Strafrecht AT Fall - Versuch und Rücktritt

Straf-, Strafprozeß- und Ordnungswidrigkeitenrecht sowie Kriminologie

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neviodara270
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Strafrecht AT Fall - Versuch und Rücktritt

Beitrag von neviodara270 »

Bin mir ein wenig unsicher bei einem Strafrecht AT Fall, den ich heute in einer Klausur hatte. Bei dem zweiten Tatkomplex ging es darum, dass ein C einen A mit einem Messer verletzen wollte. Er würde es billigend in Kauf nehmen, wenn er dabei sterbe. Dann sticht er tatsächlich zu, trifft den Oberbauch, Zwerchfell wird verletzt, usw. Dann hieß es, dass er gemerkt/erkannt habe (genauer Wortlaut ist mir entfallen), dass der A nicht sterben würde, oder jedenfalls nicht mehr sterben würde. Ist das nicht ein fehlgeschlagener Versuch? Weil er erkennt, dass ohne wesentliche Zäsur kein Erfolg mehr herbeigeführt werden kann?
Achso und danach lässt er ihn da liegen, also blutend und so, das waren lebensgefährliche Verletzungen, also er konnte nur durch eine Not OP gerettet werden. Da kann er doch nicht nach 24 StGB von zurück treten oder? Jedenfalls hatte er doch zumindest Eventualvorsatz, und er hat ja erkannt dass er den Totschlag nicht mehr erreichen kann…?
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FKN993
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Re: Strafrecht AT Fall - Versuch und Rücktritt

Beitrag von FKN993 »

Nein, ein Fehlschlag ist es deswegen nicht, denn er hätte ja jederzeit weiter auf ihn einstechen können; da wäre ja kein wesentlicher zeitlicher Abstand dazwischen.

Die Frage ist, ob du einen beendeten oder unbeendeten Versuch annimmst. Herrschend ist die Lehre vom korrigierten Rücktrittshorizont, die es erlaubt, dass für die Rücktrittsanforderung die letzte subjektive Vorstellung nach Ausführung entscheidend ist. Auch wenn er zunächst geglaubt hat, dass sein Versuch erfolgreich war, er nichts weiter tun müsste, dann aber - wie hier - erkennt, dass es doch nicht so ist, also ein unbeendeter Versuch vorliegt, so ist dann diese korrigierte Vorstellung maßgeblich. Also würde ein unbeendeter Versuch damit vorliegen. Ließest du die Korrektur also nicht zu (a.A.), dann würde ein beendeter Versuch vorliegen und dann hätte er die Vollendung verhindern müssen. Das bloße Liegenlassen entspricht dem nicht.

Ja, das klingt in der Tat absurd, aber der Grund ist, warum man das so derart täterfreundlich auslegt, hängt damit zusammen, dass man in der Rücktrittdogmatik die Anforderungen generell nicht zu streng auslegen will. Das Argument ist aus meiner Sicht nicht juristisch, sondern rechtspolitisch: Man glaubt, dass zu hohe Anforderungen an den Rücktritt dazu führten, dass mancher Täter es dann gar nicht mehr versuchen würde. Das Argument ist aber nur scheinbar täterfreundlich, denn damit will man quasi Opferschutz erzeugen. Würde man das Rücktrittsrecht sehr eng auslegen, ist die Annahme, dass dann kein Täter es überhaupt versuchen würde von der Tat Abstand zu nehmen. In der Folge, gerade bei Delikten gegen die Person, würde eine zu strenge Auslegung dazu führen, dass man damit quasi das Opfer gefährdet. Ist aus meiner Sicht dogmatisch nicht zu begründen und sogar falsch. Der Opferschutz ist zwar Aufgabe des Strafrechts, aber findet keinen direkten Ausdruck, ausgehend von der Rechtsfolge gedacht, im Rücktrittsrecht; beziehungsweise hat das versuchte Delikt selbst nichts mit dem Rücktritt zu tun. Da wird etwas hinzugedacht, was sich in dieser Dogmatik aber gar nicht findet. Im Gegenteil: Der Rücktritt ist die Umkehrung der Versuchshandlung, wenn man so will (durch die Vornahme der Rücktrittshandlung beseitigt der Täter das geschaffene Handlungsunwert quasi selbst).


Um zu betonen, wie bescheuert das ist, folgendes Beispiel: Angenommen er würde das Opfer noch stark blutend ins Krankenhaus fahren, es kurz vorm Krankenhaus liegen lassen in der Hoffnung, dass es gerettet wird. Die herrschende Literatur fordert lediglich das Ingangsetzten einer Rettungskausalkette. Wird es dann kraft Vater Zufall vorm Krankenhaus gefunden, dann wäre der Täter zurückgetreten. Unglaublich, oder? Was ist an diesem Ergebnis so bescheuert? Wenn man davon ausgeht, dass der Rücktritt dogmatisch als Rückkehr zur Vernunft zu verstehen ist, dann wäre in dem Moment das Aussetzen kurz vorm Krankenhaus im Grunde wieder strafbar. Man müsste das quasi als Rücktritt vom Rücktritt bezeichnen, weil er in dem Moment die Rettungskausalkette eigentlich selbst wieder aufgibt; er überlässt es dem Zufall.
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