Ist § 176 Abs. 1 Nr. 3 StGB verfassungswidrig (nicht ernst gemeintes Angebot zum Kindesmissbrauch)?
Verfasst: Sonntag 6. Juli 2025, 10:18
§ 176 StGB hat folgenden Wortlaut:
(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer
1.
sexuelle Handlungen an einer Person unter vierzehn Jahren (Kind) vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt,
2.
ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen an einer dritten Person vornimmt oder von einer dritten Person an sich vornehmen lässt,
3.
ein Kind für eine Tat nach Nummer 1 oder Nummer 2 anbietet oder nachzuweisen verspricht.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nummer 1 kann das Gericht von Strafe nach dieser Vorschrift absehen, wenn zwischen Täter und Kind die sexuelle Handlung einvernehmlich erfolgt und der Unterschied sowohl im Alter als auch im Entwicklungsstand oder Reifegrad gering ist, es sei denn, der Täter nutzt die fehlende Fähigkeit des Kindes zur sexuellen Selbstbestimmung aus.
Hierbei braucht bei Abs. 1 Nr. 3 die Tat nach dem Willen des Gesetzgebers und der diesem folgenden Rspr. des BGH nicht ernst gemeint sein (https://openjur.de/u/2490950.html ; siehe Absatz 60) und das angebotene Kind braucht auch nicht wirklich zu existieren (https://www.hrr-strafrecht.de/hrr/4/12/4-381-12.php). Es genügt also, wenn der Täter solche Angebote z.B. zur sexuellen Erregung ohne Verwirklichungsabsicht- oder möglichkeit macht oder sich einen "blöden Scherz" erlaubt hat oder so mögliche Straftäter identifizieren und der Polizei melden möchte.
Die Frage ist, ob die Vorschrift bzw. zumindest die Mindeststrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe ohne minder schweren Fall verfassungskonform ist oder gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und/oder den Gleichheitsgrundsatz verstößt. Dabei spielen Argumente des Gleichheitsgrundsatzes auch beim Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eine Rolle.
1. Verhältnismäßigkeit: Laut Gesetzesbegründung soll neben der Verhinderung von Beweisschwierigkeiten der öffentliche Friede das Rechtsgut hinter der Bestrafung sein und man wollte dem Eindruck einer jederzeitigen Verfügbarkeit von Kindern für Missbrauch entgegenwirken. Das Verhindern von Beweisschwierigkeiten kann vielleicht ein rechtspolitisches Argument sein, jedoch kein verfassungsrechtlich zulässiges, da sonst der Grundsatz "In dubio pro reo" ausgehöhlt wird. Der öffentliche Friede ist im allgemeinen gar nicht betroffen, da die Begehung keine Öffentlichkeit voraussetzt, zudem haben andere Straftaten, die den öffentlichen Frieden betreffen (wie z.B. §130/140 StGB) viel geringere Strafdrohungen. Das mit der Verfügbarkeit ist wohl auch eher ein Unterpunkt des öffentlichen Friedens. Man könnte noch diskutieren, ob auch ein nicht ernst gemeintes Angebot eine Gefahr für ein Kind bedeuten könnte. Zumindest wenn das Kind nicht existiert, kann dieses "Kind" nicht gefährdet sein und selbst bei einem existierenden Kind erscheint dies kaum denkbar, es sei denn, das Kind liegt im Einflussbereich des Adressaten des Empfängers des Angebots, was aber keine Strafbarkeitsvoraussetzung ist. Auch könnte man darüber nachdenken, ob ein nicht ernst gemeintes Angebot im Adressaten einen Wunsch hervorrufen könnte, ein Kind zu missbrauchen, weil er dadurch erst auf die Idee dazu kommt. Dies ist nicht ausgeschlossen, aber sehr abstrakt und extrem weit von einem tatsächlichen Missbrauch weg und bleibt weit hinter einer versuchten Anstiftung zum Kindesmissbrauch zurück, bei der die Mindeststrafe aber nur drei Monate ist. Zudem ist es auch unwahrscheinlich, dass jemand mit einer entsprechenden Disposition (z.B. Pädophilie) durch ein solches Scheinangebot dann tatsächlich eine Tat begeht. Zusammenfassend erscheint die Mindeststrafe von einem Jahr selbst bei einer Zugestehung eines weiten Spielraums dem Gesetzgeber gegenüber nicht mehr angemessen. Dies wird auch deutlich, wenn man bedenkt, dass eine Mindeststrafe von einem Jahr z.B. auch beim Normalfall des Raubes oder beim minder schweren Fall des Totschlags gilt.
2. Gleichheitsgrundsatz: Hier ergeben sich bereits beim ernst gemeinten Anbieten mE Zweifel, ob die Norm mit dem Gleihheitsgrundsatz vereinbar ist, was dann bei einem nicht ernst gemeinten Angebot erst Recht so sein dürfte. Das ernst gemeinte Anbieten ist eine Art Vorbereitungshandlung und schafft eine Gefahr, dass die Tat tatsächlich verwirklicht wird. Allerdings ist die Tat hier noch nicht begangen und es kann jederzeit von dem Plan Abstand genommen werden, sodass auch für das ernst gemeinte Anbieten eine niedrigere Strafe als für den Missbrauch selbst zu erwarten wäre (was bei der ernst gemeinten Verabredung zu 176 StGB ja z.B. auch der Fall ist, da ist die Mindeststrafe 3 Monate). Aber überhaupt nicht mehr vom Gedanken einer Gleichbehandlung "beseelt" ist es, dass die Mindeststrafe von einem Jahr für das Anbieten eines Kindes höher liegt als für den Versuch des Missbrauches (und den Versuch der Anstiftung hierzu) selbst, die liegt bei 3 Monaten, obgleich beim versuchten Missbrauch die Tat ja direkt bevorsteht, beim Anbieten nicht (zwingend). Dem Gesetzgeber ist dieser Widerspruch wohl nicht aufgefallen, dieser hat lediglich ausgeführt, dass auch das Anbieten eines Kindes zum Missbrauch äußerst verwerflich sei und man somit denselben Strafrahmen nehmen könne. Die genannten Bedenken erstrecken sich natürlich erst Recht auf das nicht ernst gemeinte Anbieten, da dieses (auf den Strafrahmen bezogen, nicht auf konkrete Einzelfälle) ja kaum verwerflicher sein kann als das ernst gemeinte.
Was sagt ihr zu der (zugegebenermaßen langen)Argumentation? Und haltet ihr den Paragraphen für verfassungswidrig?
(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer
1.
sexuelle Handlungen an einer Person unter vierzehn Jahren (Kind) vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt,
2.
ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen an einer dritten Person vornimmt oder von einer dritten Person an sich vornehmen lässt,
3.
ein Kind für eine Tat nach Nummer 1 oder Nummer 2 anbietet oder nachzuweisen verspricht.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nummer 1 kann das Gericht von Strafe nach dieser Vorschrift absehen, wenn zwischen Täter und Kind die sexuelle Handlung einvernehmlich erfolgt und der Unterschied sowohl im Alter als auch im Entwicklungsstand oder Reifegrad gering ist, es sei denn, der Täter nutzt die fehlende Fähigkeit des Kindes zur sexuellen Selbstbestimmung aus.
Hierbei braucht bei Abs. 1 Nr. 3 die Tat nach dem Willen des Gesetzgebers und der diesem folgenden Rspr. des BGH nicht ernst gemeint sein (https://openjur.de/u/2490950.html ; siehe Absatz 60) und das angebotene Kind braucht auch nicht wirklich zu existieren (https://www.hrr-strafrecht.de/hrr/4/12/4-381-12.php). Es genügt also, wenn der Täter solche Angebote z.B. zur sexuellen Erregung ohne Verwirklichungsabsicht- oder möglichkeit macht oder sich einen "blöden Scherz" erlaubt hat oder so mögliche Straftäter identifizieren und der Polizei melden möchte.
Die Frage ist, ob die Vorschrift bzw. zumindest die Mindeststrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe ohne minder schweren Fall verfassungskonform ist oder gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und/oder den Gleichheitsgrundsatz verstößt. Dabei spielen Argumente des Gleichheitsgrundsatzes auch beim Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eine Rolle.
1. Verhältnismäßigkeit: Laut Gesetzesbegründung soll neben der Verhinderung von Beweisschwierigkeiten der öffentliche Friede das Rechtsgut hinter der Bestrafung sein und man wollte dem Eindruck einer jederzeitigen Verfügbarkeit von Kindern für Missbrauch entgegenwirken. Das Verhindern von Beweisschwierigkeiten kann vielleicht ein rechtspolitisches Argument sein, jedoch kein verfassungsrechtlich zulässiges, da sonst der Grundsatz "In dubio pro reo" ausgehöhlt wird. Der öffentliche Friede ist im allgemeinen gar nicht betroffen, da die Begehung keine Öffentlichkeit voraussetzt, zudem haben andere Straftaten, die den öffentlichen Frieden betreffen (wie z.B. §130/140 StGB) viel geringere Strafdrohungen. Das mit der Verfügbarkeit ist wohl auch eher ein Unterpunkt des öffentlichen Friedens. Man könnte noch diskutieren, ob auch ein nicht ernst gemeintes Angebot eine Gefahr für ein Kind bedeuten könnte. Zumindest wenn das Kind nicht existiert, kann dieses "Kind" nicht gefährdet sein und selbst bei einem existierenden Kind erscheint dies kaum denkbar, es sei denn, das Kind liegt im Einflussbereich des Adressaten des Empfängers des Angebots, was aber keine Strafbarkeitsvoraussetzung ist. Auch könnte man darüber nachdenken, ob ein nicht ernst gemeintes Angebot im Adressaten einen Wunsch hervorrufen könnte, ein Kind zu missbrauchen, weil er dadurch erst auf die Idee dazu kommt. Dies ist nicht ausgeschlossen, aber sehr abstrakt und extrem weit von einem tatsächlichen Missbrauch weg und bleibt weit hinter einer versuchten Anstiftung zum Kindesmissbrauch zurück, bei der die Mindeststrafe aber nur drei Monate ist. Zudem ist es auch unwahrscheinlich, dass jemand mit einer entsprechenden Disposition (z.B. Pädophilie) durch ein solches Scheinangebot dann tatsächlich eine Tat begeht. Zusammenfassend erscheint die Mindeststrafe von einem Jahr selbst bei einer Zugestehung eines weiten Spielraums dem Gesetzgeber gegenüber nicht mehr angemessen. Dies wird auch deutlich, wenn man bedenkt, dass eine Mindeststrafe von einem Jahr z.B. auch beim Normalfall des Raubes oder beim minder schweren Fall des Totschlags gilt.
2. Gleichheitsgrundsatz: Hier ergeben sich bereits beim ernst gemeinten Anbieten mE Zweifel, ob die Norm mit dem Gleihheitsgrundsatz vereinbar ist, was dann bei einem nicht ernst gemeinten Angebot erst Recht so sein dürfte. Das ernst gemeinte Anbieten ist eine Art Vorbereitungshandlung und schafft eine Gefahr, dass die Tat tatsächlich verwirklicht wird. Allerdings ist die Tat hier noch nicht begangen und es kann jederzeit von dem Plan Abstand genommen werden, sodass auch für das ernst gemeinte Anbieten eine niedrigere Strafe als für den Missbrauch selbst zu erwarten wäre (was bei der ernst gemeinten Verabredung zu 176 StGB ja z.B. auch der Fall ist, da ist die Mindeststrafe 3 Monate). Aber überhaupt nicht mehr vom Gedanken einer Gleichbehandlung "beseelt" ist es, dass die Mindeststrafe von einem Jahr für das Anbieten eines Kindes höher liegt als für den Versuch des Missbrauches (und den Versuch der Anstiftung hierzu) selbst, die liegt bei 3 Monaten, obgleich beim versuchten Missbrauch die Tat ja direkt bevorsteht, beim Anbieten nicht (zwingend). Dem Gesetzgeber ist dieser Widerspruch wohl nicht aufgefallen, dieser hat lediglich ausgeführt, dass auch das Anbieten eines Kindes zum Missbrauch äußerst verwerflich sei und man somit denselben Strafrahmen nehmen könne. Die genannten Bedenken erstrecken sich natürlich erst Recht auf das nicht ernst gemeinte Anbieten, da dieses (auf den Strafrahmen bezogen, nicht auf konkrete Einzelfälle) ja kaum verwerflicher sein kann als das ernst gemeinte.
Was sagt ihr zu der (zugegebenermaßen langen)Argumentation? Und haltet ihr den Paragraphen für verfassungswidrig?