Theopa hat geschrieben: ↑Freitag 13. Januar 2023, 09:55
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Wenn nun das System erkennt, dass ein einfacher Diebstahl im Bereich von 100-150 € beim mittellosen, drogenabhängigen, geständigen 10-fach-Täter in Hof im über hundert Fälle ermittelten Schnitt um zwei Monate höher bestraft wird als in Freiburg dürfte das ein starker Hinweis darauf sein, dass sich z.B. wenigstens mal die Behördenleiter der Staatsanwaltschaften zusammensetzen sollten, um über ihre (natürlich gaaaaanz unverbindlichen) Strafvorschläge zu sprechen.
Nein. Das einzige wozu das veranlasst, ist nachzuschauen, woher diese Unterschiede konkret kommen. Du brichst an dieser Stelle die Diskussion genau so verkürzt ab, wie die Diskussion um den Genderpaygap frühzeitig abgebrochen wird.
Oder noch anders: Ich habe eine Untersuchung angestellt, die zeigt, dass 95% der Inhaftierten Männer sind.
Ich kann jetzt nicht einfach zu irgendeinem Ergebnis springen und sagen: Ha die Gesellschaft ist mit Täterinnen viel zu nachsichtig.
Mal unterstellt jedes Urteil enthielte die vollständige Darstellung der Strafzumessung. Dann könntest du gerne diese Vorfilterung durchführen und anschließen die Urteile aus Itzehoe und Traunstein ziehen, die als "gleich" ausgespuckt wurden. Dann kannst du ja schauen, ob die alle die selben Strafzumessungserwägungen enthalten. Und wenn du dann eine Übereinstimmung bei abweichender Strafe feststellst, hast du m.E. wissenschaftlich genug Futter für die These, dass es ungerechtfertigte Lokaltarife gibt. Das Problem dabei ist aber, dass Urteile auch zu unterschiedlichen Zeiten ergehen. So werden heute Canabisverstöße anders geahndet als in den 90ern. Gibt es deswegen jetzt am Amtsgericht Eilenburg ungerechtfertigte Temporaltarife?
Theopa hat geschrieben: ↑Freitag 13. Januar 2023, 09:55
Zum Zweiten:
Ich sehe, was du meinst. Dennoch denke ich nicht, dass die Bevölkerung derart inhomogen ist, dass man in Bayern scheinbar nahezu flächendeckend immer einen Grund hat den Täter deutlich überdurchschnittlich hart zu bestrafen und es in Schleswig-Holstein offenbar nur Täter gibt, die sämtliche Milderungsgründe erfüllen.
Die naheliegende Erklärung ist schlicht, dass es in Bayern seit dem zweiten Weltkrieg eine konservative Regierung, meist mit absoluter Mehrheit, gab und der "law and order" Ansatz einfach schon immer dazugehört hat.
Ich halte die Gesellschaft für noch viel inhomogener als du denkst.
Das ist gerade der Grund, warum wir diese Gesellschaft auf dem Boden des deutschen Idealismus und der damit verbundenen Verfassungsbewegung des 19.Jahrhunderts aufgebaut haben: Ein Vorrang des Individualismus vor dem Staat, weil sich die zahllosen Einzelinteressen nur dezentral sinnvoll für alle organisieren lassen. Würde man das anders machen wollen (was wir gerade beobachten), müsste man die Gesellschaft in zahllose immer weiter zersplitternde Gruppen zerlegen: arm/reich, Mann/Frau, hetero/homo, mit Kind/ohne Kind, alleinerziehend/Familie ... etc etc.*
Früher war ich mal ein reicher Mann. Jetzt bin ich schon ein reicher, weißer, alter Cis-Mann. Was werde ich erst in 100 Jahren sein? Am besten ich bin dann wieder ich selbst und werde nicht nur an den definierten Dimensionen gemessen.
*einige dieser Gruppen sind bereits überholt, und die Gruppenbildung ist natürlich auch nötig
Die Bevölkerung in Bayern mag einfach eine Kultur geschaffen haben, die strazumessungsrelevante Faktoren begünstigt, die dafür sorgen, dass bestimmte Lokaltarife entstehen.
Ich stimme dir natürlich zu, dass der "law and order" Ansatz die wahrscheinlichste Erklärung ist
Naiv bin ich ja nun nicht ^^
Aber mal angenommen du hast recht, das Forschungsprojekt ist total sinnvoll und das Ergebnis ist: Bayern bestraft viel härter als Berlin (wofür ich kein Forschungsprojekt brauche). Was soll daraus jetzt folgen? Strafen wir morgen dann alle wie in Berlin? Oder Bayern? Oder in der Mitte? Wo soll denn da das richtige Maß liegen? Welche ganz groben Erwägungen/Ideen gäbe es denn, die Strafen dann anzugleichen?
Noch ein kleines Edit zur Klarstellung:
Strafzumessungsunsicherheiten sind natürlich ein Problem. Ich wehre mich aber gegen den pauschalen Anwurf, Lokaltarife seien einfach so falsch. Was m.E. helfen würde, wäre Transparenz und (ein bisschen) Zeit wie im Zivilrecht mit den Schmerzensgeldtabellen. Ich habe beim Scherzensgeld halt einfach nachgeschaut, was die Kollegen fabriziert haben (also ich habe die jeweiligen Urteile gelesen, die ja in der Tabelle angegeben sind).
So etwas würde auch im Strafrecht helfen. Erforderlich wäre dazu aber auch, dass ich das Urteil nicht gleich im Anschluss an den HVT verkünde, damit ich einigermaßen in Ruhe diese Tabelle mit den Entscheidungen durchgehen kann.
In diesem Fall habe ich dann ja den konkreten Einzelfall vor mir, zu dem ich den konkreten Vergleich zu den entschiedenen Fällen ziehen kann. Dann kann ich auch konkret begründen, warum es auf welche Maßstäbe mehr oder weniger ankam, als in den Vergleichsfällen etc.
Solange aber die Strafzumessungsgesichtspunkte nicht vollständig im Urteil enthalten sind, wird es eine solche Tabelle für das Gros der Amtsgerichtsverfahren kaum geben.