggf. mit Namen benannt werden oder sich auch mit Namen gegenseitig bezeichnen.
Man könnte schon drüber streiten, ob das im Strafrecht tatsächlich so zutrifft. Hier trifft die Entscheidung über den Schuldspruch ja gerade nicht das Gericht und auch nicht die gesamte Kammer, sondern lediglich die an der Hauptverhandlung beteiligten Richter. Anders als der Verwaltungsbeamte Baum oder der Zivilrichter Strauch, können die Richter in der laufenden Hauptverhandlung nicht ausgetauscht werden. Ein Urteil im Strafrecht ergeht ja auch eigentlich nicht vom "Amtsgericht X" wie bei einem Zivilurteil, sondern entweder vom Strafrichter oder vom Schöffengericht, welches lediglich organisatorisch einem Amtsgericht angehört. Beim Landgericht gibt es im Strafrecht ja auch eine Differenzierung zwischen "Kammer" (die Organisationseinheit) und "Kammer" (der Spruchkörper), die es im Zivilrecht so ebenfalls nicht gibt.

Aber davon ganz abgesehen verkennst du hier auch folgendes: Es geht zu 99% in einer Hauptverhandlung ja nicht um die Kollektiventscheidung des Gerichtes, sondern um ganz banale Fragen der Sitzungsleitung. Diese übt der Vorsitzende alleine aus. Die Beantwortung der Frage, wie lange die Mittagspause dauert, ist kein hoheitlicher Akt. Sehe ich - und so auch meine Praxiserfahrung - keinerlei Probleme den Vorsitzenden mit seinem Nachnamen anzusprechen.
Strich hat geschrieben: Freitag 24. Januar 2025, 09:31 Ich seh das eigentlich auch umgekehrt. "Meine" Anwälte hier vor Ort sprechen mich mit Nachnamen an, so wie ich sie mit Nachnamen in der Verhandlung anspreche. Bei der Feststellung der Anwesenheit werden die Leute aber mit ihrer Rolle angesprochen und gerade bei Großverfahren scheint mir das Einhalten einer gewissen Förmlichkeit der Sache dienlich zu sein. Wenn ich eine Vergewaltigung verhandle, gibts keine Scherze links und rechts, bei ner Körperverletzung, bei dem die Einstellung absehbar ist, sieht das anders aus. Das ist alles eine Frage des Verfahrens. Im Zivilrecht scheint mir es auch üblicher zu sein, lockerer zu verhandeln, anstatt "Frau Klägervertreterin" zu sagen.
Gerade Großverfahren - auch vor dem Schwurgericht - laufen häufig lockerer ab, weil man lange zusammensitzt und es dann auch mal menschelt, wenn sich die Verfahrensbeteiligten gut verstehen. Wenn man 30 oder 40 Hauptverhandlungstage zusammen verbracht hat, ist man ja dann doch irgendwie miteinander verbunden. Das finde ich nun auch nicht weiter schlimm. Das funktioniert auch alles, ohne dass man dem Gerichtsverfahrens insgesamt den notwendigen Ernst nimmt.
Die von der Klägerin vertretene Auffassung, die Beeinträchtigung des Wohngebrauchs sei durch das Zumauern der Fenster nur unwesentlich beeinträchtigt, ist so unverständlich, dass es nicht weiter kommentiert werden soll. - AG Tiergarten 606 C 598/11
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Re: Höflichkeitsregeln, Best Practice, Gepflogenheiten vor Gericht - Gibt es eine Quelle?

Beitrag von thh »

Ara hat geschrieben: Freitag 24. Januar 2025, 16:45Die Beantwortung der Frage, wie lange die Mittagspause dauert, ist kein hoheitlicher Akt. Sehe ich - und so auch meine Praxiserfahrung - keinerlei Probleme den Vorsitzenden mit seinem Nachnamen anzusprechen.
Das dürfte dann ein Fall von "andere Länder, andere Sitten" sein. Kommt hier - jedenfalls in laufender Hauptverhandlung - nicht vor und würde auch zu Irritationen führen.
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Re: Höflichkeitsregeln, Best Practice, Gepflogenheiten vor Gericht - Gibt es eine Quelle?

Beitrag von Schnitte »

In England gibt es ein verbindliches System mit ausgefeilten Regeln, welcher Richter wie anzusprechen ist. Je nach Rang des Richters (nicht des Gerichts) sind manche „My Lord“, manche „Your Honour“, manche „Your Worship“ und manche einfach nur „Judge“. Und das wird in den Anwaltsprüfungen geprüft.
"Das Vertragsrecht der Bundesrepublik Deutschland und die gesetzlich vorgesehenen Möglichkeiten, die Erfüllung von Verträgen zu erzwingen [...], verstoßen nicht gegen göttliches Recht."

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Re: Höflichkeitsregeln, Best Practice, Gepflogenheiten vor Gericht - Gibt es eine Quelle?

Beitrag von thh »

Schnitte hat geschrieben: Montag 27. Januar 2025, 12:41 In England gibt es ein verbindliches System mit ausgefeilten Regeln, welcher Richter wie anzusprechen ist. Je nach Rang des Richters (nicht des Gerichts) sind manche „My Lord“, manche „Your Honour“, manche „Your Worship“ und manche einfach nur „Judge“. Und das wird in den Anwaltsprüfungen geprüft.
Und wer ist "Ey, Bro!"?
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Re: Höflichkeitsregeln, Best Practice, Gepflogenheiten vor Gericht - Gibt es eine Quelle?

Beitrag von Schnitte »

In machen Stadtteilen englischer Großstädte dürfte das gewohnheitsrechtlich als Alternative akzeptiert sein.

Wen‘s interessiert, hier die Regeln im Detail: https://www.judiciary.uk/guidance-and-r ... l-a-judge/
"Das Vertragsrecht der Bundesrepublik Deutschland und die gesetzlich vorgesehenen Möglichkeiten, die Erfüllung von Verträgen zu erzwingen [...], verstoßen nicht gegen göttliches Recht."

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Re: Höflichkeitsregeln, Best Practice, Gepflogenheiten vor Gericht - Gibt es eine Quelle?

Beitrag von kingofkittys »

Und wie ist das jetzt mit den Beisitzern? Was ist mit ehrenamtlichen Richtern, wie sprecht ihr die an?
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Re: Höflichkeitsregeln, Best Practice, Gepflogenheiten vor Gericht - Gibt es eine Quelle?

Beitrag von Ara »

Beisitzender: "Beisitzender" oder mit dem Nachnamen.

Schöffen: "Schöffen" in der Regel auch nur im Plural. Ich glaub nicht, dass ich schonmal nen Schöffen persönlich angesprochen habe
Die von der Klägerin vertretene Auffassung, die Beeinträchtigung des Wohngebrauchs sei durch das Zumauern der Fenster nur unwesentlich beeinträchtigt, ist so unverständlich, dass es nicht weiter kommentiert werden soll. - AG Tiergarten 606 C 598/11
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