Anfängerfrage: Verhältnis von Auslegung und Willensmängeln (§116ff BGB)
Verfasst: Samstag 11. Dezember 2021, 22:19
Hallo,
ich habe einige Erstsemester-Fragen, die vielleicht blöd klingen, aber mir würde es sehr helfen, wenn sich trotzdem jemand erbarmen würde
Wir haben gerade die Willensmängel in §116ff BGB behandelt und irgendwie erschließt sich mir einiges auch nach längerem Nachdenken und -lesen nicht wirklich.
1. Bei der Anfechtung nach §123 I Alt. 1 täuscht ja ein Vertragspartner, also auch Empfänger der Erklärung des anderen, den anderen Teil. Kommt man hier nicht bei Auslegung der Willenserklärung des Getäuschten nach §§133,157 darauf, dass dieser überhaupt keine WE abgegeben hat, die einen Vertragsschluss begründet? Der Täuschende kennt ja schließlich den wahren Willen des Getäuschten und weiß, dass dieser die Erklärung nur wegen der Täuschung abgibt. Beispiel: Der Autohändler, der den Käufer darüber hinwegtäuscht, dass der Gebrauchtwagen schonmal einen Unfall hatte. Er weiß ja, dass das "Ja" des anderen Teils eigentlich auf ein heiles Auto abzielt und nicht auf den Unfallwagen, insofern müsste man nach §133,157 doch auf das Ergebnis kommen, dass es gar keinen Vertrag gibt, der Täuschende kennt ja den wahren Willen des anderen, ist nicht schutzwürdig und die Erklärung des Getäuschten hat damit auch nicht den Inhalt "Ich will dieses Auto kaufen". Dass das nicht stimmen kann, weiß ich, sonst gäbe es ja §123 nicht aber kann mir jemand vielleicht erklären, wo mein Denkfehler liegt?
2. Ist §116 nicht eigentlich überflüssig? Auf exakt das dort normierte Ergebnis komme ich doch auch mit §§133,157: Wenn die Erklärung echt aussieht und der Empfänger gutgläubig ist, gilt sie (vgl. §116 I), um den Rechtsverkehr zu schützen und wenn der Empfänger weiß, dass der andere gar nicht gebunden sein will, gilt sie nicht (vgl. §116 II), weil er nicht schutzwürdig ist und somit der wahre Wille des Erklärenden maßgeblich ist.
3. Auch beim Scheingeschäft nach §117 habe ich meine Probleme. Dazu den Standardfall:
A und B einigen sich mündlich über den Verkauf eines Grundstücks für 500.000 Euro. Um Kosten zu sparen, geben sie bei der notariellen Beurkundung nur 300.000 Euro als Preis an. Auflassung und Grundbucheintragung erfolgen ordnungsgemäß.
Mein Ansatz wäre hier: Die mündliche Einigung über die 500.000 Euro ist nach §§125 1 i.V.m. 311b I 1 formnichtig. Beim beurkundeten Vertrag kommt man bei der Auslegung auf das Ergebnis, dass wegen "falsa demonstratio" der gültige Kaufpreis 300.000 Euro beträgt. Bei unabsichtlicher Falschbezeichnung macht hier auch die falsche Bezeichnung in der Beurkundung nichts aus, bei absichtlicher Falschbezeichnung muss hingegen der Gedanke des §117 II herangezogen werden und die Formvorschrift besonders streng angewendet werden, auch der Preis muss also richtig beurkundet sein, damit die Form erfüllt ist. Das ist hier nicht der Fall, also auch hier Formnichtigkeit nach §§125 1 i.V.m. 311b I 1. Durch Auflassung und Grundbucheintragung erfolgt dann die Heilung der Formmängel nach §311b I 2.
Diese Lösung kommt mir aber etwas merkwürdig vor. Zum einen hätte ich dann plötzlich zwei Kaufverträge, die am Ende geheilt werden und gültig sind (mündlich und durch Beurkundung) und zum anderen kommt §117 I gar nicht vor. In den Musterlösungen wird hier ebenfalls die Formnichtigkeit der mündlichen Abrede bejaht, dann aber der Vertrag durch Beurkundung nach §117 I nichtig und am Ende wird somit nur die mündliche Vereinbarung wirksam, weil nur hier ein Formmangel vorliegt. Aber das erscheint mir auch etwas komisch, würden Abs. I und II sich dann nicht widersprechen? Wenn das Scheingeschäft an sich schon komplett nichtig ist, worauf sollen denn dann die Vorschriften des verdeckten Rechtsgeschäfts nach Abs. II angewendet werden? Durch Auslegung, bei der der wirkliche Wille bestimmt wird und man zu "falsa demonstratio" kommt, wird ja das verdeckte Rechtsgeschäft erst sichtbar, auf das man dann die Vorschriften anwenden kann, also eben zum Beispiel die Formvorschriften.
Vielleicht kann ja jemand etwas Licht ins Dunkel bringen. Das würde mir wirklich sehr weiterhelfen
Danke im Voraus!
ich habe einige Erstsemester-Fragen, die vielleicht blöd klingen, aber mir würde es sehr helfen, wenn sich trotzdem jemand erbarmen würde
Wir haben gerade die Willensmängel in §116ff BGB behandelt und irgendwie erschließt sich mir einiges auch nach längerem Nachdenken und -lesen nicht wirklich.
1. Bei der Anfechtung nach §123 I Alt. 1 täuscht ja ein Vertragspartner, also auch Empfänger der Erklärung des anderen, den anderen Teil. Kommt man hier nicht bei Auslegung der Willenserklärung des Getäuschten nach §§133,157 darauf, dass dieser überhaupt keine WE abgegeben hat, die einen Vertragsschluss begründet? Der Täuschende kennt ja schließlich den wahren Willen des Getäuschten und weiß, dass dieser die Erklärung nur wegen der Täuschung abgibt. Beispiel: Der Autohändler, der den Käufer darüber hinwegtäuscht, dass der Gebrauchtwagen schonmal einen Unfall hatte. Er weiß ja, dass das "Ja" des anderen Teils eigentlich auf ein heiles Auto abzielt und nicht auf den Unfallwagen, insofern müsste man nach §133,157 doch auf das Ergebnis kommen, dass es gar keinen Vertrag gibt, der Täuschende kennt ja den wahren Willen des anderen, ist nicht schutzwürdig und die Erklärung des Getäuschten hat damit auch nicht den Inhalt "Ich will dieses Auto kaufen". Dass das nicht stimmen kann, weiß ich, sonst gäbe es ja §123 nicht aber kann mir jemand vielleicht erklären, wo mein Denkfehler liegt?
2. Ist §116 nicht eigentlich überflüssig? Auf exakt das dort normierte Ergebnis komme ich doch auch mit §§133,157: Wenn die Erklärung echt aussieht und der Empfänger gutgläubig ist, gilt sie (vgl. §116 I), um den Rechtsverkehr zu schützen und wenn der Empfänger weiß, dass der andere gar nicht gebunden sein will, gilt sie nicht (vgl. §116 II), weil er nicht schutzwürdig ist und somit der wahre Wille des Erklärenden maßgeblich ist.
3. Auch beim Scheingeschäft nach §117 habe ich meine Probleme. Dazu den Standardfall:
A und B einigen sich mündlich über den Verkauf eines Grundstücks für 500.000 Euro. Um Kosten zu sparen, geben sie bei der notariellen Beurkundung nur 300.000 Euro als Preis an. Auflassung und Grundbucheintragung erfolgen ordnungsgemäß.
Mein Ansatz wäre hier: Die mündliche Einigung über die 500.000 Euro ist nach §§125 1 i.V.m. 311b I 1 formnichtig. Beim beurkundeten Vertrag kommt man bei der Auslegung auf das Ergebnis, dass wegen "falsa demonstratio" der gültige Kaufpreis 300.000 Euro beträgt. Bei unabsichtlicher Falschbezeichnung macht hier auch die falsche Bezeichnung in der Beurkundung nichts aus, bei absichtlicher Falschbezeichnung muss hingegen der Gedanke des §117 II herangezogen werden und die Formvorschrift besonders streng angewendet werden, auch der Preis muss also richtig beurkundet sein, damit die Form erfüllt ist. Das ist hier nicht der Fall, also auch hier Formnichtigkeit nach §§125 1 i.V.m. 311b I 1. Durch Auflassung und Grundbucheintragung erfolgt dann die Heilung der Formmängel nach §311b I 2.
Diese Lösung kommt mir aber etwas merkwürdig vor. Zum einen hätte ich dann plötzlich zwei Kaufverträge, die am Ende geheilt werden und gültig sind (mündlich und durch Beurkundung) und zum anderen kommt §117 I gar nicht vor. In den Musterlösungen wird hier ebenfalls die Formnichtigkeit der mündlichen Abrede bejaht, dann aber der Vertrag durch Beurkundung nach §117 I nichtig und am Ende wird somit nur die mündliche Vereinbarung wirksam, weil nur hier ein Formmangel vorliegt. Aber das erscheint mir auch etwas komisch, würden Abs. I und II sich dann nicht widersprechen? Wenn das Scheingeschäft an sich schon komplett nichtig ist, worauf sollen denn dann die Vorschriften des verdeckten Rechtsgeschäfts nach Abs. II angewendet werden? Durch Auslegung, bei der der wirkliche Wille bestimmt wird und man zu "falsa demonstratio" kommt, wird ja das verdeckte Rechtsgeschäft erst sichtbar, auf das man dann die Vorschriften anwenden kann, also eben zum Beispiel die Formvorschriften.
Vielleicht kann ja jemand etwas Licht ins Dunkel bringen. Das würde mir wirklich sehr weiterhelfen
Danke im Voraus!