Ergänzung zur Wahrscheinlichkeit (p) eines materiellen Unterechtserfolgs.
In der Lit. heißt es zum Merkmal "zum Nachteil einer Partei":
Die Rechtsbeugung muss zugunsten oder zum Nachteil einer Partei erfolgen (Hilgendorf LK 80, Kuhlen NK 71, Stein/Deiters SK 50, Seebode JR 97, 474, Wohlers/Gaede GA 02, 490), § 339 ist deshalb Erfolgsdelikt (Hilgendorf LK 47, Ueberle MK 57).
[...]
Auch bei einem Verstoß gegen Verfahrensrecht kann, dem Erfolgscharakter entspr., eine Benachteiligung oder Bevorzugung eines Verfahrensbeteiligten nach dem o. RN 10 genannten Maßstab vorliegen. Es genügen also nicht Abweichungen vom Verfahrensablauf (BGH 38 383, 42 351, NStZ-RR 01, 244), auch nicht Verfahrensverzögerungen als solche (Karlsruhe NJW 04, 1469, ferner Frankfurt NJW 00, 2037 m. Anm. Gubitz NStZ 01, 253; vgl. aber BGH 47 113 [dazu RN 10]). Jedoch kommt § 339 dann in Betracht, wenn der Richter durch sein Verhalten nicht lediglich das abstrakte Risiko einer falschen Endentscheidung, sondern die konkrete Gefahr eines unrechtmäßigen Vor- oder Nachteils für eine Partei schafft (BGH 42 351, NStZ 13, 107, 651, NStZ-RR 01, 244, Naumburg NStZ 13, 534, Eisele I 1677, Fischer 23, L-Heger 7, Käsewieter aaO 237 f., SSW-Kudlich 26, Kuhlen NK 75, Ueberle MK 49, 59; and. Hilgendorf LK 83, Krehl NStZ 98, 410, Seebode JR 97, 474 ff., M/R-Sinner 27, Stein/Deiters SK 55; krit. Wohlers/Gaede GA 02, 494 f.).
(Schönke/Schröder/Heine/Hecker, 30. Aufl. 2019, StGB § 339 Rn. 12; Hervorhebung NICHT im Original)
Genau in dem Fettgesetzten kommt das p zum Ausdruck, da sich die konkrete Gefahr stets mit einer (näher zu bestimmenden), nicht ganz zu vernachlässigenden Eintrittswahrscheinlichkeit verbindet.
Jetzt kommt es weiter darauf an, ob man - was intellektuell möglich, also nicht unredlich ist - der Anhörung eine solche Bedeutung für das "Rausfischen" falscher ärztlicher Einschätzungen zumisst, dass man mit der unterlassenen Anhörung per se eine konkrete, nicht bloß abstrakte Gefahr "eines unrechtmäßigen Vor- oder Nachteils für eine Partei" verbindet.
ME ist das kaum vertretbar, wenn man sich die Empirie vor Augen hält, wie selten Betreuungsrichter von deutlichen ärztlichen und behördlichen Stellungnahmen abweichen.
Allenfalls könnte man argumentieren, dass mit einem allgemeinen Rechtsgedanken die Annahme einer konkreten Gefahr dann nur ein sehr geringes p fordert, wenn das zu schützende Rechtsgut (hier: die Freiheit) besonders gewichtig ist.
In diese Richtung scheint der BGH in einem Fall zur Verletzung der Anhörungspflichten im Ergebnis (weniger in der Begründung) zu tendieren, hat sich aber durch allerlei Zusatzkriterien abgesichert:
Mit dem systematischen Verstoß gegen die Anhörungspflicht aus § FGG § 70c FGG bei gleichzeitiger Vorspiegelung einer verfahrensrechtlich ordnungsgemäßen Vorgehensweise mit fingierten Anhörungsprotokollen hat sich der Angekl. in einer derart schweren Weise bewusst von Recht und Gesetz entfernt, dass darin ein elementarer Rechtsverstoß zu sehen ist.
(BGH NStZ 2010, 92)
Das ist kaum haltbar.
- § 339 StGB ist kein Massen- oder Dauerdelikt, das einen "systematischen" Rechtsbruch voraussetzt. Der BGH ist der eigentlichen Fragen nach dem Zusammenhang von formaler Rechtsverletzung und dem damit verbundenen p für die Gefahr des Unrechtserfolgs (= grundlose Unterbringung) ausgewichen. Das ist intellektuell nicht haltbar.
- Auch der Rekurs auf die "gleichzeitige Vorspiegelung einer verfahrensrechtlich ordnungsgemäßen Vorgehensweise mit fingierten Anhörungsprotokollen" ist unsystematisch; dies wäre allenfalls für den subjektiven Tatbestand relevant. Für die Frage des objektiven Rechtsverstoßes kann es nur auf den Kausalnexus "Formaler Rechtsverstoß --> Begründung einer konkreter (ie nicht nur abstrakten) Gefahr eines materiellen Unrechtserfolgs" ankommen.