Meinung zu § 188 I, II StGB

Straf-, Strafprozeß- und Ordnungswidrigkeitenrecht sowie Kriminologie

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FKN993
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Meinung zu § 188 I, II StGB

Beitrag von FKN993 »

Hi,

halte mich so kurz wie möglich. Und was ist eure Meinung zu diesen Tatbeständen?

Kurze Meinung dazu: ("sein öffentliches Wirken erheblich zu erschweren")

Je nachdem wie man das Schutzgut bestimmt, ist dieses Merkmal der Dreh- und Angelpunkt der Strafbarkeit. An die Ehrverletzung allein lässt sich nicht anknüpfen, da sich ansonsten nicht erklären ließe, warum genau Politikerehre mehr geschützt wird als von jedem anderen. Zusätzlich kommt hinzu, dass es gewissermaßen zur berufsspezifischen Gefahr gehört, wenn man sich dafür entscheidet Politiker zu werden. Das lässt sich nicht von der Hand weisen.

Mein Problem mit diesem Tatbestand stützt sich auf folgende Einwände:

1. T/F sagte einst, dass die §§ 185 ff. StGB die mit am schwierigsten (rechtssicher) auszulegenden Tatbestände wären, die das Strafgesetzbuch kennt. Dem würde ich zustimmen.

2. Nach meiner Lesart handelt es sich um ein abstraktes Gefährdungsdelikt. Diese Ausgestaltung als Qualifikation halte ich systematisch für befremdlich. Vergleichbar ist lediglich § 113 StGB; der Tatbestand erklärt sich aber von allein. Aber welche Beleidigung "konkret" soll denn geeignet sein das politische Wirken zu erschweren? Folgt man der Gesetzesbegründung: Es könnte ja sein, dass man so schwer beleidigt wird, dass man ggf. sich politisch nicht mehr engagieren wollte. Mein Problem daran: Das ist aus meiner Sicht das Berufsrisiko. Rechtssicher halte ich das kaum für auslegbar und richtige Fälle kann ich mir kaum ausdenken. Der einzige, der mir einfiele: Sarah Waagenknecht bekam mal eine Torte ins Gesicht auf einem Parteitag. Das entspricht zweifelsohne einer Beleidigung und die Folge war unter anderem, konkret sogar, dass sie dann nicht mehr an dem Parteitag beiwohnen konnte. Den Fall würde ich unter Vorbehalt darunter subsumieren. Auf private Nachteile kann es aber nicht ankommen, wenn man das Schutzgut eben nicht in der Ehre erkennt.

3. Der praktische Rechtsreflex: Die Meinungsfreiheit wird damit mittelbar massivst eingeschränkt, denn dieser Tatbestand und vor allem mit Blick auf § 188 II StGB erzeugt doch massivst Angst davor im öffentlichen Raum (Internet; Instagram/Facebook (heutiger Stammtisch) seine Meinung zu äußern. Wer hat denn noch nie irgendwas Falsches (ungeprüft) erzählt oder ist mal etwas übers Ziel hinausgeschossen?

Gewagte These:
Dieser Tatbestand ist doch letztlich eine Art Instrumentarium, um den öffentlichen Diskurs (im beabsichtigen Rechtsreflex) einzuschränken. Also denkbare Hausdurchsuchungen wegen solcher Petitessen halte ich für absolut absurd und in Deutschland, was meine Meinungsfreiheit mal so hoch halten konnte, für fremd befremdlich. Aus meiner Sicht hat der Gesetzgeber alles zu unterlassen, in Achtung vor diesem Grundrecht, was auch nur irgendwie zu Angst führt, dass man seine Meinung äußert.
KMR
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Re: Meinung zu § 188 I, II StGB

Beitrag von KMR »

FKN993 hat geschrieben: Sonntag 24. November 2024, 17:15 Hi,

halte mich so kurz wie möglich. Und was ist eure Meinung zu diesen Tatbeständen?

Kurze Meinung dazu: ("sein öffentliches Wirken erheblich zu erschweren")

Je nachdem wie man das Schutzgut bestimmt, ist dieses Merkmal der Dreh- und Angelpunkt der Strafbarkeit. An die Ehrverletzung allein lässt sich nicht anknüpfen, da sich ansonsten nicht erklären ließe, warum genau Politikerehre mehr geschützt wird als von jedem anderen. Zusätzlich kommt hinzu, dass es gewissermaßen zur berufsspezifischen Gefahr gehört, wenn man sich dafür entscheidet Politiker zu werden. Das lässt sich nicht von der Hand weisen.

Mein Problem mit diesem Tatbestand stützt sich auf folgende Einwände:

1. T/F sagte einst, dass die §§ 185 ff. StGB die mit am schwierigsten (rechtssicher) auszulegenden Tatbestände wären, die das Strafgesetzbuch kennt. Dem würde ich zustimmen.

2. Nach meiner Lesart handelt es sich um ein abstraktes Gefährdungsdelikt. Diese Ausgestaltung als Qualifikation halte ich systematisch für befremdlich. Vergleichbar ist lediglich § 113 StGB; der Tatbestand erklärt sich aber von allein. Aber welche Beleidigung "konkret" soll denn geeignet sein das politische Wirken zu erschweren? Folgt man der Gesetzesbegründung: Es könnte ja sein, dass man so schwer beleidigt wird, dass man ggf. sich politisch nicht mehr engagieren wollte. Mein Problem daran: Das ist aus meiner Sicht das Berufsrisiko. Rechtssicher halte ich das kaum für auslegbar und richtige Fälle kann ich mir kaum ausdenken. Der einzige, der mir einfiele: Sarah Waagenknecht bekam mal eine Torte ins Gesicht auf einem Parteitag. Das entspricht zweifelsohne einer Beleidigung und die Folge war unter anderem, konkret sogar, dass sie dann nicht mehr an dem Parteitag beiwohnen konnte. Den Fall würde ich unter Vorbehalt darunter subsumieren. Auf private Nachteile kann es aber nicht ankommen, wenn man das Schutzgut eben nicht in der Ehre erkennt.

3. Der praktische Rechtsreflex: Die Meinungsfreiheit wird damit mittelbar massivst eingeschränkt, denn dieser Tatbestand und vor allem mit Blick auf § 188 II StGB erzeugt doch massivst Angst davor im öffentlichen Raum (Internet; Instagram/Facebook (heutiger Stammtisch) seine Meinung zu äußern. Wer hat denn noch nie irgendwas Falsches (ungeprüft) erzählt oder ist mal etwas übers Ziel hinausgeschossen?

Gewagte These:
Dieser Tatbestand ist doch letztlich eine Art Instrumentarium, um den öffentlichen Diskurs (im beabsichtigen Rechtsreflex) einzuschränken. Also denkbare Hausdurchsuchungen wegen solcher Petitessen halte ich für absolut absurd und in Deutschland, was meine Meinungsfreiheit mal so hoch halten konnte, für fremd befremdlich. Aus meiner Sicht hat der Gesetzgeber alles zu unterlassen, in Achtung vor diesem Grundrecht, was auch nur irgendwie zu Angst führt, dass man seine Meinung äußert.
Ohne mich näher mit der Gesetzesbegründung auseinandergesetzt zu haben, halte ich das (1. Hervorherbung) für eine kontroverse These. Schließlich impliziert das regelrecht, derjenige, der sich politisch engagiert, damit hinnehmen müsse, dass er beleidigt werde. Obschon eine immer stärker in den Vordergrund rückende, nicht notwendigerweise die Mehrheit repräsentierende, Gruppierung dies regelmäßig als völlig legitim darstellt, halte ich das für äußerst bedenklich. Gerade der Punkt (2. Hervorhebung), die du als Kritik anführst, sehe ich genau anders herum. Die Bürger sollten sich zurückbesinnen, dass der Diskurs gerade von Sachlichkeit und Rationalität geprägt sein sollte. Das ist umso wichtiger, wenn man den § 188 I 2 StGB beachtet, die Ausstreckung auf die kommunale Ebene. Denn Kommunalpolitiker sind je nach Größe der Kommune, d.h. insbesondere außerhalb der Metropolen, überwiegend ehrenamtlich tätig (zumindest die Mitglieder der kommunalen Vertretung, jdf. in Nds.), d.h. die Kommune ist abhängig davon, dass es Menschen gibt, die sich dort am politischen Leben nebenberuflich in ihrer Freizeit (!) engagieren wollen.

Letzteres ist in nicht wenigen gerade kleineren ländlichen Kommunen zumindest hier in Niedersachsen zunehmend ein Problem solche Willigen zu finden. Die Tatsache, dass es ein nicht unerheblicher Teil der Bevölkerung für absolut legitim hält einen solchen Menschen mit Hetz- und Hasskampagnen zu verfolgen, macht ein solches Engagement nicht unbedingt attraktiver. Es ist ein großer Unterschied, ob ich Bundes-, Landes oder auch Kommunalpolitiker in Köln bin mit gut 1 Million Einwohnern oder in einer 30 000 Einwohnerstadt oder ggf. sogar noch kleinerer Gemeinde.

Du sprichst, dass Grundrecht der freien Meinungsäußerung an: Schau mal in die USA, ein Land mit äußerst extensivem Verständnis von Meinungsfreiheit, insbesondere wenn man sich einmal mit dem zugrundeliegenden dazu entwickelten Tests des SCOTUS zur Zulässigkeit von Eingriffen auseinandergesetzt hat. Dort ist es mittlerweile in der politisch-medialen Welt weitreichend völlig normalisiert worden bewusst über die gegenüberliegende Seite Lügen zu verbreiten, Sachverhalte oder Wertungen falsch zu präsentieren usw. Ist das ein zu begrüßendes mediales Klima? - wohl nicht.
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Re: Meinung zu § 188 I, II StGB

Beitrag von FKN993 »

Du brauchst die Begründung nicht wirklich gelesen zu haben, um zu wissen, was drinsteht. Es war im Gesetzespaket zur Bekämpfung von Hass und Hetze enthalten. Deswegen kam es auch zur Änderung des § 241 StGB (Verbrechen wurde gestrichen) oder besonders schwere Fälle, was auch immer das sein soll, müssen dann ans BKA gemeldet werden.

Was die Kommunalebene angeht, will ich mir kein Bild erlauben, denn eine Vorstellung davon, wie es dort zugeht, habe ich nicht. Allerdings denke ich nicht, dass es konkret primär um deren Schutz geht. Die Klarstellung des § 188 I 2 StGB hätte es ohnehin nicht gebraucht aus meiner Sicht.

Inhaltlich stimme ich voll mit diesem Beitrag überein: ("Mit Verlaub, Herr Minister Habeck": . In: Legal Tribune Online, 23.11.2024, https://www.lto.de/persistent/a_id/55939 (abgerufen am: 26.11.2024 ).

Was das Meinungsklima in den USA angeht, das halte ich natürlich nicht für begrüßenswert, will mir dazu aber auch kein Urteil erlauben. Ich denke, dass das ein ganz anderes Land ist und mit Deutschland sollte man es auch nicht vergleichen.

Die Rechtsprechung des BVerfG zum Art. 5 I GG war aus meiner Sicht aus guten Gründen immer sehr liberal. Natürlich lehne ich es auch ab, wenn man im Internet glaubt, unreflektiert jeden Unsinn vom Stapel lassen zu können, aber das ist für mich auch letztlich mehr eine Charakterfrage. Ebenso halte ich es aber für eine Charakterfrage des jeweiligen Rechteinhabers, ob man solche Taten überhaupt verfolgen lassen will. Allerdings hat man den Fall des § 188 StGB nun als relatives Antragsdelikt ausgestaltet. Gut, systematisch ist das erklärlich, aber ich kann nicht erkennen, pragmatisch gedacht, was genau für eine Beleidigung denn so schwerwiegend sein soll, dass damit das politische Wirken gefährdet wird. Das halte ich wie gesagt für nicht rechtssicher auslegbar. Letztlich wird das in die Hände der Gerichte oder Staatsanwälte gelegt. Naja, und man kann sich über die Höhe der Entschädigung sicher nicht beklagen. Die ist ja nun letztlich sehr hoch. Mir fällt weniges ein, in welchen Fällen man mit wenig Qualifikation, entsprechend viel Geld verdienen kann und zart besaitet sollte man auf jeden Fall nicht sein. Ich folge wie gesagt der Rechtsauffassung, dass es lediglich um den Schutz der Freien Demokratischen Grundordnung geht, die man mittelbar anknüpfend die Politikerehre schützt. Wenn man sich mal wirklich klarmacht, wie dieser Tatbestand dann zu lesen ist, dann bedeutet es praktisch, dass man entsprechende "Staatsfunktionäre" nicht beleidigen darf. Greift man die Begründung nochmals auf und würde nur daran anknüpfen, dass Politiker generell einem erhöhten Beleidigungsrisiko ausgesetzt sind und sie über diesen Tatbestand besonders geschützt werden müssten, würde es wie gesagt praktisch darauf hinauslaufen, dass die Politikerehre mehr wert ist als die eines jeden anderen. Das ist dogmatisch über eine Auffassung zum Ehrbegriff zwar vertretbar, wenn man Ehre als etwas auffasst, was man sich quasi sozial erarbeitet, allerdings lehne ich das konsequent ab, weil Ehre für sich genommen ein metaphysischer Wert ist (Ehre ist für mich eine Unterform der Würde).
Die Zielsetzung ist aber gerade, dass man den politischen Betrieb schützt. Wenn das aber so ist, dann genügt es aus meiner Sicht nicht, dass man einfach die abstrakte Behauptung mit dem Tatbestand formuliert, andere könnten sich abgehalten fühlen. Das ist empirisch gar nicht belegbar. Darauf kommt es aber auch an. Man muss den Eingriff ja begründen können und dafür trägt der Gesetzgeber auch die Beweislast. Und ich bin selbst liberal und sehe abstrakte Gefährdungsdelikte wirklich als absolute Ausnahme. Ob nun eine abstrakte Gefahr wirklich besteht, halte ich für äußerst fragwürdig. Das ist aus meiner Sicht überhaupt nicht gelungen.

Nun klammere ich mal § 188 II StGB aus, damit habe ich nämlich keine Probleme, so ist dieses Delikt auch nun ein relatives Antragsdelikt gem. § 194 StGB. Das halte ich auch für ein Problem; weil dadurch der Staat dadurch nach Gutdünken solche Taten quasi verfolgen kann. Wie am Beispiel vom Schwachkopf: Es kam zur Hausdurchsuchung und man beschlagnahmte sein iPad, um seine Täterschaft dann beweisen zu können. Ob das wirklich eine Beleidigung war und nicht doch noch milde Satire, halte ich auf jeden Fall für hinterfragenswert. Es hat einen gewissen Humor und nach meinem Verständnis muss Satire dazugehören; wenn sie auch verletzend sein kann. Gegenbeispiel: Alice Weidel, auch wenn ich mich von dieser Partei insgesamt völlig distanziere, durfte als dumme Nazischlampe bezeichnet werden. Das urteilende Gericht meinte, das sei Satire. Ein offensichtlicher Rechtsfehler, denn Satire enthält künstlerisch noch immer die ausgedrückte Intention jemanden oder etwas der Lächerlichkeit preiszugeben und das in überspitzter Form. Was daran auch nur irgendwie witzig sein soll, weiß ich wirklich nicht und mit dem NS-Regime hat sie nach meinem Verständnis so wenig zu tun wie Fußpilz mit einem Fußball. Bei dem Wort "Nazischlampe" denke ich an Ilse Koch; die Hexe von Buchenwald. Ich bin recht geschichtsinteressiert und habe "Eugen Kogon - Der SS-Staat" mehrfach gelesen und mittlerweile glaube ich auch verstanden würde ich behaupten. Diese ständigen teils offenen und subtilen Vergleiche verballhornen den Begriff des "Nazis" und generell die Taten dieses Unrechts-Regime und verfälschen ihn auch. Inzwischen ist doch heute jeder Nazi, der sich auch nur ein bisschen zu weit rechts bewegt. Wer das tut, hat überhaupt keine Ahnung, was dieses Regime da wirklich veranstaltet hat. Kann es nur empfehlen es mal zu lesen, denn dann gewinnt mehr Verfassungsverständnis als das mit jedem Staatsrechtslehrbuch möglich wäre. (Das ist übrigens einzige Buch, was es je geschafft hat, dass mir wirklich körperlich übel und schlecht wurde). Was ich damit sagen will: Wenn das Satire sein soll, andernfalls wäre das § 186 StGB gewesen, dann weiß ich auch nicht. Das ist moralische Doppelbödigkeit, die ihresgleichen sucht und die Hausdurchsuchung war für mich der Gipfel.

Keinesfalls darf es passieren, dass wir diese Zeit missbrauchen, um politische unliebsame Personen nur in irgendeiner Art und Weise mit Repressalien zu überziehen. Das BVerfG ist meines Wissens noch nie von seiner klaren Linie abgewichen: Gewisses muss man auch einfach aushalten können. Wenn das Wort "Meinungskampf" gebraucht wird, dann wäre es nur doch Festschrift, wenn man rechtlich den Rahmen nicht auch genauso weit zulässt.
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Re: Meinung zu § 188 I, II StGB

Beitrag von famulus »

FKN993 hat geschrieben: Dienstag 26. November 2024, 14:04Inzwischen ist doch heute jeder Nazi, der sich auch nur ein bisschen zu weit rechts bewegt.
Ich staune etwas, dass dieser Blödsinn erst so spät vom Stapel gelassen wurde.
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Re: Meinung zu § 188 I, II StGB

Beitrag von FKN993 »

famulus hat geschrieben: Mittwoch 27. November 2024, 19:02
FKN993 hat geschrieben: Dienstag 26. November 2024, 14:04Inzwischen ist doch heute jeder Nazi, der sich auch nur ein bisschen zu weit rechts bewegt.
Ich staune etwas, dass dieser Blödsinn erst so spät vom Stapel gelassen wurde.
Wieso? Was genau ist denn deiner Meinung nach daran so ein Blödsinn? Was ist die Begründung dazu?

Was ist falsch daran? Vielleicht noch etwas konkreter: Es geht mir wahnsinnig auf den Strich, dass sehr viele Menschen, die eine Meinung außerhalb des "fühlbaren" "Meinungskorridors" vertreten, die ggf. nicht "vogue" oder "grün" ist, heutzutage als Nazis verunglimpft werden. Wer das tut, hat davon überhaupt keine Ahnung.
Zuletzt geändert von FKN993 am Mittwoch 27. November 2024, 20:44, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Meinung zu § 188 I, II StGB

Beitrag von Schnitte »

Na ja, es ist schon ein Kern Wahrheit dran. Meinungen, die vor zwanzig oder dreißig Jahren als völlig akzeptabler politischer Standpunkt galten, werden heute weithin als rechtsextrem eingestuft. Wer das nicht glaubt, der möge sich mal Partei- und Wahlprogramme von CDU und SPD aus den Neunzigern zu Einwanderungspolitik und Asylrecht durchlesen. Eine Aussage, wonach die Ehe zwischen einem biologischen Mann und einer biologischen Frau bestehe und es daneben keine weiteren Geschlechter gebe, wäre bis ca. 2010 als überhaupt nicht begründungsbedürftige Platitüde angesehen worden, gilt aber ebenfalls heute als zumindest hart an der Grenze zum Faschismus.
"Das Vertragsrecht der Bundesrepublik Deutschland und die gesetzlich vorgesehenen Möglichkeiten, die Erfüllung von Verträgen zu erzwingen…verstoßen nicht gegen göttliches Recht."

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Re: Meinung zu § 188 I, II StGB

Beitrag von Strich »

2010 ^^ Witzig. Ich empfinde es so, dass der Meinungskorridor sich seit ca. 2017 wieder öffnet. Davor warst du Nazi und quasi die Reinkarnation Hitlers, wenn du darauf hingewiesen hast, dass Atomstrom eigentlich gar nicht so schlecht ist. Ich empfand 2010 als die viel schlimmere Zeit für die Meinungsfreiheit als heute.
Stehe zu deinen Überzeugungen soweit und solange Logik oder Erfahrung dich nicht widerlegen. Denk daran: Wenn der Kaiser nackt aussieht ist der Kaiser auch nackt ... .
- Daria -

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Re: Meinung zu § 188 I, II StGB

Beitrag von Schnitte »

Das kann, wenn man die Zahl 2010 exakt nimmt und als Beispiel die Atomdebatte betrachtet, nicht stimmen, denn noch im Oktober 2010 hat die schwarz-gelbe Koalition die Laufzeit der Kernkraftwerke gegenüber dem Atomausstieg von 2002 verlängert. Die Kehrtwende (in den Worten einer großen Mathematikerin: Die 360-Grad-Wende) in der deutschen Politik dazu kam erst mit Fukushima im März 2011.
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Re: Meinung zu § 188 I, II StGB

Beitrag von FKN993 »

Strich hat geschrieben: Mittwoch 27. November 2024, 23:08 2010 ^^ Witzig. Ich empfinde es so, dass der Meinungskorridor sich seit ca. 2017 wieder öffnet. Davor warst du Nazi und quasi die Reinkarnation Hitlers, wenn du darauf hingewiesen hast, dass Atomstrom eigentlich gar nicht so schlecht ist. Ich empfand 2010 als die viel schlimmere Zeit für die Meinungsfreiheit als heute.
Das ist natürlich mein persönliches Empfinden, aber ich habe wirklich den gegenteiligen Eindruck: Eine erhebliche Verengung würde ich mit dem Eintritt der Flüchtlingskrise erkennen. Ich halte es überhaupt nicht für nationalistisch, wenn man eine Einwanderungspolitik fordert, die im Vorbild dem alten Parteiprogramm der CDU/CSU entspricht. Was Schnitte sagte, teile ich auch. Auch Richard David Precht hat das mit Lanz im Podcast auch genauso für sich festgestellt.

Ich habe beispielsweise das Parteiprogramm der AFD selbst mal genau gelesen und ich kann wirklich nicht erkennen, was daran NS-Programmatik ist oder man gar als verfassungsfeindlich betrachten müsste. An dem Programm habe ich vielmehr auszusetzen, dass dort, wenn auch illusorisch im Vorhaben, eine Vielzahl von Grundgesetzänderungen vorgesehen sind, die auf Bürokratieabbau und einen vermehrten Ausbau von direkten Demokratieelementen abzielen. Angenommen es würde so umgesetzt, würde die gesamte Staatsstruktur dezentralisiert und umgebaut. Das persönlich halte ich für ein absolutes Wagnis, für dumm und auch eher gefährlich.

Zur Migrationspolitik: Ich würde es mal so runterbrechen: Hans Georg Maaßen, den ich persönlich sehr schätze, und ich halte ihn für alles andere als einen Nazi, er wurde ja auch vom Verfassungsschutz ironischerweise beobachtet, sagte mal, dass ein Staat ein berechtigtes Sicherheitsinteresse daran habe Kenntnis darüber zu erlagen, wer wann und wieso sich in diesem Land befindet. So hat er seine Zuständigkeit und sein Amt verstanden. Bevor er zur persona non grata wurde, hieß es immer, er sei ein absolut loyaler und treuer Beamter; eine Art Musterbeamter und ein hervorragender Jurist. Das glaube ich tatsächlich auch. Das merkt man ja schon, wenn man ihm zuhört wie trennscharf er sprechen kann. Er stand jedenfalls auf dem Standpunkt, was ich auch teile, nachdem ich das geprüft habe, dass wir mit diesem Eintreten dieses Notstands geltendes Recht nicht angewendet und auch vollzogen haben. Wenn man das Rechtsstaatsprinzip ernst nimmt, dann kann ich ihn auch absolut in der Sache nachvollziehen. Deutschland hat sich doch selbst zuvor um Dublin-III bemüht und selbst die Drittstaatenregelung gewollt.

Merkel begründet dieses mit einem humanitären und übergesetzlichen Notstand. Mir persönlich ist das Verfassungsrecht sehr wichtig und ich denke nicht, dass sich solche Dinge stets mit einem "Verfassungsnotstand" begründen lassen. Jedenfalls wurden fast alle Juristen mit Schelte überzogen, die sich dagegen auch öffentlich ausgesprochen haben und wurden direkt als Nazis abgestempelt. Das ist ja Unsinn. Sicher, es mag Leute geben, die wirklich etwas dagegen haben und das Recht auch missbrauchen, um ihre Meinung verdeckt zu vertreten, aber das halte ich wirklich für die Ausnahme. Schon allein deswegen, weil ich mir einfach nicht vorstellen kann, dass es Menschen mit klarem Verstand gibt, die genau das damals gut fanden, was da passiert ist.

Mit dieser Problematik ging es aus meiner Sicht erst wirklich los und die AfD wurde deswegen auch so stark, weil sie eben die damit verbundenen Ängste der Menschen irgendwie gekonnt ansprechen konnte und irgendwie diese Angst vor Überfremdung noch intensivierten. Natürlich ist das völlig unsinnige Polemik, aber in genau diesen Fragen fehlt oft die Trennschärfe. Mit Corona war es doch sehr ähnlich:

Da kann ich am eigenem Beispiel berichten: Die Bundesnotbremse, das waren die nächtlichen Ausgangssperren, war für mich eine absolut klare Grenzüberschreitung und in sehr vielen Aspekten verfassungsrechtlich höchst fragwürdig. Das betraf die Zuständigkeit, den Rechtsschutz (eine Festklage hat dem nicht entsprochen) und noch nie hat es ein self-executing Gesetz auf dem Gebiet der Gefahrenabwehr gegeben (Wenn Inzidenz 100, dann Rechtsfolge X). Hier hat der Gesetzgeber aus meiner Sicht verwaltend gehandelt. Selbst wenn man das anders sieht, dann ändert es nichts an der Tatsache, dass der Gesetzgeber die Beweislast für Grundrechtseingriffe trägt und zugleich zu einem dynamischen Grundrechtsschutz dem Grundrechtsträger gegenüber verpflichtet und damit auch ständig prüfen muss, ob die Voraussetzungen noch vorliegen. Das eigentlich offensichtliche Problem war jedoch, dass im Zeitpunkt des Gesetzgebungsverfahrens Klarheit über die Frage bestand, ob nachts ein entsprechendes Infektionsgeschehen drohte. Tatsächlich hat das RKI selbst festgestellt, dass das nicht der Fall war. Das kann man alles nachlesen in der Verfassungsbeschwerde von Thorsten Kingreen. Selbst habe ich auch eine Verfassungsbeschwerde erhoben. Welche Konsequenz hatte das: In meinem Umfeld wurde ich als gefährlicher Querulant beschimpft und ausgestoßen. Ich bin Kantianer und natürlich kann ich irren, aber ich stehe offen zu meiner Meinung und habe keine Angst davor sie zu vertreten. Welche Folgen das für mich sozial hatte, konnte ich mir selbst nicht ausmalen. Das war wirklich unglaublich. Es hat mich auch selbst sehr erschüttert und betroffen. Ich wurde zum "Coronaleugner" erklärt. Dabei hatte ich über 70 Seiten Beschwerde formuliert und alle erkannten Rechtsfragen dialektisch systematisch vernünftig bearbeitet und auch Sachargumente mit Fußnoten aus vernünftigen Quellen, für die man sich nicht schämen muss, belegt. Mir ging es wirklich ums Recht und das, was mir passiert ist, hätte ich mir selbst nicht vorstellen können. Ich verlor dadurch Freunde; mir wurde nicht zugehört. Und auf eine echte juristische Diskussion wie zu jedem anderen Thema auch, wurde sich gar nicht eingelassen, weil es immer hieß: "Das ist eine besondere Situation." Das hat mich nie überzeugt.

Und was diese Energiefrage angeht: Hier ist man kein Nazi oder Querdenker, sondern viel schlimmer: Jemand, der es kritisiert oder nicht für gut befindet, dass man in Zeiten der wirtschaftlichen Erosion eine autonome Energieversorgung über den Haufen wirft, die Hauptlast trägt die gesamte Bevölkerung, ist dann ein gefährlicher "Klimaleugner" oder ein schlechter egoistischer Mensch, der angeblich nicht an die folgenden Generationen denkt. Schon sprachlich kann ich mit diesem Blödsinn einfach nichts anfangen. Es heißt dann immer: "Ist dir die Umwelt egal?!" Das ist ein subtiler Vorwurf bei gleichzeitiger Selbsterhöhung. Das ist das, was mir in diesem Land mittlerweile so auf den Wecker geht.

Es ist nur mein Gefühl, aber es kommt mir so vor, dass man zwar alles kritisieren darf, aber wenn man es tut, muss man sich mittlerweile entscheiden, ob man die sozialen Konsequenzen dafür trägt. Was ist aus dem Respekt und dem Zuhören eigentlich geworden? Dass es überhaupt so einen Begriff wie "Meinungskorridor" in den allgemeinen Sprachgebrauch geschafft hat, sagt doch schon einiges aus und halte ich für keine gute Entwicklung. Dieses ständige Moralisieren und diese Diskussionen ad hominem. Nach meinem Empfinden geht es nicht mehr um den sachlichen Diskurs in bestimmten Fragen, sondern vielmehr um diese herrschende Sozialmoral. So würde ich das mal ausdrücken.
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Re: Meinung zu § 188 I, II StGB

Beitrag von KMR »

Das zeigt eigentlich lediglich, dass Churchill Recht behalten solle

"Die Demokratie ist die schlechteste Staatsform, ausgenommen all diese anderen, die man von Zeit zu Zeit ausprobiert hat."

Denn realiter gibt es/sollte/darf es hier keine Beurteilung nach persönlichem Gusto und ähnlichem (geben). Es gibt zumeist eine rational, ökonomisch richtige Entscheidung und das in den allermeisten Fällen, in denen Entscheidungen zu treffen sind. Die Menschen, insbesondere das Elektorat aber auch die davon abhängige Politik entscheidet aber nicht danach, sondern nach Emotion, zuvorderst dem subjektiven Gefühl der Sicherheit - nicht der objektiven Sicherheit.

Es gab letztens eine Diskussionsrunde bei iirc CNN, in denen über die geplanten Einfuhrzolle auf chinesische Produkte gesprochen wurde. Einzig eine Teilnehmerin hat zutreffend darauf verwiesen, dass Zölle (bzw. Importsteuern) nachweislich (!) nichts verändern, insbesondere nicht die herbeigesehenen Veränderungen bewirken, sondern allenfalls Inflationssteigerung bewirken. Das hat die anderen Diskussionsteilnehmers - Politiker (GOP) und Unternehmer herzlich wenig interessiert und sie haben mit irrationalen, emotionalen Argumenten dagegen gehalten.

Wie Churchill bereits erkannt hat, ist die Demokratie (jdf. in heutiger Form) zwar die einzige, die bislang funktioniert hat; aber keineswegs kann sie das Endziel darstellen. Absolut ist es indes schwierig noch herauszufinden wie genau eine rein rationale, effektive - emotionsunabhängige - Entscheidungsfindung herbeigeführt werden kann, ohne zu einer Art Elitengesellschaft zu mutieren, wobei - müsste dies in jeder Hinsicht problematisch sein, wenn jeder davon profitiert?

Sehr interessant dazu auch die Überlegungen Theodor Herzls in "der Judenstaat" (1896) zu der vorzuziehenden Staatsform und die dabei bereits erfolgte in Teilen kritische Auseinandersetzung mit Demokratie und Monarchie. Dies ist indes beileibe kein Aufruf zur Monarchisierung.
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Re: Meinung zu § 188 I, II StGB

Beitrag von Schnitte »

Ich will aber auch keine technokratische Regierung, in der eine (selbsternannte?) Expertenkaste aus eigener Machtvollkommenheit angeblich objektiv richtige Entscheidungen trifft und Kritik daran mit einem Verweis auf die mangelnde Sachkunde der Plebs abbügelt. Da ist eine Entscheidungsfinding mit Legitimation in der Volkssouveränität doch tausendmal besser. Man muss dann freilich dem Demos auch die Freiräume lassen, über die Fragen zu diskutieren, und die getroffenen Entscheidungen respektieren.
"Das Vertragsrecht der Bundesrepublik Deutschland und die gesetzlich vorgesehenen Möglichkeiten, die Erfüllung von Verträgen zu erzwingen…verstoßen nicht gegen göttliches Recht."

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Re: Meinung zu § 188 I, II StGB

Beitrag von FKN993 »

KMR hat geschrieben: Donnerstag 28. November 2024, 13:32 Das zeigt eigentlich lediglich, dass Churchill Recht behalten solle

"Die Demokratie ist die schlechteste Staatsform, ausgenommen all diese anderen, die man von Zeit zu Zeit ausprobiert hat."

Wie Churchill bereits erkannt hat, ist die Demokratie (jdf. in heutiger Form) zwar die einzige, die bislang funktioniert hat; aber keineswegs kann sie das Endziel darstellen. Absolut ist es indes schwierig noch herauszufinden wie genau eine rein rationale, effektive - emotionsunabhängige - Entscheidungsfindung herbeigeführt werden kann, ohne zu einer Art Elitengesellschaft zu mutieren, wobei - müsste dies in jeder Hinsicht problematisch sein, wenn jeder davon profitiert?

Sehr interessant dazu auch die Überlegungen Theodor Herzls in "der Judenstaat" (1896) zu der vorzuziehenden Staatsform und die dabei bereits erfolgte in Teilen kritische Auseinandersetzung mit Demokratie und Monarchie. Dies ist indes beileibe kein Aufruf zur Monarchisierung.
1 Kogon schrieb über ein Gespräch mit einem SS-Offizier, was er im Wortlaut wiedergab:

"Was wir Ausbilder des Führernachwuchses wollen, ist ein modernes
Staatswesen nach dem Muster der hellenischen Stadtstaaten. Diesen
aristokratisch gelenkten Demokratien mit ihrer breiten ökonomischen
Helotenbasis sind die grossen Kulturleistungen der Antike zu danken.
Fünf bis zehn von Hundert der Bevölkerung, ihre beste Auslese, sollen
herrschen, der Rest hat zu arbeiten und zu gehorchen. Nur so sind jene
Höchstwerte erzielbar, die wir von uns selbst und dem deutschen Volke
verlangen müssen
(Kogon, SS-Staat, S. 20)".

2 Was ist denn das Endziel? Was meinte er damit? Soll es auf sowas hinauslaufen? Tut es das?

Wenn ich mir manchmal Markus Lanz oder ähnliche Formate anschaue und vernehme mit welcher Arroganz da Spezies auftreten, wird mir schon echt übel. Leider finde ich es nicht mehr, aber ich erinnere mich noch an ein Dialog zwischen Kohl und Schmidt und sie diskutierten über ihr Verfassungsverständnis: Kohl sagte, dass man Volk führen und leiten müsste, eher einen und Schmidt hielt dagegen und meinte, dass die Regierung dazu kein Recht habe, sondern sich aus dem Volke heraus legitimierte und die Verfassung den Rahmen vorgäbe, in dem man sich zu bewegen habe. So oder so ähnlich. Das fand ich aber sehr eindrucksvoll.

3 Endziel/Demokratie als Zwischenregierungsform

Braucht man diese Verfassungsidealismus? Also im Sinne eines Strebens nach der besten Form? Ich glaube, dass es viel damit zu tun hat, was Voßkuhle mal als Problem des Grundgesetzes beschrieb (Vortrag: Die Verfassung der Mitte). Bis dahin war ich immer einer Art Verfassungsidealismus unterlegen: Ich dachte immer, dass das Grundgesetz so gut wäre und ein Garant dafür wäre, dass sich entsprechendes nicht wiederholt. Voßkuhle meinte sinngemäß: Die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben den Regierungsverantwortlichen sehr viel Vertrauen zugestanden. Seitdem denke ich nicht mehr so. Es kommt denke ich wirklich darauf an, wie Politiker ihren Auftrag verstehen. Denke nach der Wahl interessieren sich die wenigsten wirklich für das, was dem vermeintlich erkannten Wählerwillen, beeinflusst durch Wahlversprechen, entspricht.

4 Exkurs zu Weimar
Ich hatte mal ein gutes Gespräch mit einem Verfassungsrichter (Gusy) über die Weimarer Verfassung. Die Frage war, ob sie denn eine gute Verfassung war. Viele hielten sie für eine Fehlkonstruktion. Der Gedanke war im Grunde, dass Art. 48 WRV alles ermöglicht hätte.

Zitat Hitler: "Die nationalsozialistische Bewegung wird in diesem Staat mit den verfassungsmäßigen Mitteln das Ziel zu erreichen suchen. Die Verfassung schreibt uns nur die Methoden vor, nicht aber das Ziel. Wir werden auf diesem verfassungsmäßigen Wege die ausschlaggebenden Mehrheiten in den gesetzgebenden Körperschaften zu erlangen versuchen um in dem Augenblick, wo uns das gelingt, den Staat in die Form zu gießen, die unseren Gedanken entspricht. (Schulze, Weimar, S 104)"

Das war 1930 und so geschah es auch.

Anders Di Fabio: Er sagte: Wäre Hindenburg ein Demokrat gewesen, wäre alles nicht passiert." Und er hielt die Verfassung auch für gut. Vieles, was sich heute im Grundgesetz findet, gab es auch dort schon und aus ihren Fehlern lernte man.

Was ich sagen will:
Ich denke wirklich, dass Voßkuhle richtig liegt. Ich denke nicht, dass man den Streit um die möglicherweise bessere Verfassung führen sollte, sondern ich glaube, dass es viel vom Verständnis ihrer abhängig ist und wie man dazu eingestellt ist. Man damit leben kann, dass sie in sich als Konstruktion immer nur einen Kompromiss liefern kann. Egal um welchen Eingriff es auch immer geht: Auf der einen Seite steht das staatliche Interesse (das Volk eigentlich) und auf der anderen Seite eben dasjenige des Einzelnen.

Merkel meinte mal, dass sie das Parlament eher als Hindernis betrachtete. Das sagt ja auch viel aus. Oder Habeck: "Nur derjenige, der sich tatsächlich unterwerfe, ist tatsächlich frei, denn derjenige, der opponiere, wäre unfrei." Spiegelt das sein Freiheitsverständnis? Sprich wer das Maul hält, hat ein gutes Leben?

Naja, woher kommt dieses Elitenzeugs eigentlich? Das ist ja wirklich DDR-Denke. Ich habe nicht das Gefühl, dass NS-Deutschland irgendwie wiederkommen könne, vielmehr irgendwie das andere dunkle Deutschland. Deswegen ja: Soll Schwachkopf wirklich zur Hausdurchsuchung führen dürfen? Art. 13 GG ist doch nicht umsonst so gut gesichert? Das Leben der Anderen muss man sich dazu mal angucken.
KMR
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Re: Meinung zu § 188 I, II StGB

Beitrag von KMR »

Im Endeffekt ist die parlamentarische Demokratie wie sie im Grundgesetz vorgesehen ist ohnehin eine eintätige im Rhythmus der Wahlperiode auftauchende Demokratie, bei der dem Souverän alle (z.Zt.) 4 Jahre die Möglichkeit gegeben wird jemandem anders unwiderruflich, ohne weitere Möglichkeit der Einflussnahme für die nächsten Jahre seine Souveränität abzutreten und sich hyperbolisch demjenigen und dessen Willlen zu unterwerfen. Denn ab dem Moment der Stimmenabgabe hat der Bürger keinerlei Chance mehr für den Lauf der Legislatur auf Exekutive oder Legislative Einfluss zu nehmen. Zudem stellt im parlamentarischen System stets die Mehrheit der Legislativen die jeweilige Regierung (Exekutive). Dass tatsächlich mal eine Partei nicht mehr ihre Regierung unterstützt kommt äußerst äußerst selten vor und dann nur aus eigenem Gutdünken. Selbst wenn die Partei ihre Regierung nicht mehr unterstützt, kann keine neue Neuwahl herbeigeführt werden, solange nicht der Kanzler die Vertrauensfrage stellt. Eine Pflicht dazu besteht nicht. Ein konstruktives Misstauensvotum erfordert eine absolute Mehrheit, die nicht notwendigerweise zustandekommt. Die die Mehrheit stellenden Fraktionen, die auch die Regierugn stellen, steht es auch frei deren Hauhalt durchzuwinken, schließlich bedarf es dafür nur der einfachen Mehrheit. Das oftmals als wichtigstes Instrument der Legislativen, die Macht über den Haushalt zur Kontrolle der Regierung, besteht in der parteigeprägten parlamentarischen Demokratie nicht. Das wurde schon in mehreren Aufsätzen in den 80ern kritisert, dass der Bundesrechnungshof noch so sehr die Haushaltsführung kritisieren kann, das kann am Ende eh jedem egal sein, weil er keine Eingriffsbefugnisse o.ä. hat. Die parlemantarische Demokratie ist völlig davon abhängig, dass die Parteien von sich aus sich dem Wohle des gesamten Staates verpflichtet fühlen und nicht nur der eigenen Parteilinie oder dessen Klientels.

Vergleiche US-Wahlen 2016 und 2018: 2016 Präsident GOP, House GOP, Senat GOP -> technisch gesehen relativ freie Hand, de facto wegen besonderer Senatsregeln nicht

Dann Mid-terms 2018: weiter Präsident GOP (keine Wahl), House Dem, Senat GOP -> gespaltener Kongress, Opposition konnte signifkant Einfluss auf Haushalt und Gesetzgebung nehmen -> echte Gewaltenteilung und Kontrolle der Regierung durch die Legislative. Das ist weder als Anti-Establishment noch als Regierungsbashing zu verstehen, sondern mehr als echte Möglichkeit der Partizipation und Einflusses für die Wähler; im Übrigen kann - trotz der teils mit gespaltenen Kammern zusammenhängenden Problemen - gerade die dabei notwendige Zusammenarbeit mit der Oppositionen zu besonders weitreichend akzeptierten Gesetzesvorhaben führen.

Die im Grundgesetz vorgesehenen Rechte der Legislativen wie das Zitier- und Fragerecht der Abgeordneten und das über alle politischen Ebenen in D herrschende Prinzip der sog. "politischen Verantwortlichkeit" kann m.E. allenfalls (!) von Nutzen sein bei einer äußerst politisch interessierten und partzipierenden Gesellschaft UND wenn zusätzlich überhaupt die Möglichkeit bestünde anschließend auf so etwas reagieren zu können.
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Re: Meinung zu § 188 I, II StGB

Beitrag von thh »

KMR hat geschrieben: Donnerstag 28. November 2024, 13:32Es gibt zumeist eine rational, ökonomisch richtige Entscheidung und das in den allermeisten Fällen, in denen Entscheidungen zu treffen sind.
Nur ist man sich nicht selten - auch unter Experten und "Experten" - uneins, welche das ist.
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Re: Meinung zu § 188 I, II StGB

Beitrag von FKN993 »

Vorher aber nochmal zurück zum Ausgangspunk warum die parlamentarische Demokratie im Grunde keine ideale Staatsform sein könnte oder ist. Das hast du ja mit deinem Bezug zu Churchill angestoßen. Das finde ich eine interessante Frage. Richard David Precht glaubt persönlich auch, dass die westlichen Demokratien ein Auslaufmodell wären. Wobei ich das auch nicht ganz nachvollziehen kann oder will. Sicher, es ist in allen europäischen Staaten irgendwie eine Art Rechtsruck zu erkennen, aber deswegen muss man ja nicht gleich so eine kontroverse These aufstellen.

Sicher, die parlamentarische Demokratie hat fraglos Schwächen und ideal ist sie keineswegs, aber eine bessere Alternative fällt mir nicht ein. Man kann über Veränderungen diskutieren, aber der grundsätzliche Rahmen ist doch indiskutabel gut.

Meine Kritik, die ich an anstieß, beruht im Kern auf zwei Ausgangsprämissen: Zum einen hat sich das politische Parteienspektrum erheblich verändert und zum anderen hat sich das Land meiner Wahrnehmung nach sehr gespalten und beide Lager haben die Diskursregeln fast verlernt. Etiketten wie "Coronaleugner", "Klimaleugner", "Impfgegner" "Nazi", "Querdenker" oder ähnliches legen das nahe. Das sind alles Etiketten, die gegen die Kritiker des "Mainstreams" verwendet werden. Von der anderen Seiten fällt nur ein Label: "Altparteien". Jedenfalls sind das auch die Sachthemen, die sich aus Merkels Regierungszeit als die großen Kontroversen zeigten. Merkwürdig. Dem Anschein nach waren viele nicht zufrieden mit Merkels Politik. Im Gegenteil: Wie wollte man sonst das Erstarken der AfD erklären? Die meisten Wähler hat die AfD gerade nicht am rechten Rand gewonnen, sondern die wählten mal CDU.

Inzwischen leidet meiner Meinung nach die Debattenkultur unter der Krankheit der Moralisierung. Wie bereits erwähnt ist nicht das Sachargument mehr entscheidend, sondern richtige Debatten finden nur unter Ansehung der Person statt. Ansonsten wird mit schlechten Menschen nicht gesprochen. Wer zur Coronademo ging, weil möglicherweise Angst bestand Haus und Hof zu verlieren, muss ja nicht per se die Maßnahmen abgelehnt haben und wer sich heutzutage zur falschen Parteienpolitik bekennt, muss doch um Amt und Würden fürchten: Hinter vorgehaltener Hand werden das hier doch sicher viele bestätigen können. Ein sehr bekannter Professor (den ausnahmslos jeder kennt) hat sich beispielsweise auch während der Coronazeit sehr kritisch geäußert; allerdings privat. Das ging dann so weit, dass er irgendwann ein Disziplinarverfahren an den Hacken hatte und das ganze spitzte sich dann noch weiter zu: Er ist in einer eher unbekannten Partei engagiert, die aber öffentlich auch negativ mit Coronakritik auffiel. Im Rahmen einer privaten Parteiveranstaltung war ein linker "Journalist" auch anwesend, der das Video- und Aufzeichnungsverbot missachtet hatte. Jedenfalls kam es dann zu einer Anzeige wegen Freiheitsberaubung, da die Türen geschlossen worden sind. Wer ermittelt? Richtig, das BKA. Eine ziemliche merkwürdige Zuständigkeit? Nach § 4 II Nr. 2 BKAG ist das BKA neuerdings ("auch darüber hinaus") auch dann zuständig, wenn das Bundesinnenministerium dieses aus "schwerwiegenden Gründen" anordnet. Interessant, oder? Diese Vorschrift wird natürlich sehr restriktiv angewendet? Wer das nicht glaubt: Es steht in der Zeitung (Staatsschutz ermittelt gegen Querdenker). Der "Querdenker" kommentiert aber einen Band des MüKo. Hans Georg Maaßen wird zum Beobachtungsfall und wegen eines schlechten Scherzes "Schwachkopf" steht morgens die Polizei vor der Tür. Oder ein Richter aus Weimar wird verurteilt wegen Rechtsbeugung mit der faktischen Konsequenz, dass diese Person jetzt nahezu alles verloren hat (er sah eine Kindeswohlgefährdung). Und weiter: Das NetzDG fand ich schon immer hammermäßig, das Gesetzespaket Hass- und Hetze sieht Meldepflichten in schweren Fällen an das BKA vor und wegen Petitessen kommt es zu Hausdurchsuchungen. Es geht halt darum, dass es nicht zum Machtmissbrauch kommt. Nicht jedes Gesetzes, weil es schön klingt und zweckmäßig anwendbar ist, ist unbedingt notwendig oder gut. Nur weil es möglicherweise verfassungskonform sein kann, heißt es nicht, dass man es unbedingt braucht oder dass der eigentliche intendierte Zweck frei von jedweder Missbrauchsabsicht ist. Darum gehts mir.

Zu deinem Beitrag:
Ich widerspreche dir nur in dem Punkt: Zwar gibt es keine Pflicht die Vertrauensfrage zu stellen, aber man kann sie ungeschrieben schlichtweg für geboten halten. Wer als unbeliebtester Kanzler im Interview vorgestellt wird, sollte sich diese Frage durchaus mal stellen.

Ansonsten ist es aber dennoch aus meiner Sicht kein Unterwerfungsverhältnis im eigentlichen Sinne. Das Prinzip der ununterbrochenen Legitimationskette legt das ja nahe, dass das nicht so zu verstehen ist. Das Prinzip ist nun mal Vertrauen und was wäre die Alternative?

Wäre es sinnvoll Bürgerinitiativrechte ins Grundgesetz zu integrieren? Halte ich eigentlich kaum für möglich. Stattdessen müsste man ggf. Oppositionsrechte stärken. Nach meinem Demokratieverständnis ist Demokratie auch das Recht der Minderheit zur Mehrheit zu werden. Allerdings wäre das auch nicht besonders praktikabel, wenn Regierungstätigkeit ständig gestört werden könnte. Man müsste sich mal vorstellen, was eine Partei wie die AfD damit anstellen würde. Ich würde nicht davon ausgehen, dass ein immer zweckmäßiger Gebrauch vorliegen könnte. Der Machtmissbrauch ist mehr das Problem denke ich; der droht aber von beiden Seiten. Und was ist die einfache Lösung? Ein vernünftiger Umgang und die Achtung vor diesen Rechten.
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