Re: Erfahrungen nach BSG Urteil
Verfasst: Freitag 24. Februar 2017, 12:34
Was bedeutet "einheitliche Versorgungsbiografie"?
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Der Wechsel des Versorgungssystems kann für den Betroffenen mit ganz erheblichen Nachteilen verbunden sein. Zum Bleistift kann keine Rente für langjährige Versicherte beziehen, wer in der gesetzlichen Rentenversicherung die Wartezeit von 35 Jahren nicht erbringt (§ 36 S. 1 Nr. 2 SGB VI). Hat der bislang nicht zur Anwaltschaft zugelassene Jurist das Höchsteintrittsalter überschritten, ist eine Aufnahme in das Versorgungswerk bei einem Wechsel in die Freiberuflichkeit ausgeschlossen. Das ist in vielen Bundesländern schon mit Vollendung des 45. Lebensjahrs der Fall, zum Beispiel in Niedersachsen nach § 7 S. 2 Nr. 1 der Satzung des Versorgungswerks. Ein Rechtsanwalt, der im Alter von 63 Jahren von der Selbstständigkeit in ein Unternehmen oder einen Verband wechselt, muss Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen, ohne bei Erreichen der Regelaltersgrenze bezugsberechtigt zu sein, weil er die obligatorische fünfjährige Wartezeit (§ 50 Abs. 1 SGB VI) nicht erfüllt. Nachteile ergeben sich auch im Fall der Erwerbsminderung.Tibor hat geschrieben:Ja, danke für den Lesenachweis. Aber welchen "Mehrwert" hat dies, bis auf Klarheit (man muss nicht drei Zahlen zusammenaddieren um seinen zukünftigen Rentenanspruch zu ermitteln) und Verwaltungsökonomie (eine Behörde macht alles)?
Weil sie es bei "Nicht-Kammerberufen" auch keine Begründung für eine Extrawurst ist. Jedem anderen Menschen der von einer Nicht-Rentenversicherungspflichtigen Tätigkeit in eine versicherungspflichtige Tätigkeit wechselt -und umgekehrt- werden diese Unannehmlichkeiten doch auch zugemutet. Diese Probleme wären (wenn man denn wollte) wie oben im Thread bereits diskutiert durch Regelungen abmilderbar, die eben die Übertragung von Anwartschaften (bzw. Anrechnung von Beitragszeiten), bzw. freiwillige Beitragsmöglichkeiten etc. vorsehen könnten.iura hat geschrieben:Wieso ist der Bedarf an einer einheitlichen Versorgungsbiografie für dich keine tragfähige Begründung?Tikka hat geschrieben:Der erklärt sich sehr einfach aus der personellen Zusammensetzung des deutschen Bundestages. Einen sachlichen Grund darüber hinaus gibt es nicht. Übrigens hat das nicht besonders mit Syndicusanwälten zu tun. Es gibt auch keine tragfähige Begründung für die Befreiung von angestellten Rechtsanwälten, Steuerberatern, Ärzten, Apothekern, usw. überhaupt. Denn eine mögliche (manchmal, aber sicher nicht immer, angestrebte) Selbstständigkeit später kann nie ein Grund für eine Befreiung jetzt sein. Ansonsten könnten wir auch anfangen angestellte Handwerker, Landwirte, etc. zu befreien.
Die Extrawurst ist aber doch das Bestehen der berufsständischen Versorgungswerke an sich. Wenn du sie abschaffen willst, okay. Aber solange es sie gibt, wirft ihre Existenz eine Regelungsfrage auf, die halt derzeit mit dem Befreiungsanspruch beantwortet wird.Tikka hat geschrieben:Weil sie es bei "Nicht-Kammerberufen" auch keine Begründung für eine Extrawurst ist.
Das Befreiungsrecht gilt für diverse Berufsgruppen. Insofern ist die Formulierung "jedem anderen Menschen" vielleicht ein bisschen missverständlich.Tikka hat geschrieben:Jedem anderen Menschen der von einer Nicht-Rentenversicherungspflichtigen Tätigkeit in eine versicherungspflichtige Tätigkeit wechselt -und umgekehrt- werden diese Unannehmlichkeiten doch auch zugemutet.
Also wendest du dich gegen eine Extrawurst, weil man schließlich auch eine andere Extrawurst braten könnte?Tikka hat geschrieben:Diese Probleme wären (wenn man denn wollte) wie oben im Thread bereits diskutiert durch Regelungen abmilderbar, die eben die Übertragung von Anwartschaften (bzw. Anrechnung von Beitragszeiten), bzw. freiwillige Beitragsmöglichkeiten etc. vorsehen könnten.
Hast du dich mit den Nachteilen für die Versorgungsbiografie und für die Fälle der Erwerbsunfähigkeit schon beschäftigt? Ich habe ja heute einiges dazu geschrieben.Tikka hat geschrieben:Selbst ohne steht der mögliche Nachteil der einigen Individuen durch die nicht einheitliche Versorgungsbiografie entsteht, in keinem Verhältnis zu dem Nachteil der der Rentenversicherung und der Allgemeinheit durch die Herausnahme der Kammerberufe aus der gesetzlichen Rentenversicherung entsteht.
Nicht wirklich.Tikka hat geschrieben:Hier wird der Sozialversicherungsgedanke regelrecht entkernt.
Das kann man so sehen. Es ist nur eben ein anderes Thema.Tikka hat geschrieben:Grundsätzlich liegt die Wurzel des Übels ja schon da. In der historisch vollkommen überholten Pflichtversicherung in den Versorgungswerken (bei gleichzeitiger Befreiung von der allgemeinen Rentenversicherung). Das war als sie erfunden wurde noch einigermaßen verständlich (Nichtversicherbarkeit der Kammerberufe in der RV), inzwischen sehe ich dafür keinen Grund mehr der deren Existenz als PflichtInstitutionen rechtfertigt.
Mehr Einzahler = mehr Leistungsempfänger. Was nicht heißen soll, ich könnte niemals für die Abschaffung der Versorgungswerke sein. Ich finde nur, man müsste da schon etwas genauer hinsehen.Tikka hat geschrieben:Bitte nicht falschverstehen. Ich finde das für mich persönlich alles ganz prima und werde solange ich das kann auch gerne weiter meine privilegierte Rentenversicherungsmöglichkeit im Versorgungswerk nutzen. Im gesamtgesellschaftlichen Kontext kann ich aber nur für eine baldestmögliche Abschaffung der Pflichtversicherung in den Versorgungswerken im allgemeinen und der Befreiungsmöglichkeit für angestellte Berufsträger im Besonderen hoffen.
Tikka hat geschrieben:Bitte nicht falschverstehen. Ich finde das für mich persönlich alles ganz prima und werde solange ich das kann auch gerne weiter meine privilegierte Rentenversicherungsmöglichkeit im Versorgungswerk nutzen. Im gesamtgesellschaftlichen Kontext kann ich aber nur für eine baldestmögliche Abschaffung der Pflichtversicherung in den Versorgungswerken im allgemeinen und der Befreiungsmöglichkeit für angestellte Berufsträger im Besonderen hoffen. (Natürlich mit Bestandsschutz für die die schon dri sind )
Vielleicht mit Chulz?
+1iura hat geschrieben: Mehr Einzahler = mehr Leistungsempfänger. Was nicht heißen soll, ich könnte niemals für die Abschaffung der Versorgungswerke sein. Ich finde nur, man müsste da schon etwas genauer hinsehen.
Genau. Wer braucht schon nen Sozialstaat. Ach ne. Moment.Boris Die Klinge hat geschrieben:+1iura hat geschrieben: Mehr Einzahler = mehr Leistungsempfänger. Was nicht heißen soll, ich könnte niemals für die Abschaffung der Versorgungswerke sein. Ich finde nur, man müsste da schon etwas genauer hinsehen.
Wenn wir schon in die alte Neid- und Gerechtigkeitsdebatte einsteigen zur Abrundung mal folgender frevelhafter Gedanke:
Wie wäre es, wenn wir alle unsere Versorgungsfreiheit zurückbekämen?! Das erschiene mir unter den Umständen als die denkbar gerechteste Lösung.
Na damit haben wir jetzt wohl einmal alle Stammtischparolen zusammengetragen in diesem Thread, Mission accomplished...Boris Die Klinge hat geschrieben:Genau. Wer braucht schon nen Sozialstaat. Ach ne. Moment.
Deine letzten Beiträge waren wohl daher m.E. auch die lesenswertesten und haben den Thread bereichert. Ich teile im Wesentlichen Deine Auffassung und den rechtsdogmatischen Ansatz, allerdings eignet sich der hiesige Rahmen -leider- nicht sonderlich für eine ernsthafte Auseinandersetzung. Allzu schnell gleitet die Diskussion immer wieder in die unsägliche rechtspolitische Schiene ab. Als ob die künftigen Herausforderungen vor der die gesetzliche Rentenversicherung steht durch Abschaffung der Versorgungswerke und Einführung der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht für ALLE einschließlich Selbständige und Beamte gemeistert werden könnten. Diesen halbgaren Unsinn kann und will doch nun wirklich niemand mehr hören oder lesen.iura hat geschrieben:Allerdings behandle ich das Thema seit nun schon mehreren Jahren in erster Linie rechtsdogmatisch und nicht rechtspolitisch.