
Produktidee: Ein "KI Assistent" für Juristen
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Re: Produktidee: Ein "KI Assistent" für Juristen
Naja ob die Freispruchquote steigt, wage ich mal zu bezweifeln. Für Freisprüche und Revisionen der von dir, Ara, des Verfolgungseifers bezichtigten StA würde das ja auch gelten 

Stehe zu deinen Überzeugungen soweit und solange Logik oder Erfahrung dich nicht widerlegen. Denk daran: Wenn der Kaiser nackt aussieht ist der Kaiser auch nackt ... .
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Re: Produktidee: Ein "KI Assistent" für Juristen
Die Freispruchquote beträgt in Deutschland unter 5%. Die Anzahl an Freisprüche durch fehlerhafte Anwendung des Zweifelgrundsatzes erscheinen mir homöopathisch zu sein.
Dass die Verteidigung sich für eine Dokumentation der Hauptverhandlung stark macht und sich die Justiz mit Händen und Füßen dagegen wehrt, zeigt glaube ich sehr gut, in wessen Interesse solch eine Dokumentation wäre.
Die von der Klägerin vertretene Auffassung, die Beeinträchtigung des Wohngebrauchs sei durch das Zumauern der Fenster nur unwesentlich beeinträchtigt, ist so unverständlich, dass es nicht weiter kommentiert werden soll. - AG Tiergarten 606 C 598/11
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Re: Produktidee: Ein "KI Assistent" für Juristen
Wobei ich glaube, dass dies zu einem großen Teil auch einen anderen Grund hat: Wenn sich während des Verfahrens die Beweislage als dünn herausstellt, wird halt gerne eingestellt, anstatt die Sache bis zum Freispruch durchzuziehen. Hat für das Gericht natürlich auch den Vorteil, sich eine Urteilsbegründung zu sparen. Was ich nie ganz verstehen werde, ist, warum sich die Verteidiger darauf so bereitwillig einlassen, anstatt darauf zu insistieren, dass ihr Mandant auch einen richtigen, vollwertigen Freispruch bekommt.
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Re: Produktidee: Ein "KI Assistent" für Juristen
Das was Schnitte sagt. Außerdem solltest du nicht vergessen, dass die 5% sich auf astreine Freisprüche beziehen. Freisprüche ... ich nenne sie mal "dritter Art" ... gibt es ja viel häufiger. 10 verschiedene Taten, 8 lassen sich nachweisen, 2 nicht. Da wird dann wegbeschränkt. Das macht man halt, weil die StA ja ohne weiteres nen Fortsetzer mit mehr Zeugen herbeiführen kann, um die zwei Taten dann auch noch irgendwie gewinnen zu können. Da die StA aber in solchen Fällen meist auch schon sieht, dass das nichts mehr wird, wird wegbeschränkt, statt teilweise freizusprechen. Umgekehrt gilt das ja auch, die Verteidiger verzichten in den Kleinkramsachen doch auch oft auf noch 5 Zeugen, weil absehbar ist, dass das am Ergebnis nichts mehr ändert. Im Übrigen bedeutet in dubio pro reo nicht, dass du Ara Zweifel haben musst und das reicht dann. Es bedeutet, dass ich Zweifel haben muss. Wenn ich keine Zweifel habe, dass es der Angeklagte war, kannst du den ganzen Tag zweifelnd durch den Saal laufen. Dafür hat der Gesetzgeber dir eine unbeschränkte Berufung gegeben.
Umgekehrt gilt das auch. Wie oft war der Angeklagte es todsicher aus Sicht der StA und ich hatte Zweifel. Da kommt doch auch keiner und sagt, der Zweifelssatz ist aber hier ganz falsch angewendet worden.
Umgekehrt gilt das auch. Wie oft war der Angeklagte es todsicher aus Sicht der StA und ich hatte Zweifel. Da kommt doch auch keiner und sagt, der Zweifelssatz ist aber hier ganz falsch angewendet worden.
Wenn wir schon beim Reiten von Klischees sind: Allein im finanziellen Interesse der Verteidigung.Dass die Verteidigung sich für eine Dokumentation der Hauptverhandlung stark macht und sich die Justiz mit Händen und Füßen dagegen wehrt, zeigt glaube ich sehr gut, in wessen Interesse solch eine Dokumentation wäre.
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Re: Produktidee: Ein "KI Assistent" für Juristen
Das ist doch völlig naheliegend? Es gibt ja 2 Szenarien:Schnitte hat geschrieben: ↑Freitag 30. Mai 2025, 10:36Wobei ich glaube, dass dies zu einem großen Teil auch einen anderen Grund hat: Wenn sich während des Verfahrens die Beweislage als dünn herausstellt, wird halt gerne eingestellt, anstatt die Sache bis zum Freispruch durchzuziehen. Hat für das Gericht natürlich auch den Vorteil, sich eine Urteilsbegründung zu sparen. Was ich nie ganz verstehen werde, ist, warum sich die Verteidiger darauf so bereitwillig einlassen, anstatt darauf zu insistieren, dass ihr Mandant auch einen richtigen, vollwertigen Freispruch bekommt.
1. Es müssen für einen Freispruch noch mehr Hauuptverhandlungstage anberaumt werden. Das kostet dem Mandanten Zeit und nerven. Wenn ich 2000 Euro für den Verteidiger pro HVT zahle, dann kostet mich 1 weiterer HVT als Mandanten mehr als wenn ich 500 Euro ans Tierheim zahle. Da ist rein ökonomisch, den § 153a StPO anzunehmen.
2. Die Sache ist entscheidungsreif. Das Gericht darf § 153a StPO nur machen, wenn zum Zeitpunkt der Entscheidung noch ein hinreichender Tatverdacht besteht. Das heißt das Gericht muss von einer hohen Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung ausgehen. Das heißt wenn die Sache entscheidungsreif ist, kann in der Regel eigentlich nach einem abgelehnten § 153a StPO kein Freispruch mehr erfolgen, ohne dass neue Beweismittel aufgetaucht sind. Ich weiß in der Praxis haben es die Gerichte und Staatsanwaltschaften nicht so auf dem Schirm (StA stellen auch gerne nach § 170 II StPO ein, wenn man § 153a StPO ablehnt, obwohl das eigentlich nicht geht, wenn keine neuen Beweismittel aufgetaucht sind).
Von daher ist doch viel eher die Frage, warum Richter so selten eingreifen, wenn § 153a StPO in dem Raum steht, obwohl das Gericht freisprechen würde. Ich habs glaub ich erst einmal erlebt, dass ein Richter nach einer Anregung von § 153a StPO von der StA erklärt hat, dass es ansonsten die Beweisaufnahme auch ohne Erhebung der persönlichen Verhältnisse nun schließen würde und damit signalisiert hat, dass es freisprechen wird.
Die von der Klägerin vertretene Auffassung, die Beeinträchtigung des Wohngebrauchs sei durch das Zumauern der Fenster nur unwesentlich beeinträchtigt, ist so unverständlich, dass es nicht weiter kommentiert werden soll. - AG Tiergarten 606 C 598/11
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Re: Produktidee: Ein "KI Assistent" für Juristen
Eine völlige verquere Sicht auf die Realität. Die Realität sieht so aus: Bei den schwersten Straftaten habe ich eine Tatsacheninstanz, bei der kein Inhaltsprotokoll geführt wird. Wenn der Richter sich Sachen ausdenkt, hat der Angeklagte schlicht Pech gehabt. Selbst wenn der Angeklagte beweisen könnte, dass dies nicht Gegenstand der Beweisaufnahme war, wird das Urteil wegen "Verbot der Rekonstruktion der Hauptverhandlung" nicht aufgehoben.
Und ja, sowas kommt in der Praxis vor. Ich hab da ein relativ frisches Beispiel gerade vom OLG bekommen. Gericht verurteilt in der Berufungsinstanz, weil im Merkbuch einer Polizeibeamtin gestanden haben soll, dass ein Zeuge sagte "er kam dazu und habe sich verteidigt". Strittig ist, ob die Person "geschlagen" hat oder die nur "auseinandergehalten" hat. Das Merkbuch ist nicht verlesen worden und damit war es nicht Gegenstand der Hauptverhandlung (ergibt sich eindeutig aus dem Protokoll). In der Beweiswürdigung stand, dass die Polizeibeamtin sich in der Berufungshauptverhandlung nicht daran erinnern würde, ob der Zeuge sagte "habe sich verteidigt" oder "habe eingegriffen". Weiter im Urteil "Auch auf Vorhalt Ihres Merkbuches kamen keine Erinnerungen mehr auf". Trotzdem hat das Gericht verurteilt, weil im Merkbuch stand "sich verteidigt" und das Gericht sagt, damit sei "schlagen" gemeint und nicht nur "auseinanderhalten".
Die Inbegriffsrüge hatte keinen Erfolg, weil das Verbot der Rekonstruktion der Hauptverhandlung entgegenstand. Obwohl völlig unstreitig war, dass das Merkbuch niemals Gegenstand der Hauptverhandlung wurde, sondern lediglich vorgehalten wurde (und darauf keine Erinnerung erfolgte), hatte das Urteil bestand. Das Urteil ist offensichtlich rechtswidrig, weil das Gericht ein Beweismittel verwertet hat, was nie Gegenstand der Hauptverhandlung war. Das Gericht brauchte aber zwingend dieses Beweismitte für die Verurteilungl. Hier ist übrigens ein zweites Dilemma: Selbst wenn das Gericht bei der Urteilsabfassung gemerkt hätte, dass ihm Beweismittel fehlen, kann es diesen Fehler nicht korrigieren. Es muss irgendwie sein Urteil, was rechtsfehlerfrei nicht zu begründen ist, irgendwie zurechtbiegen. Da hilft aber auch eine Protokollierung der Hauptverhandlung nichts.
Aber es kann mir doch keiner, der wirklich professionell im Strafrecht unterwegs ist erzählen, dass das Revisionsrecht so wie wir das aktuell haben (übrigens ein Unicorn im europäischen Raum) tatsächlich pragmatisch und rechtsnah ist. Es gibt so viele Probleme und Hürden, bei denen selbst die Vertreter des GBAs den Revisionsverteidiger zustimmen, dass man das Revisionsrecht eigentlich reformieren müsste. Die Dokumentation der Hauptverhandlung wäre ein wunderbarer Zeitpunkt das Revisionsrecht anzugehen und das Rekonstruktionsverbot der Hauptverhandlung dahingehend aufzuheben, dass alles was sich aus den Protokollen ergibt auch überprüfbar ist. Und nein, das Problem ist nicht in erster Linie die höhere Belastung der Revisionsgericht in solchen Fällen (das würde sich einpendeln, weil sich schnell herauskristallisieren wird, wo es Probleme gibt und die Instanzgerichte machen es dann richtig), sondern viel mehr, dass es den Instanzgerichten in vielen Fällen schwerer fallen wird die Entscheidungen zu begründen, wenn die Beweisaufnahme tatsächlich wortgetreu dokumentiert ist.
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Re: Produktidee: Ein "KI Assistent" für Juristen
Ich glaube aber, dass Strich vor allem den Fall meinte, dass in der HV (an sich prozessrechtswidrig) nach § 153 II StPO eingestellt wird, obwohl eigentlich der Vorrang des freisprechenden Urteils greifen würde, weil das Gericht in diesen Momenten ja - mutmaßlich - von der Unschuld überzeugt ist - oder?
Ja, das ist unzulässig, es passiere (zumindest hier im Gerichtsbezirk) aber dauernd (so auch auf meine Nachfrage hin mein Ausbilder in der StA). Dass das falsch sei, wisse man, aber man sei da kollegial mit dem Gericht, oder so, weil weniger Arbeit mit Urteil usw. Außerdem sei das ohnehin nicht revisibel. (Ich bin zwar selbst Dogmatiker, der Rechtsstaat endet hier aber auch nicht unbedingt. Die Möglichkeit dieses Vorgehens endet ja sowieso, sobald man im Verbrechenstatbestand ist.)
Jedenfalls habe ich das auch selbst im Ref als SItzungsvertreter so andauernd am AG erlebt:
- Zeuge sagt anders/überhaupt aus oder Beschuldigter sagt zum ersten mal aus (v.a. bei Strafbefehl) -> Beweislage ist überhaupt nicht ergiebig
- Gericht fragt mal in die Runde, ob man denn einstellen könnte
Kostenrechtlich sollte das im Vh Anwalt/Mandant v.a. beim Wahlmandat auch keinen Unterschied mehr machen, oder Ara? Rein praktisch ist wohl der Umstand, dass kein Strafklageverbrauch eintritt (oder?) eher weniger relevant, wenn es um Alltagsdinge geht. Da wird vermutlich eine Akte eines Diebstahls o.ä. nicht freiwillig nochmal angefasst.
Habe in solchen Situation entweder Verteidiger erlebt, die dann etwas murrig meinten, Sie wollten ja doch lieber nen Freispruch haben (erfolgte dann auch durch das Gericht), teilweise wurde aber auch herzlichst die Einstellung angenommen.
Vielleicht spielt da auch eine Rolle, dass man sich den Strafrichter, dem man ja häufiger begegnen wird, "warm" hält?
Es ist aber in deinem Beispiel m.E. eine zutreffende Rechtsanwendung de lege lata durch das Revisionsgericht. Da kann man jetzt auch nicht das OLG all zu sehr dafür bekritteln, wenn es nunmal einfach die bestehenden Regeln hierzu anwendet (die Details der Entscheidungen kenne ich jetzt aber natürlich nicht).
Ich verstehe deine Darstellung aber so: Das Urteil stützte sich - jedenfalls nach Interpretation der Revisionsinstanz - gerade nicht auf das Merkbuch als Beweismittel, sondern auf die Aussage der Polizistin (nach Vorhalt des Merkbuchs). Das Merkbuch muss hierfür auch nicht in die HV als BM eingeführt werden. Dass der Inhalt der Aussage augenscheinlich falsch im Urteil wiedergegeben wurde, ist tatsächlich misslich und ich finde es auch selbst komisch, dass das kein irgendwie angreifbarer Fehler ist.
Man wird ja aber wohl sagen müssen, dass sich hieran erstmal auch nichts durch eine Protokollierung ändern würde. Die Maßstäbe an eine erfolgreiche Revision bleiben gleich, es bedürfte einer Rechtsprechungsänderung und die sehe ich nicht.
Hier wird dem Gericht einfach eine sehr weit gehende Freiheit gewährt. Wie weit die gehen darf, ist diskutabel, aber im Kern eine abstrakt schwer zu beantwortende Frage. Das treibt ja durchaus auch an anderer Stelle sonderbare Blüten, wenn man von Fällen hört, in denen entgegen naturwissenschaftlicher Erkenntnisse zur Möglichkeit eines Geschehensablaufs geurteilt wird. Wir haben so etwas ja aber an vielen Stellen - das Gericht entscheidet auch selbst, wann alle alternativen Szenarien ausgeschlossen sind und es von einem Geschehensablauf überzeugt ist. Da gibt es auch trotz der großen Bemühungen und der gesetzlich festgelegten Zahl an Richtern immer wieder Fälle, wo es bei einer demoskopischen Befragung zur Beweislage auf eine grandiose 50/50-Verteilung von "er war's" oder "er war's nicht" hinausliefe. (Toll dazu ein Beitrag von Aktenzeichen XY - ich hätte anhand der Beweise tendenziell freigesprochen, Gericht hat verurteilt, kurz darauf wird in Schweden die Leiche mit Spuren des Täteres gefunden).
Ja, das ist unzulässig, es passiere (zumindest hier im Gerichtsbezirk) aber dauernd (so auch auf meine Nachfrage hin mein Ausbilder in der StA). Dass das falsch sei, wisse man, aber man sei da kollegial mit dem Gericht, oder so, weil weniger Arbeit mit Urteil usw. Außerdem sei das ohnehin nicht revisibel. (Ich bin zwar selbst Dogmatiker, der Rechtsstaat endet hier aber auch nicht unbedingt. Die Möglichkeit dieses Vorgehens endet ja sowieso, sobald man im Verbrechenstatbestand ist.)
Jedenfalls habe ich das auch selbst im Ref als SItzungsvertreter so andauernd am AG erlebt:
- Zeuge sagt anders/überhaupt aus oder Beschuldigter sagt zum ersten mal aus (v.a. bei Strafbefehl) -> Beweislage ist überhaupt nicht ergiebig
- Gericht fragt mal in die Runde, ob man denn einstellen könnte
Kostenrechtlich sollte das im Vh Anwalt/Mandant v.a. beim Wahlmandat auch keinen Unterschied mehr machen, oder Ara? Rein praktisch ist wohl der Umstand, dass kein Strafklageverbrauch eintritt (oder?) eher weniger relevant, wenn es um Alltagsdinge geht. Da wird vermutlich eine Akte eines Diebstahls o.ä. nicht freiwillig nochmal angefasst.
Habe in solchen Situation entweder Verteidiger erlebt, die dann etwas murrig meinten, Sie wollten ja doch lieber nen Freispruch haben (erfolgte dann auch durch das Gericht), teilweise wurde aber auch herzlichst die Einstellung angenommen.
Vielleicht spielt da auch eine Rolle, dass man sich den Strafrichter, dem man ja häufiger begegnen wird, "warm" hält?
Dass das die derzeitige Rechtslage ist, hat mich auch schon immer irritiert und ob das so sein sollte, da stelle ich ein massives Fragezeichen dran. Gerade am LG (ggf. als einzige Tatsacheninstanz) steht da natürlich menschlichem Versehen oder auch mal absichtlichem Missbrauch wenig im Wege. Andererseits haben wir ja nicht wie am AG einen einzelnen (Berufs-)Richter. Das wirkt da sicherlich auch als "Sicherheitsventil", kann das aber auch nicht komplett verhindern.Ara hat geschrieben: ↑Samstag 31. Mai 2025, 12:05 Die Inbegriffsrüge hatte keinen Erfolg, weil das Verbot der Rekonstruktion der Hauptverhandlung entgegenstand. Obwohl völlig unstreitig war, dass das Merkbuch niemals Gegenstand der Hauptverhandlung wurde, sondern lediglich vorgehalten wurde (und darauf keine Erinnerung erfolgte), hatte das Urteil bestand. Das Urteil ist offensichtlich rechtswidrig, weil das Gericht ein Beweismittel verwertet hat, was nie Gegenstand der Hauptverhandlung war. Das Gericht brauchte aber zwingend dieses Beweismitte für die Verurteilungl. Hier ist übrigens ein zweites Dilemma: Selbst wenn das Gericht bei der Urteilsabfassung gemerkt hätte, dass ihm Beweismittel fehlen, kann es diesen Fehler nicht korrigieren. Es muss irgendwie sein Urteil, was rechtsfehlerfrei nicht zu begründen ist, irgendwie zurechtbiegen. Da hilft aber auch eine Protokollierung der Hauptverhandlung nichts.
Es ist aber in deinem Beispiel m.E. eine zutreffende Rechtsanwendung de lege lata durch das Revisionsgericht. Da kann man jetzt auch nicht das OLG all zu sehr dafür bekritteln, wenn es nunmal einfach die bestehenden Regeln hierzu anwendet (die Details der Entscheidungen kenne ich jetzt aber natürlich nicht).
Ich verstehe deine Darstellung aber so: Das Urteil stützte sich - jedenfalls nach Interpretation der Revisionsinstanz - gerade nicht auf das Merkbuch als Beweismittel, sondern auf die Aussage der Polizistin (nach Vorhalt des Merkbuchs). Das Merkbuch muss hierfür auch nicht in die HV als BM eingeführt werden. Dass der Inhalt der Aussage augenscheinlich falsch im Urteil wiedergegeben wurde, ist tatsächlich misslich und ich finde es auch selbst komisch, dass das kein irgendwie angreifbarer Fehler ist.
Man wird ja aber wohl sagen müssen, dass sich hieran erstmal auch nichts durch eine Protokollierung ändern würde. Die Maßstäbe an eine erfolgreiche Revision bleiben gleich, es bedürfte einer Rechtsprechungsänderung und die sehe ich nicht.
Hier wird dem Gericht einfach eine sehr weit gehende Freiheit gewährt. Wie weit die gehen darf, ist diskutabel, aber im Kern eine abstrakt schwer zu beantwortende Frage. Das treibt ja durchaus auch an anderer Stelle sonderbare Blüten, wenn man von Fällen hört, in denen entgegen naturwissenschaftlicher Erkenntnisse zur Möglichkeit eines Geschehensablaufs geurteilt wird. Wir haben so etwas ja aber an vielen Stellen - das Gericht entscheidet auch selbst, wann alle alternativen Szenarien ausgeschlossen sind und es von einem Geschehensablauf überzeugt ist. Da gibt es auch trotz der großen Bemühungen und der gesetzlich festgelegten Zahl an Richtern immer wieder Fälle, wo es bei einer demoskopischen Befragung zur Beweislage auf eine grandiose 50/50-Verteilung von "er war's" oder "er war's nicht" hinausliefe. (Toll dazu ein Beitrag von Aktenzeichen XY - ich hätte anhand der Beweise tendenziell freigesprochen, Gericht hat verurteilt, kurz darauf wird in Schweden die Leiche mit Spuren des Täteres gefunden).
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Re: Produktidee: Ein "KI Assistent" für Juristen
Wenn notwendige Auflagen der Staatskasse auferlegt werden, ist das kostentechnisch neutral. (Begrenzter) Strafklageverbrauch tritt bei § 153 II StPO aber ein.Gürteltier hat geschrieben: ↑Samstag 31. Mai 2025, 14:52 Kostenrechtlich sollte das im Vh Anwalt/Mandant v.a. beim Wahlmandat auch keinen Unterschied mehr machen, oder Ara? Rein praktisch ist wohl der Umstand, dass kein Strafklageverbrauch eintritt (oder?) eher weniger relevant, wenn es um Alltagsdinge geht. Da wird vermutlich eine Akte eines Diebstahls o.ä. nicht freiwillig nochmal angefasst.
Nein die Aussage der Zeugin ist ja unergiebig gewesen und wurde richtig wiedergegeben. Die Zeugin hat gesagt "Ich erinnere mich nicht daran" und das steht so auch korrekt im Urteil. Durch das reine Vorhalten wird das Merkbuch nicht Gegenstand der Hauptverhandlung, es hätte verlesen werden müssen. Das ist nicht geschehen. Das Gericht stützt sich aber auf den Inhalt des Merkbuches, was nie verlesen wurde und auch nie von der Zeugin bestätigt wurde.Gürteltier hat geschrieben: ↑Samstag 31. Mai 2025, 14:52 Ich verstehe deine Darstellung aber so: Das Urteil stützte sich - jedenfalls nach Interpretation der Revisionsinstanz - gerade nicht auf das Merkbuch als Beweismittel, sondern auf die Aussage der Polizistin (nach Vorhalt des Merkbuchs). Das Merkbuch muss hierfür auch nicht in die HV als BM eingeführt werden. Dass der Inhalt der Aussage augenscheinlich falsch im Urteil wiedergegeben wurde, ist tatsächlich misslich und ich finde es auch selbst komisch, dass das kein irgendwie angreifbarer Fehler ist.
Das Revisionsgericht sagt jedoch (de lege lata und nach ständiger Revisionsrechtsprechung wohl richtig), dass die Rüge ins leere geht, weil das Revisionsgericht nicht prüfen kann, was die Zeugin gesagt hat (es gibt ja keine Protokollierung der Aussage). Also "theoretisch kann die Zeugin das ja irgendwann anders während ihrer Zeugenaussage gesagt haben, es taucht nur nicht im Urteil auf"
Das Tatsachengericht könnte sich eine völlig neue Zeugenaussage ausdenken, ohne, dass es heute revisionsrechtlich angreifbar wäre. Würden die Aussagen protokolliert werden, egal ob man das Revisionsrecht am Ende ändert oder nicht, würde sich aber kein Gericht mehr trauen sich Sachen auszudenken. Und wie gesagt viele Richter tun das sicherlich auch nicht absichtlich, aber wenn 4 Wochen nach Tenorverkündung das Urteil abgefasst wird und der Zeuge laut eigenen Skizzen "X" gar nicht gesagt hat, man das aber für die Verurteilung braucht, dann taucht auf einmal X auf.
Eine weitere Anekdote aus einem großen Verfahren mit mehreren Verteidigern und einer Vielzahl an Verhandlungstagen. Wir waren nach den Plädoyers zum essen verabredet und da Strafverteidiger ihren Job nicht so ernst nehmen, hatten wir die großartige Idee, dass derjenige das Essen zahlen muss, wer es nicht schafft bestimmte Wörter, die jemand anders vorgegeben hat, sinnvoll in das Plädoyer einzubringen. Ich hatte ein Wort bekommen, was eine allerwelts Aktivität darstellt, welche absolut gar nichts mit unserem Verfahren zu tun hatte. Weil es völlig irrelevant war hatte ich es ins Plädoyer dahingehend eingebaut, dass ich sowas sagte wie "Am Abend davor haben die dann X, Y oder sowas, ich weiß nicht mehr genau was die Zeugin sagte, gemacht...." X war die tatsächliche Aktivität und Y war das Wort was ich unterbringen sollte.
Sowohl in der mündlichen Urteilsbegründung als auch im schriftlichen Urteil taucht nun auf, dass am Abend davor die Aktivitäten X und Y gemacht wurde. Es waren alle Verteidiger sofort erstaunt darüber, weil wir ja uns exakt auf dieses eine Wort konzentriert hatten und ganz genau wusste, dass hat nie jemand vorher gesagt. Es tauchte einzig und allein in meinem Plädoyer auf. Weder fand die Aktivität Y statt noch hatte irgendein Zeuge dies erwähnt. Wir hatten in der Sache sogar auf eigene Faust ein Wortlautprotokoll aus dem Zuschauerraum durch Referendare anfertigen lassen, für den späteren Gang zum EGMR. Auch dort tauchte Y natürlich nie auf.
Das hatte hier nun natürlich keinerlei Bedeutung, weil es völlig irrelevant war, ob die nun X oder Y gemacht haben am Vorabend. Aber es war erschreckend, dass das Gericht offenbar hier die fehlenden eigenen Erinnerungslücken mit den Ausführungen der Verteidigung geschlossen hat. Im ersten Moment ist das natürlich für alle lustig und wir lachen da heute noch drüber, wenn wir über das Verfahren nachdenken, aber auf der anderen Seite ist es auch erschreckend.
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Re: Produktidee: Ein "KI Assistent" für Juristen
Vor Gericht findet also letztlich das selbe Problem statt, welches auch an sich beim Zeugenbeweis besteht: Man hat eine Hand voll Zeugen und jeder berichtet es ein bisschen anders.Ara hat geschrieben: ↑Samstag 31. Mai 2025, 15:35
Das Tatsachengericht könnte sich eine völlig neue Zeugenaussage ausdenken, ohne, dass es heute revisionsrechtlich angreifbar wäre. Würden die Aussagen protokolliert werden, egal ob man das Revisionsrecht am Ende ändert oder nicht, würde sich aber kein Gericht mehr trauen sich Sachen auszudenken. Und wie gesagt viele Richter tun das sicherlich auch nicht absichtlich, aber wenn 4 Wochen nach Tenorverkündung das Urteil abgefasst wird und der Zeuge laut eigenen Skizzen "X" gar nicht gesagt hat, man das aber für die Verurteilung braucht, dann taucht auf einmal X auf.

Es ist ja auch nicht gesagt, dass jeder Verteidiger/Staatsanwalt sich zu 100 % korrekt an das Gesagte erinnert. Oder dass eben eine interne Mitschrift (angefertigt durch einen der Berufsrichter) sich dann mit der Erinnerung der anderen anwesenden Richter deckt.
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Re: Produktidee: Ein "KI Assistent" für Juristen
Du kannst nicht Fragen stellen, zuhören und gleichzeitig Notizen machen. Das betrifft alle Verfahrensbeteiligte nicht nur Richter. aber bei mir ist es in der Regel egal, ob meine Notizen stimmen oder nicht, beim Richter nicht. Drum wäre die Dokumentation der Hauptverhandlung, wie sie ja wirklich fast durchgehend in anderen Ländern üblich ist, dringend notwendig.
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Re: Produktidee: Ein "KI Assistent" für Juristen
In Anbetracht dessen, dass jedes Rechtsmittel gegen gerichtliche Entscheidungen verfassungsrechtlicher Bonus ist, steht es dem Gesetzgeber auch frei, die Revision nach belieben einzuschränken oder gar abzuschaffen. Ich seh da das von dir skizzierte Problem nicht.Ara hat geschrieben: ↑Samstag 31. Mai 2025, 12:05Eine völlige verquere Sicht auf die Realität. Die Realität sieht so aus: Bei den schwersten Straftaten habe ich eine Tatsacheninstanz, bei der kein Inhaltsprotokoll geführt wird. Wenn der Richter sich Sachen ausdenkt, hat der Angeklagte schlicht Pech gehabt. Selbst wenn der Angeklagte beweisen könnte, dass dies nicht Gegenstand der Beweisaufnahme war, wird das Urteil wegen "Verbot der Rekonstruktion der Hauptverhandlung" nicht aufgehoben.
...
Der Angeklagte hat verfassungsrechtlich das Recht auf einen Richter über dem der blaue Himmel ist. Das kannst du jetzt lang beklagen aber verfassungsrechtlich bedarf es allenfalls noch einer Willkürkontrolle, die ohne Rechtsmittel durch die Verfassungsbeschwerde gegeben wäre.
Oder mit anderen Worten: Wenn sich der Richter etwas (unvorsätzlich) ausdenkt, hat der Angeklagte schlicht Pech gehabt.
Um noch mal Klischees zu reiten: Verteidiger sind doch nie zufireden. Siehe Rohmessdaten bei Geschwindigkeitsverstößen. Die will man unbedingt haben obwohl sie dem Einzelnen nichts bringen. Ich warte ja nur darauf, bis die Verteidiger anfangen, auch noch die Rohdaten des GC-Gerätes bei der BAK Bestimmung anzufordern. Und wenn sie die Rohmessdaten aller Geräte haben, dann wollen sie den geräteinternen Algorithmus haben, der die Daten verarbeitet, und wenn sie den auch noch haben, wollen sie die Baupläne des LIDAR haben und wenn sie die haben, wollen sie eine Zerlegung des Gerätes haben, weil, kann ja sein dass es anders gebaut wurde, als geplant, und wenn sie das dann haben, dann wollen sie die Vorgaben der DIN ISO für die Einbautoleranzen haben und wenn sie das haben, wollen sie, dass der Sachverständige das alles nachmisst, und wenn sie dass dann haben, wollen sie die Wetterdaten am Messtag haben und wenn sie das dann haben ...
Hätte hätte Fahrradkette ist aber kein taugliches Argument.
Die Realität sieht anders aus, das Klischee stimmt vielleicht für einige wenige Verteidiger, genau so wie für einige wenige Verfahren sich möglicherweise bei der Urteilsabsetzung etwas ändern würde, wenn man die HV genauer protokollieren würde. Ob das messbare Auswirkungen auf das Ergebnis haben wird, wage ich nach wie vor zu bezweifeln.
Der einzige, der ein Problem mit der Realität hat, scheinst du zu sein, weil du es nicht erträgst, wenn das Gericht anderer Auffassung ist. Wenn ich jedes mal so einen Film schieben würde und gleich eine Änderung der gesamten Rechtslage verlangen würde, wenn eine meiner Entscheidungen keinen Bestand hat, dann müsste ich mir nen anderen Job suchen.
Im Übrigen bedeutet hinreichender Tatverdacht nicht, dass eine hohe Verurteilungswahrscheinlichkeit besteht sondern nur, dass eine Verurteilung wahrscheinlicher ist, als ein Freispruch. Nach der obergerichtlichen Rechtsprechung soll das Maß im Rahmen der Eröffnung sogar nur gleiche Wahrscheinlichkeit sein (ich liefere dir bei Bedarf die Rechtsprechung des LG Magdeburg, das auf diese Rechtsprechung verweist, gerne nach, wenn ich wieder im Büro bin).
Trotzdem was Versöhnliches zum Ende: In dem von dir geschilderten Fall erscheint mir die OLG Entscheidung zumindest komisch. Ich habe schon wegen weniger ein Urteil aufgehoben bekommen, weil ich ein Beweismittel verwertet habe, dass nicht eingeführt wurde. Daher wäre ich davon ausgegangen, dass es auch bei deinem Fall erfolgt wäre (wenn das so ein zentraler Punkt war). Daher nehme ich mir bei der Absetzung jetzt immer das Protokoll und begründe das Urteil nur mit den darin enthaltenen Beweismitteln. Die OLG Entscheidung würde mich also durchaus interessieren.
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Da stimme ich dir zu. Wenn ich komplexe Vernehmungen habe (jugendliche/kindliche Zeugen bspw.) schreibe ich nicht mehr selbst mit (allenfalls mal einen Stichpunkt oder ich bitte den Zeugen kurz zu warten).Ara hat geschrieben: ↑Samstag 31. Mai 2025, 16:33 Du kannst nicht Fragen stellen, zuhören und gleichzeitig Notizen machen. Das betrifft alle Verfahrensbeteiligte nicht nur Richter. aber bei mir ist es in der Regel egal, ob meine Notizen stimmen oder nicht, beim Richter nicht. Drum wäre die Dokumentation der Hauptverhandlung, wie sie ja wirklich fast durchgehend in anderen Ländern üblich ist, dringend notwendig.
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Re: Produktidee: Ein "KI Assistent" für Juristen
Ich hab mit keinem Wort gesagt, dass das nicht lege lata sei oder verfassungsrechtlich nicht zulässig.Strich hat geschrieben: ↑Samstag 31. Mai 2025, 18:16In Anbetracht dessen, dass jedes Rechtsmittel gegen gerichtliche Entscheidungen verfassungsrechtlicher Bonus ist, steht es dem Gesetzgeber auch frei, die Revision nach belieben einzuschränken oder gar abzuschaffen. Ich seh da das von dir skizzierte Problem nicht.Ara hat geschrieben: ↑Samstag 31. Mai 2025, 12:05Eine völlige verquere Sicht auf die Realität. Die Realität sieht so aus: Bei den schwersten Straftaten habe ich eine Tatsacheninstanz, bei der kein Inhaltsprotokoll geführt wird. Wenn der Richter sich Sachen ausdenkt, hat der Angeklagte schlicht Pech gehabt. Selbst wenn der Angeklagte beweisen könnte, dass dies nicht Gegenstand der Beweisaufnahme war, wird das Urteil wegen "Verbot der Rekonstruktion der Hauptverhandlung" nicht aufgehoben.
...
Der Angeklagte hat verfassungsrechtlich das Recht auf einen Richter über dem der blaue Himmel ist. Das kannst du jetzt lang beklagen aber verfassungsrechtlich bedarf es allenfalls noch einer Willkürkontrolle, die ohne Rechtsmittel durch die Verfassungsbeschwerde gegeben wäre.
Oder mit anderen Worten: Wenn sich der Richter etwas (unvorsätzlich) ausdenkt, hat der Angeklagte schlicht Pech gehabt.
Es ist nur einem Rechtsstaates unwürdig, es so geregelt zu haben. Ein Angeklagte sollte nicht einfach "Pech" gehabt haben, nur weil ein Richter den Sachverhalt (unvorsätzlich) verdreht hat.
Strich hat geschrieben: ↑Samstag 31. Mai 2025, 18:16 Trotzdem was Versöhnliches zum Ende: In dem von dir geschilderten Fall erscheint mir die OLG Entscheidung zumindest komisch. Ich habe schon wegen weniger ein Urteil aufgehoben bekommen, weil ich ein Beweismittel verwertet habe, dass nicht eingeführt wurde. Daher wäre ich davon ausgegangen, dass es auch bei deinem Fall erfolgt wäre (wenn das so ein zentraler Punkt war). Daher nehme ich mir bei der Absetzung jetzt immer das Protokoll und begründe das Urteil nur mit den darin enthaltenen Beweismitteln. Die OLG Entscheidung würde mich also durchaus interessieren.
Die OLG-Entscheidung ist hier kurz und knapp ausgefallen:
"Der Verfahrensrüge, mit welcher die Revision einen Verstoß gegen § 261
SIPO in Gestalt der sog. lnbegriffsrüge geltend macht, bleibt der Erfolg
versagt. Die Beanstandung, die im Urteil getroffene Feststellung, der
Angeklagte habe gegenüber der Zeugin W das Wort, ,verteidigen" geäußert,
sei nicht durch die in der Hauptverhandlung verwendeten Beweismittel,
insbesondere auch nicht durch Angaben der Zeugin W, gewonnen worden,
stützt sich auf eine Behauptung, deren Nachweis nur durch eine verbotene
Rekonstruktion der Beweisaufnahme durch das Revisionsgericht geführt
werden kann."
Nicht irritieren lassen, dass hier "Angeklagter" steht. Das liegt daran, weil es das Verfahren wegen falscher uneidlicher Aussage gegen den Zeugen war (Ja es ist sehr kompliziert...), da dieser später ausgesagt hat ein dritter hat nicht geschlagen.
Mir erscheint die OLG-Entscheidung tatsächlich im Ergebnis (leider) richtig: Es ist dem Revisionsgericht unmöglich aufzuklären, dass die Zeugin W es nicht gesagt hat in der Hauptverhandlung. Nur weil der Umstand in den Urteilsgründen fehlt, heißt es nicht, dass es nicht gesagt wurde.
Die von der Klägerin vertretene Auffassung, die Beeinträchtigung des Wohngebrauchs sei durch das Zumauern der Fenster nur unwesentlich beeinträchtigt, ist so unverständlich, dass es nicht weiter kommentiert werden soll. - AG Tiergarten 606 C 598/11
- Strich
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Re: Produktidee: Ein "KI Assistent" für Juristen
Ah der Punkt ist also, dass das Beweismittel aus Sicht des OLG eingeführt war, man sich aber unklar darüber ist, was es jetzt genau erbracht hat. Das scheint mir im Ergebnis auch richtig zu sein, da man über die Inbegriffsrüge ja gerade keine Beweiswürdigung über die Hintertür einführen will.
Ich sehe deinen Punkt aber schon: Der Richter würdigt etwas in eine Aussage herein, was der Zeuge nicht gesagt hat. Unabhängig von dem, was wir schon zum Schutz durch den Richter (und nicht Schutz vor dem Richter) gesagt haben, will ich meinen Punkt aber auch noch mal aus einem anderen Blickwinkel klar machen: Der von dir geschilderte Umstand ist ärgerlich, aber das kriegst du ja mit Instanzen nicht glatt gezogen. Wer sagt denn, dass das Berufungsgericht nicht auch irgendwas in die Aussage hereinliest. In deinem Fall hatte der Richter vielleicht aus der gesamten Hauptverhandlung (aus der er ja schöpfen kann und nicht nur aus den Beweisen), den Eindruck gewonnen, da wäre verteidigen intendiert (wenn auch nicht gesagt) gewesen. Das ist für dich natürlich immer noch ärgerlich, aber m.E. kodifiziert das Gesetz mit § 261 StPO genau dieses Überzeugung. Es soll gerade nicht auf Worte ankommen, denen unterschiedliche Personen unterschiedliche Bedeutungen beimessen.
Die Instanz kann dir das also nicht geben. Alles was sie dir gibt, ist das gute Gefühl, dass ein zweiter oder dritter oder vierter Richter sich den Fall auch noch mal im Detail anschaut. Dafür haben wir aber keine Instanzen sondern Kammern erfunden. Wozu zwei Gerichte mit diesem Problem beschäftigen, wenn wir einfach mehr Richter schon in der Unterinstanz damit beschäftigen können.
Ich sehe deinen Punkt aber schon: Der Richter würdigt etwas in eine Aussage herein, was der Zeuge nicht gesagt hat. Unabhängig von dem, was wir schon zum Schutz durch den Richter (und nicht Schutz vor dem Richter) gesagt haben, will ich meinen Punkt aber auch noch mal aus einem anderen Blickwinkel klar machen: Der von dir geschilderte Umstand ist ärgerlich, aber das kriegst du ja mit Instanzen nicht glatt gezogen. Wer sagt denn, dass das Berufungsgericht nicht auch irgendwas in die Aussage hereinliest. In deinem Fall hatte der Richter vielleicht aus der gesamten Hauptverhandlung (aus der er ja schöpfen kann und nicht nur aus den Beweisen), den Eindruck gewonnen, da wäre verteidigen intendiert (wenn auch nicht gesagt) gewesen. Das ist für dich natürlich immer noch ärgerlich, aber m.E. kodifiziert das Gesetz mit § 261 StPO genau dieses Überzeugung. Es soll gerade nicht auf Worte ankommen, denen unterschiedliche Personen unterschiedliche Bedeutungen beimessen.
Die Instanz kann dir das also nicht geben. Alles was sie dir gibt, ist das gute Gefühl, dass ein zweiter oder dritter oder vierter Richter sich den Fall auch noch mal im Detail anschaut. Dafür haben wir aber keine Instanzen sondern Kammern erfunden. Wozu zwei Gerichte mit diesem Problem beschäftigen, wenn wir einfach mehr Richter schon in der Unterinstanz damit beschäftigen können.
Stehe zu deinen Überzeugungen soweit und solange Logik oder Erfahrung dich nicht widerlegen. Denk daran: Wenn der Kaiser nackt aussieht ist der Kaiser auch nackt ... .
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Re: Produktidee: Ein "KI Assistent" für Juristen
Das Problem im konkreten Beispiel ist höchstwahrscheinlich viel simpler gewesen: Die Richterin wusste nicht, dass eine Urkunde, die einer Zeugin nur vorgehalten wird, nicht Gegenstand der Hauptverhandlung wird. Beim Abfassen des Urteils war es der Richterin klar, dass die Zeugin sich daran nicht erinnerte, sie wusste aber ja, dass es im Merkbuch stand. Daher hatte sie das Merkbuch als Beweismittel verwertet, obwohl es nicht Gegenstand der Hauptverhandlung wurde. Sie hätte prozessordnungsgemäß in der HV einfach das Merkbuch verlesen müssen.
Es geht mir bei der Dokumentation nicht in erster Linie um neue Instanzen. Es geht mir darum, dass die Ausgangsurteile schon von Anfang an richtig sind. Ich gehe nicht davon aus, dass die Freispruchquote durch erfolgreiche Revisionen erhöht wird (ich sagte ja, ich glaube nicht mal, dass die Belastung der Revisionsgerichte steigt). Es wird schon in der Instanz die Freispruchquote steigen, weil den Richtern bei einer wörtlichen Dokumentation viel deutlicher dargestellt wird, wie die Beweislage tatsächlich ist. Es wird der eigene Bias ein Stückchen rausgenommen.
Es geht mir bei der Dokumentation nicht in erster Linie um neue Instanzen. Es geht mir darum, dass die Ausgangsurteile schon von Anfang an richtig sind. Ich gehe nicht davon aus, dass die Freispruchquote durch erfolgreiche Revisionen erhöht wird (ich sagte ja, ich glaube nicht mal, dass die Belastung der Revisionsgerichte steigt). Es wird schon in der Instanz die Freispruchquote steigen, weil den Richtern bei einer wörtlichen Dokumentation viel deutlicher dargestellt wird, wie die Beweislage tatsächlich ist. Es wird der eigene Bias ein Stückchen rausgenommen.
Die von der Klägerin vertretene Auffassung, die Beeinträchtigung des Wohngebrauchs sei durch das Zumauern der Fenster nur unwesentlich beeinträchtigt, ist so unverständlich, dass es nicht weiter kommentiert werden soll. - AG Tiergarten 606 C 598/11