Aufsatzthema: Selbsthilfe/Beförderungsentgelt/Notwehrrecht

Straf-, Strafprozeß- und Ordnungswidrigkeitenrecht sowie Kriminologie

Moderator: Verwaltung

FKN993
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Aufsatzthema: Selbsthilfe/Beförderungsentgelt/Notwehrrecht

Beitrag von FKN993 »

Hi,

ich möchte einen Aufsatz veröffentlichen, aber ich bin mir derzeit noch unschlüssig darüber, wie ich das Thema darstellen soll. Der Schriftleiter findet meinen Vorschlag total gut, aber ich weiß noch nicht genau wie ich das Thema angehen soll.

(Zusammenhang: Eskalierte Fahrgastkontrollen)

Ich versuche es mal kurz zusammenzufassen:

Ich möchte mich rechtspolitisch für eine Normenänderung (Rechtsfolge) aussprechen, die dazu führt, dass im Falle des fahrlässigen Schwarzfahrens das Beförderungsentgelt in den jeweiligen Verordnungen als Erlöschensgrund (ex tunc) gefasst wird.

Begründung:

Ich halte entsprechende RVOs, die ein EBE vorsehen, im Falle des fahrlässigen Schwarzfahrens (z.B. Lichtbildausweis vergessen) für verfassungswidrig, weil sie nicht verhältnismäßig sind. Daran ändert meiner Meinung nach grundsätzlich auch keine Kulanzregelung etwas. Ein Fahrgast, der ein Dauerticket erworben hat, hat antizipiert erfüllt. Die Hauptleistungspflicht wurde nicht verletzt.
Der verfolgte Sinn und Zweck dieser Erhebung liegt aber darin, Schwarzfahren insgesamt zu verhüten (auch Schutz der Hauptleistungspflicht). Ich halte diese Fälle schon für nicht erforderlich und nicht für angemessen im engeren Sinne, wenn der Grad der Zweckerreichung, der mit dem Eingriff verbunden wird, auch im Verhältnis zur Zielerreichung stehen muss. Es bestand in solchen Fällen nie die Gefahr, dass jemand schwarz gefahren ist.

Wenn die RVO verfassungswidrig ist, dann lassen sich entsprechende vertragliche Beförderungsbedingungen auch anhand einer AGB-Kontrolle entsprechend überprüfen. Nach meiner Rechtsauffassung entspricht die Pflicht einen amtlichen Lichtbildausweis vorzuzeigen einer Schutzpflicht gem. § 241 II BGB (ähnlich der BGH bei Flugreisen). Wenn das aber so ist, dann liegt keine verzugsfähige Pflicht vor, die eine Vertragsstrafe gem. §§ 339 ff. BGB begründen könnte; dazu müsste es eine Nebenleistungspflicht gem. § 241 I BGB sein.

Sicher, jetzt kann man darüber diskutieren, ob man das als Dispositionsfreiheit anerkennt, aber aus meiner Sicht ist das eine sehr geringfügige Pflichtverletzung, wenn man etwas vergessen hat und andererseits entspricht es dann einer Art präventiv erhobenen Strafe. Die sich dann aber reduziert, wenn der Nachweis dann fristgerecht erbracht wird (ermäßigtes EBE).

Warum ist das alles relevant aus meiner Sicht? (Bezug zu § 229 BGB)
(§ 127 StPO lege ich restriktiv aus, und halte den nicht für anwendbar).

Wenn diese Ansprüche weder aus Gesetz oder Beförderungsvertrag nicht bestehen, dann lässt sich im Rahmen des § 229 BGB lediglich auf einen vertraglichen Auskunftsanspruch abstellen, der grds. aus § 242 BGB abgeleitet wird (Rechtspr.: Es genügt wohl die Wahrscheinlichkeit, dass der Anspruch dem Grund nach besteht). Auf die Anforderungen aus § 230 BGB wird nach "wohl" herrschender Auffassung verzichtet. Ein Anspruch i.H.v. 60€ kann ohnehin keinen persönlichen Arrest tragen und auch könnte der Gläubiger nicht glaubhaft darlegen, dass der Gläubiger im Begriff ist aus seiner Zugriffssphäre zu verschwinden.

________________________________

Mein Problem, was ich mit dieser ganzen Lösung habe:

Wenn die Fahrkartenkontrolle eskaliert, obwohl erkennbar ein Dauerticket erworben worden ist, dann könnte diese Lösung am Ende des Tages dazu führen, dass kein rechtswidriger Angriff vorläge, wenn der Kontrolleur zu harsch vorgeht, da er ja selbst das Ganze als Vollzug der Selbsthilfe werten könnte.

Das Problem: Kommt es später zum Nachweis, dann entfällt ex-nunc der Rechtsgrund für die Erhebung des EBE und wandelt sich (i.d.R.) lediglich zu einer Verwaltungsgebür, die dann fällig wird. In diesem Fall wird aber dann das Notwehrrecht eingeschränkt zwecks des Schutzes einer nur mutmaßlich bestehenden Rechtsposition (der geglaubte Anspruch auf das EBE).

Versteht ihr worauf ich hinaus will? Lohnt sich das überhaupt? Mein Problem ist, dass ich schon recht viel geschrieben habe und einfach festgestellt habe, dass es einfach einen enormen Schreibaufwand erfordert, um das alles auszudrücken.

Ich habe Schwierigkeiten "dieses Problem" wirklich herauszuarbeiten, da es entsprechend komplex ist.

Was ist eure Meinung dazu?

Noch zu § 229 BGB:
Angenommen folgender Fall: A geht ins Lokal und wartet zwei Stunden auf das Essen oder die Pizza ist mangelhaft. Er ist natürlich sauer und steht auf und will von dem Vertrag zurücktreten. Gastwirt G will sich das nicht bieten lassen und verlangt die Zahlung. Soll G nun den A möglicherweise festhalten dürfen, wenn A sich weigert sich auszuweisen und zu bezahlen? Das ist doch irgendwie absurd? Nehmen wir an, dass A nicht zahlen musste und seinen Rücktritt auch erklärte. Sollte man dann im § 229 BGB einen vertraglichen Auskunftsanspruch genügen lassen? Das ist doch absurd, oder nicht?

Vergleich (Parkplatz)
Bei gesetzlichen Ansprüchen (deliktisch) besteht dieser Nebenanspruch nur aus § 242 BGB, wenn der Hauptanspruch besteht. Wenn B meint, A sei in dessen Auto gefahren, obwohl das nicht so war, würde das in dieser Konstellation nicht funktionieren, da weder ein Anspruch auf SE bestünde und da der Auskunftsanspruch akzessorisch ist, könnte dieser die Selbsthilfe nicht tragen.

Versteht man worauf ich hier hinaus will oder verstehe ich hier irgendwas falsch?
KMR
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Re: Aufsatzthema: Selbsthilfe/Beförderungsentgelt/Notwehrrecht

Beitrag von KMR »

FKN993 hat geschrieben: Samstag 26. Oktober 2024, 13:30 Hi,

ich möchte einen Aufsatz veröffentlichen, aber ich bin mir derzeit noch unschlüssig darüber, wie ich das Thema darstellen soll. Der Schriftleiter findet meinen Vorschlag total gut, aber ich weiß noch nicht genau wie ich das Thema angehen soll.

(Zusammenhang: Eskalierte Fahrgastkontrollen)

Ich versuche es mal kurz zusammenzufassen:

Ich möchte mich rechtspolitisch für eine Normenänderung (Rechtsfolge) aussprechen, die dazu führt, dass im Falle des fahrlässigen Schwarzfahrens das Beförderungsentgelt in den jeweiligen Verordnungen als Erlöschensgrund (ex tunc) gefasst wird.

Begründung:

Ich halte entsprechende RVOs, die ein EBE vorsehen, im Falle des fahrlässigen Schwarzfahrens (z.B. Lichtbildausweis vergessen) für verfassungswidrig, weil sie nicht verhältnismäßig sind. Daran ändert meiner Meinung nach grundsätzlich auch keine Kulanzregelung etwas. Ein Fahrgast, der ein Dauerticket erworben hat, hat antizipiert erfüllt. Die Hauptleistungspflicht wurde nicht verletzt.
Der verfolgte Sinn und Zweck dieser Erhebung liegt aber darin, Schwarzfahren insgesamt zu verhüten (auch Schutz der Hauptleistungspflicht). Ich halte diese Fälle schon für nicht erforderlich und nicht für angemessen im engeren Sinne, wenn der Grad der Zweckerreichung, der mit dem Eingriff verbunden wird, auch im Verhältnis zur Zielerreichung stehen muss. Es bestand in solchen Fällen nie die Gefahr, dass jemand schwarz gefahren ist.

Wenn die RVO verfassungswidrig ist, dann lassen sich entsprechende vertragliche Beförderungsbedingungen auch anhand einer AGB-Kontrolle entsprechend überprüfen. Nach meiner Rechtsauffassung entspricht die Pflicht einen amtlichen Lichtbildausweis vorzuzeigen einer Schutzpflicht gem. § 241 II BGB (ähnlich der BGH bei Flugreisen). Wenn das aber so ist, dann liegt keine verzugsfähige Pflicht vor, die eine Vertragsstrafe gem. §§ 339 ff. BGB begründen könnte; dazu müsste es eine Nebenleistungspflicht gem. § 241 I BGB sein.

Sicher, jetzt kann man darüber diskutieren, ob man das als Dispositionsfreiheit anerkennt, aber aus meiner Sicht ist das eine sehr geringfügige Pflichtverletzung, wenn man etwas vergessen hat und andererseits entspricht es dann einer Art präventiv erhobenen Strafe. Die sich dann aber reduziert, wenn der Nachweis dann fristgerecht erbracht wird (ermäßigtes EBE).

Warum ist das alles relevant aus meiner Sicht? (Bezug zu § 229 BGB)
(§ 127 StPO lege ich restriktiv aus, und halte den nicht für anwendbar).

Wenn diese Ansprüche weder aus Gesetz oder Beförderungsvertrag nicht bestehen, dann lässt sich im Rahmen des § 229 BGB lediglich auf einen vertraglichen Auskunftsanspruch abstellen, der grds. aus § 242 BGB abgeleitet wird (Rechtspr.: Es genügt wohl die Wahrscheinlichkeit, dass der Anspruch dem Grund nach besteht). Auf die Anforderungen aus § 230 BGB wird nach "wohl" herrschender Auffassung verzichtet. Ein Anspruch i.H.v. 60€ kann ohnehin keinen persönlichen Arrest tragen und auch könnte der Gläubiger nicht glaubhaft darlegen, dass der Gläubiger im Begriff ist aus seiner Zugriffssphäre zu verschwinden.

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Mein Problem, was ich mit dieser ganzen Lösung habe:

Wenn die Fahrkartenkontrolle eskaliert, obwohl erkennbar ein Dauerticket erworben worden ist, dann könnte diese Lösung am Ende des Tages dazu führen, dass kein rechtswidriger Angriff vorläge, wenn der Kontrolleur zu harsch vorgeht, da er ja selbst das Ganze als Vollzug der Selbsthilfe werten könnte.

Das Problem: Kommt es später zum Nachweis, dann entfällt ex-nunc der Rechtsgrund für die Erhebung des EBE und wandelt sich (i.d.R.) lediglich zu einer Verwaltungsgebür, die dann fällig wird. In diesem Fall wird aber dann das Notwehrrecht eingeschränkt zwecks des Schutzes einer nur mutmaßlich bestehenden Rechtsposition (der geglaubte Anspruch auf das EBE).

Versteht ihr worauf ich hinaus will? Lohnt sich das überhaupt? Mein Problem ist, dass ich schon recht viel geschrieben habe und einfach festgestellt habe, dass es einfach einen enormen Schreibaufwand erfordert, um das alles auszudrücken.

Ich habe Schwierigkeiten "dieses Problem" wirklich herauszuarbeiten, da es entsprechend komplex ist.

Was ist eure Meinung dazu?

Noch zu § 229 BGB:
Angenommen folgender Fall: A geht ins Lokal und wartet zwei Stunden auf das Essen oder die Pizza ist mangelhaft. Er ist natürlich sauer und steht auf und will von dem Vertrag zurücktreten. Gastwirt G will sich das nicht bieten lassen und verlangt die Zahlung. Soll G nun den A möglicherweise festhalten dürfen, wenn A sich weigert sich auszuweisen und zu bezahlen? Das ist doch irgendwie absurd? Nehmen wir an, dass A nicht zahlen musste und seinen Rücktritt auch erklärte. Sollte man dann im § 229 BGB einen vertraglichen Auskunftsanspruch genügen lassen? Das ist doch absurd, oder nicht?

Vergleich (Parkplatz)
Bei gesetzlichen Ansprüchen (deliktisch) besteht dieser Nebenanspruch nur aus § 242 BGB, wenn der Hauptanspruch besteht. Wenn B meint, A sei in dessen Auto gefahren, obwohl das nicht so war, würde das in dieser Konstellation nicht funktionieren, da weder ein Anspruch auf SE bestünde und da der Auskunftsanspruch akzessorisch ist, könnte dieser die Selbsthilfe nicht tragen.

Versteht man worauf ich hier hinaus will oder verstehe ich hier irgendwas falsch?
Seit wann bemisst sich denn die Rechtswidrigkeit einer Handlung (allein) nach der subjektiven Sicht des Handelnden? -> Grundsätzlich ist erstmal alles, was den Tatbestand eines Strafgesetzes ausfüllt oder eine (ggf. schuldhafte) Rechtsgutsverletzung darstellt rechtswidrig, es sei denn, der Schädiger/Täter kann sich auf einen Rechtfertigungsgrund berufen oder es wird die positive Feststellung von Gesetzes wegen angeordnet, vgl. §§ 240 II, 253 II StGB. Insofern der Täter/Schädiger subjektiv davon ausgeht, dass eine Rechtfertigung bestünde, dann kommen ggf. die Grundsätze zum sog. Tatbestands- oder Tatumstandsirrtum zum Tragen, bei dem nach wohl herrschender Auffassung jedenfalls die Strafbarkeit aus dem Vorsatzdelikt ausscheidet, wenn unter Zugrundelegung der Vorstellung des Täters die Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes vorlägen.

Für das Beispiel des Lokals: Hier muss man natürlich die straf- und zivilrechtliche Dimension unterscheiden:
Da könnte durch das Festhalten dann jedenfalls tatbestandsmäßig § 239 I StGB verwirklicht werden, wofür dann ggf. eine Rechtfertigung nach § 127 I 1 StPO besteht. Solch eine Rechtfertigung setzt natürlich voraus, dass der A selbst auf frischer Tat betroffen wird, obschon in solche Fällen teils § 263 I StGB in Betracht kommen kann, ist das freilich etwas anderes, wenn zwar der A zahlungsbereit und -fähig ist, er aber wegen des Zeitaufwandes das Lokal verlässt.

Zivilrechtlich hat der G ggf. einen Anspruch auf das vereinbarte Entgelt oder Schadensersatz aus § 346 I BGB oder § 280 I BGB gegen den Gast. Zu deren Durchsetzung muss er sich nötigenfalls der staatlichen Gewalt mittels staatlicher Gerichte bedienen, § 229 BGB "wenn obrigkeitliche Hilfe nicht rechtzeitig zu erlangen ist". Für die Anrufung staatlicher Gerichte ist der Gastwirt jedoch darauf angewiesen, den Anspruchsgegner bzw. Prozessgegner benennen zu können. Insofern besteht dann ein Auskunftsanspruch gegen den Schuldner; ob man den jetzt dogmatisch auf § 242 BGB stützt (vorzugswürdig) oder ggf. im Fall des Bestehens eines Vertrages auf den Vertrag abstellt, ist im Ergebnis unerheblich. Dieser Auskunftsanspruch kann jedoch nur an Ort und Stelle durchgesetzt werden, weil eben gerade dieser Auskunftsanspruch bezwecken soll andere Ansprüche über die vorgesehenen Rechtswege geltend machen zu können.
Dementsprechend sieht § 229 auch eine drohende Vereitelung der Verwirklichung des Anspruchs oder die wesentliche Erschwerung der Verwirklichung als Voraussetzung vor. Zivilrechtliche Obrigkeitliche Hilfe kann an Ort und Stelle auch nicht erlangt werden, in den Zuständigkeitsbereich der Landespolizei fällt dies bekanntlich nicht, obschon ggf. in der Praxis im Streitfall des Festhaltens diese ggf. zu einer Schlichtung/Auflösung der Situation beitragen kann.

Parkplatz-Beispiel:
Man kann wohl in dem § 142 I StGB - wenngleich zur Zeit Gegenstand rechtspolitischer Diskussion - die Wertung sehen, dass der Gesetzgeber durchaus anerkannt, dass es in den Fällen in denen Schäden entstehen, ohne dass sich Schädiger und Geschädigter "begegnen" oder sich jedenfalls nicht in Bezug auf Personaldaten bekannt sind, es ein berechtigtes Interesse des Geschädigten gibt zum Zwecke der Rechtsdurchsetzung die Personalien des mutmaßlichen Schädigers zu erfahren, um seine Ansprüche über den Rechtsweg geltend machen zu können.
FKN993
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Re: Aufsatzthema: Selbsthilfe/Beförderungsentgelt/Notwehrrecht

Beitrag von FKN993 »

Seit wann bemisst sich denn die Rechtswidrigkeit einer Handlung (allein) nach der subjektiven Sicht des Handelnden? -> Grundsätzlich ist erstmal alles, was den Tatbestand eines Strafgesetzes ausfüllt oder eine (ggf. schuldhafte) Rechtsgutsverletzung darstellt rechtswidrig, es sei denn, der Schädiger/Täter kann sich auf einen Rechtfertigungsgrund berufen oder es wird die positive Feststellung von Gesetzes wegen angeordnet, vgl. §§ 240 II, 253 II StGB. Insofern der Täter/Schädiger subjektiv davon ausgeht, dass eine Rechtfertigung bestünde, dann kommen ggf. die Grundsätze zum sog. Tatbestands- oder Tatumstandsirrtum zum Tragen, bei dem nach wohl herrschender Auffassung jedenfalls die Strafbarkeit aus dem Vorsatzdelikt ausscheidet, wenn unter Zugrundelegung der Vorstellung des Täters die Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes vorlägen.

Für das Beispiel des Lokals: Hier muss man natürlich die straf- und zivilrechtliche Dimension unterscheiden:
Da könnte durch das Festhalten dann jedenfalls tatbestandsmäßig § 239 I StGB verwirklicht werden, wofür dann ggf. eine Rechtfertigung nach § 127 I 1 StPO besteht. Solch eine Rechtfertigung setzt natürlich voraus, dass der A selbst auf frischer Tat betroffen wird, obschon in solche Fällen teils § 263 I StGB in Betracht kommen kann, ist das freilich etwas anderes, wenn zwar der A zahlungsbereit und -fähig ist, er aber wegen des Zeitaufwandes das Lokal verlässt.

Zivilrechtlich hat der G ggf. einen Anspruch auf das vereinbarte Entgelt oder Schadensersatz aus § 346 I BGB oder § 280 I BGB gegen den Gast. Zu deren Durchsetzung muss er sich nötigenfalls der staatlichen Gewalt mittels staatlicher Gerichte bedienen, § 229 BGB "wenn obrigkeitliche Hilfe nicht rechtzeitig zu erlangen ist". Für die Anrufung staatlicher Gerichte ist der Gastwirt jedoch darauf angewiesen, den Anspruchsgegner bzw. Prozessgegner benennen zu können. Insofern besteht dann ein Auskunftsanspruch gegen den Schuldner; ob man den jetzt dogmatisch auf § 242 BGB stützt (vorzugswürdig) oder ggf. im Fall des Bestehens eines Vertrages auf den Vertrag abstellt, ist im Ergebnis unerheblich. Dieser Auskunftsanspruch kann jedoch nur an Ort und Stelle durchgesetzt werden, weil eben gerade dieser Auskunftsanspruch bezwecken soll andere Ansprüche über die vorgesehenen Rechtswege geltend machen zu können.
Dementsprechend sieht § 229 auch eine drohende Vereitelung der Verwirklichung des Anspruchs oder die wesentliche Erschwerung der Verwirklichung als Voraussetzung vor. Zivilrechtliche Obrigkeitliche Hilfe kann an Ort und Stelle auch nicht erlangt werden, in den Zuständigkeitsbereich der Landespolizei fällt dies bekanntlich nicht, obschon ggf. in der Praxis im Streitfall des Festhaltens diese ggf. zu einer Schlichtung/Auflösung der Situation beitragen kann.

Parkplatz-Beispiel:
Man kann wohl in dem § 142 I StGB - wenngleich zur Zeit Gegenstand rechtspolitischer Diskussion - die Wertung sehen, dass der Gesetzgeber durchaus anerkannt, dass es in den Fällen in denen Schäden entstehen, ohne dass sich Schädiger und Geschädigter "begegnen" oder sich jedenfalls nicht in Bezug auf Personaldaten bekannt sind, es ein berechtigtes Interesse des Geschädigten gibt zum Zwecke der Rechtsdurchsetzung die Personalien des mutmaßlichen Schädigers zu erfahren, um seine Ansprüche über den Rechtsweg geltend machen zu können.
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Lieber KMR,

an keiner Stelle habe ich gesagt, dass sich die Rechtswidrigkeit allein durch die subjektive Vorstellung des Täters begründet.

Ich habe das schon durchdacht und natürlich besteht die Möglichkeit das strafrechtlich über das Irrtumsrecht zu lösen. Das möchte ich aber so nicht; beziehungsweise finde ich das nicht gut.

I. § 127 I 1 StPO
Unabhängig davon, ob man ihn weit oder eng auslegt: In solchen Fällen, wenn eine Fahrkarte vorhanden ist, fehlt es bereits bereits am dringenden Tatverdacht. § 265a I StGB ist kein Dauerdelikt, der Begehungszeitpunkt liegt also im Zeitpunkt des Betretens, sprich dem Erschleichen ggf. Nach herrschender Meinung fällt darunter keine vertragswidrige Beförderung, sondern nur das manipulative Umgehen der Kontrollmechanismen. Wie will ein Kontrolleur, der den Einstiegsvorgang nicht kennt, darauf schließen? (Da schließe ich mich vielen Vertretern an). Das kann aber dahinstehen, wenn es ohnehin schon am subjektiven Rechtfertigungselement fehlt. Daran mangelt es: Die Festnahme muss aus der Absicht heraus erfolgen den Festgehaltenen den Strafverfolgungsbehörden zu überstellen. Die Vorschrift ist eine Ausnahme des staatlichen Gewaltmonopols und gewährt dem Bürger (ausnahmsweise) hoheitliche Befugnisse. Weil das so ist, wird auch vertreten, dass ein Motivbündel zur Ablehnung führen muss. Wenn also wie in einem solchen Fall die Festnahme zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche dient, dann ist das Merkmal aus teleologischen Gründen zu verneinen. Das ist vielmehr ein Anwendungsfall der Selbsthilfe. (Das kann man natürlich anders sehen).

II. §§ 229 I, 230 BGB
Die Frage ist, wie man den § 230 III BGB versteht. Es wird vertreten, dass er § 229 I BGB entsprechend einschränkt, sodass es auf die Voraussetzungen von §§ 916 I, 918 ZPO ankommt. Weder läge ein Arrestgrund vor und noch würden 60€ dafür ausreichen. Das ist eine Bagatellsumme.

Andere vertreten, das muss wohl auch deiner Meinung entsprechen, ist grds. auch "wohl" herrschend, es würde ausnahmsweise genügen, wenn man auf den vertraglichen Auskunftsanspruch abstellt. Aus meiner Sicht ist die Ableitung gerade nicht egal. Der BGH fordert, dass der streitige Anspruch wahrscheinlich bestehen muss. Ja, was soll das aber bedeuten? Ist das zu verstehen wie Schlüssigkeit? Sprich unterstellt der Vortrag (im Zeitpunkt der Auseinandersetzung) des Selbsthilfeübenden ist richtig und begründet den Anspruch, dann ist er wahrscheinlich? Werde daraus irgendwie nicht so schlau.

III. Konsequenzen
Ich halte § 127 I 1 StPO wie viele andere Vertreter in dieser Konstellation wie gesagt nicht für anwendbar. § 229 I BGB könnte anwendbar sein, je nach vertretener Auffassung, und dazu führen, dass der Angriff auf die Fortbewegungsfreiheit dann nicht rechtswidrig wäre. Damit bestünde keine Notwehrlage. Wenn der Kontrolleur von Anfang an über die Stränge schlägt, was soll der Fahrgast dann tun? Es kommt auch nur § 229 BGB als Rechtfertigung (Vollzug der Festnahme) in Betracht, da § 32 I, II StGB nicht im Falle von fremden Forderungen greift.

Jedenfalls lässt sich so eine Konstellation schnell über § 229 BGB rechtfertigen. Im Ergebnis darf man nicht weglaufen. Tut mir leid, dass das nicht so durchgekommen ist, was ich genau meinte: Im Grunde muss man erkennen, dass die Motivlage in dieser Konstellation, also warum das so geschieht, von dem Glauben getragen ist, dass dieser Anspruch auf das EBE besteht (kann man dogmatisch ablehnen), und dann existiert dieser Anspruch aber erstmal. Hält der Fahrgast dann die Frist ein, dann erlischt es ex nunc, aber nicht ex tunc. Ich denke, dass man das als befristeten negativen Entstehungstatbestand fassen muss oder wenn der Nachweis erbracht wird, dass dann der Anspruch ex tunc erlischt. Damit gäbe es in diesen Konstellationen niemals ein EBE. Aber auch nur dann, also nur wenn der Nachweis später gelingt. Für mich ist es sinnfrei eine vertragliche oder gesetzliche Vertragsstrafe für etwas zu erheben, was im Grunde an ein Handlungsunwert anknüpft und dessen Verhütung, was aber nachweislich (Nachweis der Ausweis) nicht vorlag. Wie gesagt: § 265a I StGB wäre nichtmal im Versuch strafbar, denn das wäre sogar ein Wahndelikt, weil es durch die Erfüllung bereits am Schaden fehlt. Der Anspruch auf das Entgelt ist erloschen. Die Konstellation, die ich betrachte, betrifft also eine Konstellation nach dem Motto, dass es ja sein könnte, dass er wirklich schwarzgefahren ist.

Ich verstehe auch den Einwand, warum man § 229 BGB nicht restriktiv auslegen will: Es heißt schlichtweg, dass ansonsten die Kontrolleursrechte zu sehr beschnitten würden. Irgendwie überzeugt mich das nicht. Es geht nicht darum, dass ich nicht kapiere, dass es auch irgendwie darum geht, dass auch der Beförderungsunternehmen ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Daten hat. Wenn man den Perso vergisst, dann hat der Fahrgast, Dauerticket hin oder her, ja selbst die Situation verursacht. Deshalb sehe ich das ja grundsätzlich auch ein. Weil das Merkmal des Fluchtverdachts aber sehr großzügig ausgelöst wird, besteht grds. die Gefahr, dass die Geschichte über § 229 I BGB gerechtfertigt ist. In der Konsequenz hat man kein Notwehrrecht. Obwohl ja später feststellbar ist, dass nie die "geglaubte" Pflichtverletzung bestanden hat.

Lehnt man ab, stellt sich zivilrechtlich aber das Problem, dass das BFU dann gem. § 231 BGB verschuldensunabhängig haften würde. Wäre es denkbar, dass man an dieser Stelle teleologisch reduziert? Begründung: Wenn der Fahrgast den Irrtum verursacht hat, warum sich auf die Selbsthilfe berufen worden ist, hat ja der Fahrgast durch das pflichtwidrige Unterlassens der Ausweisungspflicht verursacht. Strafrechtlich wäre der Kontrolleur für mich raus über einen Verbotsirrtum, weil der dann logischerweise sogar unvermeidbar war. Das wäre mein Ansatz um diese Problematik aus meiner Sicht interessengerecht aufzulösen. Auch § 823 I BGB wäre nicht begründbar, da es dann durch den Verbotsirrtum am Verletzungsvorsatz mangelte.

Nach meiner Lösung könnte man sich dann wehren, wenn die Voraussetzungen von § 32 I StGB gegeben wären.

Nachteil: Es gäbe keinen Schadensersatz.

Vorteil: Für beide besteht dann kein Strafbarkeitsrisiko.
Das ist ja im Grunde eine Art doppelter Irrtum: Der Kontrolleur glaubt an das Bestehen eines Anspruchs und handelt entsprechend und Bürger denkt sich, das kann doch nicht sein, dass der mich hier jetzt hier festhalten kann/darf.

_______________________

Warum ich das unbedingt vertreten will?
Naja, es kann ja sein, dass man wirklich den Lichtbildauweis vergisst, das wird sehr oft vorkommen. Dass man deswegen nicht sonderlich einsichtig sein wird, liegt auf der Hand und Kontrolleure denken sie hätten jetzt einen Freifahrtsschein und könnten wegen so einer Lappalie auch rabiat vorgehen. (Lassen wir die Wertungssachen mal außen vor).

__________________

Zum Restaurant: Ich hatte vergessen zu schreiben, dass man den Rücktritt erklärt (angenommen er geht durch). Und dann? Dann ist der Anspruch auf Zahlung ex nunc erloschen und erst dann wird der Gast festgehalten. In dem Fall ist nur klarer, dass die andere Seite mehr falsch gemacht hat. Dann würde ich nicht vertreten, dass ein bloßer vertraglicher Auskunftsanspruch ausreichend sein kann? Fühlt sich irgendwie falsch an.

Zum Parkplatz: Die Herleitung ist nicht schnuppe:

Bei gesetzlichen Ansprüchen besteht der Auskunftsanspruch als Nebenanspruch nach § 242 BGB nur dann, wenn der gesetzlichen Anspruch besteht.

Bei vertraglichen soll das anders sein, wenn es ja nur heißt, dass das Bestehen wahrscheinlich sein müsse? Ich finde nicht, dass das ausreicht, denn somit kann ja das Notwehrrecht ausgehebelt werden wegen etwas, was zwar motivlich zunächst angegenommmen werden durfte, aber tatsächlich so nicht begründet war.

________

Ich weiß, dass man auch sagen kann, dass das EBE nach den RVOs verhältnismäßig ist, weil es ja eine Kulanzregelung gibt, aber gut finde ich das nicht.

Kann man verstehen, was mich so kratzt an dem Ganzen? Also ich bin mir unsicher, ob ich die ganze Zeit in das ganze investieren soll. Mir gehts nicht darum, dass ich dann veröffentlich werde, sondern darum, dass ich da auch was Gescheites zu erzählen habe. Ich habe das selten, dass ich da irgendwie so Bauchschmerzen habe und dieser Komplex ist auch nicht so einfach zugänglich.
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Re: Aufsatzthema: Selbsthilfe/Beförderungsentgelt/Notwehrrecht

Beitrag von KMR »

Zum Auskunftsanspruch eines Gläubigers gegen den unbekannten Schuldners (ohne jetzt die Lit. bemüht zu haben, rein logisch/systematisch): Warum soll sich denn NUR im Fall des gesetzlichen Schuldverhältnisses, bspw. unerlaubter Handlung, ein solcher Auskunftsanspruch aus § 242 BGB ergeben? Der Gläubiger ist - unabhängig von der Art des Schuldverhältnisses - darauf angewiesen zu wissen, wer sein Schuldner ist, um seine Forderung durchsetzen zu können. Nicht ohne Grund kann eine stille Zession erfolgen bzw. der Zedent/Zessionar ist nicht verpflichtet dem Schuldner den Gläubigerwechsel mitzuteilen (freilich mit der Konsequenz des § 407 BGB). Anders aber wenn ein Dritter die Schuld vom Schuldner übernehmen will, dieser kann nur dann die Schuld von dem Schuldner übernehmen, wenn dies dem Gläubiger mitgeteilt wird und dieser auch zustimmt, § 415 I 1, 2 BGB.

Das dient nicht nur dem Schutz des Gläubigers vor einem insolventen Schuldner, sondern auch der Kenntnis des Gläubigers wegen gegenüber er seine Forderung ggf. zwangsweise durchsetzen kann. m.E. kann sich die Verpflichtung des originären Schuldners sich auszuweisen/seine Daten mitzuteilen, unabhängig von der Art des Schuldverhältnisses, nur aus Treu und Glauben, § 242 BGB ergeben. Denn normalerweise sieht das Gesetz Instrumente wie den Verzug des Schuldners, § 286 I BGB und die damit einhergehende verschärfte Haftung und Verzinsung einer Geldschuld, §§ 287 f. BGB, als Mittel an den Schuldner zu Erfüllung zu bewegen. Die §§ 280 ff. BGB finden auch auf bereits entstandene gesetzliche Schuldverhältnisse Anwendung. Diese Mittel gehen jedoch "ins Leere", wenn der Gläubiger seinen Schuldner nicht identifizieren kann. Denn eine Klage muss einen Klagegegner bezeichnen.

Warum soll denn der Gast nicht allein wegen des Auskunftsanspruches festgehalten werden können? mE erscheint das ein gutes Beispiel für eine dem Wortlaut des § 229 BGB entsprechende Situation zu sein. Denn nur durch das Festhalten bis der Auskunftsanspruch durchgesetzt ist, hat der Gläubiger G die Möglichkeit seinen Rückgewähranspruch aus § 346 I BGB durchzusetzen. Andernfalls bestünde die Gefahr, dass die Verwirklichung seines Anspruches vereitelt oder jedenfalls wesentlich erschwert wäre, schließlich müsste er sich dann anderweitig die Personaldaten des Gastes verschaffen. Sofern es nicht gerade ein Dorf mit zehn Einwohnern ist oder der Gast bekannt ist, wird sich das äußerst schwierig gestalten. Das passt m.E. zu § 229 BGB aE.

Es ist im Übrigen auch völlig legitim, dass du hier eine andere Auffassung zu der Beurteilung deiner geschilderten Kontrolleurssituation vertrittst. Das ist oftmals gerade der Inhalt einiger Aufsätze, die eben eine andere Betrachtungsweise aufzeigen wollen für eine bislang gefundene Lösung, die nach Ansicht des Aufsatzverfassers nicht überzeugend erscheine und dafür eben Punkte anführen, die sie bislang nicht überzeugen und welche Lösung sie für vorzugswürdig erachten sowie die damit einhergehenden Konsequenzen. Es gibt durch viele Aufsätze zu verschiedensten Problematiken, in denen kontroverse Auffassungen vertreten werden oder sich auch gegen eine gefestigte Rechtsprechung oder Literaturauffassung stellen, das heißt aber nicht, dass sie nicht aus ihren Gründen in sich logisch sein können.
FKN993
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Re: Aufsatzthema: Selbsthilfe/Beförderungsentgelt/Notwehrrecht

Beitrag von FKN993 »

Lieber KMR,

das ist nicht mein erster Aufsatz und der erscheint auch nicht in der Tageszeitung.

Danke für die Erläuterung der §§ 398 ff. BGB. Ich verstehe auch, worauf du hinaus willst.

Der Unterschied: Im Falle gesetzlicher Schuldverhältnisse (Parkplatz), muss für den Auskunftsanspruch auch eines bestehen, sprich auf die Haftungsbegründung kommt es an. Nur dann, wird über § 242 BGB der Auskunftsanspruch begründet. Der dann ausreicht. Finde ich auch richtig, denn was bleibt dem Gläubiger sonst. Irrt er sich aber über das Bestehen des Anspruchs. hält er ihn fest, dann haftet er verschuldensunabhängig und 229 BGB greift mangels Anspruchs nicht.

Im vertraglichen Schuldverhältnis wird das aus der gegenseitigen Vertragstreue abgeleitet, vgl. § 241 II BGB. Die Herleitung interessiert mich weniger, sondern dass ein vermeintliches Bestehen ausreiche. Deine Argumentation mit der Abtretung überzeugt mich nicht so richtig, denn du kannst ja auch künftige Ansprüche abtreten. Ansonsten passiert ja nichts auf Rechtsfolgenseite (leere Abtretung)

Darum geht’s mir ja auch nicht, sondern um „aus meiner Sicht“ unausgewogene Rechtsfolgen zumindest im Strafrecht. Finde das doof, weil somit das Zivilrecht über die Rechtswidrigkeit im Strafrecht entscheidet.

Und ja, ich weiß, dass es legitim ist andere Meinungen zu vertreten. Deshalb machen wir das doch alle auch so gern, oder?

Aber ja, du hast recht: Mir passt das nicht. Aber es geht mir eher darum, ob man das verstehen kann? Es soll jetzt nicht so wirken, was es irgendwie tut bei dem ganzen Aufwand, dass ich da in die Norm eingreifen will, weil es mir persönlich nicht passt. Also das hat schon was von späterer teleologischer Ergebniskorrektur.

Mit dem Wortlaut gebe ich dir recht, aber ist auch nicht das stärkste Argument unbedingt. Ich verstehe aber jeden, der das nicht teilt.

Klar ist mir, dass ich gegen den Strom schwimmen will. Aber wenn du mal reinguckst in die Literatur: So richtig herrschend ist das alles auch nicht. Diese Konstellation tritt ja jetzt nicht allzu oft auf.

Mich reizt aber, dass es doch ziemlich interessant und komplex ist und es sich lohnt mal das mal zu hinterfragen.

PS: Meine Lösung kann aber für sich beanspruchen, dass kein Missbrauchsrisiko besteht. Gelingt der Nachweis nicht, bleibt quasi alles beim alten. Wer sich dann wehrt, hat Pech. Finde ich aber okay.

Aber du würdest das auch eher wie die herrschende Meinung sehen?

Mir gehts zugegeben darum, dass ich viel Schreibaufwand habe, um dann auch mit nem Eingriff in die Norm um die Ecke zu kommen, um einen Ausnahmefall anders zu sehen. Das wirkt für mich auch nicht so richtig überzeugend. Also du schreibst dir einen Ast ab für wenig Gehalt.
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Re: Aufsatzthema: Selbsthilfe/Beförderungsentgelt/Notwehrrecht

Beitrag von Schnitte »

In meinem Verkehrsverbund (RMV) fällt im Fall des Inhabers einer gültigen Dauerkarte, der diese zuhause vergessen nicht, nicht das volle erhöhte Beförderungsentgelt von 60 Euro an, sondern nur eine Bearbeitungsgebühr von 7 Euro, wenn die Karte binnen einer Frist (IIRC eine Woche) ab der Fahrkartenkontrolle vorgelegt wird. Was ich für fair im umgangssprachlichen Sinn und verfassungskonform im juristischen Sinn halte. Der Bearbeitungsaufwand fällt nun einmal an, und zwar aus Gründen, die ich zu vertreten habe, nicht der Verkehrsverbund. Wo soll da die Verfassungswidrigkeit liegen?
"Das Vertragsrecht der Bundesrepublik Deutschland und die gesetzlich vorgesehenen Möglichkeiten, die Erfüllung von Verträgen zu erzwingen [...], verstoßen nicht gegen göttliches Recht."

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Schnitte
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Re: Aufsatzthema: Selbsthilfe/Beförderungsentgelt/Notwehrrecht

Beitrag von Schnitte »

FKN993 hat geschrieben: Samstag 26. Oktober 2024, 13:30 Ein Fahrgast, der ein Dauerticket erworben hat, hat antizipiert erfüllt. Die Hauptleistungspflicht wurde nicht verletzt.
Der verfolgte Sinn und Zweck dieser Erhebung liegt aber darin, Schwarzfahren insgesamt zu verhüten (auch Schutz der Hauptleistungspflicht). Ich halte diese Fälle schon für nicht erforderlich und nicht für angemessen im engeren Sinne, wenn der Grad der Zweckerreichung, der mit dem Eingriff verbunden wird, auch im Verhältnis zur Zielerreichung stehen muss. Es bestand in solchen Fällen nie die Gefahr, dass jemand schwarz gefahren ist.
Ich halte das für zu kurz gedacht. Den Fahrgast trifft nicht nur die Pflicht, das Entgelt (vorab) zu entrichten, sondern auch die Pflicht, dies auf Nachfrage des Prüfdienstes nachweisen zu können. Der Fahrgast, der seine gültige Dauerkarte zu Hause vergessen hat, hat die erste Pflicht erfüllt, nicht aber die zweite. Und das Bestehen einer solchen Pflicht (mitsamt Sanktionen bei Nichterfüllung dieser Pflicht) ist verhältnismäßig, weil der Verkehrsverbund ein legitimes Interesse daran hat, das Entrichten des Entgelts durch Fahrkartenkontrollen zu überprüfen.
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Re: Aufsatzthema: Selbsthilfe/Beförderungsentgelt/Notwehrrecht

Beitrag von KMR »

Schnitte hat geschrieben: Samstag 26. Oktober 2024, 18:58 In meinem Verkehrsverbund (RMV) fällt im Fall des Inhabers einer gültigen Dauerkarte, der diese zuhause vergessen nicht, nicht das volle erhöhte Beförderungsentgelt von 60 Euro an, sondern nur eine Bearbeitungsgebühr von 7 Euro, wenn die Karte binnen einer Frist (IIRC eine Woche) ab der Fahrkartenkontrolle vorgelegt wird. Was ich für fair im umgangssprachlichen Sinn und verfassungskonform im juristischen Sinn halte. Der Bearbeitungsaufwand fällt nun einmal an, und zwar aus Gründen, die ich zu vertreten habe, nicht der Verkehrsverbund. Wo soll da die Verfassungswidrigkeit liegen?
So kenne ich das auch von mehreren Verkehrsverbünden; das dafür erhobene Entgelt wird i.d.R. auch ausdrücklich als Bearbeitungs-/Verwaltungsgebühr bezeichnet und sei gerade kein "erhöhtes Beförderungsentgelt" wie bei denjenigen, die gänzlich ohne Erwerb eines gültigen Fahrscheins vor Betreten das Verkehrsmittel nutzen.
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Re: Aufsatzthema: Selbsthilfe/Beförderungsentgelt/Notwehrrecht

Beitrag von FKN993 »

Ja, was heißt zu kurz gedacht?
Sicher, man kann streiten, ob das eine Nebenleitungspflicht gem. § 241 I BGB sein soll oder aber eine nach § 241 II BGB. Ich denke letzteres. So ähnlich sieht es der BGH mit Reisedokumenten. Der Unterschied ist aber auch erheblich, denn die nicht gehörige Erfüllung muss eine verzugsfähige Pflicht sein. Ist es eine nach § 241 II BGB, ist es eine Abweichung vom Regime der Vertragsstrafe.

Ja, ich stimme dir im Grundsatz zu. Es wird ja auch gebau über dieses Feststellungsinteresse gerechtfertigt und einer Kulanzregelung (Späterer Nachweis).

Aber auch mal pragmatisch: Was wäre denn, wenn man diese Vorschriften im Worlaut so änderte, dass wenn später der Nachweis erbracht wird, dass dann der Anspruch als nicht entstanden gilt (also Anknüpfung an den Rechtsgrund).

Im Endeffekt (praktisch gedacht) würde F ohnehin festgehalten.

Am Ende des Tages würde mein Eingriff nur vermeiden, dass eine Winner-takes-it-all-Konstellation entsteht.

Ich erkenne im Kern nicht an, dass dieser Anspruch auf 60€ so wichtig ist, der später mit Nachweis sich eigentlich immer auf 7€ Verwaltungsaufwand reduziert, im schlechtesten Fall das Notwehrrecht beschneidet.

Mir geht‘s genau um diese Vermeidung. Oder denke ich da zu zentriert auf genau diesen Fall? Mir fiele jetzt nur dieser Fall ein, wo sich das so stellen könnte.
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Re: Aufsatzthema: Selbsthilfe/Beförderungsentgelt/Notwehrrecht

Beitrag von FKN993 »

Schnitte hat geschrieben: Samstag 26. Oktober 2024, 18:58 In meinem Verkehrsverbund (RMV) fällt im Fall des Inhabers einer gültigen Dauerkarte, der diese zuhause vergessen nicht, nicht das volle erhöhte Beförderungsentgelt von 60 Euro an, sondern nur eine Bearbeitungsgebühr von 7 Euro, wenn die Karte binnen einer Frist (IIRC eine Woche) ab der Fahrkartenkontrolle vorgelegt wird. Was ich für fair im umgangssprachlichen Sinn und verfassungskonform im juristischen Sinn halte. Der Bearbeitungsaufwand fällt nun einmal an, und zwar aus Gründen, die ich zu vertreten habe, nicht der Verkehrsverbund. Wo soll da die Verfassungswidrigkeit liegen?
Diesen Anspruch auf Verwaltungsaufwand lasse ich unberührt, den gibt es ja eh auch über § 280 I, 241 II BGB. Schließlich hat man was vergessen.

Ich halte das für unverhältnismäßig, weil die Angemessenheit auch erfordert, dass der Grad der potenziellen Zweckerreichung im Verhältnis zum Eingriffszweck steht. Die 60€ werden ja ihrer Höhe nach nicht dafür erhoben, dass jemand was vergessen hat, sondern weil man vermeiden wollte, dass jemand die Daseinsfürsorge schädigt. Das ist aber in dieser Konstellation nie der Fall, was nachgewiesen werden kann. Aus diesem Grunde muss es auch die Nachweismöglichkeit geben. Fehlte die, wäre das sicher unverhältnismäßig.

Also der Handlungsunwert ist ein einfach ein anderer.

Aber ja, man kann echt drüber streiten.
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Re: Aufsatzthema: Selbsthilfe/Beförderungsentgelt/Notwehrrecht

Beitrag von Schnitte »

Ist dir das vielleicht selber mal passiert, dass du deine Dauerkarte vergessen hattest und blechen musstest? Ist ärgerlich, aber daraus muss man jetzt keine Vendetta machen.

Und all die Verweise aufs BGB sind letztlich unerheblich, weil das erhöhte Beförderungsentgelt seine Grundlage in einem Spezialgesetz im öffentlichen Recht findet, nicht im allgemeinen Privatrecht.
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Re: Aufsatzthema: Selbsthilfe/Beförderungsentgelt/Notwehrrecht

Beitrag von FKN993 »

Schnitte hat geschrieben: Samstag 26. Oktober 2024, 21:48 Ist dir das vielleicht selber mal passiert, dass du deine Dauerkarte vergessen hattest und blechen musstest? Ist ärgerlich, aber daraus muss man jetzt keine Vendetta machen.

Und all die Verweise aufs BGB sind letztlich unerheblich, weil das erhöhte Beförderungsentgelt seine Grundlage in einem Spezialgesetz im öffentlichen Recht findet, nicht im allgemeinen Privatrecht.
Nö, wenn man die entsprechende RVO für unverhältnismäßig hält, dann darf man sich sehr wohl mit §§ 307 ff. BGB befassen.

Ich bin nur am überlegen, ob ich so viel Zeit reinstecken soll.
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Re: Aufsatzthema: Selbsthilfe/Beförderungsentgelt/Notwehrrecht

Beitrag von Schnitte »

Was wäre denn die Alternative? Der Fahrgast, der ohne Karte angetroffen wird, aber behauptet, zuhause eine Dauerkarte zu haben, kommt ungeschoren davon, weil der Kontrolleur wegen dieser Behauptung nichts unternehmen darf?
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Re: Aufsatzthema: Selbsthilfe/Beförderungsentgelt/Notwehrrecht

Beitrag von FKN993 »

Eine gute Frage. Warum kann man hier nicht auch mal pragmatisch denken?

Naja, man könnte mal erwägen, ob man die EVO/BefBedV unter dem Stichwort Digitalisierung überdenkt. Die BefBedV ist z.B. von 1970. Mittlerweile sind alle personengebundenen Tickets als Handytickets abrufbar. Die Beförderungsbedingungen des Anbieters, auch die entsprechenden Beförderungsbedingungen, sehen i.d.R. vor, dass diese nur mit i.V. mit einem „amtlichen Lichtbildausweis“ gültige Fahrtickets darstellen. Das Erfordernis des amtlichen Lichtbildausweises geht auch beispielsweise über das Schutzniveau des § 8 II BefBedV hinaus, wenn dort lediglich von einem fehlenden Personenausweis gesprochen wird. Das ist aber kein amtlicher Lichtbildausweis. Was ist der Vorteil in Sachen Beweiswert zwischen einem Schülerticket/Uniausweis (mit Foto) und einem amtlichen? Erkenne ich keinen wirklich.

Man könnte ja technische Möglichkeiten schaffen, um eine Datenabfrage mit Einwilligung zu ermöglichen. Wenn es um einen vergessenen Lichtbildausweis geht, dann könnte auch i.V. mit dem Ticketanbieter ein Foto des Inhabers online hinterlegt werden. Ein einfaches Foto würde doch sicher reichen (§ 8 II BefBedV). Für den Fall, dass beides fehlt, könnte man unter Nennung seiner Daten ebenfalls einem Abgleich einwilligen. Also rechtliche und praktische Bedenken gegen solche Lösungen erkenne ich nicht. Vor allem dann nicht, wenn man praktisch sogar dazu gezwungen wird seine Kreditkarteninformationen beim Anbieter zu hinterlegen (so ist das nämlich bei uns), um so ein Ticket überhaupt zu erwerben. Und wer ohne dasteht, macht sich strafbar, und dem steht die Möglichkeit ohnehin nicht offen. Der kann dann meinetwegen auch festgehalten werden dürfen. Ein Missbrauchsrisiko bestünde damit nicht. Entscheidend dafür spricht auch, dass die Polizeitätigkeit damit entlastet wird und die sich dann wieder ihren eigentlichen Aufgaben widmen kann. Es ist üblich, dass in solchen Fällen immer die Polizei zum Datenabgleich kommen muss. Was können die tun? Die können auch nur eine Meldeabfrage machen. Ein Foto bekommen die ja auch nicht.

Also mir kommt das vor, als lebten wir noch immer im Mittelalter.
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Re: Aufsatzthema: Selbsthilfe/Beförderungsentgelt/Notwehrrecht

Beitrag von FKN993 »

Und Schnitte? (Stichwort Vendetta^^)
So, oder so ähnlich, könnte es sich zugetragen haben:

Mal angenommen du wärest Oberarzt. Du bist natürlich sehr umweltbewusst und hast deswegen entschieden lieber mit der Straßenbahn zu fahren. Du hast eine dringende OP-Vorbereitung vor dir (noch stirbt keiner). Das Dauerticket hast du natürlich dabei, auch deinen Mitarbeiterausweis vom Krankenhaus mit Foto. Der amtliche Lichtbildausweis fehlt natürlich. Dann passiert, was passieren muss und kurz vor dem Halt erwischt dich der rechtstreue Kontrolleur K. K, der sich freut endlich mal was zu tun haben, schenkt deiner Story natürlich keinen Glauben. Aus Unverständnis heraus, dass er das nicht anerkennt, willst du ihn stehen lassen. K, der dich Gauner natürlich nicht entkommen lassen will, hechtet dir hinterher und versucht dich zu ergreifen. Erst schubst du ihn weg, doch aus das war erfolglos, sodass du ihm einen ordentlichen Kinnhaken verpassen wolltest. K kommt dir aber zuvor, ein geübter Judoka, wendet eine Würge-Hebel-Technik an und streckt dich nieder. Währenddessen würgt er im Eifer des Gefechts etwas zu sehr und bricht dir in der Folge zusätzlich noch das Zungenbein (Halsverletzung). Im Polizeigriff unschädlich gemacht am Boden und einem Knie im Rücken, dauerte es noch ca. weitere 15 Minuten bis die Polizei eintraf, um deine Personalien festzustellen. Dann bekommst du von K endlich das Knöllchen. Am nächsten Tag weist du deine Berechtigung nach und zahlst 7€. In der Folge musstest du drei Tage ins Krankenhaus. Abstrakte Lebensgefahr bestand, konkret aber nicht. Es folgen entsprechende Anzeigen.

Angenommen, es wäre dir so oder so ähnlich passiert, was würdest du sagen?
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