Hallo zusammen,
ich habe Schwierigkeiten, die Schwelle der Strafbarkeit des 225 StGB zu erkennen. Wenn ich das mal bleistiftshalber auf Eltern ummünzen darf, müssen diese zur Begehung der Tat nach Abs. 1 ihr Kind quälen, roh misshandeln oder böswillig vernachlässigen. In Fällen, wo das Kind in die Gefahr des Todes, einer schweren Gesundheitsschädigung oder einer erheblichen Schädigung der körperlichen bzw. seelischen Entwicklung kommt, wird eine Mindeststrafe von einem Jahr festgelegt, nach oben hin offen (lebenslänglich).
Mein Problem ist - trotz Studiums des Fischer-Kommentars - die Abgrenzung zum reinen Erziehungsversagen oder Erziehungsunwillen. Beispiele:
1. Mutter und Vater sind beide karriereorientiert, weswegen das Kind von 6 Uhr morgens bis 17 Uhr abends in der Kinderbetreuung ist. Daheim bekommt das Kind keine Zuwendung und entwickelt deswegen Sozialdefizite. Dürfte, wenn ich das richtig verstehe, nicht nach dieser Vorschrift strafbar sein.
2. Mutter und Vater sind beide berufstätig, weswegen ihr Kind alleine in die Schule (Variante: in den Kindergarten) geht. Der Weg führt über eine vielbefahrene Hauptstraße. Das Kind hat Angst, den Weg alleine zu gehen, aber die Eltern zwingen es dazu. Eines Tages wird das Kind tödlich durch ein Auto verletzt. Eine Böswilligkeit unterstellt: strafbar oder nicht (mein Gedanke wegen Vernachlässung der Pflicht, für das Kind zu sorgen)?
3. Die geschiedene Mutter M vergleicht ihre Tochter T (wenn M T kritisieren möchte) ständig mit dem Vater V, von dem M geschieden ist. V interessiert sich nicht für seine Kinder und ist für sein unsoziales Verhalten in der Verwandtschaft bekannt. Tochter T entwickelt in der Pubertät psychische Probleme und begeht Selbstmord. In einem Abschiedsbrief schildert sie, wie ihre Mutter ihr beigebracht habe, dass ihr Leben nicht lebenswert wäre. Strafbar oder nicht?
4. Als Extrembeispiel: Vater V - von Beruf Schmied - duldet keinen Widerspruch seines Sohnes S und schlägt bei Widerspruch mit voller Härte mit einer Pferdepeitsche zu. Das Kind erleidet wiederholt schwere Knochenbrüche. 225 (wenn nicht noch schlimmeres) sollte hier klar erfüllt sein.
Ich hoffe, ich habe mein Problem klar machen können. Kennt jemand Literatur, die diese Abgrenzung laienverständlich erklärt?
Verständnisproblem 225 StGB
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Re: Verständnisproblem 225 StGB
Da hast du ja wirklich knifflige Fälle rausgesucht.
Die "Bös"willigkeit ist per se schon schwierig auszulegen:
Klar ist, dass die Verletzung mindestens grob fahrlässig sein muss. Wenn grobe Fahrlässigkeit dasselbe ist wie "Mut"willigkeit, also Leichtfertigkeit entspricht, dann muss es mindestens verwerflich sein ("bös" → das ist keine "mut"willigkeit). Also keine neutrale Vernachlässigung wie bloße Gleichgültigkeit, sondern es muss etwas sein, was auf eine Schädigungstendenz hindeutet oder durch richtige Eigensucht gekennzeichnet ist. Grundsätzlich würde ich eine sehr restriktive Auslegung hinsichtlich der hohen Strafandrohung aber schon für geboten halten.
Für den zweiten Fall würde ich sagen, dass das Problem darin steckt, dass es "eines Tages" geschieht. Das heißt ja auch, dass es mal geklappt hat. Könnten die Eltern dann nicht sogar davon ausgegangen sein, dass das Kind es kann? Meine Meinung: Selbst wenn, ihre Garantenstellung bleibt ja inhaltlich unverändert. Und wo hat sie mehr Bedeutung als im Straßenverkehr? Grobe Fahrlässigkeit ist es aber auf jedenfall. Ein Kind im Kindergartenalter an einer sehr stark befahren Straße allein zu lassen, ist für sich genommen zweifelsohne grob fahrlässig. Das erfüllt aus meiner Sicht schon Eventualvorsatz bezogen auf die Gefahrenlagen (Wie Steine von der Autobahn werfen). Von einem ernsthaften Vertrauen auf das Ausbleiben kann hier keine Rede sein. Wenn es damit schon Eventualvorsatz wäre, ist damit aber nicht zwingend gesagt, dass es eben "bös"willig ist. Wenn aber die Abgrenzung zwischen Eventualvorsatz und grober Fahrlässigkeit selbst schon sehr schwierig ist, dann kannst du das auf diese Frage hier sicher übertragen: Das ist so ähnlich wie im § 211 StGB: Die bloße Erfüllung des Eventualvorsatzes heißt ja nicht, dass es das Merkmal der sonstigen niedrigen Beweggründe erfüllt. Man muss sich das eben genau anschauen. Was ist der Unterschied zwischen "Mutwilligkeit" und "Böswilligkeit"?
Der dritte Fall ist genauso: Wenn jemand suizidial ist, also erkennbaren Krankheitswert aufweist, diese Probleme bekannt sind, dann wäre es aus meiner Sicht unmöglich eine "eigenverantwortliche Selbstgefährdung" anzunehmen. Mit dem Schutzzweck der Garantenstellung (Elternrolle) stellt sich nach mE kein Problem. Einen Zurechnungsausschluss würde ich jedenfall nicht erkennen. Dass sowas generell verantwortungstechnisch strafrechtlich denkbar ist, zeigt ja die Dogmatik der mittelbaren Täterschaft, wenn der Vordermann psychisch nicht auf der Höhe ist (Siriusfall: Tatwerkzeug gegen sich selbst).
Denke, dass das selbst juristisch nicht eindeutig zu beantworten ist. Wenn das schon so ist, dann wird man für diese Konstellation auch keine "laienverständliche" Erklärung finden. Der Unterschied zwischen luxuira und dolus eventualis ist ja auch abstrakt recht schwer zu erklären.
Die "Bös"willigkeit ist per se schon schwierig auszulegen:
Klar ist, dass die Verletzung mindestens grob fahrlässig sein muss. Wenn grobe Fahrlässigkeit dasselbe ist wie "Mut"willigkeit, also Leichtfertigkeit entspricht, dann muss es mindestens verwerflich sein ("bös" → das ist keine "mut"willigkeit). Also keine neutrale Vernachlässigung wie bloße Gleichgültigkeit, sondern es muss etwas sein, was auf eine Schädigungstendenz hindeutet oder durch richtige Eigensucht gekennzeichnet ist. Grundsätzlich würde ich eine sehr restriktive Auslegung hinsichtlich der hohen Strafandrohung aber schon für geboten halten.
Für den zweiten Fall würde ich sagen, dass das Problem darin steckt, dass es "eines Tages" geschieht. Das heißt ja auch, dass es mal geklappt hat. Könnten die Eltern dann nicht sogar davon ausgegangen sein, dass das Kind es kann? Meine Meinung: Selbst wenn, ihre Garantenstellung bleibt ja inhaltlich unverändert. Und wo hat sie mehr Bedeutung als im Straßenverkehr? Grobe Fahrlässigkeit ist es aber auf jedenfall. Ein Kind im Kindergartenalter an einer sehr stark befahren Straße allein zu lassen, ist für sich genommen zweifelsohne grob fahrlässig. Das erfüllt aus meiner Sicht schon Eventualvorsatz bezogen auf die Gefahrenlagen (Wie Steine von der Autobahn werfen). Von einem ernsthaften Vertrauen auf das Ausbleiben kann hier keine Rede sein. Wenn es damit schon Eventualvorsatz wäre, ist damit aber nicht zwingend gesagt, dass es eben "bös"willig ist. Wenn aber die Abgrenzung zwischen Eventualvorsatz und grober Fahrlässigkeit selbst schon sehr schwierig ist, dann kannst du das auf diese Frage hier sicher übertragen: Das ist so ähnlich wie im § 211 StGB: Die bloße Erfüllung des Eventualvorsatzes heißt ja nicht, dass es das Merkmal der sonstigen niedrigen Beweggründe erfüllt. Man muss sich das eben genau anschauen. Was ist der Unterschied zwischen "Mutwilligkeit" und "Böswilligkeit"?
Der dritte Fall ist genauso: Wenn jemand suizidial ist, also erkennbaren Krankheitswert aufweist, diese Probleme bekannt sind, dann wäre es aus meiner Sicht unmöglich eine "eigenverantwortliche Selbstgefährdung" anzunehmen. Mit dem Schutzzweck der Garantenstellung (Elternrolle) stellt sich nach mE kein Problem. Einen Zurechnungsausschluss würde ich jedenfall nicht erkennen. Dass sowas generell verantwortungstechnisch strafrechtlich denkbar ist, zeigt ja die Dogmatik der mittelbaren Täterschaft, wenn der Vordermann psychisch nicht auf der Höhe ist (Siriusfall: Tatwerkzeug gegen sich selbst).
Denke, dass das selbst juristisch nicht eindeutig zu beantworten ist. Wenn das schon so ist, dann wird man für diese Konstellation auch keine "laienverständliche" Erklärung finden. Der Unterschied zwischen luxuira und dolus eventualis ist ja auch abstrakt recht schwer zu erklären.
Zuletzt geändert von FKN993 am Dienstag 28. Januar 2025, 12:41, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Verständnisproblem 225 StGB
Ich glaube, das ist ein Problemfeld, mit dem sich die "Parallelwertung in der Laiensphäre" deutlich einfacher tut als die juristische Facheinschätzung. Dass in Fall 1 (auch wenn die Situation traurig ist) keine Straftat begangen worden sein kann, ist jedem Laien klar - ansonsten stünden weite Teile der deutschen Bevölkerung mit einem BEin im Gefängnis, denn solche Fälle kommen oft vor. Der Jurist tut sich demgegenüber schwer, juristische Argumente zu finden, an denen hier die Strafbarkeit scheitert - auch wenn ihm ebenfalls intuitiv klar ist, dass sie scheitern muss.
"Das Vertragsrecht der Bundesrepublik Deutschland und die gesetzlich vorgesehenen Möglichkeiten, die Erfüllung von Verträgen zu erzwingen [...], verstoßen nicht gegen göttliches Recht."
--- Offizialat Freiburg, NJW 1994, 3375
--- Offizialat Freiburg, NJW 1994, 3375