Logisch_Win7 hat geschrieben: ↑Donnerstag 25. November 2021, 14:43Wie ist es aber mit der Abwechslung im Arbeitsalltag als Richter? Besteht die Arbeit - überspitzt ausgedrückt - aus 1 Sitzungstag und 4 Tagen Akten wälzen/Urteile schreiben? Oder gibt es Umstände, die dafür sorgen, dass einem auf Dauer nicht langweilig wird (abgesehen von interessanten juristischen Fragestellungen)?
Das hängt, wie immer, ein wenig vom Arbeitsgebiet ab, aber im Grundsatz ist das so - wobei ein Rechtsgebiet, das einen auch fachlich interessiert, ja eigentlich immer spannend ist, weil es verschiedene Lebenssachverhalte (und Rechtsfragen) produziert, mit denen man sich auseinandersetzen kann.
Im Zivilrecht wird's davon abhängen, ob man am Amts- oder Landgericht tätig ist. Landgerichte haben in der Regel Kammern mit Spezialzuständigkeit; da ist die Abwechslung dann geringer, aber möglicherweise hat man interessante Fälle. Am Amtsgericht besteht ein Zivildezernat oft aus 1/3 Miete, 1/3 Verkehrsunfällen und 1/3 Rest; das bietet mehr Abwechslung, aber zumindest 2/3 der Fälle sind meistens eher weniger interessant.
Im Strafrecht besteht am Amtsgericht ggf. die Möglichkeit der Ermittlungsrichtertätigkeit, je nach Geschäftsverteilung; andererseits ist man am Landgericht Beisitzer in einer Kammer und verhandelt - im Gegensatz zum Zivilrecht - selbst gar nichts, sondern sitzt nur dabei (und bereitet die Urteilsberatung vor und schreibt den Urteilsentwurf). Dafür sind, je nach Kammerzuständigkeit, die Verfahren teilweise zwischen spannend und spektakulär.
Das Familienrecht bietet verschiedentlich die Möglichkeit zu Anhörungen; das Betreuungsrecht ebenso. Register- und Insolvenzsachen und Sachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit sind wiederum ganz anders [tm].
Im
Grundsatz bereitet ein Richter aber Verhandlungen vor, führt Verhandlungen durch und trifft Entscheidungen, wie ein Staatsanwalt Abschlussverfügungen trifft und den Sitzungsdienst wahrnimmt und ein Rechtsanwalt Mandatentgespräche führt, Schriftsätze verfasst und an Hauptverhandlungen teilnimmt. (Spezifisch kann das dann eben mehr oder weniger abwechslungsreich oder interessant sein - wie sich bspw. auch als Anwalt die Tätgikeit zwischen "Einzelkämpfer" und Associate in der Großkanzlei, zwischen Gemischtwarenladen und reiner Strafverteidigung doch einigermaßen unterscheidet.)
Ob einem auf Dauer langweilig wird, ist im Zweifel auch eine Typfrage. Der eine findet, dass seine Tätigkeit tagaus-tagein identisch ist, weil er eben vier Tage die Woche Akten wälzt und einen Tag verhandelt; die andere sieht neben der 08/15-Routine, die man schnell abfertigen kann, jede Woche einen anderen spannenden Fall, den sie inhaltlich und/oder juristisch faszinierend findet, oder freut sich jede Woche auf den Sitzungstag, weil die Angeklagten/Familien/Parteien alle unterschiedlich sind und es ihr Freude macht, sie anzuhören und zielführende Lösungen zu finden. Der eine sucht nach intellektuell fordernden Themen und investiert gerne Zeit und Gehirnschmalz, wenn mal ganz neue Sach- und Rechtsfragen auftauchen; die andere schätzt es, wenn die Sachen nicht so kompliziert sind und man sie routiniert erledigen kann. Der eine muss alle zwei, drei Jahre mal was ganz anderes machen, weil jede Tätigkeit irgendwann eintönig wird, die andere freut sich, wenn sie eine schöne Aufgabe gefunden hat und ist damit dauerhaft zufrieden, ja findet nichts schlimmer, als sich immer wieder neu einarbeiten zu müssen, statt Spezialistin für ein bestimmtes Gebiet zu werden. (Ich mache bspw. seit mehr als anderthalb Jahrzehnten im Großen und Ganzen dasselbe, d.h. habe dieselbe Stelle, finde aber immer noch immer wieder neue interessante Fälle oder Rechtsfragen und finde das keineswegs langweilig. Gut, das hängt auch ein bißchen davon ab, was genau man macht ...)
Üblicherweise muss schließlich niemand, der das nicht möchte (und für neue Aufgaben fachlich qualifiziert und leistungsbereit ist), sein ganzes Richterleben lang dasselbe machen, sondern kann das Rechtsgebiet, das Gericht oder - im Rahmen von Beförderungen - die Funktion wechseln. Es gibt daneben auch die Möglichkeit zu Abordnungen an Obergerichte, an oberste Bundesgerichte und das BVerfG und an oberste Landes- oder Bundesbehörden.