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Re: Unverständliche Rezeption des BVerfG-Urteils zur EZB

Verfasst: Donnerstag 14. Mai 2020, 22:48
von Omnimodofacturus
Strich hat geschrieben: Donnerstag 14. Mai 2020, 19:55
Die einzige Quelle des Einflusses die das BVerfG besitzt, hat es in der Akzeptanz der Bevölkerung. Was will es denn machen, wenn die anderen Gewalten es schlicht ignorieren so wie der Bundesfinanzminister seit jeher die Entscheidungen des BFH ignoriert? Letzterer, seine Entscheidungen und gerade die Nichtanwendungserlasse sind in der Bevölkerung nahezu unbekannt (Tibor jetzt nicht weinen, ok, aber das ist so). Klar fällt das beim BverfG aufgrund der Gesetzeskraft schwer, aber die ist nur einfachgesetzlich verankert und vor dem Demokratieprinzip auch eher schwieriger zu rechtfertigen.

Da ist das Verhalten der Finanzverwaltung zum BFH auch nicht anders als das Verhalten des privaten Gewerbetreibenden, der weiterhin AGB verwendet und sich darauf beruft, die in einem Fall rechtskräftig im Wege der Inhaltskontrolle als unwirksam angesehen wurde.

Re: Unverständliche Rezeption des BVerfG-Urteils zur EZB

Verfasst: Donnerstag 14. Mai 2020, 22:51
von Tibor
Genau, man riskiert nur auf die Nase zu fallen und weitere Kosten zu verursachen.

Re: Unverständliche Rezeption des BVerfG-Urteils zur EZB

Verfasst: Freitag 15. Mai 2020, 18:38
von Strich
Omnimodofacturus hat geschrieben: Donnerstag 14. Mai 2020, 22:48
Strich hat geschrieben: Donnerstag 14. Mai 2020, 19:55
Die einzige Quelle des Einflusses die das BVerfG besitzt, hat es in der Akzeptanz der Bevölkerung. Was will es denn machen, wenn die anderen Gewalten es schlicht ignorieren so wie der Bundesfinanzminister seit jeher die Entscheidungen des BFH ignoriert? Letzterer, seine Entscheidungen und gerade die Nichtanwendungserlasse sind in der Bevölkerung nahezu unbekannt (Tibor jetzt nicht weinen, ok, aber das ist so). Klar fällt das beim BverfG aufgrund der Gesetzeskraft schwer, aber die ist nur einfachgesetzlich verankert und vor dem Demokratieprinzip auch eher schwieriger zu rechtfertigen.

Da ist das Verhalten der Finanzverwaltung zum BFH auch nicht anders als das Verhalten des privaten Gewerbetreibenden, der weiterhin AGB verwendet und sich darauf beruft, die in einem Fall rechtskräftig im Wege der Inhaltskontrolle als unwirksam angesehen wurde.
Stimmt, ich vergaß, dass Art 20 Abs. 3 GG den Gewerbetreibenden ausdrücklich mit nennt ^^

Re: Unverständliche Rezeption des BVerfG-Urteils zur EZB

Verfasst: Samstag 16. Mai 2020, 14:07
von Gelöschter Nutzer
Inzwischen wurden gerade dem Autor des ausgangs zitierten Blogposts ordentlich die Leviten gelesen, hier ein paar Beispiele (nicht von mir verfasst):

"Es klingt befremdlich, wenn man kritisiert, dass ein Urteil zu weiteren Klagen einlade. Der Weg der Verfassungsbeschwerde ist für jeden Bürger offen. (...) Wer dann allen Ernstes dem BVerfG zum Vorwurf macht, dass es sich bei einigen der Klägern um quasi "Aussätzige" handelt, der verlässt in ziemlich bedenklicher Weise rechtsstaatliche Gefilde. "Cui-bono?"-Überlegungen sprechen nicht dafür, dass Sie gute Argumente haben, sondern eine europäisch-liberale Agenda. Die darf man natürlich haben, aber sie hat in der Rechtsprechung, die auch im Staatsrecht weitestgehend zur Neutralität verpflichtet ist, nichts verloren.

Ich wäre sehr interessiert an der Norm im Verfassungsrecht oder einfachen Recht, die dem BVerfG den Auftrag geben soll, für Stabilität zu sorgen. Auch hier denken Sie wieder von einem politisch gewünschten Ergebnis her anstatt vom neutralen gesetzlichen Auftrag. Der lautet nämlich allein, Grundrechtsverletzungen zu prüfen.

Man darf nicht vergessen, dass das Schrifttum, welches gemeinhin EuGH-Entscheidungen kommentiert, sich selbst meist dem Gedanken vom EuGH als "Motors der Integration" verpflichtet fühlt. In gewissem Maße ist die Europarechtswissenschaft da eine Blase. (...)

Insofern wirkt es bedenklich, wenn der Autor schreibt, dass es "natürlich […] eine grotesk abwegige Vorstellung [ist], dass die EZB bei ihren Maßnahmen keine Überlegungen zu den möglichen Folgen anstellt". Das ist m.M.n. doch eine sehr naiv-romantische Vorstellung von Unfehlbarkeit europäischer Institutionen und eine bedenkliche von dem Begründungbedürfnis staatlichen Handelns. Überträgt man ein solches Verständnis auf den kleinen Mann, wird klar, wie bizarr diese Vorstellung ist: Warum braucht die Behörde eigentlich noch die Gewerbeuntersagung begründen, wenn doch grotesk abwegig ist, dass sie keine Überlegungen zur Verhältnismäßigkeit angestellt hat? (...)

"Cui bono?" in Reinstform ist keine Kategorie, in denen das BVerfG denkt und in einem Rechtsstaat denken darf, offensichtlich aber der Autor. (...)"

- https://verfassungsblog.de/auf-dem-weg- ... /#comments

Re: Unverständliche Rezeption des BVerfG-Urteils zur EZB

Verfasst: Sonntag 17. Mai 2020, 18:59
von Windscheid
Einen gewissen Entertainment-Faktor hat die Kommentarspalte beim Verfassungsblog ja immer, zudem findet man dort auch immer mal wieder gute Argumentationen und Diskurse. Damit unterscheidet sich der Blog tatsächlich stark von sonstigen Plattformen, auf denen wesentlich weniger inhaltlich fundiert diskutiert wird.

Re: Unverständliche Rezeption des BVerfG-Urteils zur EZB

Verfasst: Donnerstag 21. Mai 2020, 10:57
von Omnimodofacturus
Strich hat geschrieben: Freitag 15. Mai 2020, 18:38
Omnimodofacturus hat geschrieben: Donnerstag 14. Mai 2020, 22:48
Strich hat geschrieben: Donnerstag 14. Mai 2020, 19:55
Die einzige Quelle des Einflusses die das BVerfG besitzt, hat es in der Akzeptanz der Bevölkerung. Was will es denn machen, wenn die anderen Gewalten es schlicht ignorieren so wie der Bundesfinanzminister seit jeher die Entscheidungen des BFH ignoriert? Letzterer, seine Entscheidungen und gerade die Nichtanwendungserlasse sind in der Bevölkerung nahezu unbekannt (Tibor jetzt nicht weinen, ok, aber das ist so). Klar fällt das beim BverfG aufgrund der Gesetzeskraft schwer, aber die ist nur einfachgesetzlich verankert und vor dem Demokratieprinzip auch eher schwieriger zu rechtfertigen.

Da ist das Verhalten der Finanzverwaltung zum BFH auch nicht anders als das Verhalten des privaten Gewerbetreibenden, der weiterhin AGB verwendet und sich darauf beruft, die in einem Fall rechtskräftig im Wege der Inhaltskontrolle als unwirksam angesehen wurde.

Stimmt, ich vergaß, dass Art 20 Abs. 3 GG den Gewerbetreibenden ausdrücklich mit nennt ^^
Eine Bindung an Recht und Gesetz bedeutet aber ja nicht eine Bindung an eine etwaige Auslegung derselben durch die Gerichte, wo deren Entscheidungen nicht wie nach § 31 BVerfGG Gesetzeskraft haben.

Re: Unverständliche Rezeption des BVerfG-Urteils zur EZB

Verfasst: Montag 25. Mai 2020, 18:49
von Strich
Du hast also kein Problem damit, wenn der Staat im Extremfall alle Entscheidungen des BVerwG und des BSG (an denen er also unmittelbar beteiligt ist) einfach "keine über den Einzelfall hinausgehende Geltung" zuspricht?

Re: Unverständliche Rezeption des BVerfG-Urteils zur EZB

Verfasst: Samstag 30. Mai 2020, 02:17
von doohan
Swann hat geschrieben: Mittwoch 13. Mai 2020, 16:42 Weil ein Gericht sich in seinen Entscheidungen äußert und nicht in Interviews des Berichterstatters. Urteilsbegleitende Interviews von Richtern wie die Entscheidung verstanden werden soll oder was sie von der Rezeption der Entscheidung halten, gefährden Strukturprinzipien des Rechtsstaats. Denn eine wesentliche Begrenzung der Gestaltungsmacht der dritten Gewalt ist, dass Richter nicht sua sponte tätig werden können, sondern nur wenn und soweit ein Verfahren bei ihnen anhängig ist. Daher sollte von Hinweisbeschlüssen, die nur mit Blick auf die Öffentlichkeit erlassen werden, nur vorsichtig Gebrauch gemacht werden und Auslegungshilfen per Interview sollten sich Richter ganz verkneifen.
Auch wenn das schon etwas her ist... als ergänzende Info aus den Verhaltensleitlinien des Bundesverfassungsgerichtes:
Bundesverfassungsgericht hat geschrieben: 2. Aufgrund der Stellung des Bundesverfassungsgerichts als Verfassungsorgan und der gesellschaftlichen und politischen Bedeutung seiner Entscheidungen wirken die Mitglieder des Gerichts über die vorrangige Erfüllung ihres Rechtsprechungsauftrages hinaus bei der Darstellung und Vermittlung seiner Stellung, Funktionsweise und seiner Rechtsprechung auf nationaler und internationaler Ebene mit.

...

6. Kritik an anderen Meinungen und rechtlichen Standpunkten äußern die Richterinnen und Richter des Bundesverfassungsgerichts mit der ihrem Amt angemessenen Zurückhaltung. Dies gilt insbesondere in Bezug auf Entscheidungen des eigenen Gerichts, aber auch gegenüber anderen nationalen, ausländischen oder internationalen Gerichten.
Die Richter am BVerfG sind sich des Spannungsverhältnisses also sehr wohl bewußt. "Angemessene Zurückhaltung" ist halt ein stark auslegungsfähiger Begriff.

Als Vergleich: Voßkuhle hat in einem Interview (auf das mögliche Vertragsverletzungsverfahren angesprochen) sich wie folgt geäußert: "Ob es klug ist, daß dann am Ende der EuGH darüber entscheidet, ob er selbst alles richtig gemacht hat und ob das das Vertrauen in die europäischen Institutionen stärkt, da wäre ich eher etwas skeptisch".

Quelle: https://www.swrfernsehen.de/swr-extra/andreas-vosskuhle-im-gespraech-100.html (Verwaister Link automatisch entfernt)

Videozeitpunkt der zitierten Aussage ist 10:20; insgesamt fand ich das Video sehr interessant.

Re: Unverständliche Rezeption des BVerfG-Urteils zur EZB

Verfasst: Sonntag 31. Mai 2020, 12:22
von Windscheid
Wer sich darüber amüsieren möchte, wie sich Top-Ökonomen in aller Öffentlichkeit bei Stellungnahmen zum EZB-Urteil blamieren, dem empfehle ich den Artikel "Gefahr für die Unabhängigkeit der Notenbank" in der FAZ. Der Artikel ist leider Plus, aber auf der Insititutsseite eines der Autoren ohne Plus öffentlich gemacht worden: https://www.iwkoeln.de/presse/in-den-me ... nbank.html

Abgesehen davon, dass die Experten daran scheitern zu verstehen, was eine wertende Gesamtbetrachtung bedeutet, wird uns auch die interessante These aufgetischt, dass die EZB und auch die Bundesbank aufgrund ihrer Unabhängigkeit nicht an den Grundsatz der VHMK gebunden seien. Man lernt halt nie aus, danke für diese Erkenntnisse. Das wäre habilitierten Juristen ja nie aufgefallen! Ich wäre stark dafür, diesen Meilenstein der Rechtserkenntnis in die nächste Auflage des Maunz/Dürig zu übernehmen. Da wurde es den Juristen aber mal gezeigt!

Re: Unverständliche Rezeption des BVerfG-Urteils zur EZB

Verfasst: Freitag 3. Dezember 2021, 21:05
von Tibor