Kind stürzt aus dem Fenster, weil Babysitter schläft

Straf-, Strafprozeß- und Ordnungswidrigkeitenrecht sowie Kriminologie

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Henry Drummond
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Kind stürzt aus dem Fenster, weil Babysitter schläft

Beitrag von Henry Drummond »

Es gibt da diese "Jack-Taylor-Reihe"von Ken Bruen; Krimis aus Irland. Im 4. oder 5. Band passiert dem Protagonisten folgendes: Er selbst hat keine Kinder, aber seine Freunde. Einmal müssen die irgendwohin und können das Kind nicht mitnehmen, das Kind ist etwa 3, 4 Jahre alt. Deshalb soll Jack Taylor auf das Kind aufpassen. Er hat aber stark mit Depressionen und Alkoholismsu zu kämpfen. Deshalb ist er eigentlich eher ungeeignet, um auf das Kind aufzupassen, Obwohl er das Kind liebt und seine Aufsichtsplficht zunächst sehr ernst nimmt. Nun hatte er in letzter Zeit sehr viel Stress um die Ohren und nutzt die Gelegenheit, sich mal richtig auszuschlafen. Aber gerade während dieser Zeit passiert das Unglück: Das Kind steigt bei geöffnetem Fenster auf das Fensterbrett, stürzt hinaus und stirbt.

Im Roman ist es nun so, dass er dadurch zwar traumatisiert und von Schuld geplagt wird (was wiederum seinen Alkoholismus und seine Depressionen verstärkt). Die Eltern des Kinders ächten ihn von nun an und wollen nichts mehr mit ihm zu tun haben. Aber rechtliche Konsequenzen kommen nicht auf ihn zu.

Wie wäre so ein Sachverhalt aber nun im wirklichen Leben; natürlich auf deutsches Recht übertragen? Welcher Straftat würde sich Jack Taylor schuldig machen; fahrlässige Tötung, Verletzung der Aufssichtsplicht? Können Jacks Depressionen und Alkoholismus als mildernde Umstände angesehen werden bzw. könnte man in diesem Sinne auch die Eltern zur Verantwortung ziehen und denen eine Mitschuld geben, weil sie ja eigentlich hätten wissen müssen, dass man Jack Taylor besser kein Kind anvertraut (denn sie wissen sehr wohl von Jacks Alkoholproblemen und Depressionen)?

Was wäre das höchste Strafmaß, mit dem Jack Taylor rechnen könnte; eine mehrjährige Haftstrafe? Und was könnte das geringste Strafmaß sein; sowas wie eine Bewährungsstrafe mit Verpflichtung einer Psychotherapie?
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Schnitte
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Re: Kind stürzt aus dem Fenster, weil Babysitter schläft

Beitrag von Schnitte »

Das Delikt, das man hier konstruieren könnte, wäre fahrlässige Tötung durch Unterlassen. Verletzung der Aufsichtspflicht ist kein eigenständiger Straftatbestand, kann aber eine Strafbarkeit nach einem anderen Delikt durch Unterlassen begründen. Ob es verwirklicht ist: hängt freilich von den Umständen des Einzelfalls ab. Strafrahmen ist Freiheitsstrafe bis fünf Jahre oder Geldstrafe.
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Re: Kind stürzt aus dem Fenster, weil Babysitter schläft

Beitrag von thh »

Henry Drummond hat geschrieben: Montag 22. Januar 2024, 12:10Es gibt da diese "Jack-Taylor-Reihe"von Ken Bruen; Krimis aus Irland. Im 4. oder 5. Band passiert dem Protagonisten folgendes: Er selbst hat keine Kinder, aber seine Freunde. Einmal müssen die irgendwohin und können das Kind nicht mitnehmen, das Kind ist etwa 3, 4 Jahre alt. Deshalb soll Jack Taylor auf das Kind aufpassen. Er hat aber stark mit Depressionen und Alkoholismsu zu kämpfen. Deshalb ist er eigentlich eher ungeeignet, um auf das Kind aufzupassen, Obwohl er das Kind liebt und seine Aufsichtsplficht zunächst sehr ernst nimmt. Nun hatte er in letzter Zeit sehr viel Stress um die Ohren und nutzt die Gelegenheit, sich mal richtig auszuschlafen. Aber gerade während dieser Zeit passiert das Unglück: Das Kind steigt bei geöffnetem Fenster auf das Fensterbrett, stürzt hinaus und stirbt.
Sowas passiert auch real, in dem mir bekannten konkreten Fall allerdings mit einer übermüdeten jungen Mutter.
Henry Drummond hat geschrieben: Montag 22. Januar 2024, 12:10Wie wäre so ein Sachverhalt aber nun im wirklichen Leben; natürlich auf deutsches Recht übertragen? Welcher Straftat würde sich Jack Taylor schuldig machen; fahrlässige Tötung, Verletzung der Aufssichtsplicht?
In Betracht kommt fahrlässige Tötung durch Unterlassen.
Henry Drummond hat geschrieben: Montag 22. Januar 2024, 12:10Können Jacks Depressionen und Alkoholismus als mildernde Umstände angesehen werden bzw. könnte man in diesem Sinne auch die Eltern zur Verantwortung ziehen und denen eine Mitschuld geben, weil sie ja eigentlich hätten wissen müssen, dass man Jack Taylor besser kein Kind anvertraut (denn sie wissen sehr wohl von Jacks Alkoholproblemen und Depressionen)?
Möglich.
Henry Drummond hat geschrieben: Montag 22. Januar 2024, 12:10Was wäre das höchste Strafmaß, mit dem Jack Taylor rechnen könnte; eine mehrjährige Haftstrafe? Und was könnte das geringste Strafmaß sein; sowas wie eine Bewährungsstrafe mit Verpflichtung einer Psychotherapie?
Die Tat ist mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren (das ist also die höchste in Betracht kommende Strafe) oder Geldstrafe bedroht. Im Prinzip kommt - gerade bei Angehörigen - auch ein Absehen von Strafe (§ 60 StGB) in Betracht, das sich in dem Beispielfall m.E. allerdings nicht aufdrängt.
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Strich
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Re: Kind stürzt aus dem Fenster, weil Babysitter schläft

Beitrag von Strich »

thh hat geschrieben: Montag 22. Januar 2024, 17:07 ...
In Betracht kommt fahrlässige Tötung durch Unterlassen.
den Straftatbestand gibts m.E. nicht, da das fahrlässige Delikt schon ein Unterlassensdelikt ist. (Außer Acht lassen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt), er ist mindestens überflüssig. Vermutlich kann man auch einen Fall konstruieren, bei dem es darauf ankommt, das mal zu entscheiden, wenn die Strafbarkeit also allein von § 13 StGB abhängt.
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Re: Kind stürzt aus dem Fenster, weil Babysitter schläft

Beitrag von thh »

Strich hat geschrieben: Dienstag 23. Januar 2024, 15:00
thh hat geschrieben: Montag 22. Januar 2024, 17:07In Betracht kommt fahrlässige Tötung durch Unterlassen.
den Straftatbestand gibts m.E. nicht, da das fahrlässige Delikt schon ein Unterlassensdelikt ist. (Außer Acht lassen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt)
Du scherzt, richtig?

Falls nicht: Selbstverständlich kann man sowohl beim aktiven Tun als auch beim Unterlassen die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lassen. Wer weiß, dass das Kind gerne vom Bett auf die Fensterbank krabbelt und dann bei offenem Fenster einschläft, begeht eine fahrlässige Tötung durch Unterlassen, aber sicherlich keine fahrlässige Tötung durch aktives Tun.
Strich hat geschrieben: Dienstag 23. Januar 2024, 15:00Vermutlich kann man auch einen Fall konstruieren, bei dem es darauf ankommt, das mal zu entscheiden, wenn die Strafbarkeit also allein von § 13 StGB abhängt.
Fahrlässigkeitstaten durch Unterlassen sind bspw. im Medizinstrafrecht der Regelfall.
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Re: Kind stürzt aus dem Fenster, weil Babysitter schläft

Beitrag von Strich »

Okay lass uns das mal durchdeklinieren an dem gegebenen Fall: Wozu brauchst du § 13 StGB? Als Handlung nehme ich das Einschlafen und beim Prüfungspunkt Sorgfaltspflichtverletzung subsummiere ich: Fenster offen gelassen, Kind nicht eingesperrt etc..

MüKoStGB/Freund, 4. Aufl. 2020, StGB § 13 Rn. 54, 55, freilich mit der Gegenposition.
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Re: Kind stürzt aus dem Fenster, weil Babysitter schläft

Beitrag von thh »

Strich hat geschrieben: Dienstag 23. Januar 2024, 17:49Okay lass uns das mal durchdeklinieren an dem gegebenen Fall: Wozu brauchst du § 13 StGB?
Weil der Tatvorwurf ist, das Fenster nicht geschlossen - oder das Kind anderweitig "gesichert" - zu haben, bevor man sich niedergelegt hat, weil das übermüdungsbedingte Einschlafen und der weitere Kausalverlauf vorhersehbar und vermeidbar war.
Strich hat geschrieben: Dienstag 23. Januar 2024, 17:49Als Handlung nehme ich das Einschlafen
Das Einschlafen einer übermüdeten Person ist keine - willensgesteuerte - Handlung.

Im Medizinstrafrecht, bei dem es regelmäßig darum geht, dass notwendige diagnostische und therapeutische Maßnahmen nicht (rechtzeitig) durchgeführt wurden, scheitert das Konzept völlig.
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Re: Kind stürzt aus dem Fenster, weil Babysitter schläft

Beitrag von Strich »

Hmm ich fasse zusammen: Du sagts: Neee ich nehme einfach ne andere Handlung und lasse deine Handlung, an die du anknüpfen willst, aus Gründen nicht gelten.
Das kannst du jetzt gerne noch 10 mal wiederholen, dadurch wirds aber weder richtiger noch überzeugender.

Oder ich antworte dir:
Weil der Tatvorwurf ist, sich zum Schlafen hingelegt zu haben ...
den Rest spar ich mir, weil er juristisch schlechter Stil ist und bei Studenten Punktabzüge nach sich ziehen würde, wenn in die Handlung schon der ganze Tatbestand hineingelegt wird.
Man schreibt ja auch nicht:
A könnte sich wegen Totschlags strafbar gemacht haben, indem er auf B schoss, dieser daran starb und A das alles für möglich hielt und billigend in Kauf nahm ...
Es müsste der objektive TB vorliegen ...
Ich hoffe, es ist offensichtlich, dass das eine Quatschstruktur ist.
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Re: Kind stürzt aus dem Fenster, weil Babysitter schläft

Beitrag von thh »

Strich hat geschrieben: Donnerstag 25. Januar 2024, 10:08Hmm ich fasse zusammen: Du sagts: Neee ich nehme einfach ne andere Handlung und lasse deine Handlung, an die du anknüpfen willst, aus Gründen nicht gelten.
Das kannst du jetzt gerne noch 10 mal wiederholen, dadurch wirds aber weder richtiger noch überzeugender.
Dann belassen wir es einfach dabei, dass Du eine besondere Auffassung zum Tun und Unterlassen bei Fahrlässigkeitsdelikten hast, und der Rest der Welt macht weiter wie bisher.
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Re: Kind stürzt aus dem Fenster, weil Babysitter schläft

Beitrag von Strich »

Ja genau der Rest der Welt gegen mich alleine ::roll:
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Re: Kind stürzt aus dem Fenster, weil Babysitter schläft

Beitrag von OJ1988 »

Braucht man dann - da wir nicht über eine Strafbarkeit wegen Unterlassens reden - deiner Auffassung nach nie eine Garantenstellung, um sich in solchen Fällen strafbar zu machen?
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Re: Kind stürzt aus dem Fenster, weil Babysitter schläft

Beitrag von Strich »

In den fahrlässigen nicht, die Sorgfaltspflichtverletzung enthält all das, was man bei § 13 StGB prüft schon. m.a.W. es gibt keinen Fall, in dem eine Sorgfaltspflichtverletzung vorliegt, aber eine Strafbarkeit nach § 13 StGB ausscheidet.
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Re: Kind stürzt aus dem Fenster, weil Babysitter schläft

Beitrag von alsolazy »

Die Sorgfaltspflichtverletzung umfasst

das pflichtwidrige aktive Verletzen der Pflicht sowie das pflichtwidrige Unterlassen einer Handlungspflicht,

insofern braucht man bei Fahrlässigkeitsdelikt keinen § 13 StGB.

Die Pflicht kann ich entweder durch aktives Tun (Nichthandlungspflicht) oder durch Unterlassen (Handlungspflicht) verletzen.

Würde ich also eine Handlungspflicht unterlassen, würde ich fahrlässig handeln, würde ich das iVm. § 13 StGB prüfen würde ich ein Unterlassen unterlassen, also Handeln. -> Ich hätte die Pflicht erfüllt.

Würde ich gegen eine Unterlassenpflicht verstoßen, also handeln, würde ich fahrlässig handeln, würde ich das iVm. § 13 StGB prüfen, würde ich den Verstoß gegen die Unterlassenspflicht unterlassen, also Nichthandlen. -> Ich hätte die Pflicht erfüllt.

Man braucht § 13 StGB bei Fahrlässigkeitsdelikten also nicht nur, es ist sogar falsch ihn anzuwenden.


Ich hab das ganze versucht richtig zu schlussfolgern, ich hoffe ich habe jetzt nicht falsches erzählt :D
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Re: Kind stürzt aus dem Fenster, weil Babysitter schläft

Beitrag von Schnitte »

Beispiel für fahrlässige Tötung durch positives Tun: T steuert unter Verletzung der im Straßenverkehr erforderlichen Sorgfalt ein Kfz und fährt dabei den O zu Tode. Positives Tun.

Beispiel für fahrlässige Tötung durch Unterlassen: Der Beispielfall in diesem Thread.

Beispiel aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung für die Notwendigkeit, das auseinanderzuhalten (schon allein wegen der Möglichkeit der Milderung nach § 13 II StGB): BGH NStZ 2005, 446.
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Re: Kind stürzt aus dem Fenster, weil Babysitter schläft

Beitrag von Strich »

Das hilft leider so gar nicht weiter, weil der BGH m.E. zum hier angesprochenen Problem nahezu nichts sagt.
1. Er steigt sofort in die Prüfung der Pflichtwidrigkeit ein, was sowohl für das Tun als auch für das Unterlassen notwendig ist.
2. Erst am Ende sagt er:
Das LG hat insoweit nicht bedacht, dass die Pflicht zur sorgfältigen Nachschau hinsichtlich glimmender Zigarettenglut nicht nur bei dem Verlassen der Wohnung über mehrere Stunden besteht, sondern auch bei einer nicht nur ganz kurzzeitigen Abwesenheit vom Gefahrenbereich. Die Angeklagte wäre nicht nur beim Verlassen der Wohnung verpflichtet gewesen, den Gefahrenherd im Wohnzimmer zu beseitigen, sondern auch dann, wenn sie sich in der Nacht zum Schlafen gelegt hätte.
. Mal davon abgesehen, dass es eigentlich sogar genau das bestätigt, was ich hier vertrete, ist es ... jedenfalls eine Vermengung von Handlung und Sorgfaltspflichtverletzung.
Der BGH sagt ausdrücklich, dass die Sorgfaltspflicht unabhängig vom Verlassen der Wohnung bestand. Dann kann ich die Strafbarkeit aber ohne weiteres an das in diesem Fall konkrete Verlassen der Wohnung knüpfen.

3. Bleibt noch der letzte Punkt, der etwas erhellen könnte:
Sollte die neu zur Entscheidung berufene StrK unter Beachtung der vorstehenden Maßstäbe zu einem Pflichtenverstoß der Angeklagten kommen, wird sie im Hinblick auf eine nach § 13 II i.V.m. § 49 I StGB mögliche Strafrahmenverschiebung zu entscheiden haben, ob das Verhalten der Angeklagten ein aktives Tun oder ein Unterlassen darstellt. Dafür wird sie abzuwägen haben, dass das Verlassen der Wohnung für sich genommen unschädlich gewesen wäre, wenn sie es nicht unterlassen hätte, für eine durchgehende Aufsicht der Kinder in ihrer Abwesenheit zu sorgen oder zumindest die Gefahrenquelle zu beseitigen ... (NStZ 2005, 446 Rn. 13, beck-online)
Was soll das helfen? Der BGH sagt, dass es fahrlässige Unterlassensdelikte gibt und das zu prüfen ist. Das macht mich nicht schlauer, weil ich weiß das die h.M. das annimmt. Auf dieser Basis kann ich die StrK auch darauf hinweisen, dass sie das zu prüfen hat.
Indes prüft bei Vorsatzdelikten auch niemand, warum das nicht auch ein (auf dieser Argumentation meist) mitverwirklichtes Unterlassensdelikt ist. Bei Vorsatzdelikten ist man sich nach h.M. ja immer ziemlich schnell sicher wo der "Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit" liegt und das das Unterlassen der Erfolgsherbeiführung daneben keine Rolle spielt.
Um zurück zum BGH zu kommen: Was soll das heißen, dass das Verlassen der Wohnung "für sich genommen unschädlich gewesen wäre". Für sich genommen wären alle Handlungen (Tun oder Unterlassen) unschädlich gewesen, wenn eine durchgehende Aufsicht der Kinder in ihrer Abwesenheit bestanden hätte oder zumindest die Gefahrenquelle beseitigt worden wäre.

Ich bin ganz bei dir, dass die fakultative Strafmilderung dazu zwingt, über das Problem nachzudenken. Ich erkenne nur nicht, wie genau der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit hier zur Abgrenzung Tun/Unterlassen angewendet werden soll. Im BGH Fall würde ich die Strafbarkeit an das Verlassen der Wohnung als Handlung (Tun) knüpfen. Die war sorgfaltswidrig, weil man nicht kontrolliert hat, ob nach dem ganzen Rauchexzess noch Glut da war. Wieso ist es jetzt vorwerfbarer, zu sagen, die Täter hätten die Glutnester nicht kontrolliert? Das prüft man ja gerade erst "weiter hinten".
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