(Alb-) Traum Justiz?

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Elbflorenz
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(Alb-) Traum Justiz?

Beitrag von Elbflorenz »

ch möchte zum Thema Justiz meine Gedanken zusammen fassen. Seien sie eine Anregung für alle qualifizierten Jungjuristen bei der Frage der Berufswahl. Die einzelnen Punkte werden in vielen unterschiedlichen Threads diskutiert, dass ich dachte, ich bündele sie einmal.

Als RiLG, der mit einer Anwältin aus einer mittelständischen Kanzlei (ca. 120 Anwälte in Deutschland) verheiratet ist und Kontakte zu ehemaligen Kommilitonen und AG-Kollegen hält, möchte ich einen kleinen Vergleich zwischen einer Tätigkeit als Richter/StA und Anwalt geben.

1. Die finanzielle Komponente:
Wenn man als Richter anfängt, ist die Höhe des Soldes derart, dass es abseits von einer Großkanzlei äußerst schwer wird, dies als Anwalt zu verdienen. Ich verdient mit Ende 20 abzüglich des Anteiles an der PKV knapp 2.800 Euro netto im Monat. Als Anwalt bedarf es für ein gleiches Gehalt rund 62.000 Euro brutto im Jahr, was sich so nicht immer realisieren lässt. Meine Frau fing mit ca. 2.600 netto im Monat an. Mit zunehmenden Alter geht die Gehaltsschere jedoch zu Gunsten der Anwaltstätigkeit zum Teil erheblich auseinander. Mit Mitte/Ende 30. liege ich nun bei ca. 3.500 € netto im Monat. Meine Frau, die mittlerweile auch am Gewinn der Kanzlei beteiligt ist, kommt nun auf ca. 4.700 € netto im Monat. In Zukunft wird sich die Differenz weiter zu ihren Gunsten verschieben. Vergessen werden darf jedoch auch nicht das Thema Altersvorsorge. Wenn ich mit 65 in Rente gehen werde und danach noch 20 Jahre lebe, werde ich in dieser Zeit rund 710.000 Euro Rente vom Staat erhalten. Um als Anwalt auf eine solch üppige Rente blicken zu können, muss man zeit seiner Berufstätigkeit einiges beiseite legen, was die Gehaltsdifferenz nun zu Gunsten des Staatsdieners schrumpfen lässt. Gelegenheiten, wie als Anwalt einen günstig über die Kanzlei geleasten schicken Wagen fahren zu können, ergeben sich freilich nicht. Geht man als gut qualifizierter Jurist in die Justiz - gute Noten sind hier ja Voraussetzung, verlangen manche Bundesländer gar zum Teil zweistellige Staatsexamina - muss man damit klar kommen, dass man freiwillig auf materielle Dinge und Möglichkeiten in der Privatwirtschaft verzichtet.

2. Die Sicherheit
Diese besteht für den Staatsdiener freilich und sie gibt einem ein gutes Gefühl. Gleichwohl ist sie meines Erachtens überbewertet: Wenn man die für den Staatsdienst nötigen Qualifikationen aufweist, wird man auch in der Privatwirtschaft nur sehr selten vor der Arbeitslosigkeit stehen. Hier bezieht sich die Sicherheit dann jedoch weniger in Bezug auf einen kontinuierlichen Arbeitgeber, sondern vielmehr darauf, überhaupt Arbeit zu haben.

3. Die Unabhängigkeit
Diese ist für den Richter grundgesetzlich garantiert. Aber auch hier darf man nicht Gefahr laufen, diese zu überschätzen. Freilich ist eine fachliche Unabhängigkeit gegeben, aber welcher Beisitzer am Landgericht wird ständig mit dem Kammervorsitzenden auf Konfrontationskurs gehen? Der Arbeitsanfall in der Justiz ist mittlerweile derart hoch, dass sich eine laufende Tätigkeit von zu Hause aus meist de facto erübrigt. Insbesondere auch die technische Ausstattung hierfür fehlt einfach. Meine Frau kann bspw. von zu Hause auf die Kanzleisoftware und elektronische Akten etc. zugreifen und diese bearbeiten. Von einer solchen Möglichkeit ist man in der Justiz weit entfernt. Natürlich ist man als angestellter Anwalt bereits rechtlich von seinem Vorgesetzten abhängig. Ist man eine Zeit dabei, ergibt sich durch die selbständige Bearbeitung von Mandaten auch eine gewisse faktische Unabhängigkeit vom Vorgesetzten, weswegen man hier nicht tagtäglich "nach Diktat" agieren muss. Einfacher ist es als Richter natürlich, wenn spontan außerberufliche Termine anstehen. Hier muss man niemanden Fragen, sondern nimmt diese einfach wahr und arbeitet die verlorene Zeit an anderer Stelle heraus. Eine gewisse Unabhängigkeit als Richter besteht, aber gerade im Hinblick auf den Kammerbetrieb sollte man diese nicht überbewerten.

4. Die Arbeitszeit
Ich kenne viele Proberichter und Staatsanwälte, die sechs bis sieben die Tage voll arbeiten und ihr Dezernat trotzdem gerade so in Schuss halten. Gerade die ersten Jahre als Proberichter können zeitlich sehr beanspruchend sein. Dies bessert sich zwar nach der Lebenszeiternennung, aber auch dann hat man keinen Halbtagsjob. Ich kenne viele - auch routinierte - Richter, die Akten auch übers Wochenende mit nach Hause gehen oder diese im Gericht bearbeiten. Auf Grund der Sparzwänge der öffentlichen Hand wird der Arbeitsanfall für Richter in Zukunft weiter zunehmen als abnehmen. Ob man dies angesichts der R1-Besoldung für gerecht empfindet, sei einmal dahin gestellt. Ich bin Beisitzer in einer Kammer für allgemeine Zivilsachen. Montags bis donnerstags arbeite ich von 8 bis 19 Uhr. Freitags klappt es dann aber dafür schon um 17.30 Uhr Schluss zu machen. Alle drei Monate ist dann einmal ein Samstag nötig, gerade um "Gürteltiere" aufzuarbeiten. Meine Frau arbeitet Montag bis Freitag von 8.00 Uhr bis ca 19.30. Wochenendarbeit ist genauso selten wie bei mir. Die Arbeitszeiten sind hier weitestgehend aneinander angeglichen. Als Richter ist man sehr vom Geschäftsverteilungsplan abhängig. Ich kenne Richter, die hiervon profitieren und eine "ruhige Kugel" schieben und andere, die nahezu unterjocht sind. Alle bekommen jedoch R1, was man mitunter als ungerecht empfinden kann.

5. Die Arbeitsumstände
Hier muss man denke ich nicht viel diskutieren. Die sind in der Anwaltschaft in der Regel deutlich besser. Meine Frau kann von zu Hause auf die Kanzleisoftware zugreifen. Sie hat am Arbeitsplatz Juris und beck-online und kann diese auch auf dem Heimrechner nutzen. Ich habe das Glück, am LG auch beides zu haben. Es gab jedoch Zeiten am AG, als ich auf dieses nicht zugreifen konnte und ich auch Kommentare besser selbst kaufen musste, da man mit dem im Gericht vorhandenen Palandt von vor 5 Jahren besser nicht arbeitet und eine Bewilligung entweder keine Aussicht auf Erfolg verspricht oder das Verfahren ohnehin zu lange dauert. Die Büroausstattung spricht im Übrigen auch in der Regel für den Anwaltsberuf, es sei denn, man steht auf typische 70er-Jahre Einrichtung. Bedenken muss man auch, dass die Richtertätigkeit ein eher einsamer Beruf ist, da man oft nur im stillen Kämmerlein sitzt. Neben der sachlichen Ausstattung, sollte man jedoch auch die personelle beachten: Stellen für Justizfachangestelle werden auf Grund der bekannten Sparzwänge eher abgebaut als geschaffen. Um viele organisatorische Dinge muss ich mich als Richter selbst kümmern, bei denen meine Frau auf ihre engagierte Sekretärin zurück greifen kann. Auch die gerichtlichen Geschäftsstellen sind mehr und mehr überlastet. Kleine Dinge, wie Faxe versenden o.ä. muss ich selbst machen. Hierfür hat die Geschäftsstelle keine Zeit. Auf Grund des dortigen Arbeitsanfalles ist die Stimmung auch dort dementsprechend angespannt.

6. Die Anfangszeit
Auch hier ein klarer Punkt für die Anwaltschaft. Als meine Frau nach ihrer Promotion Anwältin wurde, wurde sie einem erfahrenen Partner zugewiesen, der sie als Mentor ausbildete und für alle Fragen offen stand. Sie wurde nach und nach eingeführt in ihre Tätigkeit, sehr erhielt von der Kanzlei Schulungen zur Dezernatsarbeit und zum Mandantenkontakt etc. Bei mir war es so, dass ich als blutjunger Proberichter plötzlich ein amtsgerichtliches Dezernat zu führen hatte, mit allen offenen und neu eingehenden Verfahren. Es gab weder eine Schulung noch stand mir ein Mentor zur Seite. Die Möglichkeit, erfahrene Kollegen um Rat zu bitten, ist oftmals (gerade bei kleinen AGen) begrenzt. Auf meine Frage, ob es eine Einführungsschulung o.ä. gebe, meinte man nur lapidar, dass in der Justiz "friss oder stirb" gelte. Für die Justiz ist dies auch kein Problem: Auf Grund des großen Überangebotes von - auch guten - Juristen ist jeder Proberichter substituierbar. Schafft einer seine Arbeit nicht, kommt eben der nächste Bewerber. § 22 DRiG bereitete nicht nur mir schlaflose Nächte. Hinzu kommt hier die Unflexibilität der Justiz: Anders als als Anwalt kann man sich weder aussuchen, wo man arbeitet, noch welches Rechtsgebiet einem zugewiesen wird.

7. Karrieremöglichkeiten
In vielen mittelständischen Kanzleien ist bei guter Leistung der weg zur insbesondere finanziell äußerst lukrativen Partnerschaft vorgezeichnet. In der Justiz gilt das nicht. Stellen als VRiLG oder als RiOLG sind stark begrenzt, der Andrang und die damit verbundene Ellbogenmentalität entsprechend groß. Oft habe ich auch das Gefühl, dass der Neid im öffentlichen Dienst größer ist. In der Justiz bestehen jedoch Abordnungsmöglichkeiten ans Ministerium und Bundesgerichte. Dies ist interessant, zeitlich jedoch stark begrenzt. Wenn man in die Justiz geht, muss man sich darüber klar sein, dass die Wahrscheinlichkeit, für immer am AG zu sitzen, weitaus größer ist als VRiLG oder RiOLG zu werden. Entsprechendes gilt für die StA.

8. Frustfaktor
Das "Festhängen" am AG führt natürlich zur Frage des Frustes: Am AG wiederholt sich sehr viel sehr oft. Verkehrsunfälle, Kaufmängel, Schimmel im Schlafzimmer. Damit muss man klar kommen. Für die Parteien sind dies in diesem Moment wichtige Frage, weltbewegend sind sie nicht. Außerdem wird man als Richter oder StA erst dann tätig, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist. Als Anwalt bieten sich hier natürlich auch andere Gelegenheiten wie Prozesstaktik und Vertragsgestaltung. Welcher Beruf nun anspruchsvoller ist, sei ein mal dahin gestellt.Aber man muss damit klar kommen, dass sich in der Justiz sehr viel wiederholt. Als StA kann man bald Anklagesätze für § 316 (mit und ohne Vorsatz), § 242 oder § 223 auswendig. Auch muss man damit klar kommen, dass jeder Richter R1 bekommt (ohne Beförderung), egal wie engagiert er ist und wieviel er arbeitet.
Syd26
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Re: (Alb-) Traum Justiz?

Beitrag von Syd26 »

Sehr interessanter Beitrag. Da Du logischerweise nur Tätigkeiten vergleichst, für die annährend die gleichen Noten gebraucht werden, will ich nur zu Ziffer 8. etwas sagen.
Elbflorenz hat geschrieben: 8. Frustfaktor
Das "Festhängen" am AG führt natürlich zur Frage des Frustes: Am AG wiederholt sich sehr viel sehr oft. Verkehrsunfälle, Kaufmängel, Schimmel im Schlafzimmer. Damit muss man klar kommen. Für die Parteien sind dies in diesem Moment wichtige Frage, weltbewegend sind sie nicht. Außerdem wird man als Richter oder StA erst dann tätig, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist. Als Anwalt bieten sich hier natürlich auch andere Gelegenheiten wie Prozesstaktik und Vertragsgestaltung. Welcher Beruf nun anspruchsvoller ist, sei ein mal dahin gestellt.Aber man muss damit klar kommen, dass sich in der Justiz sehr viel wiederholt. Als StA kann man bald Anklagesätze für § 316 (mit und ohne Vorsatz), § 242 oder § 223 auswendig. Auch muss man damit klar kommen, dass jeder Richter R1 bekommt (ohne Beförderung), egal wie engagiert er ist und wieviel er arbeitet.
Es ist ein Irrglaube, zu denken, bei uns Anwälten wiederholt sich nichts. Grade spezialisierte Kanzleien haben ja viel in einem Fachgebiet zu tun und nehmen nicht jede Sache an. Das machen nicht einmal wir als kleine Kanzlei. Es gibt Dinge, die wiederholen sich einfach immer wieder. Das führt natürlich zu einer gewissen Routine, was aber auch gut so ist. Anderenfalls würde man früher oder später mit seiner Zeit nicht mehr auskommen.

Auch als Anwalt kann es sein, dass man erst sehr spät tätig wird, da viele Mandanten oftmals nicht einsehen, schon frühzeitig einen RA einzuschalten. Das trifft insbesondere für Verbraucher zu. Aber selbst Inhaber mittelständischer Firmen kommen erst, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist. Hier liegt es neben Imageproblemen auch oft daran, dass es keine RSV gibt.

Ich kann Dir auch nicht sagen, welcher Beruf anspruchsvoller ist. Als RA hat man den Nachteil, den Sachverhalt oft erst zusammentragen zu müssen. Man ist hier auf die Angaben des Mandanten angewiesen. Richter erhalten den Sachverhalt schon aufbereitet. Insbesondere im Zivilrecht gilt der Beibringungsgrundsatz, sodass Richter gar nicht hinterfragen dürfen oder müssen, ob die Sache so gewesen sein kann. Ich als Anwältin muss das in gewissen Grenzen schon tun, um der Gefahr eines Prozessbetrugs vorzubeugen. Hinzu kommt die Haftung, die man immer im Hinterkopf hat. Ob man will oder nicht. Da haben es Richter durchaus einfacher.

Was ich mir aus RA-Sicht manchmal wünschen würde, sind Richter, die die Vorträge der Parteien auch so würdigen, wie es die Akte hergibt - und nicht irgendetwas entscheiden, weil sie unvorbereitet in die Verhandlung gegangen sind. Das erlebe ich leider immer wieder.
"Eine Verschiebung eines Termins setzt jedoch denklogisch voraus, dass vorher ein fester Termin vereinbart worden ist."
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Leo12
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Re: (Alb-) Traum Justiz?

Beitrag von Leo12 »

Interessante, subjektive Innenansichten aus dem richterlichen Alltag. Wenn ich dies mit meinen anwaltlichen Alltagssorgen vergleiche, kommt mir ein alter Spruch in den Sinn, wonach es auf der anderen Seite des Zaunes immer grüner ist. Will heißen: Ich würde meine Sorgen sofort gegen die Deinigen tauschen. Subjektiv halt.
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Re: (Alb-) Traum Justiz?

Beitrag von HRP »

Ein sehr interessanter Beitrag. Vielen Dank dafür!
Spencer
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Re: (Alb-) Traum Justiz?

Beitrag von Spencer »

Ich schließe mich an: sehr interessanter Beitrag!

Mich hat letztlich Punkt 6 (Die Anfangszeit) dazu bewogen, nicht Richter zu werden. Ich sehe einfach bei meinen Kollegen, wie hart die ersten Jahre sein können und mich gefragt, ob ich nach 2 harten und langen Examensvorbereitungsphasen noch mal derart malochen will. Auch ist es ja nicht gesagt, dass nach der Probezeit 40h die Regel sind. Da es nie mein Traum war, diesen Beruf zu wählen, war es wahrscheinlich auch die richtige Entdcheidung. Aber Vorteile hat dieser Beruf aus meiner Sicht eine Menge.

Mich würde ein entsprechender Beitrag zum Thema (Alb-)Traum Ministerium interessieren. Da hört man nur wenig.
Sebast1an
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Re: (Alb-) Traum Justiz?

Beitrag von Sebast1an »

Sehr informativer Beitrag!
Ich bin auch nur ein Mensch. Genauso wie ein Weißer Hai auch nur ein Fisch ist. (Zlatan Ibrahimović)
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famulus
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Re: (Alb-) Traum Justiz?

Beitrag von famulus »

Abgesehen davon, dass sich mir die Frage wegen meiner Noten nicht stellt: die Frustrationskomponente wäre für mich ausschlaggebend, als junger Mensch nicht in den Staatsdienst einzusteigen. Bei der Eintönigkeit, der Fremdbestimmtheit hinsichtlich des Einsatzgebietes und den praktisch nicht vorhandenen Aufstiegs- und Entfaltungsmöglichkeiten muss man sich das schon sehr genau überlegen. Gerade weil die Hemmschwelle, eine ggf. Lebenszeitverbeamtung wegzuschmeißen, riesig bzw. u.U. unüberwindbar erscheint.
Die Vergütung halte ich allerdings nicht für beanstandungswürdig.
»Ich kenne den Schmerz, den ich hatte, weil ich zweimal die Vorhaut mit dem Reißverschluss mitgenommen habe, so dass dieser - also Reißverschluss - einmal in einer Klinik entfernt werden musste.« - Chefreferendar
Challenger_2
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Re: (Alb-) Traum Justiz?

Beitrag von Challenger_2 »

Zunächst einmal: Vielen Dank an Elbflorenz für den informativen Beitrag!

Um es vorwegzunehmen: Ich bin sehr gerne Anwalt und bereue meine Berufswahl keineswegs (jedenfalls bis heute [-o< ). Aber in meinem Bekanntenkreis habe ich in den letzten Monaten schon zwei, drei Fälle erlebt, wo die „verheißungsvolle“ Anwaltskarriere mit Mitte/Ende 30 abrupt vorbei war (sei es aus aufgrund einer strategischen Neuausrichtung der [mittelständischen] Kanzlei, die einem die Aufstiegschancen zunichte macht, sei es aufgrund einer offensichtlichen Diskrepanz zwischen subjektiver Wahrnehmung eigener juristischer „Grandezza“ und der schnöden Realität [aka Selbtsüberschätzung]). Hat man schon eine Familie gegründet, scheint es mir sehr schwer, sich in diesem Alter nochmal neu zu erfinden, und auf die Selbstständigkeit ist man nicht immer vorbereitet (gerade wenn man in der Kanzlei Perspektiven sah)...

Die mir bekannten Großbudenn....kollegen ( ;)) hatten es beim Abgang zumindest finanziell einfacher, weil sie entweder ordentlich gespart hatten und/oder mit Unterstützung der Kanzlei an mehr als ordentlich vergütete (Inhouse-) Jobs gekommen sind.

Tja, zumindest dieses Risiko hat man als Richter nicht.
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Zippocat
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Re: (Alb-) Traum Justiz?

Beitrag von Zippocat »

Interessant und ehrlich, aber - verzeih mir - auch etwas selbstmitleidig. In der Gesamtschau scheint überhaupt nur ein Punkt - 3. Die Unabhängigkeit - zu Gunsten der richterlichen Tätigkeit auszufallen. Nahbereichsempirie birgt immer die Gefahr, eigene Meinungen bestätigt zu sehen und anschließend als Tatsachen zu verkaufen. Zu den verschiedenen Arbeitszeiten, Ausstattungen der Dienstzimmer, Arbeitsmittel, Work-Life-Balance, Gefühl der Unabhängigkeit usw. sind hier bereits von vielen Usern deinen Schilderungen deutlich entgegenstehende Erfahrungen beigetragen worden.

Wenn denn alles so furchtbar ist: Warum bist du immer noch Richter?
"If we should deal out justice only, in this world, who would escape?"
Herr Schraeg
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Re: (Alb-) Traum Justiz?

Beitrag von Herr Schraeg »

Je länger ich im Forum unterwegs bin, desto mehr zweifele ich an der Sinnhaftigkeit solcher Gegenüberstellungen, weil die Vergleichsgruppen zu inhomogen sind. Bei "Anwalt" ist jedem klar, daß der Begriff eine ungeheure Spannbreite vom Taxifahrer mit der Robe im Kofferraum bis hin zum Seniorpartner einer M & A - Großkanzlei hat. Es gibt nicht "den Anwalt", sondern eine Vielzahl vollkommen unterschiedlicher Tätigkeitsfelder mit den unterschiedlichsten Rahmenbedingungen, die nur die Anwaltszulassung als gemeinsame Klammer haben. Hier im Forum habe ich auch gelernt, daß offenbar auch das Berufsbild "Richter" gravierende Unterschiede bei der Arbeitsbelastung und den Perspektiven aufweist.

Dennoch ist eine solche pauschalierende Gegenüberstellung so reizvoll, daß ich nicht widerstehen, auch meinen Senf dazuzugeben:

1. Unterschiedliche Tätigkeitsfelder

Erst im letzten Punkt taucht bei Elbflorenz am Rande auf, was ich für den wichtigsten Punkt einer solchen Gegenüberstellung halte. Richter und Anwalt sind vollkommen unterschiedliche Tätigkeitsfelder, so daß ein Berufsanfänger, der die Wahl hat, sich zuallererst darüber klarwerden muß, wofür er geeignet ist und was ihm mehr Freude machen wird.
Ein Richter ermittelt den Sachverhalt und subsumiert. Das macht ein Anwalt zunächst auch. Der Anwalt bewertet dann aber das Ergebnis, verändert den Sachverhalt durch rechtsgestaltende Erklärungen, entwickelt (juristische und außerjuristische) Alternativen, bewertet wieder und bereitet Entscheidungen vor. Er arbeitet nicht nur am Schriftsatz, sondern auch gestaltend am Vertragsentwurf und im Gespräch mit Mandant, Gegner oder Behörde. Zu seinen Aufgabenfeldern gehören auch Organisation, Personalführung und - je nach Zuschnitt der Kanzlei - auch Freud und Leid der Teamarbeit.
Kurzum, die Tätigkeit des Anwalts ist deutlich vielfältiger und umfassender als die des Richters, m.E. deshalb auch herausfordernder und interessanter. Umgekehrt gilt aber auch: wer gemerkt hat, daß ihm die organisatorischen, taktischen und nichtjuristischen Elemente ebenso wie das Denken in Alternativen weniger Spaß machen wie die "reine Jurisprudenz" oder wem es schwer fällt, Position A zu vertreten, obwohl seines Erachtens die besseren Argumente für Position B sprechen, wird als Richter eher seine Erfüllung finden - völlig ungeachtet der sonstigen Rahmenbedingungen.

2. Unternehmerisches Denken

Eine ganz wesentliche Facette dieses breiten Spektrums des Anwalts ist das unternehmerische Denken. Jeder Anwalt - auch der zunächst festangestellte Anwalt - muß irgendwann einmal die betriebswirtschaftlichen Grundlagen seines Berufs lernen und unternehmerisches Denken entwickeln. Dazu gehört es, Chancen zu sehen und gezielt zu entwickeln, unprofitable Geschäftsfelder abzustoßen oder zu verändern und Mandate zu akquirieren. Die beste juristische Arbeit des Anwalts ist nichts wert, wenn der Mandant die Qualität nicht erkennt und unzufrieden ist.
Im Normalfall empfinde ich dieses unternehmerische Element als Bereicherung meines Berufsalltags (außer wenn wie jetzt gerade drei oder vier Mandate, die ich haben wollte, an mir vorüberziehen). Aber die Kehrseite dieses Elements ist auch ein permanenter Druck, sich jetzt die Mandate zu sichern, die im nächsten Monat den Lebensunterhalt und -standard gewährleisten. Auch wenn im Alltag dieser Druck häufig zurücktritt, ist er unter der Oberfläche vorhanden und nicht jeder kann damit umgehen.

3. Sicherheit

Deshalb springt Elbflorenz nach meinem Dafürhalten etwas zu kurz, wenn er meint, daß sich die Sicherheit des monatlichen Richtergehalts deshalb relativiert, weil Anwälte "in diesen Punkteregionen" selten von Arbeitslosigkeit bedroht seien. Geschäftsfelder von Kanzleien ändern sich. Branchenknowhow kann wertlos werden, wenn die Branche darnieder liegt. Wer als Anwalt nicht permanent um neue Mandate, neue Entwicklungen und neue Perspektiven ringt, verliert. Wenn ich Pech habe, verdiene ich im nächsten Jahr nur noch die Hälfte von dem, was ich dieses Jahr verdiene. Wenn ich Glück habe, das Doppelte. Die Chance, deutlich mehr als ein Richter zu verdienen, bezahlt der Anwalt mit dem Risiko, deutlich weniger zu verdienen. Es ist auch insoweit eine Mentalitätsfrage jedes Einzelnen und nicht verallgemeinerungsfähig, ob er mit dieser Ungewißheit klarkommt oder sie sogar begrüßt.
Spencer
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Re: (Alb-) Traum Justiz?

Beitrag von Spencer »

Herr Schraeg hat geschrieben: Dennoch ist eine solche pauschalierende Gegenüberstellung so reizvoll, daß ich nicht widerstehen, auch meinen Senf dazuzugeben:
Willkommen auf Jurawelt, was möchten Sie trinken ?! :)
Kasimir
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Re: (Alb-) Traum Justiz?

Beitrag von Kasimir »

Love it, change it or leave it. Was soll das Selbstmitleid?
Eichhörnchen, Eichhörnchen wo sind deine Nüsse?
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Volki
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Re: (Alb-) Traum Justiz?

Beitrag von Volki »

Schöne Schilderung, danke dafür. Keine Kinder, hm? Mit Verlaub, aber mit denen sähe die Bilanz sicher anders aus. Justiz ohne Familie ist zwar möglich, aber aus den von Dir herausgearbeiteten Gründen leider sinnlos.
Die Robe ist über der Kleidung zu tragen.
--
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T0bi
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Re: (Alb-) Traum Justiz?

Beitrag von T0bi »

Auch von meiner Seite Dank an den TE.

Selbstmitleidig finde ich den Beitrag nicht, eher ziemlich nah an der Realitaet so wie sie auch mir von zwei Richtern waehrend meiner Ausbildung vermittelt wurde. Wohlgemerkt: beide R2 (DirAG bzw. stVertr) und insgesamt zufrieden mit dem Job, aber eben auch durchaus kritisch. Einen aehnlich substantiierten und erhellenden Beitrag mit gegenlaeufiger Tendenz habe ich hier jedenfalls noch nicht gelesen.
"die Bezeichnung Penner hat nicht...stets beleidigenden...Charakter. So werden etwa im Einzelhandel umgangssprachlich schlecht verkäufliche Artikel...im Gegensatz zum Renner auch als Penner bezeichnet (wikipedia.de)" (BayVGH NZA-RR 2012, 302)
christian!
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Re: (Alb-) Traum Justiz?

Beitrag von christian! »

wie ist das eigentlich mit der faktischen Unabhängigkeit als Richter in einer Kammer? Gibt es tatsächlich - wie man immer wieder über mehrere Ecken hört - Vorsitzende, die angebliche Fehler im Votum rot anstreichen?
Mir ist jedenfalls der Fall einer "Anfänger-" Beisitzerin bekannt, deren juristisches Wissen der Vorsitzende in Gesprächen immer beiläufig "abprüfte":
er fing einen Satz an, den er offen ließ. Sie musste dann vervollständigen. Ihr selber hat das nach eigenem Bekunden nichts ausgemacht, zumal sie auch immer die richtigen Antworten wusste. Ich finde so eine Art "Prüfung" allerdings etwas befremdlich.......
Mündliche Prüfungen sind die Prüfungen, bei denen die Prüfungsfragen mündlich zu beantworten sind (§ 4 Nr. 31 Universitäts-Studiengesetz, Österrreich)
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