Klagebegehren Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage (vgl. Konkurrentenklage)

Staatsrecht, Allgemeines und Besonderes Verwaltungsrecht (Bau-, Kommunal-, Polizei- und Sicherheitsrecht, BImSchG etc.)

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JEE
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Klagebegehren Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage (vgl. Konkurrentenklage)

Beitrag von JEE »

Nehmen wir vorweg an es besteht eine Konkurrentenklage-Situation, d.h. der Bürger wendet sich unmittelbar gegen die Behörde, jedoch indirekt gegen einen Dritten. Z.B. für den Fall, dass X einen freien Raum in einer öffentlichen Einrichtung zum 1. Juli mieten will. Nach dem Antrag des X, kommt eine weitere Person Y, der einen Antrag zur Anmietung des selben Raumes zum selben Tag stellt. In der Satzung der Einrichtung ist vorgesehen, dass der Raum an denjenigen vergeben wird, der zuerst den Antrag stellt. Trotz des vorherigen Antrag des X wird der Antrag abgelehnt, die Verwaltung vergibt den Raum an Y und damit vergeben.

Damit nun X den Raum mieten kann, müsste X also einerseits den begünstigenden VA des Y anfechten und gleichzeitig einen Annexantrag auf Leistung (zur Vergabe des Raums) begehren. Eine bloße Verpflichtungsklage auf eigene Zulassung würde den ursprünglichen VA des Y ja nicht beseitigen. Auch eine Kombination aus Anfechtungs- und Verpflichtungklage, also Anfechtung des VA und Verpflichtung zur Vergabe des Raums, in der selben Klage stünde entgegen, dass der VA trotz Anfechtung bis zur Rechtskraft wirksam ist, sodass die beiden Klagen nicht zusammen verfolgt werden können.

Müsste auch außerhalb dieser Konkurrentensituation, also lediglich Bürger gg. Staat, ein belastender VA regelmäßig zunächst vernichtetet werden, bevor man eine Verpflichtungsklage begehren kann? Ich denke hierbei an einen belastenden VA mit einer Inhaltsbestimmung (unechte Nebenbestimmung). Will man diesen VA ohne Inhaltsbestimmung, so ist im Falle fehlender materieller Teilbarkeit nur eine Verpflichtungsklage auf Erlass eines VA ohne Inhaltsbestimmung denkbar. Müsste nicht zuerst der bestehende komplette VA mit Inhaltsbestimmung angefochten werden, um eine Verpflichtungsklage auf VA ohne Inhaltsbestimmung zu begehren?
jona7317
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Re: Klagebegehren Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage (vgl. Konkurrentenklage)

Beitrag von jona7317 »

Zur ersten Frage:
Ja, grundsätzlich muss in diesen Fällen zuerst die Begünstigung angefochten werden und dann die eigene begehrt werden. Nur wenn die Anfechtung dem X unzumutbar ist genügt eine einzige Verpflichtungsklage. Ist etwa dann der Fall, wenn es nicht nur einen begünstigten Konkurrenten, sondern gleich 10 gibt. X ist dann nicht zuzumuten entweder treffsicher die eine rechtswidrige Begünstigung auszuwählen oder gleich alle 10 anzufechten. Im vorliegenden Fall sollte die Prioritätsregel in der Satzung eine drittschützende Norm sein, sodass X auch klagebefugt zur Anfechtung der Zulassung des Y ist. Er muss diese zuerst anfechten und dann Verpflichtungsklage auf Zulassung erheben.

Zur zweiten Frage:
Ob der schon mit Nebenbestimmung erteilte VA der Erteilung eines weiteren inhaltlich gleichen VA ohne Nebenbestimmung entgegensteht kommt wohl auf den konkreten VA an. Wenn die gleiche Person zur gleichen Zeit zweimal zugelassen wird sehe ich nicht, dass die Erstbegünstigung der Zweitbegünstigung entgegen stehen sollte. Ob und welche der Zulassung der Betroffene nutzt steht ihm dann frei, problematisch wäre nur die Zulassung verschiedener Leute zur gleichen Zeit, da muss die erste zuerst beseitigt werden.
Grundsätzlich dürfte die erste Begünstigung einer zweiten mMn nicht entgegenstehen.
Das ist auch an der Rechtsprechung des BVerfG ganz gut erkennbar: Wenn die isolierte Anfechtung einer Nebenbestimmung (unvorhersehbar) an der materiellen Teilbarkeit scheitert wird die Klage mWn von Amts wegen in eine Verpflichtungsklage umgedeutet. Das heisst, die ursprüngliche mit einer Nebenbestimmung versehene Begünstigung besteht grundsätzlich fort und steht der Verpflichtungsklage auf (erneute) Erteilung der Begünstigung nicht entgegen.

Rein praktisch wird in der Erteilung der zweiten, ggf. nebenbestimmungsfreien Begünstigung idR zugleich die konkludente Rücknahme/Widerruf der nebenbestimmungsbehafteten Erstbegünstigung zu sehen sein. Darauf muss aber keinesfalls zuerst geklagt werden - Woher würde man auch eine Klagebefugnis zur Beseitigung einer eigenen Begünstigung herleiten wollen?

Kurz gesagt kommt es also gar nicht darauf an, ob die Erstbegünstigung der zweiten im Wege steht: Selbst wenn sie das täte hätte das keine Auswirkung auf die Rechtsschutzform des Klägers. Auf eine Beseitigung der Erstbegünstigung kann und muss er daher nicht klagen.
JEE
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Re: Klagebegehren Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage (vgl. Konkurrentenklage)

Beitrag von JEE »

Vielen Dank für die tolle Antwort! Kurz zur zweiten Antwort.

Der begünstigende VA mit einer belastenden Nebenbestimmung ist aber doch letztlich für den Bürger belastend, da er eben eigentlich einen VA ohne die NB haben wollte. Beantragt er nun im Wege der Verpflichtungsklage den VA ohne NB (so BVerfG mangels materieller Teilbarkeit des erst VA), so würde dies doch den vorigen VA und dessen Belastung entwerten?! Gleichwohl könnte ich mich mit dem Gedanken der konkludenten Rücknahme des ErstVA begnügen.

Ich versuche die Rechtsprechung des BVerfG schlicht zu verstehen. Ich frage mich, ob die Umdeutung in eine Verpflichtungsklage aus prozessökonomischen Gründen gewollt sein könnte (Ersparnis einer vorigen Anfechtungsklage)?
jona7317
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Re: Klagebegehren Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage (vgl. Konkurrentenklage)

Beitrag von jona7317 »

Du scheinst ja selbstverständlich davon auszugehen, dass die Erstbegünstigung mit NB einer zweiten Begünstigung ohne NB im Wege steht.
Ich verstehe aber überhaupt nicht, warum das so sein sollte.

Was spricht denn dagegen, dass jemand mehrere Begünstigungen erhält deren Nutzung sich wechselseitig ausschließt? Dann soll er eben wählen, warum eine von beiden zwingend beseitigt werden muss verstehe ich nicht.

Stell dir als anderes Beispiel doch ein Grundstück und Baugenehmigungen vor: Vor einem Jahr habe ich eine Baugenehmigung für ein einstöckiges Wohngebäude erhalten. Jetzt beantrage ich bei der Baubehörde eine Genehmigung für ein zweistöckiges.
Würdest du auch hier sagen, die Behörde muss die erste Genehmigung zurücknehmen bevor sie die neue erteilen kann? Ich wüsste nicht warum.


Abgesehen von der zweiten Begünstigung ist aber völlig klar, dass mit der Verpflichtungsklage auch der Begünstigung entgegenstehende VA beseitigt werden. Im absoluten Regelfall der Ablehnungsgegenklage muss der Antragsteller ja auch nicht zuerst den Ablehnungsbescheid anfechten. Soweit die Erstbegünstigung der zweiten im Wege steht passiert mit ihr das selbe. Aber ich sehe nicht, dass sie der im Wege stünde.
JEE
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Re: Klagebegehren Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage (vgl. Konkurrentenklage)

Beitrag von JEE »

Deine Argumentation ist vollkommen nachvollziehbar. In meinem Verständnis dachte ich schlicht, dass ein bestandskräftiger VA mit einem belastenden Teil durch ein Verpflichtungsbegehren auf Erlass neuen VA "umgangen" würde und zog hierfür die Argumentation aus der Konkurrentenklage hinzu. Bei reinen begünstigenden VA's sah ich dieses Problem hingegen auch nicht. Letztlich spricht aber natürlich der Regelfall der Ablehnungsklage im Grunde für sich. Vielen Dank!
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