Täterschaft vs Teilnahme durch Unterlassen

Straf-, Strafprozeß- und Ordnungswidrigkeitenrecht sowie Kriminologie

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jona7317
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Täterschaft vs Teilnahme durch Unterlassen

Beitrag von jona7317 »

Liebes Forum,
Vielleicht kann hier ja jemand meinen Denkfehler beim Abgrenzen von Täterschaft und Beihilfe beim Unterlassen finden. Und zwar ist es das Problem, ob neben dem aktiv handelnden Täter ein untätig bleibender Garant noch als Unterlassenstäter haften kann oder mangels Tatherrschaft nur eine Beihilfe durch Unterlassen in Betracht kommt.

Beispiele

1. Sicherheitsmann W hat Nachtschicht am Lagerhaus. Er sieht den Dieb D in das Lagerhaus eindringen und mehrere Sachen entwenden, fühlt sich aber so schlecht bezahlt und unterfordert, dass er nicht einschreitet.

2. Ehemann M sieht tatenlos zu, während seine Frau F das gemeinsame Kind für schlechte Schulnoten verprügelt.

Mein Problem ist folgendes: Und zwar prüft sämtliche (!!!) Ausbildungsliteratur die ich dazu gefunden habe, ob W oder M jetzt Mittäter durch Unterlassen ist oder nur Gehilfe. Was soll die Prüfung als Mittäter????
In Beispiel 1 fehlt völlig offensichtlich der Tatentschluss, ausserdem muss man dem Unterlassenstäter überhaupt kein Handeln zurechnen, seine Untätigkeit ist doch das einzige Tatverhalten was man braucht. Warum würde man die Mittäterschaft überhaupt prüfen? Was will man ihm zurechnen???? Ich verstehe wirklich gar nicht, warum man ihn nicht ganz langweilig als Unterlassenstäter prüft. Mittäterschaft prüfen aber: BGH (NStZ 2009, 321), der Jäger, mein Repetitorskript und aus den Unterlagen meiner Uni wird man auch nicht schlauer.
Keiner davon erklärt je, warum man überhaupt Mittäterschaft prüft und was dem Unterlassenden überhaupt zugerechnet werden soll.

Das Kernproblem verstehe ich ja: Täterschaft setzt nach heutiger hM Tatherrschaft voraus, tatenloses Zusehen vermittelt aber keine. Dann scheint es naheliegend, dass der Garant neben einem aktiv handelnden Täter allenfalls Gehilfe durch Unterlassen sein kann. Aber das kann man doch auch einfach in der Prüfung des Unterlassensdelikts beim Tatverhalten ansprechen: Nichtvornahme einer geeigneten und möglichen Rettungshandlung (+), aber Täterschaft setzt grundsätzlich Tatherrschaft voraus. Fraglich ist, ob die neben einem Aktivtäter bestehen kann .... [usw.]

Wozu also die Mittäterschaft?
Warum machen das alle???
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thh
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Re: Täterschaft vs Teilnahme durch Unterlassen

Beitrag von thh »

jona7317 hat geschrieben: Donnerstag 23. Februar 2023, 16:15Mein Problem ist folgendes: Und zwar prüft sämtliche (!!!) Ausbildungsliteratur die ich dazu gefunden habe, ob W oder M jetzt Mittäter durch Unterlassen ist oder nur Gehilfe. Was soll die Prüfung als Mittäter????
Naja, wenn der Unterlassende nicht Mittäter ist, ist er Teilnehmer. Was soll er sonst sein? Nebentäterschaft - wenn man eine solche Rechtsfigur annimmt - liegt ja nicht vor, weil die beiden nicht unabhängig voneinander agieren.
jona7317 hat geschrieben: Donnerstag 23. Februar 2023, 16:15In Beispiel 1 fehlt völlig offensichtlich der Tatentschluss, ausserdem muss man dem Unterlassenstäter überhaupt kein Handeln zurechnen, seine Untätigkeit ist doch das einzige Tatverhalten was man braucht.
Ja, richtig. Mittäterschaft liegt aber doch nicht vor, wenn man dem einen Täter Handlungen des anderen Täters zurechnen will, sondern umgekehrt führt Mittäterschaft, wenn sie vorliegt, zur Zurechnung.

Wenn W im Beispiel 1 Täter ist, dann ist er natürlich Mittäter; was auch sonst? Alleintäter kann er kaum sein, nachdem es ohne D ja keinen Taterfolg gibt.
jona7317
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Re: Täterschaft vs Teilnahme durch Unterlassen

Beitrag von jona7317 »

Naja, wenn der Unterlassende nicht Mittäter ist, ist er Teilnehmer. Was soll er sonst sein? Nebentäterschaft - wenn man eine solche Rechtsfigur annimmt - liegt ja nicht vor, weil die beiden nicht unabhängig voneinander agieren.
Das "Was sollen sie den sonst sein"-Argument kann ich nachvollziehen, danke. Aber das ist ja dann eher eine dogmatische Frage, die für ein Gutachten keine Rolle spielen sollte. Ich verstehe, dass W im Beispiel 1 dann wohl Mittäter sein muss, aber nicht warum ich das in einem Gutachten überhaupt erwähnen würde.
Wenn man zum Ergebnis kommt, dass beide als Täter zu bestrafen sind, ist für die Strafbarkeit doch ohne Auswirkung, zu was sie das im Verhältnis untereinander macht. Vielleicht kann man das beiläufig erwähnen, für die Strafbarkeit sollte es aber doch keine Rolle spielen?
Ja, richtig. Mittäterschaft liegt aber doch nicht vor, wenn man dem einen Täter Handlungen des anderen Täters zurechnen will, sondern umgekehrt führt Mittäterschaft, wenn sie vorliegt, zur Zurechnung.
Klar, aber im Gutachten prüfe ich doch keinen Tatbestand, dessen Rechtsfolge gar keine Rolle spielt. Ich verstehe schon, dass das Vorliegen der Mittäterschaft nicht davon abhängt, ob ich etwas zurechnen will. Aber wenn ich gar kein Tatverhalten zurechnen muss "brauche" ich die Mittäterschaft doch gar nicht, warum würde ich sie also prüfen?
Im Schuldrecht käme, wenn eine schuldhafte Pflichtverletzung einer Vertragspartei schon feststeht, doch auch niemand auf die Idee, spaßeshalber zu prüfen ob man ihm nicht auch noch ein Verschulden seiner Angestellten nach § 278 BGB zurechnen kann.

Ich wäre deshalb nie auf den Gedanken gekommen, eine Mittäterschaft zu prüfen, wenn die Zurechnung völlig irrelevant ist. Das hätte ich bisher immer als einen Fehler verstanden.
Die Frage ob das Unterlassen ein täterschaftliches oder mangels Tatherrschaft eine bloße Beihilfe darstellt, kann man genauso gut im Tatverhalten des Unterlassenstäters prüfen. Nach wie vor verstehe ich deshalb nicht, warum das in der gemeinsamen Tatbegehung iRv § 25 II StGB verortet wird bzw. warum man überhaupt den § 25 II StGB prüft.
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